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Instabilität - Reduzibilität vs. Irreduzibilität - Komplexität

Wissenschaftsgeschichte, Wissenschaftstheorie bzw. -philosophie, Technik
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Re: Instabilität

Beitrag von seeker » 9. Jan 2019, 04:42

tomS hat geschrieben:
8. Jan 2019, 23:21
Wie gesagt, ich halte das Körper-Geist-Problem bzw. die Qualia für die Fragestellung, die möglicherweise sogar prinzipiell physikalisch reduzibel ist, jedoch wenn sie es ist, dann beweisbar für uns nicht praktisch verstehbar.
Formulieren wird wir das doch etwas um, dann kommen wir zum Kern der Sache:

"Wir können das Erscheinen emergenter Phänomene/Entitäten für eine Fragestellung halten, die möglicherweise sogar prinzipiell physikalisch reduzibel ist, jedoch selbst wenn sie es ist, dann ist sie beweisbar auf diesem Weg für uns praktisch dennoch in wesentlichen Teilen nicht vollständig verstehbar."

D.h.:
1. Möglicherweise ist das theoretisch physikalisch reduzibel - aber wir wissen es nicht und können es nicht wissen, wir können nur Argumente/Gründe beibringen, das plausibel oder unplausibel zu machen. Das nützt aber nichts, denn wir wollen wissen, nicht glauben.
2. Aber so wie es aussieht, ist es so sicher nicht praktisch verstehbar, weil wir es nicht explizit so zeigen können. Genau deshalb gilt hier auch der Punkt 1.

Ich selbst halte das durchaus für prinzipiell reduzierbar. Aber das spielt nicht wirklich eine Rolle, hilft nicht weiter, weil ich eben nicht weiß und nicht wissen kann, ob das tatsächlich gegeben ist. Und ich weiß auch nicht und kann hier nicht wissen, ob diese Idealisierung, die ich mit der prinzipiellen Reduzierung hier notwendig vornehmen muss, angemessen/treffend ist. Das betrifft auch die Einführung von Begriffen wie "Algorithmus" oder "Von-Neumann-Maschine", die als idealisierte Konzepte verstanden werden müssen. Das ist das Problem.

Und selbst wenn wir so ein System perfekt mathematisch modellieren könnten, würde uns das dennoch nichts nützen, denn dann würden wir das real erstellte Modell auf reduktivem Weg genausowenig vollständig verstehen können wie das Original. Schau dir die KIs mit ihren Gewichtungen an, die man neuerdings baut, schon die verstehen wir auch nicht mehr vollständig.

An dieser Stelle könnte man sich dann sogar Gedanken machen, was "verstehen" überhaupt bedeutet oder bedeuten kann oder soll oder muss:
Ist "Verständnis" zwingend immer nur "reduktives Verständnis"? Da ginge es dann an die Wurzeln... :)
tomS hat geschrieben:
8. Jan 2019, 23:21
OK - aber in unserem Kontext m.E. wenig relevant.
Doch, ich halte das hier für relevant. Wir müssen auch klarstellen, worüber wir hier überhaupt reden, bevor wir versuchen das zu idealisieren oder zu reduzieren.
tomS hat geschrieben:
8. Jan 2019, 23:21
Natürlich. In allen Fällen muss man eben die Systemgrenzen geeignet wählen. Eine Fabrik hat auch einen Zu- und Abfluss an Materialen, Gütern und Energie, und ein Computer hängt zumeist am Internet. Das ändert nichts daran, dass dies prinzipiell algorithmisch modellierbar ist.
Aber es ist praktisch ein Problem. Wie soll man die Systemgrenzen bei solchen Systemen geeignet wählen? Wenn man sich das genau anschaut, dann wird das immer einigermaßen willkürlich. Hier kommt die Zeitlichkeit/Geschichtlichkeit solcher Systeme ins Spiel: Es ist hier nicht egal welchen Zeitpunkt und welche Zeitskala wir in unserer Betrachtung wählen, von dieser Wahl hängt dann aber auch die Wahl der sonstigen Systemgrenzen ab.
Wie soll man da nicht-willkürlich, objektiv-vernünftig wählen? Das ist unmöglich.
tomS hat geschrieben:
8. Jan 2019, 23:21
Bei den Qualia bin ich mir sicher, dass es praktisch der Fall ist - s.o. Dies trifft auf alle Entitäten zu, denen wir einen Sinn, eine Bedeutung, eine Absicht, ein Gefühl, ... zuschreiben. Die Irreduzibilität ist dann jedoch keine Eigenschaft dieser Entität alleine, sondern immer der Entität einschließlich ihrer mentalen Representation und unserer Denkakte. „Röte“ ist irreduzibel, wohingehend die elektrochemische Erregung im Gehirn reduzibel ist.
Ich bin mir da gar nicht mehr sicher, ob diese Problematik tatsächlich nur auf die Qualia beschränkt ist - oder das, was wir gewöhnlich unter 'Qualia' verstehen bzw. kennen. Mir schwant eher, dass man den Begriff 'Qualia' weiter fassen muss, sodass er auf alle hinreichend komplexe Systeme passt.
Ich denke hier nicht an "Innenerleben", sondern allgemeiner an "emergierende, inhärente, globale Systemeigenschaften/-entitäten, die aus der Bewegung heraus erscheinen und nicht verortbar sind, also zwischen allen Teilen nur in ihrer Gesamtheit als Dynamik existieren".
tomS hat geschrieben:
8. Jan 2019, 23:21
Wie gesagt, ich bin der Meinung, dass hier zunächst prinzipiell ein physikalisches Modell anwendbar ist.
Der Meinung bin ich auch. Aber es nützt nichts, weil es nur eine Meinung ist und bleibt, weil wir es praktisch sicher nicht können und theoretisch nicht sicherstellen können, dass es prinzipiell ginge.
tomS hat geschrieben:
8. Jan 2019, 23:21
Dieses weist zunächst die offensichtliche und rein praktische Limitierung auf - Kompliziertheit, Lösbarkeit, ... Darüberhinaus weist es die prinzipielle Limitierung auf, dass es - auch unter Einbeziehung der Biochemie unseres Gehirns - nicht weiterhilft bzgl. Verständnis, Erklärungskraft, ... etc.
Ja, es scheint so.
tomS hat geschrieben:
8. Jan 2019, 23:21
Dieses prinzipielle Problem ist jedoch kein systemimmanentes, sondern resultiert erst daraus, dass sich unser Verstand / Geist / Bewusstsein zu diesem System in Beziehung setzt und evtl. bereits Teil des Systems ist.
Wo ist der Unterschied zu anderen hinreichend komplexen Systemen, denen wir kein Innenerleben zusprechen?
Ich glaube nicht, dass die Fixierung auf das Bewusstsein hier weiterhilft.
Grüße
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Re: Instabilität

Beitrag von tomS » 9. Jan 2019, 07:06

seeker hat geschrieben:
9. Jan 2019, 04:42
tomS hat geschrieben:
8. Jan 2019, 23:21
Wie gesagt, ich halte das Körper-Geist-Problem bzw. die Qualia für die Fragestellung, die möglicherweise sogar prinzipiell physikalisch reduzibel ist, jedoch wenn sie es ist, dann beweisbar für uns nicht praktisch verstehbar.
Formulieren wird wir das doch etwas um, dann kommen wir zum Kern der Sache:

"Wir können das Erscheinen emergenter Phänomene/Entitäten für eine Fragestellung halten, die möglicherweise sogar prinzipiell physikalisch reduzibel ist, jedoch selbst wenn sie es ist, dann ist sie beweisbar auf diesem Weg für uns praktisch dennoch in wesentlichen Teilen nicht vollständig verstehbar."

D.h.:
1. Möglicherweise ist das theoretisch physikalisch reduzibel - aber wir wissen es nicht und können es nicht wissen, wir können nur Argumente/Gründe beibringen, das plausibel oder unplausibel zu machen. Das nützt aber nichts, denn wir wollen wissen, nicht glauben.
2. Aber so wie es aussieht, ist es so sicher nicht praktisch verstehbar, weil wir es nicht explizit so zeigen können. Genau deshalb gilt hier auch der Punkt 1.
Ich halte diese vorsichtige Formulierung für unangebracht, denn sie vermischt zwei Probleme:

A) Wir können in den Naturwissenschaften teilweise nicht wirklich wissen, sondern nur Hypothesen formulieren, durch deren gescheiterte Widerlegungen das Vertrauen in diese Hypothesen wächst. Dass dies so ist, ist nach Popper allgemein akzeptiert und muss - sollte - nicht jedesmal hinzugefügt werden, da es den Blick auf‘s Wesentliche verstellt.
B) Wir können unter der Annahme, dass unser physikalisches Weltbild zutrifft, die von mir formulierte Einschränkung mathematisch beweisbar wissen. Die Annahme muss auch nicht jedesmal hinzugefügt werden.

Ich trenne also die Problematik, dass wir nach Popper nur eingeschränkt wissen können, ab. Und ich schicke die Annahme, dass ein physikalisches Weltbild mathematisch formalisierbar ist, voraus. Der Rest der Schlussfolgerung ist dann nicht mehr physikalischer sondern streng logischer Natur und damit allgemeingültig.
seeker hat geschrieben:
9. Jan 2019, 04:42
Ich selbst halte das durchaus für prinzipiell reduzierbar. Aber das spielt nicht wirklich eine Rolle, hilft nicht weiter, weil ich eben nicht weiß und nicht wissen kann, ob das tatsächlich gegeben ist. Und ich weiß auch nicht und kann hier nicht wissen, ob diese Idealisierung, die ich mit der prinzipiellen Reduzierung hier notwendig vornehmen muss, angemessen/treffend ist. Das betrifft auch die Einführung von Begriffen wie "Algorithmus" oder "Von-Neumann-Maschine", die als idealisierte Konzepte verstanden werden müssen. Das ist das Problem.
Wie oben gesagt ist das nicht das relevante Problem, bzw. es ist kein spezifisches Problem in unserem Kontext sondern ein universelles Problem der Naturwissenschaften. Natürlich kannst du ständig hinzufügen, dass die Welt möglicherweise von Zauberern gelenkt wird und wir das nicht sicher ausschließen können.

Begriffe wie "Algorithmus" sind natürlich idealisierte, aber dadurch auch präzise definierte Begriffe. Das ist kein Problem, sondern eine Stärke, weil es uns erlaubt, unter den o.g. Annahmen sicheres Wissen abzuleiten.

Dabei geht natürlich noch die Annahme C) der logischen Konsistenz der Mengenlehre und Arithmetik ein, die auch nicht jedesmal hinzugefügt werden muss.
seeker hat geschrieben:
9. Jan 2019, 04:42
Und selbst wenn wir so ein System perfekt mathematisch modellieren könnten, würde uns das dennoch nichts nützen, denn dann würden wir das real erstellte Modell auf reduktivem Weg genausowenig vollständig verstehen können wie das Original. Schau dir die KIs mit ihren Gewichtungen an, die man neuerdings baut, schon die verstehen wir auch nicht mehr vollständig.
Das habe ich in meiner Argumentation durch die Unterscheidung von prinzipiellen und praktischen Limitierungen berücksichtigen. Dabei kommt jedoch der Begriff des Verstehens ins Spiel, und damit gerade das In-Bezug-Setzen zwischen dem zu verstehenden System und uns als Beobachter. Und genau dieses führt in das praktische Problem des Verstehens - unter den oben getroffenen Annahmen - die prinzipielle Limitierung des Bewusstseins / Verstandes ein. Egal was wir alles praktisch am Verstehen nicht verstehen, selbst wenn die Reduzibilität zutrifft und wir ansonsten alles verstehen ... es bleibt ein Kern, den wir prinzipiell nicht verstehen können.

Dass ich rein praktisch die Physik unseres Gehirns mittels der Schrödingergleichung nicht vollumfänglich verstehen kann, weil diese hier zu kompliziert ist, weil ich sie rein technisch nicht lösen kann, ... sind doch triviale Tatsachen. Dass ich das Verstehen selbst dann nicht verstehen kann, wenn diese Probleme gelöst wären, ist eine fundamentale Erkenntnis.
seeker hat geschrieben:
9. Jan 2019, 04:42
An dieser Stelle könnte man sich dann sogar Gedanken machen, was "verstehen" überhaupt bedeutet oder bedeuten kann oder soll oder muss:
Ist "Verständnis" zwingend immer nur "reduktives Verständnis"?
Offenbar gerade nicht, weil „reduktives Verständnis" - wie ich oben gezeigt habe - mindestens die prinzipielle Limitierung aufweist, sich selbst nicht verstehen zu können.

Nehmen wir eine mächtige KI, ein genügend mächtiges neuronales Netz, die uns in allen praktischen Belangen überlegen ist.

Welche prinzipiellen Fragen bleiben dann übrig? Z.B.
- hat die KI Qualia? wenn unser reduktionistischer Ansatz zutrifft, dann sicher ja
- kann die KI sich selbst verstehen? wenn unser reduktionistischer Ansatz zutrifft, dann sicher nein
- ...
seeker hat geschrieben:
9. Jan 2019, 04:42
tomS hat geschrieben:
8. Jan 2019, 23:21
Natürlich. In allen Fällen muss man eben die Systemgrenzen geeignet wählen. Eine Fabrik hat auch einen Zu- und Abfluss an Materialen, Gütern und Energie, und ein Computer hängt zumeist am Internet. Das ändert nichts daran, dass dies prinzipiell algorithmisch modellierbar ist.
Aber es ist praktisch ein Problem. Wie soll man die Systemgrenzen bei solchen Systemen geeignet wählen? Wenn man sich das genau anschaut, dann wird das immer einigermaßen willkürlich. Hier kommt die Zeitlichkeit/Geschichtlichkeit solcher Systeme ins Spiel: Es ist hier nicht egal welchen Zeitpunkt und welche Zeitskala wir in unserer Betrachtung wählen, von dieser Wahl hängt dann aber auch die Wahl der sonstigen Systemgrenzen ab.
Wie soll man da nicht-willkürlich, objektiv-vernünftig wählen? Das ist unmöglich.
Warum ist das unmöglich? Wie definierst du objektiv-vernünftig?

Es ist natürlich praktisch kompliziert, aber der naturwissenschaftlichen Methode prinzipiell zugänglich. Ich stelle unterschiedliche Hypothesen bzgl. der Systemgrenzen, der Zeitskala usw. auf, und prüfe, wie gut diese Modelle funktionieren. Das stellt keine prinzipielle Grenze der Erkenntnis dar.

seeker hat geschrieben:
9. Jan 2019, 04:42
Ich bin mir da gar nicht mehr sicher, ob diese Problematik tatsächlich nur auf die Qualia beschränkt ist.
Ich auch nicht. Aber ich bin mir sicher - die o.g. Annahmen vorausgesetzt - dass die Problematik mindestens auf die Qualia zutrifft.
seeker hat geschrieben:
9. Jan 2019, 04:42
Ich denke hier ... allgemeiner an "emergierende, inhärente, globale Systemeigenschaften/-entitäten, die aus der Bewegung heraus erscheinen und nicht verortbar sind, also zwischen allen Teilen nur in ihrer Gesamtheit als Dynamik existieren".
Die Verortbarkeit ist doch nur ein Scheinproblem, die Physik kennt zig derartige Beispiele, die wir perfekt verstehen.

Zum Beispiel ist die Tatsache, ob ein Material ein Supraleiter sein kann, und wenn ja, ob gerade tatsächlich der supraleitenden Zustand vorliegt, nicht „verortbar“. Dieses Phänomen kann an keiner Stelle im Material lokalisiert werden sondern ist eine emergente Eigenschaft.

Aber wir kennen sowohl die makroskopischen mathematischen Modelle, die uns dieses Verständnis liefern, als auch die mikroskopisch / fundamentalen und insbs. lokalen Modelle, auf denen dies letztlich beruht. Und wir verstehen mittels der BCS-Theorie präzise, wie ersteres zu letzterem in Beziehung steht. Das Problem der Emergenz ist hier vollumfänglich gelöst.

Die Diskussion bzgl. der Emergenz weist einige irrationale Aspekte auf: irgendwie wird immer wieder bezweiflt, dass man das physikalisch-reduzibel in den Griff bekommt, obwohl man zig Beispiele kennt, wo das prima funktioniert, und obwohl man keine stichhaltigen Argumente benennen kann, warum dies prinzipiell nicht funktionieren sollte; irgendwie wird immer prinzipielle Komplexität mit rein praktischer Kompliziertheit verwechselt oder in einen Topf geworfen; irgendwie werden immer Scheinprobleme diskutiert, die den Blick auf das eigentliche Problem vernebeln.
seeker hat geschrieben:
9. Jan 2019, 04:42
tomS hat geschrieben:
8. Jan 2019, 23:21
Dieses prinzipielle Problem ist jedoch kein systemimmanentes, sondern resultiert erst daraus, dass sich unser Verstand / Geist / Bewusstsein zu diesem System in Beziehung setzt und evtl. bereits Teil des Systems ist.
Wo ist der Unterschied zu anderen hinreichend komplexen Systemen, denen wir kein Innenerleben zusprechen?
Ich glaube nicht, dass die Fixierung auf das Bewusstsein hier weiterhilft.
Es handelt sich nicht um eine Fixierung auf Bewusstsein, sondern um eine grundsätzliche Eigenschaft algorithmisch / mathematisch beschreibbarer Systeme, wenn in gewisser Weise Selbstbezüglichkeit ins Spiel kommt.

Z.B. können wir - unter den o.g. Voraussetzungen - sicher sagen, dass ein Proton sich nicht selbst verstehen kann. Und das liegt nicht daran, dass es kein Bewusstsein hätte, oder kein Gehirn, oder nicht genügend komplex wäre. Bzgl. der mathematischen Komplexität sind Protonen, Fußbälle und Gehirne vollständig äquivalent, d.h. dass für ein Proton durchaus keine mathematische Limitierung existiert, ein algorithmischen Bewusstsein zu entwickeln, das gleichmächtig zu unserem menschlichen Bewusstsein wäre. Es liegt schlichtweg daran, dass wenn wir ein Proton im weitesten Sinne als Algorithmus modellieren können bzw. wenn ein Algorithmus die Realität isomorph abbildet - was mittels der Gittereichtheorie möglich ist - dass dann - einfach aufgrund der Tatsache, dass ein Algorithmus vorliegt - wir sicher wissen, dass dieser sich nicht vollumfänglich selbst verstehen kann.

Unter der Annahme, dass eine Entität vollständig algorithmisch modellierbar ist, folgt unmittelbar, dass wahre Aussagen über diese Entität existieren, die der Entität bzw. dem Algorithmus selbst verborgen bleiben müssen.

