Ich find’s schon fast amüsant, dass wir uns über etwas derart elementares nicht einigen können.
Timm hat geschrieben: ↑26. Apr 2020, 09:56
tomS hat geschrieben: ↑25. Apr 2020, 22:36
Aber man tut doch genau das.
Man legt FRW fest, man legt ein k fest, man legt ein a(t°) fest, man legt Dichte, Druck und Lambda fest, und berechnet a(t) u.a. Größen für t > t°.
Bezogen auf unser Universum legt man nichts fest, sondern man mißt.
Das ist zu einfach gedacht.
Nochmal: mathematisch sind Anfangsbedingungen ein
vollständiger Satz von Bedingungen zur Lösung eines Differentialgleichungssystems für ein dynamisches System. Will man eine eindeutige Lösung, so muss man diese - oder äquivalente Bedingungen - festlegen; sind die Anfangsbedingungen
nicht vollständig definiert, so weist die Lösung Mehrdeutigkeiten auf, man erhält z.B. eine Klasse von Lösungen.
Das ist auch bei FRW - zunächst unabhängig von der Frage der Topologie - der Fall: man wünscht sich - z.B. aus Gründen der Einfachheit, denn beobachtete Homogenität kann es nicht gewesen - ein homogenes und isotropes mathematisches Modell. Homogenität und Isotropie für Geometrie und Materie sind ein Bestandteil der Anfangsbedingungen, spezifizieren diese jedoch bei weitem nicht vollständig. Man erhält also eine Klasse von Lösungen, nämlich
- lokal FRW
- k = -1,0,+1
- abzählbar viel unendliche Topologien (was früher niemanden so richtig interessierte)
- a(t° = heute) entspr. Radius mindestens einige Millionen LJ (wie groß wurde das Universum z.Zt. FRW in etwa geschätzt?)
Erst jetzt kann man Messungen, d.h. Licht, Spektren, CMB inkl. Fluktuationen ... in einem mathematischen Kontext sinnvoll interpretieren und die Anfangsbedingung weiter einschränken.
Man ermittelt grob die mittlere Dichte mittels verschiedener Methoden; man schätzt sie für frühere Epochen - im straglungsdominierten Universum - ab. Man setzt Lambda geeignet für einen statischen Kosmos (Einstein), man beobachtet Expansion, lässt also Lambda wieder fallen bzw. setzt es zu Null ... man beobachtet beschleunigte Expansion und führt Lambda > 0 wieder ein, man untersucht sich alternative, inhomogene Szenarien wie Swiss Cheese u.ä. mit großen Voids und Lambda = 0, ...
In allen Fällen setzt man weitere Anfangsbedingungen, schränkt die o.g. ein, wandelt sie ab ...
In allen Fällen berechnet man die Konsequenzen, d.h. man rechnet von t = t° zurück, um die frühe Dynamik zu verstehen (Bildung von Galaxien und Galaxienhaufen, ...) man untersucht die Lichtausbreitung bis hin zu t ~ 300.000 Jahre (für FRW, für Swiss Cheese / Voids, ...) oder extrapoliert in die Zukunft (big crunch, big rip für exotisches w anstelle von Lambda, ...
Man hat es also mit einem Wechselspiel von Setzen von Anfangsbedingungen, Lösen der Gleichungen für die Dynamik, Messungen, deren unterschiedliche Interpretationen im Kontext verschiedener mathematischer Modelle, Anpassen von Anfangsbedingungen und Modellen, Verwerfen derselben usw. zu tun.
Ich hoffe, damit ist klar, was ich mit „
man setzt Anfangsbedingung“ meine. Es handelt sich tatsächlich um hochintelligentes Raten, Prüfen, Verfeinern oder Verwerfen innerhalb eines möglichst kleinen Bereiches für Anfangsbedingungen.
Timm hat geschrieben: ↑26. Apr 2020, 09:56
Dann stellt man fest, daß die Resultate mit den Vorhersagen von LCDM übereinstimmen.
Was meinst du mit “LCDM„? Nur dieses, oder die Kombination mit „lokal FRW“?
Ersteres ist ja nicht unumstritten: Voids anstelle von Lambda > 0, variables Lambda, ... von Alternativen zu DM mal ganz abgesehen (hier nicht das Thema)
Und „lokal FRW“ gilt ohnehin nur näherungsweise; wiederum Voids, ...
Timm hat geschrieben: ↑26. Apr 2020, 09:56
Über die Topologie macht LCDM keine Vorhersage, sie ist nicht festgelegt (die Daten schließen etwa den 3-Torus nicht aus).
Richtig.
„LCDM“ sagt bzgl. Topologie und Geometrie nichts, nur über den Materieinhalt.
„lokal FRW“ sagt bzgl. Topologie und Geometrie wenig, jedoch nicht nichts! Z.B. können viele zu kleine kompakte Universen aufgrund des Spektrums der Fluktuationen der CMB ausgeschlossen werden. Wenn 3-Torus, dann genügend groß. Andere exotische Topologien können aus anderen Gründen ausgeschlossen werden, z.B. ist ein nicht-orientierbares Universum in Analogie zur Kleinschen Flasche mathematisch nicht mit der Existenz von Fermionen verträglich (finde ich erstaunlich).
Timm hat geschrieben: ↑26. Apr 2020, 09:56
Aber genau das scheinst du bezogen auf unser Universum zu behaupten, wenn du schreibst, die globale 3-Geometrie und damit die Topologie seien als Anfangsbedingung vorgegeben.
Wenn die ART für die Beschreibung des Universum zutrifft, dann ist
heute die globale 3-Geometrie und damit die Topologie definiert -
wir kennen sie nur nicht. Und wenn die Topologie für t° = heute definiert ist, dann ist sie dies auch für ein beliebiges t < t°, da die Dynamik der ART die Topologie nicht ändert. Das gilt auch für kompliziertere Topologien, also z.B. kompaktifizierte Geometrien mit lokal FRW, jedoch z.B. Torus. Und es gilt für inhomogene Modelle wie z.B. für Voids, ebenfalls mit komplizierteren Topologien.
Timm hat geschrieben: ↑26. Apr 2020, 09:56
Aber wie meinst du es dann bezogen auf unser Universum?
Ich hoffe, ich habe dies ausführlich und verständlich erklärt.
Man untersucht Klassen von Topologien und Geometrien (inklusive des Materieinhaltes) bzgl. ihrer zeitlichen Dynamik und ihrer beobachtbaren Konsequenzen. Dies schränkt die Wahlmöglichkeiten ein, allerdings bleibt immer noch eine große Klasse üblich.
Bei wesentlichen neuen Erkenntnissen (Messungen) wird man wieder typische Anfangsbedingungen setzen (näherungsweise lokal FRW, Voids, ...) und damit z.B. eine neue Millennium-Simulation laufen lassen oder die Effekte auf die CMB berechnen
Eine Millennium-Simulation läuft höchstwahrscheinlich auf einem kompaktifizierten Modell (!) um die Effekte der Ränder zu vermeiden. Zusätzlich legt man zu Beginn eine „typische“ lokale Geometrie und Materieverteilung als Anfangsbedingung für die Computersimulation fest (bzw. in der Praxis sicher mehrere für verschiedene Simulationen).
Die CMB wird man für verschieden Topologien berechnen, um kompakte Geometrien (unterhalb einer gewissen Größe) auszuschließen - oder nach deren Effekten in der CMB zu suchen.