Dunkle Materie
Fritz ZwickyEr erkannte, dass Supernova-Explosionen Folge eines Gravitationskollapses sind, dass Galaxien als Gravitationslinsen wirken können und vermutete die Existenz Dunkler Materie. (1898 bis 1974) war schon ein recht streitbarer Astrophysiker, und viele seiner damaligen Kollegen hielten ihn aufgrund seiner rauhbeinigen Umgangsformen für einen "ärgerlichen Possenreiter". Sie verkannten allerdings auch, dass ein gewisser Genius in ihm steckte.
Im Gegensatz zu Zwicky (links) war Walter BaadeKonnte Kernregion der Andomeda-Galaxie auflösen, Verbesserung des Hubble-Parameters, Milchstraße besteht aus Sternen 2 verschiedener Populationen. (1893-1960) eher ruhig, ein brillanter Beobachter mit exzellentem Wissen. Da sich Gegensätze bekanntlich anziehen, war es wohl unausweichlich, dass sich beide am Mount Wilson trafen und auch schätzen lernten. Ihr besonderes Interesse galt den Novae, ebenso diskutierten sie intensiv über einige besonders helle Ausbrüche, die sie als Supernovae bezeichneten. In diesen Tagen wurde auch erstmals das Neutron entdeckt und Zwicky postulierte 1933 durch bloße Überlegung die Existenz von Neutronensternen, von denen er selbst im Laufe der Zeit 123 entdeckte. |
Im selben Jahr maß Zwicky Rotverschiebungen in den Spektren von Galaxien des Coma- Galaxienhaufens. Diese waren jedoch größer, als nach der Hubble- Expansionsgeschwindigkeit des Universums erwartet. Zwicky folgerte daraus, dass neben der Hubble- Bewegung auch noch Eigenbewegungen der Galaxien innerhalb des Haufens vorlagen. Schon damals konnte er berechnen, wie viel Masse die Galaxien enthielten. Anhand der Newtonschen Gesetze ermittelte er, wie schnell diese Eigenbewegung sein durfte, aber die Rotverschiebungen wiesen auf viel höhere Geschwindigkeiten hin. So kam Zwicky zu der Schlussfolgerung, dass im Coma- Haufen mindestens zehnmal mehr an Masse vorhanden sein muss als das, was man als leuchtende Materie in Form von Sternen sehen konnte. Eine für die damalige Zeit fast ketzerische Feststellung!
Betrachtet man eine Galaxie durch ein Teleskop, so erscheint diese im Gegensatz zu den punktförmigen Sternen als Scheibchen, als flächenhaftes Objekt. Daher kann man vom Zentrum der Galaxie bis zu den äußersten Rändern Punkt für Punkt das Spektrum erfassen. Die Eigenbewegungen der Sterne oder Gaswolken verursachen dabei eine Verbreiterung der Spektrallinien, aus denen der Fachmann neben der Fluchtgeschwindigkeit auch die Eigenbewegungen innerhalb des Sternsystems ermitteln kann. Man erhält die Rotationskurve, ein Geschwindigkeitsprofil über die gesamte Galaxienbreite.
Die so gemessenen Geschwindigkeiten sollten eigentlich aufgrund der Newtonschen Gravitationsgesetze mit der Quadratwurzel des Abstandes abfallen. Doch die Theorie stimmt hier nicht mit der Praxis überein: Die gemessenen Rotationsgeschwindigkeiten der Sterne/Wolken um das galaktische Zentrum bleiben häufig konstant oder nehmen sogar nach außen hin zu!
Stimmen die physikalischen Gesetze nicht mehr? Das kann nicht der Grund sein, wir wissen, dass sie überall im Universum Gültigkeit haben. Es ist, als würde die Galaxie eine gravitative Wirkung von weit außerhalb befindlicher Materie spüren...
Und genau das ist die Ursache für die viel zu hohen Bahngeschwindigkeiten. Diese unsichtbare und deshalb als Dunkle Materie (dark matter, "DM") benannte Masse lässt sich bei vielen Galaxien nachweisen, selbst in unserer Milchstraße. Unser Sonnensystem umrundet das Milchstraßenzentrum mit 220 [km/s], das sind 792 000 [km/h]! Dem entspricht eine enorme Fliehkraft, die unser System entwickelt, und diese muss durch eine entsprechend hohe Gravitationskraft kompensiert werden. Andernfalls wäre das Sonnensystem längst aus der Galaxis hinausgeschleudert worden.