Was ich oben meinte - dass sich unser Verstand / Geist / Bewusstsein zu etwas in Beziehung setzt - ist natürlich keine vollständige Definition von „Verstehen von Etwas“, jedoch m.E. eine allgemeingültige Grundvoraussetzung. Insofern bedeutet „algorithmischen Verstehen von Etwas“, dass sich der Algorithmus zu dem Objekt, das es zu verstehen gilt, in Beziehung setzt. Die o.g. BCS-Theorie der Supraleitung ist ein Beispiel, wo ein als Algorithmus angenommenes menschliches Bewusstsein dies zu leisten im Stande ist. Das selbe Gehirn bzw. der selbe Verstand ist bzgl. seiner selbst dazu sicher nicht fähig, selbst wenn er diverse fundamentale Regeln seiner selbst durchaus erkennen und verstehen kann.
Gruß
Tom

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Re: Instabilität

Beitrag von seeker » 9. Jan 2019, 11:32

tomS hat geschrieben:
9. Jan 2019, 07:06
Ich halte diese vorsichtige Formulierung für unangebracht, denn sie vermischt zwei Probleme:
Sie unterscheidet sich aber kaum von deiner eigenen Formulierung...
Und die Popperschen Einschränkungen werden halt oft übersehen, deshalb werde ich nicht müde sie immer wieder herauszustellen.
tomS hat geschrieben:
9. Jan 2019, 07:06
Wie oben gesagt ist das nicht das relevante Problem, bzw. es ist kein spezifisches Problem in unserem Kontext sondern ein universelles Problem der Naturwissenschaften.
tomS hat geschrieben:
9. Jan 2019, 07:06
Wie oben gesagt ist das nicht das relevante Problem, bzw. es ist kein spezifisches Problem in unserem Kontext sondern ein universelles Problem der Naturwissenschaften. Natürlich kannst du ständig hinzufügen, dass die Welt möglicherweise von Zauberern gelenkt wird und wir das nicht sicher ausschließen können.
Du sagst also salopp: "Weil das eh immer so ist, ist es egal."
Ich denke da übersiehst du etwas: Es geht nicht nur darum, dass das gegeben ist, sondern auch darum, wie stark das jeweils wirkt.
Bei gewöhnlichen Systemen kannst du wenigstens noch die Aussage "ähnliche Bedingungen führen zu ähnlichen Resultaten" treffen, bei genügend komplexen Systemen nicht mehr, das wird hier wichtig.
An der Stelle gibt es Unterschiede, die man berücksichtigen muss.
tomS hat geschrieben:
9. Jan 2019, 07:06
Und genau dieses führt in das praktische Problem des Verstehens - unter den oben getroffenen Annahmen - die prinzipielle Limitierung des Bewusstseins / Verstandes ein. Egal was wir alles praktisch am Verstehen nicht verstehen, selbst wenn die Reduzibilität zutrifft und wir ansonsten alles verstehen ... es bleibt ein Kern, den wir prinzipiell nicht verstehen können.
Ja. Das praktische Problem besteht unabhängig vom prinzipiellen Problem.
tomS hat geschrieben:
9. Jan 2019, 07:06

Offenbar gerade nicht, weil „reduktives Verständnis" - wie ich oben gezeigt habe - mindestens die prinzipielle Limitierung aufweist, sich selbst nicht verstehen zu können.
Gilt das auch für eine Vielzahl von Gehirnen? Können 7 Mrd Gehirne prinzipiell wenigstens ein Gehirn verstehen?
tomS hat geschrieben:
9. Jan 2019, 07:06
Z.B. können wir - unter den o.g. Voraussetzungen - sicher sagen, dass ein Proton sich nicht selbst verstehen kann. Und das liegt nicht daran, dass es kein Bewusstsein hätte, oder kein Gehirn, oder nicht genügend komplex wäre.
...
- dass dann - einfach aufgrund der Tatsache, dass ein Algorithmus vorliegt - wir sicher wissen, dass dieser sich nicht vollumfänglich selbst verstehen kann.
Ein interessanter Ansatz. Wie ist es mit vielen Protonen? (siehe meine obige Frage)
tomS hat geschrieben:
9. Jan 2019, 07:06
Die Verortbarkeit ist doch nur ein Scheinproblem, die Physik kennt zig derartige Beispiele, die wir perfekt verstehen.

Zum Beispiel ist die Tatsache, ob ein Material ein Supraleiter sein kann, und wenn ja, ob gerade tatsächlich der supraleitenden Zustand vorliegt, nicht „verortbar“. Dieses Phänomen kann an keiner Stelle im Material lokalisiert werden sondern ist eine emergente Eigenschaft.
Tatsächlich? Sie alleine ist sicher nicht das Problem, aber in Kombination mit anderen Eigenschaften solcher Emergenzen wird das relevant, z.B. die Sensitivität ist hier zu nennen.
tomS hat geschrieben:
9. Jan 2019, 07:06
Zum Beispiel ist die Tatsache, ob ein Material ein Supraleiter sein kann, und wenn ja, ob gerade tatsächlich der supraleitenden Zustand vorliegt, nicht „verortbar“. Dieses Phänomen kann an keiner Stelle im Material lokalisiert werden sondern ist eine emergente Eigenschaft.
Du verwendest hier denselben Begriff "Emergenz" für Systeme, die wesentlich verschieden sind.
Du weißt schon, dass ein Unterschied zwischen den "Emergenzen" bei "Supraleitfähigkeit", "Druck", "Temperatur", usw. und den "Emergenzen" bei organisch-komplexen Systemen besteht? Worin besteht er?
tomS hat geschrieben:
9. Jan 2019, 07:06
irgendwie wird immer wieder bezweiflt, dass man das physikalisch-reduzibel in den Griff bekommt, obwohl man zig Beispiele kennt, wo das prima funktioniert, und obwohl man keine stichhaltigen Argumente benennen kann, warum dies prinzipiell nicht funktionieren sollte; irgendwie wird immer prinzipielle Komplexität mit rein praktischer Kompliziertheit verwechselt oder in einen Topf geworfen; irgendwie werden immer Scheinprobleme diskutiert, die den Blick auf das eigentliche Problem vernebeln.
Da bin ich nicht sicher, siehe meine Frage nach den Unterschieden oben.

Zu den Systemgrenzen:
tomS hat geschrieben:
9. Jan 2019, 07:06
Warum ist das unmöglich? Wie definierst du objektiv-vernünftig?

Es ist natürlich praktisch kompliziert, aber der naturwissenschaftlichen Methode prinzipiell zugänglich. Ich stelle unterschiedliche Hypothesen bzgl. der Systemgrenzen, der Zeitskala usw. auf, und prüfe, wie gut diese Modelle funktionieren. Das stellt keine prinzipielle Grenze der Erkenntnis dar.
Wenn die Systeme offen und sensitiv sind, empfindlich auf Instabilitäten reagieren, sich sogar selbsttätig an den Rand des instabilen Bereichs immer wieder hinsteuern, dann funktioniert dieser Zugang prinzipiell nur noch viel eingeschränkter. Bei gewöhnlichen Systemen kannst du oft immer noch mit Recht sagen, dass sich das isolierte System so ähnlich wie das nicht-isolierte verhalten wird, bei den genannten komplexen Systemen geht das nicht mehr. Das ist eine prinzipielle Einschränkung: Du kannst bei gewöhnlichen, einfachen Systemen objektiv-vernünftige Systemgrenzen leicht finden, weil du den Rest getrost vernachlässigen darfst, du also leicht vereinfachen kannst, bei offenen komplexen Systemen geht das aber nur noch eingeschränkt.
Grüße
seeker


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Re: Instabilität

Beitrag von tomS » 9. Jan 2019, 14:37

seeker hat geschrieben:
9. Jan 2019, 11:32
tomS hat geschrieben:
9. Jan 2019, 07:06
Ich halte diese vorsichtige Formulierung für unangebracht, denn sie vermischt zwei Probleme ...
Sie unterscheidet sich aber kaum von deiner eigenen Formulierung ...
Sie unterscheidet sich jedoch essentiell von meiner Formulierung; wie gewöhnlich legst du mehr Wert auf die Praxis,ich dagegen auf das Prinzipielle.
seeker hat geschrieben:
9. Jan 2019, 11:32
Du sagst also salopp: "Weil das eh immer so ist, ist es egal."
Nein.

Ich sage, wenn es immer so ist, dann lass‘ es uns einmal klarstellen, durch eine Annahme eine Lösungsmöglichkeit aufzeigen und dann fokussiert diese Annahme, deren spezifische Aspekte sowie die Schlussfolgerungen diskutieren.
seeker hat geschrieben:
9. Jan 2019, 11:32
Ich denke da übersiehst du etwas: Es geht nicht nur darum, dass das gegeben ist, sondern auch darum, wie stark das jeweils wirkt.
Bei gewöhnlichen Systemen kannst du wenigstens noch die Aussage "ähnliche Bedingungen führen zu ähnlichen Resultaten" treffen, bei genügend komplexen Systemen nicht mehr, das wird hier wichtig.
An der Stelle gibt es Unterschiede, die man berücksichtigen muss.
Das ist zunächst mal eine Behauptung.

Zumindest im Falle der Algorithmen ist das nicht zutreffend. Die Mathematik kennt im wesentlichen drei bis vier Klassen der Berechenbarkeit, mehr nicht. Meine Schlussfolgerung gelten z.B. gleichermaßen für „Game of Life“, Arithmetik, beliebige neuronale Netze sowie beliebige physikalische, diskretisierte Systeme.
seeker hat geschrieben:
9. Jan 2019, 11:32
Gilt das auch für eine Vielzahl von Gehirnen? Können 7 Mrd Gehirne prinzipiell wenigstens ein Gehirn verstehen?
Spontan würde ich sagen „nein“, da die Größe des Systems keinen Einfluss auf die die Mächtigkeit einer Klasse von Algorithmen hat.
seeker hat geschrieben:
9. Jan 2019, 11:32
Ein interessanter Ansatz. Wie ist es mit vielen Protonen? (siehe meine obige Frage)
siehe mein obige Antwort
seeker hat geschrieben:
9. Jan 2019, 11:32
Sie alleine ist sicher nicht das Problem, aber in Kombination mit anderen Eigenschaften solcher Emergenzen wird das relevant, z.B. die Sensitivität ist hier zu nennen.
kann ich so nicht nachvollziehen
seeker hat geschrieben:
9. Jan 2019, 11:32
Du verwendest hier denselben Begriff "Emergenz" für Systeme, die wesentlich verschieden sind.
Du weißt schon, dass ein Unterschied zwischen den "Emergenzen" bei "Supraleitfähigkeit", "Druck", "Temperatur", usw. und den "Emergenzen" bei organisch-komplexen Systemen besteht?
erklär‘s mir bitte
seeker hat geschrieben:
9. Jan 2019, 11:32
Zu den Systemgrenzen:

Wenn die Systeme offen und sensitiv sind, empfindlich auf Instabilitäten reagieren, sich sogar selbsttätig an den Rand des instabilen Bereichs immer wieder hinsteuern, dann funktioniert dieser Zugang prinzipiell nur noch viel eingeschränkter. Bei gewöhnlichen Systemen kannst du oft immer noch mit Recht sagen, dass sich das isolierte System so ähnlich wie das nicht-isolierte verhalten wird, bei den genannten komplexen Systemen geht das nicht mehr. Das ist eine prinzipielle Einschränkung ...
Das trifft doch nicht zu.

Es geht nicht um Unterschiede im Verhalten sondern um Unterschiede in der Modellierung. Ich sehe nicht, wieso komplexere / kompliziertere Systeme prinzipiell anders zu modellieren wären. Beispiele für offene Systeme sind z.B. Wetter und Klima; das einzige Problem scheint hier Systemgröße und Rechenpower zu sein.


Grundsätzlich: Jedes physikalische System wird - wenn wir es auf den Computer setzen - zu einem diskreten Algorithmus. Damit haben beliebige derartige Systeme immer die selbe algorithmische Komplexitätsklasse und sind daher prinzipiell immer “gleich schwierig”.

Ein prinzipielles Problem wäre erst dann gegeben, wenn dies prinzipiell nicht funktioniert. Das kann aber nicht der Fall sein, weil alle physikalischen System durch im wesentlichen zwei verschiedene mathematischen Strukturen beschrieben werden - partielle, gekoppelte Differentialgleichungssysteme, quantenmechanische Systeme. D.h. wenn ich den 1-dim. harmonischen Oszillator so modellieren kann, dann kann ich das auch mit Nukleonen, Elefanten sowie der Fußballmannschaft des 1. FCN - einschließlich ihrer neuronalen Zustände tun - wenn auch mit mehr praktischem Aufwand.

Ich kann in der gesamten Diskussion bisher kein einziges Argument erkennen, warum prinzipielle Probleme bestehen sollten. Es geht immer nur um Quantität, Kompliziertheit, Verhalten ... Es scheint so eine Art Glaubenssatz zu sein, dass komplexe Systeme und deren Verhalten prinzipiell nicht in dieser Weise reduzibel bzw. modellierbar sind. Die Argumente sind jedoch - bisher - nicht stichhaltig, sie betreffen lediglich die praktische Umsetzung.

Conclusio: wenn für einen bestimmten Begriff der Emergenz und für insgs. bekannten Naturgesetzen folgende Systeme die Irreduzibilität behauptet wird, dann muss dafür ein qualitativ neues Merkmal ins Spiel kommen. Ich habe Qualia und insbs. Selbst-Verständnis vorgeschlagen (ich könnte mir noch Systeme ausdenken, in deren Definition berechenbare jedoch nicht primitiv-rekursive Funktionen wie die Ackermannfunktion eingehen, aber mir fehlt die Phantasie ...)
Gruß
Tom

Der Wert eines Dialogs hängt vor allem von der Vielfalt der konkurrierenden Meinungen ab.
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Re: Instabilität

Beitrag von tomS » 9. Jan 2019, 22:08

ATGC hat geschrieben:
9. Jan 2019, 18:16
Ich meinte einen Algorithmus, (Computer)Programm, Turingmaschine, oder - was dies formalisiert - eine berechenbare Funktion. Diese Konzepte sind verwandt, teilweise äquivalent.
Damit wirst Du dem was ein Lebewesen ist, nicht gerecht. Ein Lebewesen ist keine Summe von Rechenschritten, die gemäß einer feststehenden Vorschrift auszuführen sind, um ein Problem zu lösen, welches vorab gestellt ist.
Es geht nicht darum, dass ein Lebewesen selbst dieser Algorithmus ist, sondern dass alle im Lebewesen vorhandenen mikroskopischen Objekte (im wesentlichen Atomkerne und Elektronen) sowie deren Wechselwirkung physikalisch modelliert werden können (mittels Quantenmechanik). D.h. dass ein zur mikroskopischen Ebene isomorpher Algorithmus existiert.

Stimmst du dem zu?

Wenn nein, welche mikroskopische Eigenschaft oder welcher mikroskopische Prozess wäre nicht derartig modellierbar?

ATGC hat geschrieben:
9. Jan 2019, 18:16
Das heißt, wenn Du nicht auf der Ebene des Phänotyps argumentierst, sondern nur bei einem Teilaspekt des Phänotyps bleibst (meinetwegen der stofflichen Ausstattung oder der DNA o.ä.), dann wirst Du mit Deinen Modellierungsversuchen zum Zweck der Berechenbarkeit ebenfalls nur einen Teilaspekt abbilden können und nicht das Ganze. Und wie ich schon andeutete, existiert der Phänotyp nicht isoliert, sondern ist stets mit seiner Umwelt vernetzt, die seinerseits einen Anteil bei der Ausprägung des Phänotyps hat. Auch diesen Umweltaspekt kann man nicht einfach ignorieren, um darstellen zu können, was ein Lebewesen ist.
Die Umwelt wird ebenfalls modelliert.

Nehmen wir an, ich hätte eine vollständige und treue mikroskopische Modellierung eines oder mehrerer Lebewesen sowie eines genügend großen Ausschnitts der Umgebung.

Welcher Aspekt des Phänotyps fehlt in diesem Modell bzw. geht nicht aus diesem Modell hervor?

ATGC hat geschrieben:
9. Jan 2019, 18:16
Wenn die Ontogenese vollständig auf physikalischen Gesetzen basiert, die für sich betrachtet mathematisch formulierbar sind, dann ist auch die Ontogenese selbst prinzipiell mathematisch formulierbar.
Die Ontogenese ist aber nicht einfach eine Summe verschiedener physikalischer Gesetze, die man dann nur noch mathematisch miteinander kombinieren muss, sondern läuft auf einer anderen Organisationsebene ab, die sich infolge der gegebenen Komplexität ergeben hat, ohne dass sie aus den zugrundeliegenden physikalischen Gesetzen ableitbar wäre.
Behauptest du, dass die Gesetze der Ontogenese einer höheren Organisationsebene nicht aus den zugrundeliegenden physikalischen Gesetzen ableitbar sind?

Das wäre zunächst nur eine Behauptung.

Wir kennen in der Physik verschiedene Beispiele, wo dies tatsächlich funktioniert. Wenn es für biologische Systene nicht funktioniert - bei denen es sich auf der mikroskopischen Ebene auch nur um physikalische Systeme handelt - dann musst du beweisen, warum dies nicht funktioniert. Außerdem musst du strikt unterscheiden, ob es prinzipiell = beweisbar unmöglich ist, oder ob es aufgrund der komplizierten Systeme lediglich bisher praktisch nicht möglich war. Letzteres ist offensichtlich zutreffend.

Darüberhinaus geht es mir im Kern auch gar nicht um die Frage, ob Gesetze der höheren Organisationsebene aus den zugrundeliegenden physikalischen Gesetzen ableitbar sind. Es geht mir darum, ob das Gesamtsystem = der Organismus reale Eigenschaften aufweist, die prinzipiell nicht aus dem mikroskopischen Modell ableitbar sind.

Was wären konkrete Eigenschaften, Fähigkeiten oder Verhaltensweisen eines Organismus?
ATGC hat geschrieben:
9. Jan 2019, 18:16
... die konkrete evolutionäre Entwicklung selber (Phylogenese) ist keine aus der Physik ableitbare Naturnotwendigkeit, sondern ebenfalls ein Spiel der Möglichkeiten, die sich zufällig so ergeben haben, aber auch anders hätte verlaufen können, wenn die Zufälle sich anders ergeben hätten.
OK, selbe Frage wie oben: Behauptest du, dass die Gesetze der Phylogenese nicht aus den zugrundeliegenden physikalischen Gesetzen ableitbar sind?

Selbe Anmerkung wie oben: Es geht mir im Kern auch gar nicht um die Frage, ob Gesetze der höheren Organisationsebene aus den zugrundeliegenden physikalischen Gesetzen ableitbar sind. Es geht mir darum, ob das Gesamtsystem = die Biosphäre einschließlich ihrer zeitlichen Entwicklung reale Eigenschaften aufweist, die prinzipiell nicht aus dem mikroskopischen Modell ableitbar sind.

Was wären konkrete Vorgänge in der Biosphäre?

Ich denke, ich habe den Knackpunkt für unser Missverständnis gefunden:
ATGC hat geschrieben:
9. Jan 2019, 18:16
Das System als Ganzes "folgt" zwar den physikalischen Gesetzmäßigkeiten, indem es nicht gegen sie verstoßen kann, aber das System als Ganzes beschränkt sich nicht auf diese "Folgsamkeit", sondern erschließt sich neues Terrain mit weiteren eigenen Gesetzmäßigkeiten, indem es mit anderen Systemen der gleichen Organisationsebene wechselwirkt.
Zustimmung!
Gruß
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Re: Instabilität

Beitrag von tomS » 9. Jan 2019, 22:11

Ich verwende Emergenz im wesentlichen im folgenden Sinn - siehe Wikipedia:

Emergenz bezeichnet die Möglichkeit der Herausbildung von neuen Eigenschaften oder Strukturen eines Systems infolge des Zusammenspiels seiner Elemente. Dabei lassen sich die emergenten Eigenschaften des Systems nicht – oder jedenfalls nicht offensichtlich – auf Eigenschaften der Elemente zurückführen, die diese isoliert aufweisen. Emergente Phänomene werden jedoch auch in der Physik, Chemie, Biologie, Mathematik ... beschrieben ... Emergenz ist eine kennzeichnende Eigenschaft von hierarchisch strukturierten Systemen. Solche Systeme haben auf der Makroebene Eigenschaften, die auf der einfacheren Organisationsebene, der Mikroebene, nicht vorhanden sind. Sie entstehen durch Wechselwirkungen zwischen den Elementen auf der Mikroebene ... Die isolierte Betrachtung eines männlichen Wolfes (zum Beispiel unter den Aspekten der Autökologie, Physiologie oder Anatomie) führt zur Erklärung vieler Strukturen, ihrer Funktionen und Verhaltensweisen. Die Bedeutung der Geschlechtsorgane ergibt sich aber erst dann, wenn auch der Zusammenhang zu den Weibchen erkannt wird. Damit werden aber Männchen und Weibchen als Elemente eines übergeordneten Systems, der Fortpflanzungsgemeinschaft, betrachtet ...

