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von tomS » 2. Apr 2008, 23:45
Danke für den neuen Thread, so macht das Sinn.
Also viele Beiträge beschäftigen sich mit dem Begriff Konstante aus einer pragmatischen / experimentellen Perspektive. Das ist völlig richtig und muss immer wieder hinterfragt werden. Zum einen, weil nur Experimente uns die exakten Werte liefern und so der Nachweis der Konstanz innerhalb eines bestimmten Raum- und Zeitbereiches möglich ist.
Ich möchte aber darauf hinweisen, dass dieser Bereich schon sehr groß ist, denn wir beobachten ja Strahlung und Spektren weit entfernter Sterne. Dabei sind sowohl die Emmissionspektren der Sterne (oder Galaxien) als auch die Absorptionsspektren der vom Licht durchquerten interstellaren / intergalaktischen Materie interessant. D.h. man kann Spektren auf unterschiedlichen Entfernungskalen und damit kosmischen Zeitskalen sowie mit den Skalen der irdischen Laboratorien vergleichen. Erstere liefern eher grobe Hinweise auf großräumige / langfristige Veränderungen (oder eben auch nicht), letztere die hochpräzisen Messergebnisse für das Hier und Jetzt.
Natürlich kann in einem derartigen Experiment nie die Konstanz aller Konstanten untersucht werden, sondern man hat immer mindestens eine Eingangsgröße, die man als konstant annimmt. Man kann aber natürlich wechselweise jede Konstante einmal als konstant annehmen und die Messungen der jeweils anderen überprüfen. Damit bekommt man einen mehrdimensionalen Raum (Zahlenraum aller untersuchten Konstanten) und untersucht darin Abhängigkeiten z.B. von Entfernung (dabei muss jetzt z.B. c als konstant vorausgesetzt werden, denn sonst kann man nicht auf die Entfernung rückschließen).
Ich habe nie gehört, dass sich dabei im Rahmen der Messgenauigkeit und innerhalb des zugängliches Bereiches für Entfernungen signifikante Abweichungen ergeben hätten, also kann man sagen, dass diese Konstanten innerhalb der Messgenauigkeit als konstant angesehen werden können - und man sie zu Recht so bezeichnet.
Praktisch alle fundamentale Konstanten müssen in den theoretischen Ableitungen als konstant angesetzt werden (man hat z.B. keine einfache Theorie, in der G variabel ist). Also ist das erst mal ein Ansatz - aber eben ein sehr gut begründeter.
Schwenk:
Ich erkläre jetzt am Beispiel der elektrischen Elementarladung e, dass deren Eigenschaft als Konstante (im Rahmen der QED) eine sehr heikle Sache ist! e ist zunächst die (negative) Ladung des Elektrons, aber auch die vieler anderer geladener Teilchen. Die Quarks sind da etwas seltsam, sie kommen mit e/3 oder 2e/3 daher - aber das macht nichts, dann eben e/3.
Sämtliche Messungen werden bei bestimmten Energieskalen durchgeführt (also an z.B. hochenergetischen Elektronen oder Elektronen in Ruhe). Man kann nun die Streuung zweier Elektronen aneinander berechnen und findet zunächst rein klassisch ein bestimmtes Verhalten, die Coulombstreuung. Diese Coulombstreuung hängt von dem genauen Wert von e ab und man kann e aus der Messung vieler Streuprozesse gewinnen (wobei man wieder andere Werte als konstant ansetzen muss, z.B. die Ruhemasse der Streupartner).
Nun kann man im Rahmen der QED sukzessive Quantenkorrekturen berechnen (in denen das einfache Bild zweier aneinander streuender Elektronen wesentlich komplizierter wird: Stichwort Feynman-Diagramme). ES stellt sich nun heraus, dass der so bestimmte Wert der Ladung von der Schwerpunktsenergie E der beiden streuenden Elektronen abhängt, also aus e wird e(E). Physikalisch passiert folgendes: Jedes Elektron ist von einer virtuellen Wolke von Teilchen (Elektronen-Positronen-Paare) umgeben, und diese tendieren dazu, die zentrale Ladung quasi abzuschirmen. Je näher man an das Elektron herankommt (d.h. je höher E ist), desto mehr der Ladung bekommt man zu Gesicht, d.h. e(E) wächst mit wachsendem E - oder umgekehrt es wächst mit geringer werdendem Abstand vom Elektron.
Nun könnte man e als den "wahren" Wert so festlegen, dass man ihn als die Ladung definiert, die bei Abstand 0 gemessen wird. Dummerweise funktioniert das nicht, denn dieser Wert ist unendlich (für Experten: vor und nach der Renormierung; in der QCD geht das, da wird die entsprechende Größe nach der Renormierung nicht unendlich sondern Null - das ist die sogenannte asymptotische Freiheit).
In allen Fällen sind derartige Ladungen (man spricht auch von Kopplungskonstanten) skalenabhängig, also energieabhängig. Ähnliches gilt auch für Massen m(E) von Elementarteilchen. Das ist nun kein Humbug, sondern etabliert - und darauf beruhen seit Jahrzehnten alle fundamentalen Berechnungen in QED, QCD usw. Der Witz ist, dass man e(E°) für ein E° festlegt (indem man ein Experiment durchführt und den Wert misst) und dieses e(E°) für alle anderen Experimente bei der selben Energie benutzt. Darüberhinaus liefert die Theorie auch die genaue Funktion e(E), in die nur ein freier Parameter, nämlich e°=e(E°) eingeht. Also man muss diese Festlegung nur bei einer einzigen Energieskala E° treffen, für die anderen Energien E kann man die Werte e(E) dann berechnen.
In dieser Betrachtungsweise ergibt sich der von uns üblicherweise diskutierte Wert von e (die Elementarladung) als e(0), d.h. im Limes großer Entfernungen = verschwindener Energien. Die selbe Betrachtungsweise funktioniert in der QCD nicht, denn da wird die entsprechende Kopplungskonstante für E gegen Null bzw. Unendlich leider Unendlich bzw. Null, d.h. es bleibt überhaupt kein konstanter Parameter mehr übrig!
@HaPe: an Multiversen glaube ich nicht, aber die Leute, die es tun (Teile der String-Community), gehen üblicherweise davon aus, dass viele (alle) der von uns als konstant angesehenen Werte in anderen Universen andere Werte haben. Oder sogar noch extremer, es gibt z.B. völlig neue WEchselwirkungen und neue Parameter, die wir hier so gar nicht kennen.
Gruß
Tom
Der Wert eines Dialogs hängt vor allem von der Vielfalt der konkurrierenden Meinungen ab.
Sir Karl R. Popper