Leuchtende Materie | Dunkle Materie |
So muss also zwischen uns und dem galaktischen Zentrum eine entsprechend große Masse vorhanden sein, um die erforderliche Anziehungskraft zu entwickeln. Wenn wir jedoch alles an sichtbarer Materie zusammen zählen, stellen wir erstaunt fest, dass viel zu wenig davon vorhanden ist! Es muss also noch irgendetwas anderes "da draußen" existieren, das unser Sonnensystem fesselt, und wir haben damit einen weiteren Hinweis auf das mysteriöse Phänomen. Dunkle Materie verrät durch sonst nichts ihre Anwesenheit, keinerlei Strahlung wird von ihr emittiert. Dennoch muss ihre Masse riesig sein, man schätzt, dass sie um den Faktor 5 bis 10 größer ist als die gesamte beobachtbare Masse der Galaxie.
Wenn wir einmal die Milchstraße betrachten, fallen sofort die dunklen Zonen in diesem Sternenband auf, die jedes Licht dahinter liegender Sterne verschlucken. Das ist keine Dunkle Materie! Dabei handelt es sich vielmehr um dichte Wolken aus Gas und Staub, die durchaus Strahlung emittieren. Dunkle Materie kann sich innerhalb der Galaxie befinden (ja, unsere Körper könnten sogar sekündlich von unzähligen Teilchen dieser exotischen Materie getroffen werden, ohne dass wir es bemerken), ebenso gut könnte sie in einem Halo die Galaxie umgeben.
Auch in Galaxienhaufen kann man die Anwesenheit der Dunklen Materie berechnen, sie hat 5 bis 10 Mal mehr Masse als die leuchtende Materie. Hier sehen wir den Galaxienhaufen Abell 2218 in rund 3 Milliarden Lichtjahren Distanz im Sternbild Drachen. Schemenhaft lassen sich Bögen erkennen - der Haufen wirkt als Gravitationslinse. Diese Wirkung kann er jedoch nur erzielen, wenn er wesentlich mehr an Masse enthält, als wir sehen können. Ein weiterer Hinweis auf die Existenz Dunkler Materie!
Mit freundlicher Genehmigung von NASA und STScI
Aus Untersuchungen der WMAP- Mission leitet man heute die Zusammensetzung im Universum wie folgt ab:
"Normale", leuchtende Materie: 4%
Dunkle Materie: 23%
Dunkle Energie: 73% (die noch mysteriöser ist und ein Kapitel für sich).
Neben den oben gezeigten Fakten gibt es noch weitere Argumente für die tatsächliche Existenz der Dunklen Materie:
Im Galaxienhaufen Abell 3528 wurde vom Röntgensatelliten ROSAT eine riesige Gaswolke entdeckt, die eine Temperatur von 10 Millionen [K] hat. Die Galaxien des Haufens sind als schwarze Punkte gekennzeichnet. Ein derart heißes Gas kann innerhalb des Haufens nur gehalten werden, wenn die Gravitation genügend große Werte aufweist. Die sichtbare, leuchtende Materie reicht allerdings bei weitem dazu nicht aus. Auch in Abell 3528 muss eine große Menge Dunkler Materie verborgen sein.
Quelle: ROSAT
Fragen wir uns nun: Woraus könnte denn eigentlich diese Dunkle Materie bestehen? Hier bieten sich verschiedene Lösungen an. Zunächst können wir allgemein fragen:
1. Kann "normale" (baryonische) Materie die Dunkle Materie sein, nur sehen wir sie nicht?
2. Könnte es "exotische" Materie geben, die uns eine Erklärung liefert?
3. Könnte es sein, dass die Schwerkraftgesetze Newtons und Einsteins nicht korrekt sind und sich über große Distanzen anders verhalten?
Gleich zur letzten Frage ist anzumerken, dass in diesem Fall die Modelle zur Struktur von Sternen und des gesamten Universums in Frage gestellt werden müssen. Dennoch gibt es ein eigenes Forschungsgebiet, welches dieser Frage nachgeht (genannt MOND, MOdified Newtonian Dynamics).