Du argumentierst wie folgt:

Die Ontogenese ist aber nicht einfach eine Summe verschiedener physikalischer Gesetze, die man dann nur noch mathematisch miteinander kombinieren muss, sondern läuft auf einer anderen Organisationsebene ab, die sich infolge der gegebenen Komplexität ergeben hat, ohne dass sie aus den zugrundeliegenden physikalischen Gesetzen ableitbar wäre ... Wir haben verschiedene Organisationsebenen, die zwar von unten (physikalische Basis) nach oben auseinander hervorgehen (emergieren), aber horizontal jeweils eigene Gesetze aufweisen, die sich in den darunter liegenden Ebenen nicht finden und sich aus diesen fundamentaleren Gesetzen auch nicht ableiten lassen. Darum stellen Lebewesen eine eigene Klasse von Dingen dar, die sich zwar auch physikalisch verhalten (immerhin sind sie ja auch physikalische Körper mit bestimmten physikalischen Eigenschaften), aber eben nicht ausschließlich ... Das System als Ganzes "folgt" zwar den physikalischen Gesetzmäßigkeiten, indem es nicht gegen sie verstoßen kann, aber das System als Ganzes beschränkt sich nicht auf diese "Folgsamkeit", sondern erschließt sich neues Terrain mit weiteren eigenen Gesetzmäßigkeiten, indem es mit anderen Systemen der gleichen Organisationsebene wechselwirkt.

1) Der erste wesentliche Unterschied ist, dass ich über reale Eigenschaften, Vorgänge und Prozesse spreche, während du von den zugehörigen Gesetzen sprichst. Erstere sind im jeweils betrachteten System zu verorten, während letztere keine Entitäten des Systems sondern unseres Verstandes sind, die wir nutzen, um das System zu charakterisieren. Das trifft auf Gesetze auf allen Ebenen zu. Z.B. führt der reale Vorgang des Betätigen eines Lichschalters zum Schließen des Stromkreises und zu einem realen Stromfluss, verbunden mit einer Erwärmung des durchflossenen Drahtes. Beschrieben wird das ganze mittels des Ohmschen Gesetzes oder mikroskopischer Gesetze zur Beschreibung und Berechnung der elektrischen Leitfähigkeit, des Elektronentransportes, ... Das ist zunächst mal ein Missverständnis, das ich jetzt verstanden habe.

2) Es ist möglich, dass Gesetze auf höheren Ebenen nicht auf Gesetze auf niedrigen Ebenen zurückgeführt werden können. Ich sehe als Physiker zwar keinen Grund, wieso dies prinzipiell so sein sollte, kann es jedoch nicht mit Sicherheit ausschließen. Deine Beispiele laufen nicht auf eine prinzipielle sondern lediglich auf die gegenwärtig praktische Unmöglichkeit hinaus; dem stimme ich natürlich zu. Konkret können wir in der Physik tatsächlich Gesetze auf höheren Ebenen aus denen der fundamentalen Ebene ableiten: s.o. z.B. die BCS-Theorie zur Supraleitung.

3) Nehmen wir an, wir könnten alle fundamentalen Freiheitsgrade (Teilchen wie Atomkerne und Elektronen, Photonen) eines in guter Näherung abgeschlossenen biologischen Systems oder Habitats in eine mathematische Formel packen, die ihre mikroskopische Dynamik hinreichend präzise beschreibt (trivial - Einzeiler). Nehmen wir weiter an, wir könnten einige makroskopischen Gesetzmäßigkeiten der biologischen Organismen auf die mikroskopische Ebene übersetzen (teilweise recht einfach, z.B. für Transportprozesse wie die Nahrungsaufnahme, das Ergebnis der Fortpflanzung = die Vermehrung ...; teilweise kompliziert, z.B. für den Stoffwechsel; teilweise unklar, z.B. für das Sehen - weil für das Erregungsmuster im Gehirn der Übergang zu „Interpretation“ und „Denken“ unklar bleibt). Nehmen wir an, wir könnten beides auf einem Computer zum Ablauf bringen (heute und in nächster Zeit praktisch unmöglich). Jedenfalls könnten wir dann - den geeigneten Computer vorausgesetzt - die Entwicklungen innerhalb des Habitats näherungsweise berechnen, und wir könnten - z.B. durch Mustererkennung - Vorgänge wie Nahrungsaufnahme, Ausscheidung, Paarung, Vermehrung, Mutationen des Phänotyps, ... ermitteln lassen. Wir könnten außerdem durch Beobachtung diverse Gesetzmäßigkeiten erkennen - so wie Biologen dies anhand realer biologischer Systeme schon seit langem tun. Geeignete Computer vorausgesetzt, i) würde die Entwicklung innerhalb des realen Habitats in guter Näherung durch die Entwicklung innerhalb des Computers abgebildet werden; d.h. ii) auch die biologischen Gesetzmäßigkeiten würden mit den aus dem Computermodell abgeleiteten Gesetzmäßigkeiten in guter Näherung übereinstimmen. Für mich wäre das Ergebnis von (ii) ein Maß des Erfolgs von (i). Beachte, dass ich an keiner Stelle voraussetze, dass die makroskopischen aus den mikroskopischen Gesetzmäßigkeiten folgen, sondern lediglich, dass die Beobachtung und Bestätigung der makroskopischen Gesetzmäßigkeiten in beiden Fällen gleichartig funktioniert. Konkret: ich weiß, dass Vermehrung zu mehr Lebewesen führt; ich definiere „Lebewesen“ als berandete und agierende Ansammlung von Kohlenstoffatomen plus weiteren Zutaten; ich bringe dem Computer bei, diese per Mustererkennung zu identifieren; ich betrachte ein reales Habitat und zähle Lebewesen; der Computer zählt die entsprechenden Muster. Ich denke, dies ist ein prinzipiell mathematisch formulierbares Vorhaben.

Damit müssten wir beide zufrieden sein: ich habe in gewisser Weise die realen biologischen Prozesse auf physikalische Prozesse reduziert, ich bin in der Lage, für biologische Prozesse auf physikalischer Ebene eine Erkennungsmethode zu beschreiben, und diese auf ein mathematisches Modell anzuwenden. Du hast insofern recht, als ich dennoch nicht in der Lage war, biologische aus physikalischen Gesetzmäßigkeiten abzuleiten.

OK?
Gruß
Tom

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Re: Instabilität

Beitrag von seeker » 10. Jan 2019, 00:32

Evtl. reden wir auch aneinander vorbei.
Ich versuche es einmal anders, vielleicht kommen wir dann auf einen Nenner.

Wir haben zunächst Strukturen in der Welt gefunden die wir "Naturgesetze" nennen.
Diese sind -soweit wir wissen und innerhalb der Messgenauigkeit- stabil, d.h. sie gelten immer und überall, unveränderlich.
Was ist nun wesentlich an ihnen?

Wesentlich an ihnen ist, dass sie zusammen mit den Naturkonstanten und den Anfangsbedingungen einschränken, was überhaupt in der Natur geschehen kann bzw. sich entwickeln kann bzw. konnte: Ohne Naturgesetze könnte schlichtweg alles geschehen.

Dabei ist es so - VWI hin oder her- dass wegen der QM mit ihrem zumindest "Froschperspektive-Quantenzufall" zu jedem Zeitpunkt geschichtlich gesehen für jeden realen Beobachter sowohl in Richtung Zukunft als auch in Richtung Vergangenheit zwar einiges fixiert erscheint, aber nicht alles, d.h. die Naturgesetze plus Naturkonstanten plus Anfangsbedingungen legen für ihn, aus seiner Perspektive nicht jedes Detail exakt fest, es besteht Freiraum, wie es sich sonst noch für ihn bis zur Gegenwart oder in die Zukunft hätte entwickeln können bzw. entwickeln wird.
Auch falls die VWI verwirklicht wäre, was wir nicht wissen, hilft sie hier nicht heraus, weil sie mir nicht erklären kann, warum gerade ich gerade meine Historie wahrnehme und meine Zukunft wahrnehmen werde und keine andere, sie kann mir nur erklären, warum das so ist, dass ich aus meiner Perpektive u.a. auch für-mich-scheinbar-objektiven Zufall feststelle, aber sie kann diesen Zufall IN meiner Perspektive auch nicht auflösen.

In diesem Freiraum des perspektivgebundenen Froschperspektive-QM-Zufalls, der nicht berechenbar ist, also auch hier nicht algorithmisch erfasst werden kann, können nun aus der sensitiven dynamischen Bewegung komplexer prozesshafter Systeme heraus, Geschehnisse stattfinden, die diesen Zufall einerseits verstärken, 'aufblasen', die aber gleichzeitig weitere Strukturen bilden, die zusätzliche Einschränkungen darstellen, zusätzlich zu den bekannten Naturgesetzen - und zwar hier zunächst nicht für das gesamte Universum, sondern zunächst nur für das betreffende System, in dem sie auftreten - und zwar von oben nach unten, aus der Gesamtsystemdynamik heraus abwärtsbedingend. Diese zusätzliche Einschränkung geht mit zusätzlicher Struktur und Dynamik einher bzw. IST dieselbe.
D.h.: Hier handelt es sich sozusagen um etwas, das zunächst nach etwas aussieht, das man "sekundäre Naturgesetzlichkeiten" nennen könnte.
Wenn dabei aber manche Strukturen in ganz verschiedenen Systemen auftreten können und da auch ähnliche Systeme sich prinzipiell überall im Universum bilden können, haben sie dennoch auch einen universellen Fundamentalcharakter: die Natur macht das offenbar überall und immer so, sie lässt offenbar überall und immer ganz bestimmte Muster in solchen komplexen Systemen auftauchen.

Typisch für diese Strukturen ist allerdings, dass sie auch 'andersartig' als die gewöhnlichen NG ausschauen können.
Außerdem treten sie offenbar nur in Systemen auf, die bestimmte Eigenschaften teilen, diese sind hier nachzulesen:

https://de.wikipedia.org/wiki/Komplexes ... enschaften

Das betrifft natürliche komplexe Systeme.

Andererseits gibt es aber auch sicher künstliche komplexe Systeme, die dieselben Eigenschaften zeigen: Man kann solche Systeme auch in einem Computer erzeugen, der voll digital arbeitet.
Wie ist das möglich?
Ich denke, wenn man genau hinschaut, dann muss wenigstens ein guter Teil der erscheinenden komplexen Eigenschaften voll-kausal sein.
Ein kleiner aber dann wahrscheinlich nicht vernachlässigbarer Teil könnte das aber auch nicht sein, denn ein realer Computer hat u.a. eine begrenzte Rechengenauigkeit, d.h. er macht Rundungsfehler.
Wie relevant das ist, übersehe ich im Moment noch nicht, aber es sollte wenigstens erwähnt werden.

Auf jeden Fall lässt sich daraus schließen, dass mindestens ein großer Teil realer komlexer Systeme prinzipiell in einem Computeralgorithmus abgebildet werden könnte. Allerdings muss man auch sehen, dass es sich hier nicht um analytische Berechnungen handelt, denn solche existieren für nichtlineare Systeme nicht. In der Regel handelt es sich stattdessen um Iterationen.
D.h.: Trotz prinzipieller Berechenbarkeit ist die zeitliche Entwicklung auch solcher Systeme i.d.R. nicht vorhersehbar.

Bei der Modellbildung kommt noch eine weitere Schwierigkeit hinzu:
Es reicht nicht aus, den richtigen Algorithmus zu finden, man muss auch noch den richtigen Input, also die richtigen Anfangsbedingungen und Systemgrenzen finden bzw. festlegen.
Das ist in Perfektion bei offenen komplexen Systemen wo man die Systemgrenzen nicht exakt definieren bzw. verorten kann und ohne die Kenntnis des exakten Quantenzustands des VWI-Universums, der uns prinzipiell nicht bekannt sein kann, unmöglich. Und im Gegensatz zu linearen bzw. einfachen Systemen, bei denen das wegen ihrer Nicht-Sensitivität i.d.R. nur einen kleinen, vernachlässigbaren Fehler verursacht, ist dieser Fehler bei den sensitiven komplexen Systemen keinesfalls vernachlässigbar.
Deshalb wird sich ein simuliertes komplexes System immer nicht-vernachlässigbar anders entwickeln als das Original in der Natur, das es abbilden soll. Deshalb ist mindestens von uns kein komplexes natürliches System in Perfektion in einem Computer abbildbar - und zwar prinzipiell nicht.

Das heißt insgesamt:
Unter der Voraussetzung, dass die VWI wahr ist und auch alle gewöhnlichen Grundannahmen stimmen, sind komplexe Systeme in einem 'VWI-Multiversum-Phasenraum' prinzipiell vollständig reduktiv abbildbar - aber prinzipiell nicht von uns.
Ohne die VWI-Voraussetzung, also mit echtem QM-Zufall, sind sie es prinzipiell überhaupt nicht.

Sicher ist das noch verbesserungswürdig und ausbaufähig, gerade in der Formulierung, aber ist das in der ungefähren Richtung akzeptabel, befriedigend?
Grüße
seeker


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Re: Instabilität

Beitrag von tomS » 10. Jan 2019, 01:14

Das folgende trifft so nicht ganz zu, ist hier jedoch irrelevant:
seeker hat geschrieben:
10. Jan 2019, 00:32
Auch falls die VWI verwirklicht wäre, hilft sie hier nicht heraus, weil sie mir nicht erklären kann, warum gerade ich gerade meine Historie wahrnehme und meine Zukunft wahrnehmen werde und keine andere, sie kann mir nur erklären, warum das so ist, dass ich aus meiner Perpektive u.a. auch für-mich-scheinbar-objektiven Zufall feststelle, aber sie kann diesen Zufall IN meiner Perspektive auch nicht auflösen.
Einzig der letzte Satz ist zu kommentieren: die VWI löst den Zufall alleine IN der Froschperspektive nicht auf, aber das muss sie auch nicht; sie löst ihn auf zweierlei Weise: i) in der Vogelperspektive, ii) in der Froschperspektive bei gleichzeitigem Wissen um die Existenz der Vogelperspektive. Die VWI einerseits zu verstehen, sie jedoch in Teilen zu ignorieren und sich dann zu beklagen, dass sie damit nicht das gewünschte leistet, ist irrational.
seeker hat geschrieben:
10. Jan 2019, 00:32
In diesem Freiraum des perspektivgebundenen Froschperspektive-QM-Zufalls, der nicht berechenbar ist, also auch hier nicht algorithmisch erfasst werden kann, ..
dito - das ist irrational
seeker hat geschrieben:
10. Jan 2019, 00:32
Deshalb wird sich ein simuliertes komplexes System immer nicht-vernachlässigbar anders entwickeln als das Original in der Natur, das es abbilden soll. Deshalb ist mindestens von uns kein komplexes natürliches System in Perfektion in einem Computer abbildbar - und zwar prinzipiell nicht.
Wenn es sich um ein nicht-lineares und kontinuierliches System handelt, dann ist es von niemandem mittels eines Computers abbildbar. Wenn es sich dagegen um ein diskretes System handelt, ist es abbildbar.

Die Diskussion um den Computer führt aber ggf. in die Irre: im Kern haben wir nicht die Modellierung auf dem Computer diskutiert, sondern das Wesen der Naturgesetze. Da sehe ich inzwischen klarer - s.o.
seeker hat geschrieben:
10. Jan 2019, 00:32
Unter der Voraussetzung, dass die VWI wahr ist und auch alle gewöhnlichen Grundannahmen stimmen, sind komplexe Systeme in einem 'VWI-Multiversum-Phasenraum' prinzipiell vollständig reduktiv abbildbar - aber prinzipiell nicht von uns.
Was - wie wir oben gesehen haben - noch wenig über die Beziehung zwischen den Gesetzen aussagt.
seeker hat geschrieben:
10. Jan 2019, 00:32
Ohne die VWI-Voraussetzung, also mit echtem QM-Zufall, sind sie es prinzipiell überhaupt nicht.
Ja, was aber nicht am Zufall liegt.

Man kann die Axiome der QM im Umfeld einer Messung in etwa wie folgt formulieren: „bei Vorliegen einer Messung ist ... anzuwenden“. Das Problem ist nicht das ..., sondern die Tatsache, dass „Messung“ undefiniert bleibt und deswegen die Bedingung für die Anwendung von ... nicht formalisierbar ist. Letztlich gibt es zwei Antworten auf die Frage, was denn eine Messung im Kontext der QM ist:
VWI: „eine gewöhnliche Wechselwirkung“
alle anderen: „na, halt eine Messung“
seeker hat geschrieben:
10. Jan 2019, 00:32
Sicher ist das noch verbesserungswürdig und ausbaufähig, gerade in der Formulierung, aber ist das in der ungefähren Richtung akzeptabel, befriedigend?
Ja, sehr. Nur die oben angesprochenen offenen Punkte bleiben offen ;-)
Gruß
Tom

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Re: Instabilität

Beitrag von seeker » 10. Jan 2019, 14:07

tomS hat geschrieben:
10. Jan 2019, 01:14
Ja, sehr. Nur die oben angesprochenen offenen Punkte bleiben offen ;-)
Das freut mich! Wir kommen voran...
tomS hat geschrieben:
10. Jan 2019, 01:14
Einzig der letzte Satz ist zu kommentieren: die VWI löst den Zufall alleine IN der Froschperspektive nicht auf, aber das muss sie auch nicht; sie löst ihn auf zweierlei Weise: i) in der Vogelperspektive, ii) in der Froschperspektive bei gleichzeitigem Wissen um die Existenz der Vogelperspektive. Die VWI einerseits zu verstehen, sie jedoch in Teilen zu ignorieren und sich dann zu beklagen, dass sie damit nicht das gewünschte leistet, ist irrational.
Ich beklage mich nicht, ich ignoriere auch nicht. Ich stelle nur fest, dass wenn man einzelne historische Linien in den Verzweigungen der VWI heraugreift, dass es dann in diesen Linien wie Zufall aussieht und auch so wirksam ist.
Die VWI erklärt mir warum das so ist. Der Punkt ist: Die VWI bevorzugt keine Verzweigung, sie erklärt im Gegenteil, dass überhaupt kein objektiver Grund/Mechanismus existiert, der einen Zweig über das Maß der QM-Wahrscheinlichkeitsaussagen bevorzugen könnte, also ist so eine Bevorzugung auch prinzipiell nicht berechenbar, weil es da nichts zu berechnen gibt. Sie erklärt, dass jede bevorzugte Wahl einer Verzweigungsline im VWI-Multiversum willkürlich bzw. grundlos bzw. ursachenlos bzw. zufällig erfolgen muss.

