Die Rochesche Grenze
Die Rochesche Grenze
In einem System können sich zwei Himmelskörper soweit aneinander nähern, dass aufgrund ihrer Gravitation Gezeitenkräfte wirksam werden. So übt z.B. der Mond Gezeitenkräfte auf die Erde aus, die durch unterschiedlich starke Gravitation zwischen der mondzugewandten und der gegenüberliegenden Seite zustande kommen. Das liegt darin begründet, dass die Gravitationskraft abhängig von der Entfernung ist (siehe hierzu Newtonsches Gesetz), auf der mondzugewandten Seite also stärker als auf der abgewandten Seite. Dabei gilt: Je geringer der Abstand beider Körper und je größer ihre Massen sind, umso größer ist die Differenz der Gravitationskraft und umso stärker ist die Gezeitenwirkung.
Diesen Zusammenhang hat bereits 1848 der französische Mathematiker Edouard Roche (1820-1883) erkannt, als er die Distanz kalkulierte, bei der ein Satellit durch die Gezeitenkräfte seines Zentralgestirns zerrissen wird. Nach ihm benennt man diese Grenze, in der ein Trabant nicht mehr als stabiles Gebilde existieren kann. Wenn die Dichten der beiden Körper gleich sind, beträgt der kritische Abstand :
wobei der Planetenradius ist. Hat also ein Planet einen Radius von 10 000 [km], so liegt die Rochesche Grenze bei 24 560 [km]. In diesem Bereich kann sich weder ein Mond bilden noch darin existieren. Sind die Dichten beider Körper unterschiedlich, so muss nach folgender Formel gerechnet werden:
wobei und die mittleren Dichten des Planeten bzw. Mondes sind. So beträgt z.B. der kritische Abstand bei der Erde für den Mond rund 18 000 [km]. Hielte er sich hier auf, würde er durch die Gezeitenkraft in Stücke zerrissen und die Trümmer als Ring um die Erde schweben.
Die Gültigkeit des Rocheschen Gesetzes beschränkt sich allerdings nur auf Körper, die durch gravitativen Einfluss zusammengehalten werden, also Sterne, Planeten und Monde. Nicht berücksichtigt sind in seiner Kalkulation atomare und molekulare Bindungskräfte wie Adhäsion und Kohäsion. Umherschwebende Felsbrocken, Satelliten oder Astronauten sind davon nicht betroffen. Sie können sich gefahrlos in jedem beliebigen Abstand von der Erde aufhalten, ohne dabei zerstört zu werden. So weist z.B. der Saturn zwei winzige Monde auf, die so genannten Shepherd- Monde, auch Hirten- oder Schäferhundmonde genannt, die sich innerhalb der Roche- Grenze bewegen. Ansonsten ist in diesem Bereich nur die Existenz von Staub- und Gesteinsbrocken erlaubt, wie es uns die Saturnringe auch deutlich beweisen. Auch Jupiter wird innerhalb der Roche- Zone von zwei kleinen Trabanten umkreist, Adrastea und Metis, die weniger als 20 [km] Durchmesser haben. Die klassischen Monde befinden sich aber stets außerhalb der Roche- Grenze.
Die Rochesche Grenze spielt aber nicht nur bei Planetensystemen eine Rolle, sondern hat gerade bei engen Doppelsternen eine große Bedeutung. Unter dem Begriff Roche- Volumen versteht man die Ausdehnung, die ein Stern maximal erreichen darf, ohne dass sein Begleiter Materie von ihm absaugen kann. Häufig findet man aber Systeme, in denen sich eine Komponente durch die fortgeschrittene Entwicklung zu einem Riesen oder Überriesen ausgedehnt hat, so dass seine äußeren Atmosphärenschichten das Roche- Volumen überschritten haben. Sein Begleiter, beispielsweise ein Weißer Zwerg, überwiegt nun im gravitativen Einfluss, so dass letztendlich Materie vom Riesen zum Weißen Zwerg abfließen kann. Nachstehende Grafik verdeutlicht das Geschehen:
Die gestrichelte Linie zeigt die Bahnebene, mit den blauen sind die Umlaufbahnen beider Komponenten um das gemeinsame Gravitationszentrum angedeutet. Die Materie überschreitet problemlos den "Lagrangeschen Punkt" L1 (siehe unten) und sammelt sich in einer Akkretionsscheibe um die dominierende Komponente. Ein Teil der Materie kann sogar über den Lagrangeschen Punkt L2 in den Raum
abfließen.
Lagrangesche Punkte
Lagrangesche Punkte sind nach dem französischen Mathematiker Josef Lagrange (1736-1813) benannt. Bei Berechnungen von Planetenbahnen beispielsweise nach den Keplerschen Gesetzen betrachtet man meist nur 2 Körper, Sonne und Planet, weil die Sonne mit ihrer großen Masse die Bewegungen aller anderen Körper diktiert. Dieses 2- Körperproblem wird recht kompliziert, wenn ein weiterer Himmelskörper hinzukommt und man vor einem 3- Körperproblem steht. So beeinflusst beispielsweise Jupiter die Bahnen einiger Asteroiden (die so genannten Trojaner). Doch auch in Mehrkörpersystemen gibt es besonders stabile Bahnen, auf denen sich Körper aufhalten können, ohne signifikanten Störungen ausgesetzt zu sein.
Langrangesche Punkte im System Jupiter, Sonne und Trojaner. Es gibt bestimmte Punkte in Mehrkörpersystemen, an denen Flieh- und Anziehungskräfte so ausbalanciert sind, dass zum Beispiel kleinere Asteroiden eine feste Position ohne Störung ihrer Bahn einnehmen können. Im dargestellten Jupitersystem besetzen die Trojaner die jeweils dritte Ecke des gleichseitigen Dreiecks Sonne-Jupiter-Trojaner.
Insgesamt kennt man 5 Lagrangesche Punkte, L1 bis L5:
Hier ist die Lage der 5 möglichen Lagrange- Punkte (auch genannt Librations- oder Gleichgewichtspunkte) skizziert. L1 bis L3 liegen auf einer Geraden, welche die beiden Hauptmassen m1 und m2 verbindet. Die anderen zwei Punkte bilden gleichseitige Dreiecke mit den beiden Körpern. Hält sich ein dritter Körper in diesen Punkten auf, so herrscht dort ein Gleichgewicht zwischen der auf den Körper einwirkenden Massenanziehung und seiner durch den Umlauf bedingten Zentrifugalkraft. Die Bahn, die der dritte Körper an diesen Stellen beschreibt nennt man Librationsbahn. Bewegt sich der Körper außerhalb eines dieser Punkte, so führt er periodische Bewegungen um den Librationspunkt aus. Kommen zu den beiden Hauptmassen noch weitere Körper hinzu, so sind nur noch die Bahnen um die Librationspunkte L4 und L5 stabil, während die anderen Librationsbahnen durch die Störungen instabil werden: Der Körper entfernt sich immer mehr.