Sehen wir zunächst, welche Möglichkeiten die normale, baryonische Materie für unsere Suche bietet (Baryonen sind "schwere" Teilchen wie Protonen und Neutronen, aus denen die Materie aufgebaut ist, barys, griech.= schwer):
- Braune Zwerge. Sterne mit < 8% der Sonnenmasse, die keine Kernfusion aufweisen und deshalb aufgrund ihrer geringen Größe, Temperatur und Leuchtkraft selbst in der Nachbarschaft für uns nur schwer zu erfassen sind. Es könnten viele solcher Objekte existieren, aber man muss sich fragen, wie sie ausgerechnet im Halo der Galaxis entstanden sein sollen oder dorthin gelangt sind. Braune Zwerge machen etwa 10% der baryonischen Materie aus. Ebenfalls nicht sehr leuchtkräftig sind die so genannten M- Zwerge, Sterne der Spektralklasse M. Sie haben nur wenig mehr Masse als die Braunen Zwerge, sind zwar "echte" Sterne, leuchten aber ebenfalls überwiegend im Infrarotbereich. Ihre Anzahl reicht nicht zur Erklärung der Dunklen Materie.
- Schwarze Löcher. Sie könnten unsichtbar sein (wenn sie keine Materie akkretieren) und große Massen in sich vereinen. Dagegen spricht aber die Häufigkeit der chemischen Elemente. Supernovaexplosionen, bei denen Schwarze Löcher entstehen können, reichern die Galaxis mit schweren Elementen an. Deren gemessene Häufigkeit deutet aber darauf hin, dass bisher viel zu wenig Explosionen stattfanden und damit zu wenig Schwarze Löcher existieren, um die Masse der Dunklen Materie in sich zu vereinen.
- Neutronensterne, Weiße Zwerge, Schwarze Zwerge. Diese Sternformen beinhalten ebenfalls relativ viel Masse in kleinen Volumina. Dagegen spricht aber, dass Neutronensterne und Weiße Zwerge (aus denen die Schwarzen Zwerge hervorgehen) viel zu lange Abkühlphasen haben, so dass zumindest ein guter Teil von ihnen noch sichtbar sein sollte. Aus der ersten Sterngeneration hervor gegangen, könnten solche Objekte allerdings heute so weit abgekühlt sein, dass sie in größeren Distanzen nicht mehr zu erfassen wären.
- MACHO's (Massive Compact Halo Objects). Zu ihnen zählen die bisher genannten Braunen Zwerge und Schwarzen Löcher, jedoch auch Planeten, Kometen oder Asteroiden. Letztgenannte müssten allerdings in unvorstellbarer Anzahl vorhanden sein, um als ein Vielfaches der leuchtenden Materie aufzutreten. Hier bleibt jedoch die Frage offen, wie diese Körper auch in den Halos der Galaxien entstehen konnten? Immerhin müssen sich im Halo der Milchstraße 1 Billion Sonnenmassen befinden!
- Neutrinos. Sie zählt man zur so genannten Heißen Dunklen Materie (HDM, Hot Dark Matter), deren Teilchen sich mit (fast) Lichtgeschwindigkeit während der Galaxienentstehung bewegten. Neutrinos sind schwach wechselwirkende Teilchen, weil sie aber eine äußerst geringe Masse haben, rechnet man sie nicht den WIMP's (siehe unten) zu. Im Gegensatz zur HDM steht die Kalte Dunkle Materie (CDM, Cold Dark Matter). Ihre Teilchen bewegten sich während der Galaxienbildung relativ langsam. Heute haben sie eine Temperatur von 0 [K], so dass keinerlei Strahlung von der CDM ausgeht.
Auf der Suche nach der DM eröffnen sich noch einige andere Möglichkeiten, die wir berücksichtigen müssen:
- WIMP's (Weakly Interacting Massive Particles, schwach wechselwirkende, massereiche Teilchen, übersetzt: "Weichei"). Hypothetische Teilchen (von der so genannten Supersymmetrie vorhergesagt), die bisher noch nie nachgewiesen wurden. Zu jedem Teilchen des "Teilchenzoos" der Physiker sollen supersymmetrische Partnerteilchen existieren, wie z.B. Neutrino- Neutralino, Quark - Squark oder Photon- Photino. Diese Teilchen sind viel schwerer als die uns vertrauten, die leichtesten von ihnen könnten die DM darstellen.
- Kosmische Strings? Ihre Existenz ist allerdings sehr zweifelhaft.