Der einzelne Beobachter bevorzugt in dem was er beobachten kann und was für ihn und in seiner Umwelt wirksam ist aber immer seinen Zweig, in dem er sich befindet bzw. seine eigene Gesamtverzweigung seit dem Urknall, so weit er in der Lage ist seine eigene Geschichte oder die Geschichte von beobachtbaren Systemen in seiner Umgebung zurückzuverfolgen oder in der Zukunft weiterzuverfolgen, er kann gar nicht anders. Daraus ergibt sich in jedem einzelnen Verweigungsweg ein wirksamer Quasi-Zufall, der in der reinen Beobachtung oder Reaktion darauf ununterscheidbar von echtem Zufall ist, weder für ihn, noch für irgendwelche komplexen Systeme in seiner Umgebung.

Ich will dabei eigentlich auch gar nicht um Worte bzw. die beste Formulierung streiten, wichtig ist der Freiraum, der dadurch geschaffen wird.

Wesentlich an komplexen Systemen ist dieser Freiraum:
Komplexe Systeme brauchen notwendig -um überhaupt als komplex verstanden werden zu können- ein Grundrauschen, etwas Zufälliges, auf dem sie sozusagen neue Ordnung aufbauen können. Wäre die Welt komplett, also auch auf jeder Ebene linear-kausal (und die Grundformulierung der Naturgesetze haben diese Natur), dann gäbe es so etwas nicht.

Deshalb nur haben wir uns darauf gestürzt, um zu bewerten, wecher Art dieser Zufall ist. Es gibt dafür nämlich grundsätzlich verschiede Möglichkeiten:

a) scheinbarer Zufall, in unüberschaubar komplizierten Systemen, ganz besonders in offenen Systemen, wo wir nicht in der Lage sind jedes Einzelteil des Systems genau zu verfolgen, wo es also nur auf unserem Unwissen basiert, dass wir an der Stelle nur Rauschen sehen
b) quasi-Zufall, der notwendig auf unser Froschperspektive basiert, die immer geschichtlicher Natur ist
c) echter Zufall, Wirkung ohne Ursache, der darauf basiert, dass Vorgänge in der Natur offen gelassen werden, nicht festgelegt sind

Ob c) existiert ist dabei strittig, aber es muss als grundsätzliche Option mindestens erwähnt werden.
Und der Pragmatiker wird mit seinen pragmatischen Fragestellungen schon mit a) zufrieden sein, den Rest kann er übergehen.
tomS hat geschrieben:
10. Jan 2019, 01:14
Wenn es sich um ein nicht-lineares und kontinuierliches System handelt, dann ist es von niemandem mittels eines Computers abbildbar. Wenn es sich dagegen um ein diskretes System handelt, ist es abbildbar.
Danke! Das ist ein ganz wesentlicher weiterer Punkt, den ich fast schon wieder vergessen hätte:
Um ein sensitives, nicht-lineares, echt-kontinuierliches, analoges System in einer Von-Neumann-Maschine exakt abzubilden, müsste diese Maschine unendlich genau rechnen können, irrationale Zahlen, die das abzubildende System exakt repräsentieren sollen, müssten mit allen Nachkommastellen erfasst werden. Da deren aber unendlich viele vorliegen, müsste der diskrete Speicher der Maschine unendlich groß sein - und dann würde sie für einen einzigen Rechenschritt unendlich lange brauchen. Also müsste die Maschine auch noch unendlich schnell rechnen können, wahrscheinlich sogar überabzählbar-unendlich schnell. An der Stelle würde ich dann behaupen, dass es hier zu abstrus wird und wir einsehen müssen, dass das Konzept "Von-Neumann-Maschine" hier nichts mehr taugt: Wir lernen daraus nichts, außer, dass es so nicht geht.
tomS hat geschrieben:
10. Jan 2019, 01:14
Ohne die VWI-Voraussetzung, also mit echtem QM-Zufall, sind sie es prinzipiell überhaupt nicht.
Ja, was aber nicht am Zufall liegt.
Nicht nur am Zufall, aber auch am Zufall: Selbst wenn die Natur komplett diskret wäre, es aber echten Zufall gäbe, wären komplexe Systeme prinzipiell nicht vollständig reduktiv abbildbar.
tomS hat geschrieben:
10. Jan 2019, 01:14
Die Diskussion um den Computer führt aber ggf. in die Irre: im Kern haben wir nicht die Modellierung auf dem Computer diskutiert, sondern das Wesen der Naturgesetze. Da sehe ich inzwischen klarer - s.o.
Nun ja, du selbst hast dich naturgemäß vor allen Dingen darauf und auf die algorithmische Abbildung konzentriert. Es gibt andere Aspekte, die ebenso interessant sein können, die Komplexität im Computer ist eines davon.

Mich treibt im Moment noch eine andere Frage um:
In diesen komplexen oder chaotischen nicht-liearen Systemen emergieren offenbar zweierlei Muster:

a) stabile linear beschreibbare Muster
b) instabile und nicht-lineare Muster

Wenn wir hier nun von solchen Systemen lernen können, dass "aus der Bewegung heraus" und z.T. aufbauend auf schlichtem chaotischen Rauschen auch Muster nach a) hervortreten können, wäre es dann nicht denkbar, dass die Muster, die wir "Naturgesetze" nennen auch auf diesem Weg in die Existenz gekommen sind? Gibt es möglicherweise ganz einfache, nichlinear-rückgekoppelte Grundstrukturen, aus denen unsere NG 'aus der Bewegung heraus' emergieren könnten?
Den Punkt a) finde ich deshalb besonders bemerkenswert. Erstens, ist es überraschend, dass diese in einem nicht-liearen System überhaupt auftreten können und zweitens weil diese stabilen oder in der Näherung als stabil annehmbaren Muster in einer Weise korrekt formal erfasst werden können, die mit ihrem Entstehungsgrund und ihrem Wesen nicht das Geringste zu tun hat.

Einfachstes Beispiel:
Logistische Gleichung, Feigenbaumdiagramm, wenn sich das System im Zusand vor der ersten Bifurkation befindet, dort strebt es sehr schnell einem völlig stabilen Wert zu, der in einer völlig profanen linearen Gleichung oder als Konstante völlig korrekt ausgedrückt werden könnte, der aber mit dem wirklichen Geschehen nichts zu tun hat, der das wirkliche Geschehen völlig verkennt.
Grüße
seeker


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Re: Instabilität

Beitrag von Skeltek » 10. Jan 2019, 17:48

@ATGC: Danke für die schöne ausführliche Formulierung. Denke das Wort 'Algorithmus' ist hier tatsächlich irgendwie unzutreffend. Aber geht man richtig in der Annahme, dass die Bausteine sequentiell ausgewertet werden sobald die Genese irgendeiner Struktur anhand des Erbguts einsetzt? Letztlich geht es doch teils um das hintereinander geschehen von Ereignissen in einer bestimmten Reihenfolge?

@seeker, tomS: Der Fluß des Themas ist ganz interessant und ich lese feissig und still mit. Nur eine Anmerkung zu seekers Ausspruch:
Weshalb seeker1 und seeker2 bei der VWI 'ihren Zufall' jeweils nicht erklären können oder Informationen untereinander austauschen... ich sehe hier keinen Unterschied dazu, dass seeker1 und tomS1 keine Informationen in ihren Bewusstseinen austauschen können.
Die 'seeker's sind dimensional getrennt, seeker1 und tomS1 jeweils räumlich. Bei letzterem fragt man sich ja auch nicht, wieso man nicht jemand anderes ist oder als ein anderer geboren wurde.
Aber das nur als Zwischeneinschub... das geht denke ich zu sehr off-topic von mir.
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  • Unentscheidbarkeit - Dieser Satz ist wahr.
  • Unvollständig - Aussage A: Es existiert nur ein Element A.
  • Widersprüchlich - Dieser Satz ist falsch.

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Re: Instabilität

Beitrag von tomS » 11. Jan 2019, 08:08

seeker hat geschrieben:
10. Jan 2019, 14:07
Die VWI bevorzugt keine Verzweigung, sie erklärt im Gegenteil, dass überhaupt kein objektiver Grund/Mechanismus existiert, der einen Zweig über das Maß der QM-Wahrscheinlichkeitsaussagen bevorzugen könnte, also ist so eine Bevorzugung auch prinzipiell nicht berechenbar, weil es da nichts zu berechnen gibt. Sie erklärt, dass jede bevorzugte Wahl einer Verzweigungsline im VWI-Multiversum willkürlich bzw. grundlos bzw. ursachenlos bzw. zufällig erfolgen muss.
Verstehe ich so nicht.
seeker hat geschrieben:
10. Jan 2019, 14:07
Der einzelne Beobachter bevorzugt in dem was er beobachten kann und was für ihn und in seiner Umwelt wirksam ist aber immer seinen Zweig, in dem er sich befindet bzw. seine eigene Gesamtverzweigung seit dem Urknall, so weit er in der Lage ist seine eigene Geschichte oder die Geschichte von beobachtbaren Systemen in seiner Umgebung zurückzuverfolgen oder in der Zukunft weiterzuverfolgen, er kann gar nicht anders. Daraus ergibt sich in jedem einzelnen Verweigungsweg ein wirksamer Quasi-Zufall, der in der reinen Beobachtung oder Reaktion darauf ununterscheidbar von echtem Zufall ist, weder für ihn, noch für irgendwelche komplexen Systeme in seiner Umgebung.
Richtig.
seeker hat geschrieben:
10. Jan 2019, 14:07
Komplexe Systeme brauchen notwendig -um überhaupt als komplex verstanden werden zu können- ein Grundrauschen, etwas Zufälliges, auf dem sie sozusagen neue Ordnung aufbauen können. Wäre die Welt komplett, also auch auf jeder Ebene linear-kausal (und die Grundformulierung der Naturgesetze haben diese Natur), dann gäbe es so etwas nicht.
Das ist eine Vermutung deinerseits, und sie ist wahrscheinlich falsch.

In der klassischen Mechanik resultiert das Verhalten komplexer Systeme aus Nichtlinearitäten / Rückkopplungen und / oder Zufall.

In der Quantenmechanik existiert dies alles - ohne den Messprozess - sicher nicht. Trotzdem folgt die Dynamik klassischer Systeme als Näherung aus quantenmechanischen Systemen, die zunächst linear und deterministisch sind. Der mathematische Formalismus ist verwickelt, jedoch gut verstanden. Fakt ist jedenfalls, dass ein auf fundamentaler Ebene lineares System auf höherer Ebene nichtlinearen Gesetzen zu folgen scheint. Dabei kommen diese nicht neu hinzu, sondern können aus den zugrundeliegenden linearen Gesetzen abgeleitet werden.

D.h. die linearen Gesetze sind diejenigen, denen letztlich alleine die kausale Verursachung zugeschrieben werden kann, während den effiktiven Gesetze auf höherer Ebene keine „echte“ kausale Verursachung zugeschrieben wird; dies erscheint so, wenn man ignoriert oder nicht weiß, wie sie entstehen. Kennt man jedoch den mathematischen Mechanismus, so haben sie letztlich nur beschreibenden Charakter.
seeker hat geschrieben:
10. Jan 2019, 14:07
An der Stelle würde ich dann behaupen, dass es hier zu abstrus wird und wir einsehen müssen, dass das Konzept "Von-Neumann-Maschine" hier nichts mehr taugt: Wir lernen daraus nichts, außer, dass es so nicht geht.
Das ist nicht das, worauf ich hinauswollte, und daher ist die Schlussfolgerung explizit falsch.

Du fokussierst zumeist auf praktische Aspekte. Das ist OK, aber du darfst daraus keine prinzipiellen Schlussfolgerungen ableiten.

Im Falle der Algorithmen geht es nicht um die praktische Implementierung sondern um die theoretische Klassifizierung. Deine praktischen Aspekte kommen erst bei der Umsetzung und damit einer Näherung ins Spiel, während die Klassifizierung natürlich am idealisierten System vorgenommen wird.

Bsp. Wetter: dieses ist für uns praktisch nur über kurze Zeiträume vorhersagbar, da die nichtlinearen Differentialgleichungen zu nichtlinearen Verhalten führen, was bei kleinen Abweichungen in den Startbedingungen in exponentiell divergierenden Trajektorien im Phasenraum resultiert. Nur - das tatsächliche Wetter an sich - ohne die Näherung auf dem Computer - weist diese exponentiell divergierenden Trajektorien im Phasenraum gar nicht auf! Ich habe nur ein einziges Wetter, ich kann nicht mehrere Wetter am selben Tag experimentell präparieren und studieren. Das Verhalten des Wetters weist auch ohne Näherung bestimmte intrinsische Eigenschaften der Nichtlinearität auf, die nicht durch eine künstliche Näherung entstehen.

Z.B. haben Poincaré bis hin zu KAM ihre Untersichungen zur Stabilität des Sonensysems nicht auf Basis von Näherungen und Simulationen sondern auf Basis der exakten analytischen Eigenschaften durchgeführt.
seeker hat geschrieben:
10. Jan 2019, 14:07
... wäre es dann nicht denkbar, dass die Muster, die wir "Naturgesetze" nennen auch auf diesem Weg in die Existenz gekommen sind?

...
Logistische Gleichung, Feigenbaumdiagramm, wenn sich das System im Zusand vor der ersten Bifurkation befindet, dort strebt es sehr schnell einem völlig stabilen Wert zu, der in einer völlig profanen linearen Gleichung oder als Konstante völlig korrekt ausgedrückt werden könnte, der aber mit dem wirklichen Geschehen nichts zu tun hat, der das wirkliche Geschehen völlig verkennt.
Das ist ein wichtiger Punkt, und das ist sicher einer der Gründe für unser fortführendes Missverstehen!

Es gibt hier zwei Arten der Emergenz:
1) Die Emergenz von realen Mustern, Verhalten und Prozessen aus fundamentalen Entitäten
2) Die Emergenz von diesbzgl. Gesetzen

Beides ist voneinander völlig verschieden!!

Im Kern dreht sich unsere Diskussion immer um (1) und (2), was wir - leider - immer wieder miteinander vermischen.

Bei (2) haben wir zwei Situationen
a) wir verstehen die Emergenz: Kernphysik aus QCD, Atom- und Molkülphysik aus QED, Supraleitung, Festkörperphysik und Elastizitätslehre, Optik, ... Chemie, Biochemie, Molekularbiologie
b) wir verstehen die Emergenz nicht: ... Strukturbildung im Organismus, Verhaltensbiologie, Geist / Verstand / Bewusstsein

Fakt ist nun, dass wir in allen Fällen, in denen (a) vorliegt, wir heute sicher sagen können, dass emergente Gesetze ohne zusätzliche Zutat aus den fundamentalen Gesetzen ableitbar sind, und dass es prinzipiell ausreichend ist, die fundamentale Ebene zu betrachten. Salopp gesprochen folgt die Biochemie aus der QED und QCD

In den Fällen, in denen (b) vorliegt, erkenne ich zwei verschiedene Argumentationsmuster:

TomS: 1) Auch wird das reale Verhalten höherer Systeme kausal ausschließlich durch die fundamentalen Entitäten bedingt. 2) Gesetze auf höherer Ebene haben strukturierenden, ordnenden Charakter. Das Vorliegen von (b) besagt nichts über die (1), d.h. unsere Unkenntnis der Emergenz bei (2) führt nicht zu etwas qualitativ Neuem bei (1). Vereinfacht: (1) ist reduzibel, (2) ist praktisch irreduzibel - möglicherweise kann sich das ändern - und es ändert sich in immer mehr Fachbereichen

seeker, ATGC: 1) Das reale Verhalten höherer Systeme wird nicht ausschließlich durch die fundamentalen Entitäten bedingt. 2) Gesetze auf höherer Ebene haben fundamentalen Charakter. Das Vorliegen von (b) d.h. die Emergenz bei (b) spiegelt eine Realität wieder, d.h. das auf etwas qualitativ Neues bei (1). Vereinfacht: (1) ist irreduzibel, (2) ist prinzipiell irreduzibel.

Ich denke, wenn wir das so formulieren, dann sieht man ein, dass wir alle noch gewisse Annahmen bzgl. des Zusammenhangs zwischen (1) und (2) treffen. Damit wird auch klar, warum mit ATGCs Beispiele nicht überzeugen können, da es sich doch ausschließlich um Beispiele für (2) auf der höherwertigen Ebene handelt, die aufgrund von (b) existieren, während meine Beispiele für (1) und (2) immer auf (a) basieren.

Damit ist es letztlich eine Glaubenssache: ich bin bzgl. der Reduzibilität ein Optimist und glaube nicht, dass unsere gegenwärtige Unkenntis bei (2b) etwas fundamentales über (1) aussagt; ihr seid diesbzgl. Pessimisten und denkt, dass (2b) selbst eine gewisse Realität der Natur selbst = bei (1) widerspiegelt. Ich extrapoliere den Erfolg von (2a); ihr extrapoliert dem Misserfolg bei (2b).

OK?
Gruß
Tom

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Re: Instabilität

Beitrag von tomS » 11. Jan 2019, 15:39

ATGC hat geschrieben:
11. Jan 2019, 14:32
Beides ist voneinander völlig verschieden!!
Warum? ... sehe ich da keine Verschiedenheit, da Gesetze zunächst nur Beschreibungen von Regelmäßigkeiten sind, die man aus der Beobachtung der Wechselwirkungen ableiten und formulieren kann ... weil es ja im Prinzip zwei Seiten derselben Medaille sind: Das Phänomen auf der einen Seite und die Beschreibung des Phänomens auf der anderen Seite.
Ich lerne, dass wir leider sprachlich völlig aneinander vorbeireden.

Sorry, wenn das jetzt etwas harsch rüberkommt: verstehst du den Unterschied zwischen einem Schweinebraten und dem Rezept für einen Schweinebraten?

Kannst du nachvollziehen, das der tatsächliche Bratvorgang trivialerweise auf atomare Prozesse reduzibel sein kann, obwohl das Rezept nicht aus der Schrödingergleichung hervorgeht?
ATGC hat geschrieben:
11. Jan 2019, 14:32
... meinen wir eigentlich, dass das Verhalten dieses Dings mit neuen Gesetzen beschrieben werden muss, die man auf den untergeordneten Ebenen nicht zur Beschreibung der dort auftretenden Verhaltensweisen in den Wechselwirkungen der sich dort befindenden Dinge benötigt.
OK, das ist sehr konkret, diese Aussage gehe ich - fast - mit; meine Korrektur:

... meinen wir eigentlich, dass das Verhalten dieses Dings mit neuen Gesetzen beschrieben werden kann, die man auf den untergeordneten Ebenen nicht zur Beschreibung der dort auftretenden Verhaltensweisen ... benötigt.

Warum "kann" statt "muss"?

Erstens weil ich aus der Physik zig Beispiele kenne, wo "kann" zutrifft, jedoch nicht "muss". Ich kann sinnvollerweise in der Elektrotechnik das Ohmsche Gesetz verwenden und muss nicht auf das Sommerfeld-Modell zurückrgreifen.