- Nichtbaryonische Teilchen. Das sind ebenfalls theoretische Teilchen, von denen jedoch auch noch keines nachgewiesen wurde. Am interessantesten erscheint hier das Axion, ein Hauptkandidat für die WIMP's. Es könnte in Sternen bei deren Fusionen entstehen, indem es in starken magnetischen Feldern aus Photonen hervorgeht. Derzeit ist man z.B. am CERN damit beschäftigt, seine Existenz zu bestätigen. Ein Axion soll sehr leicht sein und gerade 1 Millionstel der Masse eines Elektrons besitzen. Wie die Hintergrundstrahlung könnten diese Teilchen das gesamte Universum erfüllen und als Dunkle Materie in Zusammenballungen gehäuft auftreten.
Massive Objekte als Bestandteil der Dunklen Materie wurden bereits durch so genanntes microlensing nachgewiesen. Wenn zufällig ein massives Objekt direkt durch die Sichtlinie zwischen Beobachter und einem Stern hindurchwandert, erhöht sich die Helligkeit des Objektes geringfügig, aber messbar. Allerdings wissen wir noch immer nicht, was diese MACHO's nun wirklich sind. Aus den Untersuchungen schließt man auf eine Masse von 15 bis 90 % der Sonnenmasse, das wäre viel zu wenig für ein stellares Schwarzes Loch. Ein primordiales (urzeitliches) Schwarzes Loch aber, welches eine geringe Masse haben könnte, müsste aufgrund der Hawking- Strahlung recht heiß und damit sichtbar sein. Somit bleibt die Vermutung, dass es sich doch um Braune oder Schwarze Zwerge oder große Gasplaneten handeln könnte.
Eine andere Überlegung führt uns zurück in die Frühzeit des Universums:
Das junge Universum war äußerst heiß und dicht, neben Protonen, Neutronen (= Baryonen) und Elektronen (= Leptonen) als Plasma beherrschten hochenergetische Gammaphotonen die Szene. Die Materieteilchen wechselwirken sehr heftig mit Licht, und zwar in der Weise, dass z.B. ein Elektron mit einem solchen Photon zusammenstößt und es absorbiert. Hierdurch gewinnt es kurzfristig kinetische Energie, muss aber alsbald wieder ein Photon emittieren. Dieses Photon ist nun etwas energieärmer, weil das Elektron ein wenig Energie für seine Bewegung verbrauchte.
Derartige Zusammenstöße fanden in sehr schneller Folge statt, denn das Universum war noch recht klein und damit die Teilchendichte extrem groß. Kaum dass ein Photon emittiert wurde, erfolgte sogleich die nächste Kollision und damit Absorption. Die Strahlung konnte den Raum nicht durchdringen, das Universum war vollkommen opak (undurchsichtig) und man nennt diesen Zeitraum deshalb die Strahlungsära. Das Licht der Gammastrahlung war also an die Materie gekoppelt und die Photonen stießen die Materieteilchen hin und her. In dieser Zeit müssen sich aber im Kosmos Dichtefluktuationen ausgebildet haben - räumliche Zonen, in denen die Materiedichte etwas höher oder niedriger war. Aus diesen Verdichtungen sollten sich schließlich später die Galaxien und Galaxienhaufen bilden!.
Wie aber sollten in einem solchen strahlungsbeherrschten All Fluktuationen entstehen und anwachsen können? Die ständigen heftigen Stöße der Photonen hätten das sicher verhindert und der Gravitation keine Chance gegeben, Verklumpungen auszubilden. Wenn nun aber schon damals Teilchen existierten, die nicht mit der Strahlung oder den Materieteilchen wechselwirkten, so konnten sie durchaus Fluktuationen entstehen und anwachsen lassen. Durch ihre gravitative Wirkung wurde das Universum klumpig, so wie wir es heute sehen und auch aus der Hintergrundstrahlung ablesen können.
Durch den dauernden Energieverlust der Photonen aufgrund der Teilchenkollisionen wurde ihre Wellenlänge immer größer - das All kühlte ab! Nach 379 000 Jahren war die Temperatur auf etwa 3000 [K] abgesunken und jetzt konnten die Elektronen Bahnen um die Protonen einnehmen, (Wasserstoff-)Atome entstanden. Die Photonen, deren Wellenlängen nun überwiegend im sichtbaren Licht lagen, waren nicht länger an die Materie gekoppelt und konnten sich nun frei im Raum bewegen, das Universum wurde "durchsichtig". Jetzt übernahm die Gravitation die Regie: In den Zonen hoher Dichte sammelte sich immer mehr Materie und bildete den Grundstein für die Galaxienhaufen, während durch die gemeinsame Gravitationswirkung von normaler und Dunkler Materie die dünneren Gebiete des Universums immer weiter "leergefegt" wurden.