Zweitens weil es darüberhinaus möglich ist,
A) Systeme mit höherwertigen Strukturen rein mikroskopisch zu berechnen, ohne dass dabei die emergenten Strukturen für uns erkennbar werden, sowie
B) anschließend tatsächlich irreduzible Gesetze auf makroskopischer Ebene anzuwenden - lediglich um mittels dieser Gesetze die Strukturen "sichtbar" zu machen.
Die Gesetze auf makroskopischer Ebene beschreiben damit keineswegs die kausale Verursachung - sie sind diesbzgl. verzichtbar - sie dienen lediglich als Hilfsmittel, um makroskopische / emergente Eigenschaften aus dem mikroskopisch modellierten System "herauszufischen."

Bsp. Supraleitung (Suprafluidität, Quantum-Hall-Effekt, ...):
A) man berechnet die Dynamik des Systems mikroskopisch auf Basis der Vielteilchen-Quantenmechanik
B.1) man kennt aus dem Experiment makroskopische Strukturen, z.B. Flussschläuche in Typ-2 Supraleitern in der Shubnikov-Phase - im Gegensatz zu homogenem Verhalten in der Meissner-Phase; man formuliert mathematische Modelle für makroskopische Observablen mittels der mikroskopischen Gesetze, z.B. für Stromdichten
B.2) man wendet diese makroskopischen Observablen auf die Ergebnisse von (A) an, um z.B. die Flusschläuche zu finden

Dies beweist für diesen konkreten Fall, dass die die Entstehung, Dynamik, Eigenschaften der makroskopischen Strukturen vollständig aus den mikroskopische Gesetzen (A) folgen, dass es jedoch (B) braucht, um diese effizient zu erkennen. Insofern ist (B) lediglich ein Hilfsmittel zum Verständnis, enthält jedoch keinerlei Ursache.
ATGC hat geschrieben:
11. Jan 2019, 14:32
Damit wird auch klar, warum mich ATGCs Beispiele nicht überzeugen können, da es sich doch ausschließlich um Beispiele für (2) auf der höherwertigen Ebene handelt, die aufgrund von (b) existieren, während meine Beispiele für (1) und (2) immer auf (a) basieren.
Das ist mir hingegen überhaupt nicht klar. Mein verlinktes Beispiel der Translation als Video läuft auf der molekularen Ebene ab und ist nicht quantenphysikalisch ableitbar.
Warum ist es nicht quantenphysikalisch ableitbar? Nur weil es auf der molekularen Ebene abläuft? Das ist doch kein Argument.
Gruß
Tom

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Re: Instabilität

Beitrag von seeker » 11. Jan 2019, 17:15

Ich habe jetzt keine Zeit, später...

Aber vorweg:
Toms Frage sollte klar gestellt werden, damit wir sie sauber bearbeiten können.

Soweit ich das verstehe lautet sie so:

Wie ist es möglich bzw. soll es möglich sein, dass in einer vollständig determinierten Welt, die durch die bekannten grundlegenden linearen Naturgesetze der Physik bereits vollständig festgelegt ist, weitere echte Naturgesetzlichkeiten hervortreten können (z.B. in komplexen Systemen)?
Denn das wäre dann eine Übedeterminierung der Welt und das würde daher keinen Sinn machen.

Auf diese Frage gibt es verschiedene Antworten.

Außerdem ist es hier hilfreich, wenn wir ein komplexes System zum Vergleich zu natürlichen Systemen betrachten, das auf einem realen Computer läuft und ausschließlich mit endlichen Werten der natürlichen Zahlen arbeitet, also sicher vollständig exakt und determiniert abläuft.
Lassen sich hier grundlegende Unterschiede zu einem natürlichen komplexen System ausmachen oder nicht?

Später...
Grüße
seeker


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Re: Instabilität

Beitrag von tomS » 11. Jan 2019, 17:26

@ ATGC:

Ich habe meinen Beitrag um ein explizites Beispiel ergänzt; bitte nochmal drüber lesen.

Zu deiner Argumentation:

Erstens:
ATGC hat geschrieben:
11. Jan 2019, 16:00
Nein, "muss", denn die Gesetze der niedrigeren Ebenen sind nicht hinreichend, um die Phänomene der oberen Ebenen adäquat zu beschreiben.
Das ist doch ein logischer Zirkelschluss.

Du sagst, ... "dass das Verhalten dieses Dings mit neuen Gesetzen beschrieben werden muss". Meinem Einwand, das "muss" durch ein "kann" zu ersetzen, begegnest du mit ... "[weil] die Gesetze der niedrigeren Ebenen nicht hinreichend [sind], um die Phänomene der oberen Ebenen adäquat zu beschreiben".

Damit sagst du letztlich, dass das Verhalten dieses Dings mit neuen Gesetzen beschrieben werden muss, weil die Gesetze der niedrigeren Ebenen nicht hinreichend sind, um das Verhalten dieses Dings adäquat zu beschreiben.

Wie gesagt, das ist ein Zirkelschluss.

Oder du hast nicht verstanden, was ich sage: natürlich kann es sein, dass die Gesetze der niedrigeren Ebenen nicht hinreichend sind, um die Phänomene der oberen Ebenen adäquat zu beschreiben. Ich behaupte aber etwas ganz anderes, nämlich dass die Gesetze der niedrigeren Ebenen hinreichend sein können, um die Phänomene der oberen Ebenen hervorzubringen. Das ist etwas völlig anderes - siehe dazu das o.g. Beispiel.

Zweitens:
ATGC hat geschrieben:
11. Jan 2019, 16:00
Warum ist es nicht quantenphysikalisch ableitbar?
Weil wir hier u.a. auch mechanische Prozesse am Laufen haben, die sich nicht aus den atomaren oder molekularen Eigenschaften ableiten lassen.
Das ist wieder ein Zirkelschluss.

Du sagst, es sei quantenphysikalisch nicht ableitbar, weil mechanische Prozesse ablaufen, die sich nicht quantenphysikalisch ableiten lassen.

Siehst du diesen Zirkelschluss nicht? Warum sollen denn mechanische Prozesse nicht quantenphysikalisch ableitbar sein?
Gruß
Tom

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Re: Instabilität

Beitrag von tomS » 12. Jan 2019, 08:25

Ich möchte noch ein paar Erklärungen zum o.g. Beispiel nachschieben:
A) Systeme mit höherwertigen Strukturen rein mikroskopisch zu berechnen, ohne dass dabei die emergenten Strukturen für uns erkennbar werden, sowie
B) anschließend tatsächlich irreduzible Gesetze auf makroskopischer Ebene anzuwenden - lediglich um mittels dieser Gesetze die Strukturen "sichtbar" zu machen.
Die Gesetze auf makroskopischer Ebene beschreiben damit keineswegs die kausale Verursachung - sie sind diesbzgl. verzichtbar - sie dienen lediglich als Hilfsmittel, um makroskopische / emergente Eigenschaften aus dem mikroskopisch modellierten System "herauszufischen."

Bsp. Supraleitung (Suprafluidität, Quantum-Hall-Effekt, ...):
A) man berechnet die Dynamik des Systems mikroskopisch auf Basis der Vielteilchen-Quantenmechanik
B.1) man kennt aus dem Experiment makroskopische Strukturen, z.B. Flussschläuche in Typ-2 Supraleitern in der Shubnikov-Phase - im Gegensatz zu homogenem Verhalten in der Meissner-Phase; man formuliert mathematische Modelle für makroskopische Observablen mittels der mikroskopischen Gesetze, z.B. für Stromdichten
B.2) man wendet diese makroskopischen Observablen auf die Ergebnisse von (A) an, um z.B. die Flusschläuche zu finden.

Dies beweist für diesen konkreten Fall, dass die die Entstehung, Dynamik, Eigenschaften der makroskopischen Strukturen vollständig aus den mikroskopische Gesetzen (A) folgen, dass es jedoch (B) braucht, um diese effizient zu erkennen. Insofern ist (B) lediglich ein Hilfsmittel zum Verständnis, enthält jedoch keinerlei Ursache.
https://en.m.wikipedia.org/wiki/Superconductivity
https://en.m.wikipedia.org/wiki/London_equations
https://en.m.wikipedia.org/wiki/Ginzbur ... dau_theory
https://en.m.wikipedia.org/wiki/BCS_theory
https://portal.ifi.unicamp.br/images/fi ... es_BCS.pdf

https://en.m.wikipedia.org/wiki/Meissner_effect
https://en.m.wikipedia.org/wiki/Type-II_superconductor
https://en.m.wikipedia.org/wiki/Abrikosov_vortex

Der Punkt ist, dass sich unser Verständnis historisch von makroskopischen zu mikroskopischen Effekten entwickelt hat. D.h. wir hatten zunächst makroskopische Begriffe (elektrisches Feld, Feldstärke, Ladungsträgerdichte, ...) und kannten makroskopische Phänomene (Supraleitung, kritische Temperatur, kritische Feldstärken, Meißner-Effekt, Eindringtiefe, Kohärenzlänge, Flussschlauch / Vortex, Flux pinning). Die makroskopischen Gesetze (London-Gleichungen, ...) erlauben eine quantitative Beschreibung dieser Phänomene.

Später gelang es Bardeen, Cooper und Schriefer, die mikroskopische, BCS-Theorie zu konstruieren, die quantenmechanische Begriffen verwendet (Elektronen, quantenmechanische Zustände, Cooper pair, ...) aus der sich makroskopische Begriffe bzw. deren Werte und Eigenschaften (Energielücke, kritische Temperatur, spezifische Wärme, Eindringtiefe, Kohärenzlänge, ...) berechnen lassen.

D.h. dass die Dynamik des Systems vollständig durch die fundamentalen, mikroskopischen Gesetze der Quantenmechanik beschrieben wird und dass sämtliche makroskopische Gesetze und Phänomene daraus folgen. Dadurch wird die makroskopische Theorie nicht überflüssig, denn sie enthält die strukturierenden Begriffe, die wir in der mikroskopischen Theirie nicht zur Verfügung haben. Erst dadurch wissen wir, nach was wir in der mikroskopischen Theorie überhaupt suchen sollen. Wir müssen also die makroskopischen Begriffe durch die mikroskopischen ausdrücken, nicht jedoch ersetzen (Energielücke, kritische Temperatur, spezifische Wärme, Eindringtiefe, Kohärenzlänge, ... bleiben als wesentliche Begriffe erhalten).

Insofern ist die Reduzibilität im Sinne von (A) mit der Irreduzibilität von (B) verträglich.

Die Gesetze auf makroskopischer Ebene beschreiben damit keine kausale Verursachung mehr - sie sind diesbzgl. verzichtbar - sie dienen jedoch weiterhin dazu, um makroskopische Eigenschaften am mikroskopisch modellierten System sichtbar zu machen.

Übertragen auf die Biologie: die Dynamik der Zelle folgt ausschließlich quantenmechanischen Gesetzmäßigkeiten; aber um zu sehen, dass da eine Zelle ist, ein Zellkern, eine Zellmembran, ... benötigst du diese Begriffe der Biologie; sie folgen nicht aus der Quantenmechanik. Wenn du die Begriffe jedoch einmal hast, kannst du sie auf quantenmechanische Prozesse zurückzuführen.
Gruß
Tom

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Re: Instabilität

Beitrag von tomS » 12. Jan 2019, 13:52

ATGC, ich werde in zwei Schritten bzw. Beiträgen antworten.

Zunächst zum eher philosophischen Teil:

Du vertrittst den Ansatz der Irreduzibilität sehr überzeugt, und du siehst insbs. in der Biologie prinzipielle Probleme für die Reduzibilität. Du beziehst dich u.a. auf Descartes, wenn es um höherwertige und nicht-reduzierbare Entitäten geht (ich gehe davon aus, dass dir der logische Bruch bei Descartes bekannt ist: wenn der Geist wesensverschieden von Materie ist, wie soll er dann auf sie einwirken? wenn er auf die einwirkt, wie soll er dann wesensverschieden sein?) Nun muss man ja nicht gleich die Lösung von Descartes akzeptieren, man kann trotzdem seine grundsätzlichen Bedenken gegen ein rein materialistisches Weltbild teilen.

Wenn das die wesentliche philosophische Position ist, dann wird man Belege für fehlende Reduzibilität als Belege für eine prinzipielle Irreduzibilität ansehen, gewisse Belege für Reduzibilität und damit gegen Irreduzibilität als Ausnahmen, die auf bestimmte Bereich beschränkt sind.

Wenn man die gegenteilige philosophische Position einnimmt - wie ich es als Physiker tue, wohl wissend, dass sie insgs. nicht beweisbar ist, und im Falle des Mind-Body-Problems wahrscheinlich beweisbar unbeweisbar - denn wird man umgekehrt schlussfolgern und fehlende Belege für Reduzibilität als temporäre bzw. praktische Probleme ansehen, jedoch an einer prinzipiellen Reduzibilität der Natur festhalten.

Ich denke, das ist unsere Situation.

Demzufolge kann ich dich mit meinen Beispielen nicht überzeugen, da du genügend Räume bzw. Bereiche siehst, in die ich mit meinen Beispielen nicht vordringen kann - weil ich mich nicht auskenne, weil die Physik noch nicht so weit ist, ... Und ich bin von deinen Beispielen nicht überzeugt, da ich lediglich praktische Probleme sehe, die man zu gegebener Zeit durchaus noch lösen kann.

Ich habe zum Beispiel kein Problem damit, die Extrapolation der Physik auf alle Vorhänge der Natur als Hypothese anzunehmen und so lange daran zu glauben, bis ein Gegenbeispiel gefunden wird. Du hast ein Problem mit dieser unbegrenzten Extrapolation und akzeptierst die erst dann, wenn tatsächlich Beweise vorliegen, dann allerdings immer nur in Einzelfällen, nie unbegrenzt, nicht mal als Hypothese.

Es hilft wahrscheinlich auch nichts, wenn ich dir jetzt sage, dass meine Haltung bzgl. der Extrapolation als Hypothese der Grundhaltung der Physiker entspricht, die von universellen Naturgesetzen ausgehen, und sie dann revidieren, wenn es nötig wird.

Damit könnte ich die Diskussion jetzt beenden - tue ich aber nicht, dazu ist sie zu interessant. Zunächst mal würde mich interessieren, ob ich unsere Sitiin richtig verstanden habe.

Ich werde also später versuchen, in einem zweiten Teil Belege für die Reduzibilität weiterer Bereiche der Biologie anzuführen. Außerdem werde ich versuchen, deine Beispiele für die Irreduzibilität durch Gegenbeispiele zu widerlegen oder Lücken in deiner Beweisführung zu finden, die entweder logischer Natur sind oder die auf mangelnder Kenntnis der Physik beruhen.
Gruß
Tom

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Re: Instabilität

Beitrag von seeker » 12. Jan 2019, 14:02

tomS hat geschrieben:
seeker hat geschrieben:Komplexe Systeme brauchen notwendig -um überhaupt als komplex verstanden werden zu können- ein Grundrauschen, etwas Zufälliges, auf dem sie sozusagen neue Ordnung aufbauen können. Wäre die Welt komplett, also auch auf jeder Ebene linear-kausal (und die Grundformulierung der Naturgesetze haben diese Natur), dann gäbe es so etwas nicht.
Das ist eine Vermutung deinerseits, und sie ist wahrscheinlich falsch.
Abwarten.
Dannn fangen wir zunächst bei etwas anderem an, das wesentlich ist, über das wir sicher Einigkeit haben werden und das wir längst hätten betrachten sollen: Die Entropie!

Wir können festhalten, dass natürliche komplexe Systeme immer Prozesse sind und vom Entropiedurchfluss leben:
niederentropischer Input -> komplexes System -> hochentropischer Output
Aus diesem Durchfluss heraus zweigen sie sich sozusagen Ordnung ab, um ihren eigenen Ordnungszustand zu regulieren.
Sie tun das aber nicht in der Weise, dass sie eine höchstmögliche Ordnung anstreben, sie werden nicht zu Kristallen oder dergleichen.
Stattdessen regulieren sie sich selbsttätig an den Rand zwischen Ordnung und Rauschen (Chaos), also gezielt an den Rand zum instabilen Bereich, wodurch ihre Sensitivität herrührt und noch viele weitere essentielle Eigenschaften. Gerade auf diesem instabilen, verrauschten Bereich, der zumindest für das System selbst nicht von einem echten zufälligen Rauschen unterscheidbar ist, bauen sie ihre innere Ordnung auf: Aus Chaos wird Ordnung, die Entropie nimmt ab, aber nicht zu sehr ab.

Soweit einverstanden?
tomS hat geschrieben:
11. Jan 2019, 08:08
In der klassischen Mechanik resultiert das Verhalten komplexer Systeme aus Nichtlinearitäten / Rückkopplungen und / oder Zufall.

In der Quantenmechanik existiert dies alles - ohne den Messprozess - sicher nicht. Trotzdem folgt die Dynamik klassischer Systeme als Näherung aus quantenmechanischen Systemen, die zunächst linear und deterministisch sind. Der mathematische Formalismus ist verwickelt, jedoch gut verstanden. Fakt ist jedenfalls, dass ein auf fundamentaler Ebene lineares System auf höherer Ebene nichtlinearen Gesetzen zu folgen scheint.
Aha, als Näherung.
Und wie kann man dann das hier sicher sagen (?):
tomS hat geschrieben:
11. Jan 2019, 08:08
Dabei kommen diese nicht neu hinzu, sondern können aus den zugrundeliegenden linearen Gesetzen abgeleitet werden.
Woher weiß man, dass hier eine Näherung ausreichend ist? Immerhin haben wir hier sensitive Systeme vorliegen.
tomS hat geschrieben:
11. Jan 2019, 08:08
seeker hat geschrieben:An der Stelle würde ich dann behaupen, dass es hier zu abstrus wird und wir einsehen müssen, dass das Konzept "Von-Neumann-Maschine" hier nichts mehr taugt: Wir lernen daraus nichts, außer, dass es so nicht geht.
Das ist nicht das, worauf ich hinauswollte, und daher ist die Schlussfolgerung explizit falsch.

Du fokussierst zumeist auf praktische Aspekte. Das ist OK, aber du darfst daraus keine prinzipiellen Schlussfolgerungen ableiten.

Im Falle der Algorithmen geht es nicht um die praktische Implementierung sondern um die theoretische Klassifizierung. Deine praktischen Aspekte kommen erst bei der Umsetzung und damit einer Näherung ins Spiel, während die Klassifizierung natürlich am idealisierten System vorgenommen wird.
Du hast Recht, dass ich anders denke. Das liegt in der Natur der Sache: Ich habe es bei meiner Arbeit mit praktischen Dingen zu tun: vornehmlich Prozessentwicklung. Gerade darin liegt das schöne an so einem Forum: Man kann mit Leuten reden, die anders 'trainiert' sind.
Aber du hast glaube ich Unrecht, mit dem was du eigentlich meinst. Ich denke, es liegt im Kern eher daran, dass ich Theorien oder theoretischen Überlegungen mehr misstraue als du. Das kommt daher, weil ich erfahrungsgemäß weiß, dass all die theoretischen Modelle und Berechnungen, die meine Prozesse abbilden sollen, zwar sehr hilfreich sind, dass sie aber auch nie ganz passen, dass man ihnen nie ganz trauen darf, denn ansonsten kommt man nicht zum Ziel.
tomS hat geschrieben:
11. Jan 2019, 08:08
Das Verhalten des Wetters weist auch ohne Näherung bestimmte intrinsische Eigenschaften der Nichtlinearität auf, die nicht durch eine künstliche Näherung entstehen.
Das ist ganz sicher wahr. Das heißt aber noch lange nicht, dass das für alle Eigenschaften gilt.
tomS hat geschrieben:
11. Jan 2019, 08:08
Das ist ein wichtiger Punkt, und das ist sicher einer der Gründe für unser fortführendes Missverstehen!

Es gibt hier zwei Arten der Emergenz:
1) Die Emergenz von realen Mustern, Verhalten und Prozessen aus fundamentalen Entitäten
2) Die Emergenz von diesbzgl. Gesetzen

Beides ist voneinander völlig verschieden!!
Das verstehe ich nicht ganz, bzw. erscheint es mir zweifelhaft, dass man das überhaupt ganz sauber trennen kann ohne dann doch wieder etwas zu vernachlässigen, das nicht vernachlässigt werden darf. Naturgesetze existieren in dem Sinne gar nicht.
Als Naturgesetz wird in der Wissenschaftstheorie eine Regelmäßigkeit von Vorgängen in der Natur bezeichnet. Die Pluralform „Naturgesetze“ bezeichnet darüber hinaus die Gesamtheit dieser Regelmäßigkeiten, einschließlich solcher, die noch nicht entdeckt oder formuliert wurden, unabhängig von ihrer spezifischen Formulierung. Von anderen Gesetzen unterscheiden sich Naturgesetze darin, dass sie nicht von Menschen nach deren Belieben in Kraft oder außer Kraft gesetzt werden können. Eine genaue, einheitliche abschließende Definition des Begriffs existiert derzeit nicht.
https://de.wikipedia.org/wiki/Naturgesetz

Naturgesetze sind für mich zunächt einmal stabile, überall und immer wiederkehrende Muster im Geschehen (also der Dynamik!) der Natur, die von uns so statisch-fix abstrahiert und formalisiert wurden, dass sie als quantitativ mathematische Relationen in Gleichungen ausdrückbar wurden. Also sind Naturgesetze statische, abstrakte, verallgemeinernde Abbilder der von uns erkannten Muster einer dynamsichen Natur aus vielen wiederkehrenden Einzelfällen - und sie sind ein geistiges Produkt.
Wichtig ist mir hier auch, dass durch diese definierte Perspektive schon festgelegt von vorneherein kein Naturgesetz veränderlich/dynamisch sein kann, obwohl es die wirklichen Muster, die in der Natur beobachtbar sind, immer sind: Durch Naturgesetze wird Dynamik statisch abgebildet.
Die zu stellende Frage lautet: Geht das vollständig?

Aber gut, verfolgen wir das einmal:
tomS hat geschrieben: Bei (2) haben wir zwei Situationen
a) wir verstehen die Emergenz: Kernphysik aus QCD, Atom- und Molkülphysik aus QED, Supraleitung, Festkörperphysik und Elastizitätslehre, Optik, ... Chemie, Biochemie, Molekularbiologie
b) wir verstehen die Emergenz nicht: ... Strukturbildung im Organismus, Verhaltensbiologie, Geist / Verstand / Bewusstsein

Fakt ist nun, dass wir in allen Fällen, in denen (a) vorliegt, wir heute sicher sagen können, dass emergente Gesetze ohne zusätzliche Zutat aus den fundamentalen Gesetzen ableitbar sind, und dass es prinzipiell ausreichend ist, die fundamentale Ebene zu betrachten. Salopp gesprochen folgt die Biochemie aus der QED und QCD
Einverstanden, für alle Fälle, wo a) vorliegt.
tomS hat geschrieben:
11. Jan 2019, 08:08
In den Fällen, in denen (b) vorliegt, erkenne ich zwei verschiedene Argumentationsmuster:
...
tomS hat geschrieben:
11. Jan 2019, 08:08
TomS: 1) Auch wird das reale Verhalten höherer Systeme kausal ausschließlich durch die fundamentalen Entitäten bedingt. 2) Gesetze auf höherer Ebene haben strukturierenden, ordnenden Charakter. Das Vorliegen von (b) besagt nichts über die (1), d.h. unsere Unkenntnis der Emergenz bei (2) führt nicht zu etwas qualitativ Neuem bei (1). Vereinfacht: (1) ist reduzibel, (2) ist praktisch irreduzibel - möglicherweise kann sich das ändern - und es ändert sich in immer mehr Fachbereichen
Ich bin da gar nicht weit weg von dir. Es geht hier um Überdeterminiertheit.

Ich weise nur u.a. auf folgende Schwierigkeiten bzw. Unsicherheiten hin:

- selbst wenn es so ist, nützt das gar nichts, wenn man solche Systeme in der Realität sinnvoll beschreiben will

- es ist nicht klar, ob unsere Welt vollständig kausal-exakt nach fundamentalen Gesetzmäßigkeiten, die noch dazu allein im Allerkleinsten zu finden sind, abläuft

- die Welt ist in ihrer konkreten Entwicklung nicht allein durch die NG festgelegt, es braucht zusätzlich noch die Naturkonstanten und Anfangsbedingungen und ein Bewegungsmoment. Durch die prinzipiell unbekannten exakten Anfangsbedingungen (die ja keine Naturgesetze sind) und evtl. auch durch nicht a priori ausschließbare Störungen 'von außen' wird ein Freiraum aufgespannt, das zu einem Rauschen führt, aus dem komplexe Systeme aus der Bewegung heraus neue inhärente gesetzliche Muster gewinnen können, die die Wikipedia-Definition von "Naturgesetz" erfüllen. Im Grunde kann man das so sehen, dass aus den Anfangsbedingungen erkennbare Muster gewonnen werden.

- natürliche komplexe Systeme können so sensitiv sein, dass man für eine korrekte Beschreibung als Systemgrenzen mindestens das gesamte beobachtbare, wenn nicht das ganze Universum festlegen müsste, das ist uns nicht möglich bzw. führt uns nicht weiter. Das ist zunächst eher eine praktische Grenze, die aber für uns fundamental ist, denn was wir nicht exakt definieren können, können wir auch nicht exakt beschreiben und auch nicht vollständig auf etwas anderes reduzieren. Und sie setzt die Existenz "Universum als fixes Ganzes voraus", falls das so nicht existiert oder nicht vollständig definierbar ist, ist das sogar eine prinzipielle Grenze.

- eine mathematische Durchführung dieses Programms der Reduktion ist bei echt-komplexen Systemen ebenso unmöglich, schon deshalb weil irrationale Zahlen unendlich viele Nachkommastellen haben, es ist dabei notorisch unklar, ob diese Idealisierung die Natur korrekt abbildet.

Das heißt für mich insgesamt:
Dein ganzer Gedankenaufbau ist mir zu unsicher, du musst mir zu viele Annahmen treffen, um klare, sichere Aussagen gewinnen zu können.
Deshalb konzentriere ich mich ab dem Punkt lieber auf das, was man praktisch-empirisch-konkret feststellen kann.

tomS hat geschrieben:
11. Jan 2019, 08:08
Damit ist es letztlich eine Glaubenssache: ich bin bzgl. der Reduzibilität ein Optimist und glaube nicht, dass unsere gegenwärtige Unkenntis bei (2b) etwas fundamentales über (1) aussagt; ihr seid diesbzgl. Pessimisten und denkt, dass (2b) selbst eine gewisse Realität der Natur selbst = bei (1) widerspiegelt. Ich extrapoliere den Erfolg von (2a); ihr extrapoliert dem Misserfolg bei (2b).
So wärst du aus meiner Sicht sogar ein ein tollkühner Optimist, es besteht aus meiner Sicht überhaupt keine Hoffnung, dass das in deinem Sinne jemals vollständig gelingen könnte. Auf der Beschreibungsebene ist es prinzipiell unmöglich.

Zur Wiederholung:

Ich denke, die Frage aus Perspektive der Physik lautet:

Wie ist es möglich bzw. soll es möglich sein, dass in einer vollständig determinierten Welt, die durch die bekannten grundlegenden linearen Naturgesetze der Physik bereits vollständig festgelegt ist, weitere echte Naturgesetzlichkeiten hervortreten können (z.B. in komplexen Systemen)?
Denn das wäre dann eine Übedeterminierung der Welt und das würde daher keinen Sinn machen.

Auf diese Frage gibt es verschiedene Antworten:

a) es ist nicht möglich
b) die Welt ist nicht vollständig determiniert
c) die 'weiteren NG' kommen letztlich aus den Anfangsbedingungen plus dem Bewegungsmoment, aus denen sie sozusagen explizit werden, als naturgesetzlicher Ausdruck der Anfangsbedingungen


Außerdem ist es hier hilfreich, wenn wir ein komplexes System zum Vergleich zu natürlichen Systemen betrachten, das auf einem realen Computer läuft und ausschließlich mit endlichen Werten der natürlichen Zahlen arbeitet, also sicher vollständig exakt und determiniert abläuft.
Lassen sich hier grundlegende Unterschiede zu einem natürlichen komplexen System ausmachen oder nicht?
Auf diesem Weg ließe sich u.a. evtl. ein besserer Einblick in die Optionen b) und c) gewinnen.
Grüße
seeker


Wissenschaft ... ist die Methode, kühne Hypothesen aufstellen und sie der schärfsten Kritik auszusetzen, um herauszufinden, wo wir uns geirrt haben.
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Re: Instabilität

Beitrag von tomS » 12. Jan 2019, 15:44

seeker hat geschrieben:
12. Jan 2019, 14:02
Wir können festhalten, dass natürliche komplexe Systeme immer Prozesse sind und vom Entropiedurchfluss leben:
niederentropischer Input -> komplexes System -> hochentropischer Output
Richtig, jedoch irrelevant.

Wenn man das System Erde - Mond - Sonne - alleine betrachtet, dann sollte sich an Prozessen für Leben nichts ändern (wir lassen mal Meteoriteneinschläge usw. außen vor). Dann denke ich mir dieses System als abgeschlossen in einer Kugel mit Radius > 5 Mrd. LJ. Damit habe ich ein abgeschlossenes, quantenmechanisches System mit Entropie = 0 = const. Dieses System modelliere ich nun.
seeker hat geschrieben:
12. Jan 2019, 14:02
tomS hat geschrieben:
11. Jan 2019, 08:08
In der klassischen Mechanik resultiert das Verhalten komplexer Systeme aus Nichtlinearitäten / Rückkopplungen und / oder Zufall.

In der Quantenmechanik existiert dies alles - ohne den Messprozess - sicher nicht. Trotzdem folgt die Dynamik klassischer Systeme als Näherung aus quantenmechanischen Systemen, die zunächst linear und deterministisch sind. Der mathematische Formalismus ist verwickelt, jedoch gut verstanden. Fakt ist jedenfalls, dass ein auf fundamentaler Ebene lineares System auf höherer Ebene nichtlinearen Gesetzen zu folgen scheint.
Aha, als Näherung.

Woher weiß man, dass hier eine Näherung ausreichend ist?
Es geht nicht darum, dass die Näherung unzureichend wäre, es geht um etwas völlig anderes!

Zunächst mal diskutiere ich prinzipiell, nicht praktisch. Eine unzureichende Näherung kann man durch eine bessere ersetzen - es sei denn, jemand beweist mir das Gegenteil. Tatsache ist jedoch, dass die mathematische Existenz und Konsistenz der Quantenmechanik gesichert ist; Probleme mit treten dann eben höchstens in Näherungen auf.

Dann ist es üblicherweise so, dass aus der Quantenmechanik die klassischen Gleichungen plus Korrekturme resultieren, also Terme mit h, h², ... Die klassischen Gleichung alleine wäre eine Näherung, aber wir können das besser.

Aber wie gesagt, es geht um etwas anderes. Ja, die Quantenmechanik ist linear, trotzdem können wir die nicht-Linearität klassischer Systeme quantenmechanisch verstehen, d.h. diese nicht-Linearität steht nicht im Widerspruch zur Linearität der Quantenmechanik. Letztere existiert auf Ebene der Zustände |ψ(t)> = U(t) |ψ(0)>, erstere auf der Ebene x(t), p(t). Klassische Orbits - auch für nicht-lineare und/oder chaotische Systeme resultieren als stationäre Punkte des Pfadintegrals.
seeker hat geschrieben:
12. Jan 2019, 14:02
tomS hat geschrieben:
11. Jan 2019, 08:08
Das ist nicht das, worauf ich hinauswollte, und daher ist die Schlussfolgerung explizit falsch.

Du fokussierst zumeist auf praktische Aspekte. Das ist OK, aber du darfst daraus keine prinzipiellen Schlussfolgerungen ableiten.

Im Falle der Algorithmen geht es nicht um die praktische Implementierung sondern um die theoretische Klassifizierung. Deine praktischen Aspekte kommen erst bei der Umsetzung und damit einer Näherung ins Spiel, während die Klassifizierung natürlich am idealisierten System vorgenommen wird.
Du hast Recht, dass ich anders denke ... Ich denke ... dass ich Theorien oder theoretischen Überlegungen mehr misstraue als du.
Verstanden - siehe dazu mein letzter Beitrag:

Du erwartest für meine Hypothese der vollständigen Reduzibilität einen Beweis. Ich akzeptiere diese Hypothese als vernünftig, solange ich keinen Gegenbeweis sehe.
seeker hat geschrieben:
12. Jan 2019, 14:02
tomS hat geschrieben:
11. Jan 2019, 08:08
Es gibt hier zwei Arten der Emergenz:
1) Die Emergenz von realen Mustern, Verhalten und Prozessen aus fundamentalen Entitäten
2) Die Emergenz von diesbzgl. Gesetzen

Beides ist voneinander völlig verschieden!!
Das verstehe ich nicht ganz, bzw. erscheint es mir zweifelhaft, dass man das überhaupt ganz sauber trennen kann ohne dann doch wieder etwas zu vernachlässigen, das nicht vernachlässigt werden darf. Naturgesetze existieren in dem Sinne gar nicht.
Sie existieren, jedoch nicht als „Dinge“. Das läuft letztlich auf das Mind-Body-Problem hinaus.
seeker hat geschrieben:
12. Jan 2019, 14:02
Naturgesetze sind für mich zunächt einmal stabile, überall und immer wiederkehrende Muster im Geschehen (also der Dynamik!) der Natur, die von uns so statisch-fix abstrahiert und formalisiert wurden, dass sie als quantitativ mathematische Relationen in Gleichungen ausdrückbar wurden. Also sind Naturgesetze statische, abstrakte, verallgemeinernde Abbilder der von uns erkannten Muster einer dynamsichen Natur aus vielen wiederkehrenden Einzelfällen - und sie sind ein geistiges Produkt.
Ja.
seeker hat geschrieben:
12. Jan 2019, 14:02
Wichtig ist mir hier auch, dass durch diese definierte Perspektive schon festgelegt von vorneherein kein Naturgesetz veränderlich/dynamisch sein kann, obwohl es die wirklichen Muster, die in der Natur beobachtbar sind, immer sind: Durch Naturgesetze wird Dynamik statisch abgebildet.
Die zu stellende Frage lautet: Geht das vollständig?
Die Frage ist: ist das hier wichtig?

Ihr springt ständig zwischen irgendwelchen Ideen als Begründung für die Irreduzibilität hin und her. Wenn wir über die uns heute bekannten und für die Biologie relevanten Naturgesetze reden, dann sind diese ja wohl heute und morgen die selben. Also ist das Problem heute und morgen reduzibel, in zehn Jahren dann aber nicht mehr?

Das ist doch nicht der Punkt.

Wichtig wäre, dass ihr ein auf der Ebene der Biologie angesiedeltes Gesetz findet, das begründbar oder beweisbar irreduzibel ist, das der QM widerspricht, das nicht den Charakter eines unveränderlichen Gesetz haben könnte, ... Solange ihr ein derartiges Gesetz nicht findet sind das alles lediglich - sehr komplizierte - Indizien für eure grundsätzliche philosophische Position.

Ich habe eine andere philosophische Haltung. Indizien helfen dann gar nichts.

seeker hat geschrieben:
12. Jan 2019, 14:02
Aber gut, verfolgen wir das einmal

...

Einverstanden, für alle Fälle, wo a) vorliegt.
Ich bin da gar nicht weit weg von dir.
Prima.
seeker hat geschrieben:
12. Jan 2019, 14:02
Ich weise nur u.a. auf folgende Schwierigkeiten bzw. Unsicherheiten hin:

- selbst wenn es so ist, nützt das gar nichts, wenn man solche Systeme in der Realität sinnvoll beschreiben will

- es ist nicht klar, ob unsere Welt vollständig kausal-exakt nach fundamentalen Gesetzmäßigkeiten, die noch dazu allein im Allerkleinsten zu finden sind, abläuft

- die Welt ist in ihrer konkreten Entwicklung nicht allein durch die NG festgelegt, es braucht zusätzlich noch die Naturkonstanten

- durch die prinzipiell unbekannten exakten Anfangsbedingungen (die ja keine Naturgesetze sind) und evtl. auch durch nicht a priori ausschließbare Störungen 'von außen' wird ein Freiraum aufgespannt, das zu einem Rauschen führt

- natürliche komplexe Systeme können so sensitiv sein, dass man für eine korrekte Beschreibung als Systemgrenzen ... das gesamte beobachtbare, wenn nicht das ganze Universum festlegen müsste
- ja, habe ich nie bestritten

- es ist eine Hypothese, die bisher immer bestätigt wurde

- Naturkonstanten können als Teil der Naturgesetze gelten

- das ist nicht richtig; unbekannte Anfangsbedingungen führen nicht zu Rauschen, sondern - je Anfangsbedingung - zu einer kausalen Trajektorie.

- ja - s.o.
seeker hat geschrieben:
12. Jan 2019, 14:02
- eine mathematische Durchführung dieses Programms der Reduktion ist bei echt-komplexen Systemen ebenso unmöglich, schon deshalb weil irrationale Zahlen unendlich viele Nachkommastellen haben, es ist dabei notorisch unklar, ob diese Idealisierung die Natur korrekt abbildet.
Nein:

Reduzibilität bedeutet lediglich die Darstellung mittels eines mathematischen Formalismus sowie der Beweis der Äquivalenz des mikroskopischen mit dem mikroskopischen Formalismus. Dabei spielen Idealisierungen oder Beschränkungen von Computern keine Rolle.

Dann:

Man kann sehr einfach klassische bzw. makroskopische Gleichungen aufstellen, die im Widerspruch zur Quantenmechanik stehen. Wenn nun ein makroskopisches System derartigen Gleichungen folgt, dann hätte man den Beweis für die Irreduzibilität dieses Systens bzgl. der bekannten Quantenmechanik.

Ihr seid herzlichen eingeladen, derartige Gleichungen für die Biologie zu benennen, dann können wir die Konsequenzen diskutieren. Bisher sehe ich jedoch überhaupt keine Gleichungen der Biologie, die wir überprüfen könnten! Die Aufgabe ist also nicht, zu diskutieren, ob die Biologie reduzibel oder irreduzibel ist, die Aufgabe wäre, die Biologie überhaupt so zu formalisieren, dass man diese Prüfung durchführen kann!

Evtl. ist diese Formalisierung der Biologie nicht möglich. Das wäre dann ein Indiz für deren Irreduzibilität, zumindest praktisch für unseren menschlichen Intellekt. D.h. auch, dass die Biologie tatsächlich reduzibel sein könnte, ohne das wir dies erkennen können - siehe Gehirn/Geist.