Hätte es keine Dunkle Materie gegeben, die während der Strahlungsära Dichtefluktuationen ausbilden konnte, so würde unser Kosmos heute nur aus dünnem Gas bestehen! Denn die "normale" Materie war während dieser Zeit durch die Strahlung völlig gleichmäßig verteilt worden. Am Ende dieser Periode hätte es keine Möglichkeit mehr zu Verdichtungen gegeben, weil die Teilchen bereits viel zu weit voneinander entfernt waren. Die Gravitation hätte keine Chance mehr gehabt!
Damit haben wir nun auch eine plausible Erklärung, wieso die Dunkle Materie immer dort ist, wo sich auch die leuchtende Materie aufhält. Filamentartige Strukturen riesigen Ausmaßes aus Dunkler Materie durchziehen den Kosmos, an denen sich die Galaxienhaufen wie Tautropfen an einem Spinnfaden aufreihen.
Mit Hilfe des Hubble- Weltraumteleskops hat ein Astronomenteam in einem Galaxiencluster mit Namen Cl 0024+17 einen merkwürdigen Ring entdeckt, der wohl durch eine gigantische Kollision von 2 Galaxienhaufen vor langer Zeit erzeugt wurde. Wir haben mit der Entdeckung dieses Rings sicherlich den bisher besten Hinweis auf die tatsächliche Existenz der Dunklen Materie vor Augen. Astronomen haben sie schon lange im Verdacht, Ursache der Gravitation zu sein, die zusätzlich zu der von der leuchtenden Materie ausgeht. Ohne diese Gravitationswirkung hätten sich die Galaxiencluster (engl. cluster= Anhäufung) längst aufgelöst. Die Forscher entdeckten den Ring völlig unerwartet, als sie nach der Verteilung Dunkler Materie in diesem 5 Milliarden Lichtjahre entfernten Cluster suchten. Der Ring hat einen Durchmesser von 2,6 Millionen Lichtjahren und ist wohl durch die Kollision mit einem anderen Cluster vor 1- 2 Milliarden Jahren entstanden. Es ist das erste Mal, dass Dunkle Materie eine solch einmalige Struktur erzeugt, die sich deutlich vom heißen Gas und den Galaxien des Clusters unterscheidet. Glücklicherweise liegt der Ring genau in der Sichtlinie zur Erde, sonst wäre er womöglich nicht erkannt worden. Wie Computersimulationen ergaben, fällt die Dunkle Materie bei der Kollision zweier Cluster zunächst ins Zentrum, um daraufhin förmlich nach außen zu spritzen. Dabei ergeben sich Kräuselungen, wie sie ein ins Wasser geworfener Stein auf der Oberfläche erzeugt. Wie das Bild des Kieselsteins auf dem Teichgrund durch die Wellen verzerrt wird, wird auch die Gestalt der weit hinter dem Ring liegenden Galaxien verformt. Durch Anklicken könenn Sie das Bild im Großformat betrachten.
Mit freundlicher Genehmigung von NASA, ESA, M. J. Jee/ H. Ford (Johns Hopkins University)
Wir werden jedoch sicher noch lange mit der Lösung dieses kosmischen Rätsels beschäftigt sein. Es ist ein höchst unbefriedigender Zustand zu wissen, dass "da draußen" etwas ist, das einen viel höheren Anteil am Aufbau des Universums hat als die sichtbare Materie. Die Dunkle Materie könnte zudem einen entscheidenden Einfluss auf die Zukunft unseres Kosmos haben, prägt sie doch den Omega- Faktor wesentlich mit. Von seiner Größe hängt ab, ob das Universum ewig expandieren wird oder eines Tages wieder vollkommen in sich zusammen fällt.
Untersuchungen des Chandra- Röntgenteleskops im Fornax- ("Ofen") Galaxienhaufen ("cluster") haben ergeben, dass hier großräumige Bewegungen stattfinden. Eine Gruppe von Galaxien, die etwas außerhalb steht, bewegt sich auf das Clusterzentrum zu und wird in ein paar Milliarden Jahren mit ihm kollidieren. Um das Zentrum herum sehen wir eine rund 10 Millionen Grad heiße, dünne Gaswolke, die nur durch die Anwesenheit großer Massen gehalten werden kann. Wir sehen diese Massen jedoch nicht, wiederum ein Hinweis auf die Anwesenheit Dunkler Materie. Die Galaxien und das Gas scheinen entlang einer filamentartigen Ansammlung Dunkler Materie (hier schemenhaft grau dargestellt) angeordnet zu sein. Diese Strukturen kollabieren wohl und streben dem Zentrum zu. Von der Gaswolke sehen wir nur einen kleinen Teil, sie hat einen langgezogenen Schweif wie ein Komet, der sich um ein Vielfaches in den Raum erstreckt.