Ich sehe zwei Kandidaten für makroskopisches Systeme, wo die Irreduzibilität explizit Probleme bereitet: Gehirn/Geist sowie Gravitation. Die Biologie mit Ausnahme Gehirn/Geist zähle ich nicht dazu, solange ich keinen einzigen Ansatz oder Versuch der Reduzibilität sehe, der explizit gescheitert ist. Bis auf weiteres ist die Biologie für uns höchstens deswegen irreduzibel, weil wir es nicht versuchen (oder weil wir es schlichtweg glauben und deswegen nicht versuchen).
seeker hat geschrieben:
12. Jan 2019, 14:02
Das heißt für mich insgesamt:
Dein ganzer Gedankenaufbau ist mir zu unsicher, du musst mir zu viele Annahmen treffen, um klare, sichere Aussagen gewinnen zu können.
Deshalb konzentriere ich mich ab dem Punkt lieber auf das, was man praktisch-empirisch-konkret feststellen kann.
Was ist daran so kühn?

Im Falle der Quantenmechanik glaube ich daran, dass sie auch biologische Systeme vollständig determiniert, dass man jedoch auf der makroskopischen Ebene besser makroskopischen Gesetzen verwendet, die jedoch auf den fundamentalen Gesetzen beruhen (mit Ausnahme Mind/Body, wo ich nur vermuten kann, dass dies so ist, ohne es je verstehen zu können). Das glaubt so ziemlich jeder Physiker, und bisher gibt es keine Belege, dass dies nicht so wäre.

Umgekehrt: dein Gedankenaufbau ist zu unsicher. Du hast schlichtweg keine quantitativen, biologischen Gesetze, für die wir konkret diskutieren können, ob sie reduzibel oder irreduzibel sind. Diese Sittiation können wir natürlich empirisch feststellen, und damit wäre die Biologie heute - empirisch - irreduzibel.

Bleiben die Fragen: warum? wirklich? glauben wir das nur? können wir das wissen?
seeker hat geschrieben:
12. Jan 2019, 14:02
So wärst du aus meiner Sicht sogar ein ein tollkühner Optimist, es besteht aus meiner Sicht überhaupt keine Hoffnung, dass das in deinem Sinne jemals vollständig gelingen könnte.
Ich behaupte gar nicht, dass es praktisch vollständig möglich ist. Ich habe lediglich die Hypothese, dass es prinzipiell möglich ist, und freue mich auf ein Gegenbeispiel. Willkommen bei Platon ... Penrose ... TomS.
Gruß
Tom

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Re: Instabilität

Beitrag von seeker » 12. Jan 2019, 17:11

tomS hat geschrieben:
12. Jan 2019, 15:44
seeker hat geschrieben: ↑
12. Jan 2019, 14:02
Wir können festhalten, dass natürliche komplexe Systeme immer Prozesse sind und vom Entropiedurchfluss leben:
niederentropischer Input -> komplexes System -> hochentropischer Output

Richtig, jedoch irrelevant.
Nicht zu schnell mit dem Urteil... erst einmal so stehen lassen.
tomS hat geschrieben:
12. Jan 2019, 15:44
Wenn man das System Erde - Mond - Sonne - alleine betrachtet, dann sollte sich an Prozessen für Leben nichts ändern (wir lassen mal Meteoriteneinschläge usw. außen vor). Dann denke ich mir dieses System als abgeschlossen in einer Kugel mit Radius > 5 Mrd. LJ. Damit habe ich ein abgeschlossenes, quantenmechanisches System mit Entropie = 0 = const. Dieses System modelliere ich nun.
Damit machst du einen nicht-vernachlässigbaren Fehler, wenn du längere Zeiträume betrachtest.
Photonen aus Gegenden von 6 Mrd Lj Entfernung können auf ein biologisches System treffen, das sich gerade an einem sensitiven Punkt befindet und dadurch seine weitere Entwicklung messbar, ja sogar völlig verändern. Wenn die biologischen Systeme Menschen sind (und das hat nichts mit ihrem Bewusstsein zu tun), können sogar indirekt noch Gegebenheiten aus jeder beliebigen Entfernung relevante Wirkungen verursachen, wenn die Menschen aus indirekten Hinweisen Theorien bilden (also Wissenschaft betreiben), was dann ihre weitere Entwicklung verändert. Du kannst hier keine isolierten Systeme bilden, ohne etwas zu vernachlässigen...
tomS hat geschrieben:
12. Jan 2019, 15:44
Aber wie gesagt, es geht um etwas anderes. Ja, die Quantenmechanik ist linear, trotzdem können wir die nicht-Linearität klassischer Systeme quantenmechanisch verstehen, d.h. diese nicht-Linearität steht nicht im Widerspruch zur Linearität der Quantenmechanik. Letztere existiert auf Ebene der Zustände |ψ(t)> = U(t) |ψ(0)>, erstere auf der Ebene x(t), p(t). Klassische Orbits - auch für nicht-lineare und/oder chaotische Systeme resultieren als stationäre Punkte des Pfadintegrals.
Da muss ich drüber nachdenken. Ich glaube, im Grunde behauptest du mit dem Argument, dass es nichtlineare Systeme in Wirklichkeit gar nicht gäbe.
tomS hat geschrieben:
12. Jan 2019, 15:44
Du erwartest für meine Hypothese der vollständigen Reduzibilität einen Beweis. Ich akzeptiere diese Hypothese als vernünftig, solange ich keinen Gegenbeweis sehe.
Genau, ich erwarte einen Beweis.
Warum?
Du führst das hier an:
tomS hat geschrieben:
12. Jan 2019, 15:44
- es ist eine Hypothese, die bisher immer bestätigt wurde
Eben nicht! Sie wurde immer nur für einfache, nicht-komplexe Systeme bestätigt, nicht mehr, nicht weniger!
Ich kann nicht eine rosarote Brille aufsetzen und dann sagen: "Bisher war alles was ich gesehen habe rosarot! Deshalb ist es vernünftig anzunehmen, dass alles rosarot ist! Wenn jemand etwas anderes sagt, soll er einen Beweis vorlegen. Aber meine Brille setze ich dabei auf keinen Fall ab, damit das von vorne herein klar ist!"
Nein, stattdessen sollte man vielleicht einmal bereit sein, seine Brille abzusetzen und eine andere Perspektive einzunehmen.
Deine Einstellung will ich dir dabei gar nicht nehmen, aber so sehe ich das halt, das solltest du genauso akzeptieren.
tomS hat geschrieben:
12. Jan 2019, 15:44
Wichtig wäre, dass ihr ein auf der Ebene der Biologie angesiedeltes Gesetz findet, das begründbar oder beweisbar irreduzibel ist, das der QM widerspricht, das nicht den Charakter eines unveränderlichen Gesetz haben könnte, ... Solange ihr ein derartiges Gesetz nicht findet sind das alles lediglich - sehr komplizierte - Indizien für eure grundsätzliche philosophische Position.

Ich habe eine andere philosophische Haltung. Indizien helfen dann gar nichts.
Darauf läuft es wohl am Ende heraus. Auch du kannst am Ende nur Indizien anführen.

seeker hat geschrieben: die Welt ist in ihrer konkreten Entwicklung nicht allein durch die NG festgelegt, es braucht zusätzlich noch die Naturkonstanten
tomS hat geschrieben:
12. Jan 2019, 15:44
Naturkonstanten können als Teil der Naturgesetze gelten
Nein, so heute nicht.
Im Grunde ist hier die Aufgabe der Physik eine Theorie zu entwickeln und zu konsolidieren, aus der sich auch alle Konstanten und die Anfangsbedingungen im Urknall exakt herleiten lassen.
Wenn das geschafft ist und es unter den sich dann ergebenden, neuen, heute noch unbekannten Naturgesetzen, dann noch eine vollkausale Theorie ist, dann können wir drüber reden, dass ich deine Position als "am wahrscheinlichsten wahr" akzeptiere. So ist es aber heute nicht, lange nicht.
Bis dahin sind die Naturkonstanten und die Anfangsbedingungen etwas, das auf unerfindliche Weise "vom Himmel herabgefallen" ist.
durch die prinzipiell unbekannten exakten Anfangsbedingungen (die ja keine Naturgesetze sind) und evtl. auch durch nicht a priori ausschließbare Störungen 'von außen' wird ein Freiraum aufgespannt, das zu einem Rauschen führt
tomS hat geschrieben:
12. Jan 2019, 15:44
das ist nicht richtig; unbekannte Anfangsbedingungen führen nicht zu Rauschen, sondern - je Anfangsbedingung - zu einer kausalen Trajektorie.
Nehmen wir an, manche Gesetzmäßigkeiten, Muster, die wir heute in komplexen Systemen finden können, wären schon in den Anfangsbedingungen sozusagen 'codiert' gewesen, dergestalt, dass sie erst zusammen mit den Konstanten und den bekannten Naturgesetzen diesen Code ergeben...
Dann wäre die Welt noch für dich in Ordnung, so lange du an eine vollkausale Herkunft der Konstanten und Anfangsbedingungen glauben kannst, dann wären aber geleichzeitig Muster und Gesetze möglich, die eben nicht nur auf den bekannten Naturgesetzen aufbauen würden.
Und für uns wäre sie das wohl auch, denn diese Muster wären dennoch in dem Sinne fundamental in unserem Universum.
tomS hat geschrieben:
12. Jan 2019, 15:44
- eine mathematische Durchführung dieses Programms der Reduktion ist bei echt-komplexen Systemen ebenso unmöglich, schon deshalb weil irrationale Zahlen unendlich viele Nachkommastellen haben, es ist dabei notorisch unklar, ob diese Idealisierung die Natur korrekt abbildet.
Jein.

Man kann sehr einfach klassische bzw. makroskopische Gleichungen aufstellen, die im Widerspruch zur Quantenmechanik stehen. Wenn nun ein makroskopisches System derartigen Gleichungen folgt, dann hätte man den Beweis für die Irreduzibilität dieses Systens bzgl. der bekannten Quantenmechanik.

Ihr seid herzlichen eingeladen, derartige Gleichungen für die Biologie zu benennen, dann können wir die Konsequenzen diskutieren. Bisher sehe ich jedoch überhaupt keine Gleichungen der Biologie, die wir überprüfen könnten! Die Aufgabe ist also nicht, zu diskutieren, ob die Biologie reduzibel oder irreduzibel ist, die Aufgabe wäre, die Biologie überhaupt so zu formalisieren, dass man diese Prüfung durchführen kann!

Evtl. ist diese Formalisierung der Biologie nicht möglich. Das wäre dann ein Indiz für die Irreduzibilität, zumindest praktisch für unseren menschlichen Intellekt.
Ich bin der Überzeugung, dass das sicher so nicht möglich sein wird, nicht komplett. Man muss hier nunmal die Brille der Physik teilweise absetzen und andere Wege gehen oder akzeptieren, dass man diese Systeme sonst so gut wie gar nicht versteht. Das wollen wir heute nicht mehr akzeptieren.
Daher macht es keinen Sinn zu fordern: "Die Biologie soll so wie die Physik sein." Das kann sie nicht, nicht vollständig, nur in kleinen Teilen.


Wir sollten die Komplexität im realen Computer diskutieren und sie mit natürlichen Systemen vergleichen, vielleicht lernen wir etwas daraus...
Man kann dort auch untersuchen, was unterschiedliche Anfangsbedingungen bei fixen Systemgesetzen bewirken und vieles mehr...
Grüße
seeker


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Re: Instabilität

Beitrag von tomS » 12. Jan 2019, 17:57

seeker hat geschrieben:
12. Jan 2019, 17:11
tomS hat geschrieben:
12. Jan 2019, 15:44
Wenn man das System Erde - Mond - Sonne - alleine betrachtet, dann sollte sich an Prozessen für Leben nichts ändern (wir lassen mal Meteoriteneinschläge usw. außen vor). Dann denke ich mir dieses System als abgeschlossen in einer Kugel mit Radius > 5 Mrd. LJ. Damit habe ich ein abgeschlossenes, quantenmechanisches System mit Entropie = 0 = const. Dieses System modelliere ich nun.
Damit machst du einen nicht-vernachlässigbaren Fehler, wenn du längere Zeiträume betrachtest.
Ja, für > 6 Mrd Jahre.
seeker hat geschrieben:
12. Jan 2019, 17:11
Du kannst hier keine isolierten Systeme bilden, ohne etwas zu vernachlässigen...
Doch, das gesamte Universum.

Aber das ist irrelevant, wenn ich das Leben hier und heute für einen Tag modellieren will. Und ihr behauptet ja, dass auch das nicht ginge.
seeker hat geschrieben:
12. Jan 2019, 17:11
tomS hat geschrieben:
12. Jan 2019, 15:44
Aber wie gesagt, es geht um etwas anderes. Ja, die Quantenmechanik ist linear, trotzdem können wir die nicht-Linearität klassischer Systeme quantenmechanisch verstehen, d.h. diese nicht-Linearität steht nicht im Widerspruch zur Linearität der Quantenmechanik. Letztere existiert auf Ebene der Zustände |ψ(t)> = U(t) |ψ(0)>, erstere auf der Ebene x(t), p(t). Klassische Orbits - auch für nicht-lineare und/oder chaotische Systeme resultieren als stationäre Punkte des Pfadintegrals.
Da muss ich drüber nachdenken. Ich glaube, im Grunde behauptest du mit dem Argument, dass es nichtlineare Systeme in Wirklichkeit gar nicht gäbe.
Nein, das behaupte ich nicht.

Die Quantenmechanik ist streng linear bzgl. der Zeitentwicklung von |ψ(t)>, jedoch nichtlinear in H[x,p]. Diese nicht-Linearität ist in der Quantenmechanik irrelevant, wird jedoch dann sichtbar, wenn man zur Betrachtung klassischer Trajektorien x(t), p(t) übergeht. Die nicht-Linearität klassischer Systeme geht somit mathematisch beweisbar aus den ihnen zugrundeliegenden linearen quantenmechanischen Systemen hervor. Damit sind diese trotz nicht-Linearität beweisbar reduzibel.
seeker hat geschrieben:
12. Jan 2019, 17:11
tomS hat geschrieben:
12. Jan 2019, 15:44
Du erwartest für meine Hypothese der vollständigen Reduzibilität einen Beweis. Ich akzeptiere diese Hypothese als vernünftig, solange ich keinen Gegenbeweis sehe.
Genau, ich erwarte einen Beweis.
Warum?
Du führst das hier an:
tomS hat geschrieben:
12. Jan 2019, 15:44
- es ist eine Hypothese, die bisher immer bestätigt wurde
Eben nicht! Sie wurde immer nur für einfache, nicht-komplexe Systeme bestätigt, nicht mehr, nicht weniger!
Ich kann nicht eine rosarote Brille aufsetzen und dann sagen: "Bisher war alles was ich gesehen habe rosarot!
Du hast auch eine Brille auf - s.u.

Und es ist keineswegs so, dass die Physiker nur einfache, nicht-komplexe Systeme betrachten; das ist schlichtweg nicht wahr!
seeker hat geschrieben:
12. Jan 2019, 17:11
Nein, stattdessen sollte man vielleicht einmal bereit sein, seine Brille abzusetzen und eine andere Perspektive einzunehmen.
Wenn ich das nicht wäre, würde ich hier nicht diskutieren.

Andersherum: ich habe gesicherte Beispiele für Reduzibilität, ihr habt keine gesicherten Beispiele für Irreduzibilität. Meine Hypothese ist nach Popper nicht unvernünftig. Anstatt eine andere Perspektive einzunehmen könnte ihr auch meine einnehmen und explizit zu widerlegen versuchen. Das wäre jedenfalls die Poppersche Methode.
seeker hat geschrieben:
12. Jan 2019, 17:11
Darauf läuft es wohl am Ende heraus. Auch du kannst am Ende nur Indizien anführen.
Ja, ich habe mich dabei schon mit eingeschlossen.
seeker hat geschrieben:
12. Jan 2019, 17:11
tomS hat geschrieben:
12. Jan 2019, 15:44
Naturkonstanten können als Teil der Naturgesetze gelten
Nein, so heute nicht.
Im Grunde ist hier die Aufgabe der Physik eine Theorie zu entwickeln und zu konsolidieren, aus der sich auch alle Konstanten und die Anfangsbedingungen im Urknall exakt herleiten lassen.
Können wir mal beim Thema bleiben? bestreitest du jetzt, dass die QED Naturgesetze beschreibt? weil sie zwei Konstanten enthält? und ist das relevant, wenn es um die Irreduzibilität der Biologie auf die QM geht?
seeker hat geschrieben:
12. Jan 2019, 17:11
tomS hat geschrieben:
12. Jan 2019, 15:44
.Man kann sehr einfach klassische bzw. makroskopische Gleichungen aufstellen, die im Widerspruch zur Quantenmechanik stehen. Wenn nun ein makroskopisches System derartigen Gleichungen folgt, dann hätte man den Beweis für die Irreduzibilität dieses Systens bzgl. der bekannten Quantenmechanik.

Ihr seid herzlichen eingeladen, derartige Gleichungen für die Biologie zu benennen, dann können wir die Konsequenzen diskutieren. Bisher sehe ich jedoch überhaupt keine Gleichungen der Biologie, die wir überprüfen könnten! Die Aufgabe ist also nicht, zu diskutieren, ob die Biologie reduzibel oder irreduzibel ist, die Aufgabe wäre, die Biologie überhaupt so zu formalisieren, dass man diese Prüfung durchführen kann!

Evtl. ist diese Formalisierung der Biologie nicht möglich. Das wäre dann ein Indiz für die Irreduzibilität, zumindest praktisch für unseren menschlichen Intellekt.
Ich bin der Überzeugung, dass das sicher so nicht möglich sein wird, nicht komplett. Man muss hier nunmal die Brille der Physik teilweise absetzen und andere Wege gehen oder akzeptieren, dass man diese Systeme sonst so gut wie gar nicht versteht. Das wollen wir heute nicht mehr akzeptieren.
Daher macht es keinen Sinn zu fordern: "Die Biologie soll so wie die Physik sein." Das kann sie nicht, nicht vollständig, nur in kleinen Teilen.
Sorry, aber das ist kein Argument sondern nur weil, so schließt er messerscharf, nicht sein kann, was nicht sein darf.

Du bestreitest die Reduzibilität einer Theorie auf eine andere, physikalische Theorie. Der Idee, dies tatsächlich zu versuchen und ggf. zum Scheitern zu führen - theoretisch oder auch experimentell - begegnest du mit “Das kann sie nicht, nicht vollständig, nur in kleinen Teilen”. Einer Behauptung, “X funktioniert”, kannst du aber nur dadurch begegnen, dass du ausprobierst, ob X funktioniert oder nicht. D.h. du musst selbst die Brille der Physik aufsetzen; du musst es - gemeinsam mit dem Physiker - konkret tun, um festzustellen, wer Erfolg hat oder wer scheitert. Tust du es nicht, lernst du nichts - der Physiker übrigens auch nicht - behältst aber natürlich deine Überzeugung.

Und das "die Biologie soll so wie die Physik sein" habe ich nie behauptet. Selbst wenn biologische Gesetze vollständig auf physikalische Gesetze reduzibel sind, bleibt die Biologie dennoch Biologie, weil diese Reduzibilität für die Biologie in der Praxis völlig irrelevant ist.
Gruß
Tom

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Re: Instabilität

Beitrag von seeker » 12. Jan 2019, 21:02

tomS hat geschrieben:
12. Jan 2019, 17:57
Aber das ist irrelevant, wenn ich das Leben hier und heute für einen Tag modellieren will. Und ihr behauptet ja, dass auch das nicht ginge.
Ja. Deshalb, weil es hier halt verschiedene Grenzen aus unterschiedlichen Richtungen gibt.
Kein Argument, das ich anbringen kann, gilt für alles. Auch die Argumente sind nicht auf ein einziges reduzibel... :)
tomS hat geschrieben:
12. Jan 2019, 17:57
Nein, das behaupte ich nicht.