Mit freundlicher Genehmigung von Chandra/CXC/M.Weiss
Preisfrage: Wer sind die 7 Samurai? Und was hat das mit Dunkler Materie zu tun?
Die Sprache ist hier nicht von Computerspielen oder irgendwelchen japanischen Helden, sondern gestandenen Astronomen und Astrophysikern! In den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts fand sich eine Gruppe junger Wissenschaftler zusammen, um in einer der bis dahin umfangreichsten Untersuchungen das Verhalten und die Entwicklung von elliptischen Galaxien zu erforschen. Als Leiterin der Gruppe wurde Sandra M. Faber ernannt, sie ist heute Professorin und arbeitet am Lick- Observatorium. Alan Dressler vermaß während des Projekts Tausende von Galaxien. Weitere Mitglieder der Arbeitsgruppe waren Dave Burstein, Roger Davies, Roberto Terlevich, Donald Lynden-Bell und Gary Wegner.
In der über Jahre dauernden Untersuchung mussten sehr viele Schwierigkeiten überwunden werden, so z.B. die exakte Bestimmung der Eigenbewegung einer Galaxie. Neben der allgemeinen Hubble- Flucht durch die Expansion des Universums, die noch relativ leicht im Spektrum aus der Rotverschiebung abzulesen ist, führen Galaxien noch weitere Eigenbewegungen ("Pekuliarbewegungen") innerhalb des Galaxienhaufens aus, in den sie gravitativ eingebunden sind.
Schlussendlich bezog man sich auf die Mikrowellen- Hintergrundstrahlung als gemeinsamen Bezugspunkt und gelangte zu erstaunlichen Ergebnissen. So rast unsere ganze Milchstrasse mit 600 [km/s] durch das All, das sind 2 160 000 [km/h]! Gegenüber anderen Galaxien ist das jedoch noch recht langsam, aber viel wichtiger war die überraschende Feststellung, dass alle untersuchten Galaxien, die sich in einem bis zu rund 200 Millionen Lichtjahren großen Raumgebiet aufhalten, gemeinsam mit hoher Geschwindigkeit auf ein Schwerkraftzentrum in der Centaurus- Region zurasen. Dort muss es in weiter Ferne eine riesige, unvorstellbar große Massenkonzentration geben - Dressler nannte sie später mehr zufällig in einem Vortrag den Großen AttraktorEin Galaxiensuperhaufen von 10 Billiarden Sonnenmassen, das Schwerkraftzentrum liegt im Norma-Galaxienhaufen. Denkbar ist, dass sich dort eine Ansammlung großer Superhaufen befindet, die entsprechend spektakuläre, unbegreiflich große Mengen Dunkler Materie beherbergen. Nur so ist eine Gravitationswirkung zu erklären die imstande ist, Abertausende von Galaxien in eine Richtung zu beschleunigen.
Übrigens wurde die Gruppe von ihren Fachkollegen eher abwertend als die 7 SamuraiDie sieben Samurai , ein japanischer Historienfilm aus dem Jahr 1954 bezeichnet, weil sie die bis dahin geltenden Vorstellungen der Fachwelt von der großräumigen Struktur des Universums heftig ins Wanken brachte. Trotz vieler Kritiken von allen Seiten - die sieben Samurai hatten große Sorgfalt walten lassen und die Ergebnisse ihrer Untersuchung überstanden jede Prüfung.
Wer sich für die Geschichte der 7 Samurai interessiert und nebenher viel über die Arbeit von Wissenschaftlern und die großräumigen Strukturen des Universums erfahren möchte, dem sei Alan Dresslers "Reise zum großen Attraktor" empfohlen (siehe Quellenangaben).
Weitere Informationen:
http://science.nasa.gov/astrophysics/focus-areas/what-is-dark-energy/
https://de.wikipedia.org/wiki/Dunkle_Materie
https://astro.uni-bonn.de/~deboer/pdm/pdmdmtxt.html