Die Quantenmechanik ist streng linear bzgl. der Zeitentwicklung von |ψ(t)>, jedoch nichtlinear in H[x,p]. Diese nicht-Linearität ist in der Quantenmechanik irrelevant, wird jedoch dann sichtbar, wenn man zur Betrachtung klassischer Trajektorien x(t), p(t) übergeht. Die nicht-Linearität klassischer Systeme geht somit mathematisch beweisbar aus den ihnen zugrundeliegenden linearen quantenmechanischen Systemen hervor. Damit sind diese trotz nicht-Linearität beweisbar reduzibel.
Hört sich interessant an. Das müsstest du mir bei Gelegenheit einmal in einem anderen Thread erklären, ich denke hier führt es zu weit.
tomS hat geschrieben:
12. Jan 2019, 17:57
Du hast auch eine Brille auf - s.u.
Ja natürlich! :D Wir haben alle immer und in allen Dingen eine Brille auf!
Wenn das mehr in der Welt bewusst würde, würde mich das sehr glücklich machen!
tomS hat geschrieben:
12. Jan 2019, 17:57
Und es ist keineswegs so, dass die Physiker nur einfache, nicht-komplexe Systeme betrachten; das ist schlichtweg nicht wahr!
Nein, natürlich nicht! Was da getan wird ist höchst spannend und hilfreich und bringt auch sehr gute Teilergebnisse und mehrt unser Verständnis!
Mein Punkt ist:
Ich erkenne dennoch nicht, dass bis heute auch nur ein einziges echt-komplexes System auf rein reduktivem Weg vollständig oder auch nur hinreichend gut verstanden worden wäre.
Deshalb meine Einschätzung und meine umgekehrte Forderung, dass man es erst noch zeigen soll, auch ganz im Popperschen Sinne.*
Aber wenn man mir das zeigt, bin ich der erste der das glaubt. Ich will eben sehen, sonst glaube ich nicht... :)
tomS hat geschrieben:
12. Jan 2019, 17:57
Wenn ich das nicht wäre, würde ich hier nicht diskutieren.
Danke! Ich bin sicher, wir sind hier alle keine Dogmatiker. Ich versuche wirklich auch möglichst ergebnisoffen zu bleiben.
tomS hat geschrieben:
12. Jan 2019, 17:57
Du bestreitest die Reduzibilität einer Theorie auf eine andere, physikalische Theorie. Der Idee, dies tatsächlich zu versuchen und ggf. zum Scheitern zu führen - theoretisch oder auch experimentell - begegnest du mit “Das kann sie nicht, nicht vollständig, nur in kleinen Teilen”. Einer Behauptung, “X funktioniert”, kannst du aber nur dadurch begegnen, dass du ausprobierst, ob X funktioniert oder nicht. D.h. du musst selbst die Brille der Physik aufsetzen; du musst es - gemeinsam mit dem Physiker - konkret tun, um festzustellen, wer Erfolg hat oder wer scheitert. Tust du es nicht, lernst du nichts - der Physiker übrigens auch nicht - behältst aber natürlich deine Überzeugung.
siehe oben (*)
Und nein, ich bin überhaupt nicht dagegen das zu versuchen bzw. fortzuführen und weiterzutreiben, ganz im Gegenteil!
Und ich bin auch völlig dafür weiter herauszufinden, was dabei funktioniert und was nicht.
Ich bin sogar sicher, dass man auch auf diesem Weg noch sehr viele wichtige Erkenntnisse gewinnen können wird und finde das höchst spannend!
Ich glaube nur nicht, dass man so alles herausfinden können wird, was für uns interessant ist. Man kann einzelne Fäden verfolgen, man kann vielleicht sogar Gesamtsysteme recht gut abbilden, aber ganz bekommt man diese Systeme so nicht in den Griff.
tomS hat geschrieben:
12. Jan 2019, 17:57
Können wir mal beim Thema bleiben? bestreitest du jetzt, dass die QED Naturgesetze beschreibt? weil sie zwei Konstanten enthält? und ist das relevant, wenn es um die Irreduzibilität der Biologie auf die QM geht?
Ja, bitte lass uns beim Thema bleiben. Ein nicht unwichtiger Aspekt, den ich hier erwähnt hatte, waren die Rand- und Anfangsbedingungen:
Und es ist so, dass die Physik diese beim Universum heute nicht erklären kann, also keinen kausalen Grund dafür angeben kann. Aus reduktionistisch-vollkausalem Programm heraus muss man daher nach noch fundamentaleren Theorien suchen, in der Hoffnung auch diese eines Tages stringent ableiten zu können. D.h.: Aus diesen noch unbekannten Gesetzen ließe sich dein Vorhaben vielleicht wenigstens in der Hinsicht prinzipiell (praktisch dennoch nicht) durchführen, aber mit den etablierten, derzeitig formulierten sicher nicht, nicht vollständig. Das war mein Gedanke dabei.

Was war mein Hauptgedanke, warum ist mir das mit den Randbedingungen wichtig?
Weil da mehr drinstecken kann, als man auf den ersten Blick sieht:

Schon wenn ich ganz einfache Simulationen auf einem Computer betrachte, wie das Game of Life oder die logistische Gleichung (Zeitreihenentwicklung), dann erkenne ich zumindest, dass dort die Muster die sich bilden oder nicht bilden, nicht nur von den verwendeten grundlegenden Gleichungen (sie entsprechen den Naturgesetzen) abhängen, sondern auch noch ganz stark von den Rand- und Anfangsbedingungen, also von den Werten, mit denen gestartet wird - und nicht zuletzt der Tatsache, dass man das Programm auch noch 'laufen lassen' muss, damit etwas passiert und sich das entfaltet und zeigt, was da dann drin steckt.
Erst alle drei zusammen bestimmen solche Systeme. Und das muss etwas zu bedeuten haben.

https://de.wikipedia.org/wiki/Conways_Spiel_des_Lebens
https://de.wikipedia.org/wiki/Logistische_Gleichung

Wie seht ihr das? Was schließt ihr daraus?
Grüße
seeker


Wissenschaft ... ist die Methode, kühne Hypothesen aufstellen und sie der schärfsten Kritik auszusetzen, um herauszufinden, wo wir uns geirrt haben.
Karl Popper

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Re: Instabilität

Beitrag von tomS » 13. Jan 2019, 13:51

ATGC hat geschrieben:
12. Jan 2019, 19:59
Descartes hatte ich angeführt, um die Methode des Erkenntnisgewinns herauszustellen und auf den fraglichen Wert derselben zu verweisen, was biologische Sachverhalte betrifft. Hier versagt sie, weil es sich bei Organismen eben nicht nur lediglich um Mechanismen handelt, die man aus der Untersuchung der Einzelteile heraus vollständig erkennen kann, sondern darüber hinaus eben auch emergente Systeme, die man nur dann vollständig erkennen kann, wenn man sie im Ganzen belässt.
Ja.

Insbs. den hervorgehoben Teil gehe ich mit. Die Gesetze auf höherer Ebene dienen u.a. im Erkenntisprozess zu dieser Strukturung. Das hatte ich auch am Beispiel des Supraleiters hervorgehoben: man kann das System quantenmechaisch modellieren, und dieses Modell enthält sicher sämtliche Strukturen. Man “erkennt” diese Strukturen jedoch nicht unbedingt, d.h. man “sieht dem quantenmechanischen Zustand nicht an”, dass da ein Flusschlauch - oder ein Magen - ist. Begriff, Bedeutung und Funktion des Flussschlauches oder des Magens sind nicht mikroskopisch determiniert, auch wenn die Wechselwirkung aller quantenmechanischen Entitäten - es sind sowohl beim Flussschlauch als auch beim Frosch die selben - in einem quantenmechanischen Zustand kodiert sind.
ATGC hat geschrieben:
12. Jan 2019, 19:59
Den Begriff "rein materialistisches Weltbild" müssten wir noch genauer herausarbeiten, damit wir nicht aneinander vorbei reden. Zunächst bin ich davon überzeugt, dass Organismen auf dem Vorhandensein von Materie und deren Wechselwirkungen untereinander beruhen und nicht darüber hinaus auf anderen Entitäten, die nicht-materiell sind. Insofern darfst Du mich ebenfalls als Anhänger eines materialistischen Weltbildes sehen, wobei ich für mich bevorzuge, den Terminus "naturalistisches Weltbild" anzuwenden.
Gut, das gehe ich natürlich mit.
ATGC hat geschrieben:
12. Jan 2019, 19:59
Was die Irreduzibilität betrifft, denke ich, dass sich über das Erreichen von höheren Komplexitätsniveaus zugleich auch neue Arten von Wechselwirkungen ergeben, die ausschließlich auf diese höheren Komplexitätsebenen bezogen sind und hier einen regulativen Charakter haben. Die Entitäten, die hier miteinander wechselwirken, sind jedoch nicht nicht-materiell, sondern sie weisen eine Organisationsstruktur auf, die den Entitäten niedrigerer Komplexitätsniveaus fehlen. Die Irreduzibilität betrifft also nicht die Materie, aus der sich die betreffenden Entitäten zusammensetzen, sondern die Organisationsstrukturen, die mit den neuen Arten von Wechselwirkungen assoziiert sind.
Auch das gehe ich mit, wenn wir uns bzgl. der “Irreduzibilität der Organisationsstrukturen“ einigen *)
ATGC hat geschrieben:
12. Jan 2019, 19:59
Ein "rein materialistisches Weltbild" wäre nach Deiner Intuition möglicherweise eins, wo die Arten und Weisen der Wechselwirkungen und die höheren Komplexitätsniveaus eine direkte Folge der Arten und Weisen der Wechselwirkungen sind, die sich auf den niedrigeren Komplexitätsniveaus abspielen, so dass sich mit geeigneten mathematischen Methoden eine direkte Ableitbarkeit der Charakteristiken der höheren Komplexitätsniveaus aus den Charakteristiken der niedrigeren Komplexitätsniveaus darstellen ließe. Falls ich damit falsch liegen sollte, bitte ich um Klarstellung und Berichtigung.
Bei dem “direkt” bin ich mir nicht sicher. Ansonsten “ja” *)
ATGC hat geschrieben:
12. Jan 2019, 19:59
Aus meiner Sicht wäre das eine moderne Form des antiken Atomismus, nur dass die Rolle der Atome jetzt von Quanten und den Elementarteilchen des Standardmodells eingenommen wird und die Wechselwirkungen zwischen diesen "Atomen" für sich genommen hinreichend sind, um die Wechselwirkungen zwischen allen Gebilden zu erklären, die sich aus den Kombinationen dieser "Atome" ergeben - einschließlich Organismen, Lebensgemeinschaften, Gesellschaften usw. usw.
Teilweise ja, mit Ausnahme von “erklären*)
ATGC hat geschrieben:
12. Jan 2019, 19:59
Diese Art von Atomismus teile ich nicht. Ich vertrete die Auffassung, dass sich über die Kombination von "Atomen" neue "Super-Atome" ergeben, deren Verhalten untereinander zugleich neue Arten von Wechselwirkungen hervorbringen, so dass sich eine weitere Ausgangsbasis ergeben kann, dass sich weitere Kombinationen hin zu "Super-super-Atomen" ergeben können, die ihrerseits wieder neue Arten von Wechselwirkungen nach sich ziehen, wenn sie miteinander in Beziehung stehen. Wir hätten somit mehrere qualitativ voneinander verschiedene Daseinsebenen, die sich hierarchisch nacheinander anordnen und jeweils eine eigene Klasse von in ihnen gültigen Gesetzmäßigkeiten aufweisen.
So hatte ich dich bisher verstanden.
ATGC hat geschrieben:
12. Jan 2019, 19:59
Vielleicht kann man sich das anhand des Menschen veranschaulichen. Jeder Mensch ist zunächst ein Gebilde, das sich aus einer Vielzahl von Elementarteilchen zusammensetzt. Hier sind die Gesetze der Quantenmechanik gültig, um den Menschen als materielles Gebilde zu beschreiben. Dann ist jeder Mensch ein Lebewesen. Hier sind die Gesetze der Biologie gültig (Physiologie, Reflexe, Wahrnehmung, Instinkte, Verhalten, Ökologie usw.), um den Menschen als Lebewesen zu beschreiben. Und dann ist der Mensch noch ein soziales Wesen. Hier kommen dann Gesetze zum Tragen, die seine sozialen Beziehungen beschreiben (Familie, Staat, Politik, Ökonomie, Kultur usw.).
Da sind wir uns einig, wenn wir zu einer bestimmten Auffassung des “beschreiben” gelangen *)

Den letzten Teil halte ich für nicht physikalisch diskutierbar; ich hatte bereits weiter oben gesagt, warum ich dies so sehe: selbst unter der Annahme der vollständigen Determiniertheit des Menschen durch mikroskopische Gesetze - einschließlich Gehirn/Verstand(Geist) - wäre diese Reduzibilität des Verstandes durch unseren Verstand nicht erkennbar. Einfaches Beispiel aus der Mathematik: es ist für eine Klasse terminierender Algorithmen mittels dieser Algorithmen nicht verstehbar, dass sie terminieren. Das Gehirn/Geist-Problem ist sicher mindestens so schwierig wie das der terminierenden Algorithmen, also nicht verstehbar. Da soziale Interaktionen im wesentlichen Interaktionen von Menschen mit Verstand sind, entzieht sich diese Ebene sicher der Reduzibilität im Sinne eines Verständnisses.
ATGC hat geschrieben:
12. Jan 2019, 19:59
Darum sehe ich die verschiedenen Daseinsebenen als qualitativ voneinander verschieden an und nicht nur quantitativ wegen der größeren Komplexität im Vergleich zur jeweils darunter liegenden Ebene. Trotzdem ist das immer noch materialistisch bzw. naturalistisch und nicht supra-naturalistisch, da ich keinerlei "Geist" oder "lenkende Intelligenz" annehme, die sich hier der Materie beigesellt, um sie sich zu höherern Entitäten organisieren zu lassen.
Auch das gehe ich mit, wenn wir uns auf eine bestimmte Bedeutung von “qualitativ verschieden” einigen *)
ATGC hat geschrieben:
12. Jan 2019, 19:59
Dein Versuch, die Evolution einer Population mittels eines Computerprogramms mathematisch zu modellieren, war diesbezüglich sehr aufschlussreich, weil hier die Knackpunkte eines solchen Anliegens deutlich geworden sind. Deine Forderung, man müsse die Biologie zunächst so formalisieren, dass sie einer mathematischen Prüfung unterzogen werden könne, die die Ableitbarkeit betrifft, ist zwar nachvollziehbar, aber sie ist zugleich auch nicht einlösbar - eben weil es sich bei Lebewesen um eine qualitativ eigenständige Klasse von Dingen handelt, die sich einer mathematischen Formalisierung entziehen.
Das gehe ich nicht mit, denn es enthält den o.g. Zirkelschluss und ist deswegen eine Glaubenshaltung.

Mein Programm lautet: lass ’ uns erstens die Gesetze der Biologie formalisieren, und zweitens diese auf die Quantenmechanik zu reduzieren
  • wenn dieses Vorhaben gelingt, haben wir die Reduzibilität bewiesen
  • wenn dieses Vorhaben an einem Widerspruch scheitert, haben wir die explizite Irreduzibilität sowie etwas qualitativ Neues jenseits der Quantenmechanik bewiesen
  • wenn wir dieses Vorhaben weder zum Erfolg noch zum Scheitern führen können - wovon ich ausgehe - dann ist dies ein Indiz dafür, dass unser Verstand dazu nicht in der Lage ist; es ist kein Beweis - weder für die Reduzibilität noch für die Irreduzibilität
Deine Aussage lautet aber verkürzt: Die Forderung der Formalisierung und Prüfung der Gesetze der Biologie bzgl. Reduzibilität ist nicht einlösbar, da es sich in der Biologie um eine qualitativ eigenständige Klasse von Entitäten handelt, die sich einer Formalisierung entziehen.

Das läuft darauf hinaus, dass du meine letztgenannte Alternative glaubst, und deswegen das Vorhaben gar nicht beginnen möchtest.

Ich gehe diese Schlussfolgerung insofern mit, als ich auch denke, dass das Forderung der Formalisierung und mathematische Prüfung bzgl. Reduzibilität nicht gelingen wird (wobei ich die Formalisierung für möglich halte, die Reduzierung selbst nicht). Ich sage jedoch explizit, dass dies zunächst lediglich eine unbewiesene Glaubenshaltung ist, und dass selbst aus dem o.g. Programm sehr wahrscheinlich keine Beweisbarkeit folgt, weil es praktisch zu schwierig ist, oder weil es prinzipiell an der Selbstbezüglichkeit scheitert (und weil letzteres bedeutet, dass man praktisches und prinzipielles Problem nicht trennen kann; wenn ich etwas in endlicher Zeit nicht erledigen kann, dann entweder, weil ich mehr Zeit brauche, oder weil es in endlicher Zeit prinzipielle nicht zu schaffen ist; beides kann ich aber in endlicher Zeit nicht voneinander unterscheiden).
ATGC hat geschrieben:
12. Jan 2019, 19:59
Wir werden lernen müssen, mit den Lücken zu leben, die sich zwischen den verschiedenen Daseinsebenen auftun und unüberbrückbar bleiben werden.
Da bin ich bei dir! Mir ist nur wichtig, wie man zu dieser Schlussfolgerung gelangt. Ich möchte verstehen können, warum wir nicht verstehen können. Die Logik dazu hat uns Gödel in die Hand gegeben, und ich wende sie auf die Biologie an.

*)

Ich komme nochmal auf die beiden Ebenen der 1) realen Prozesse sowie der 2) sie beschreibenden Gesetze zurück.

1) Form, Wechselwirkungen, Prozesse, ... von Magen und Flussschlauch sind m.E. quantenmechanisch vollständig determiniert. Das muss rein logisch so sein, denn die Quantenmechanik lässt nichts anderes zu. Sobald man annimmt, dass irgendetwas auf irgendeiner Organisationsebene Gesetzen gehorcht, die nicht in irgendeiner Form auf die Quantenmechanik reduzibel sind, dann postuliert man neue Physik.

Du musst mir nicht glauben, dass die Biologie in diesem Sinne reduzibel ist - das diskutieren wir gerade - aber du musst mir bitte glauben, dass ich mit der rein logischen Aussage bzgl. der Quantenmechanik recht habe!

Da du zustimmst, dass die Materie an sich reduzibel im Sinne der Entitäten der Quantenmechanik ist, musst du eine der beiden Alternativen akzeptieren:
i) die Dynamik der Materie ist vollständig durch die Quantenmechanik determiniert;
ii) die Dynamik der Materie ist nicht vollständig durch die Quantenmechanik determiniert.
Da nun ein Magen aus Atomen besteht, folgt seine Entwicklung aus der befruchteten Eizelle den Gesetzen der Quantenmechanik, die ihm damit letztlich auch seine Form und die Prozesse determiniert. Es ist nicht möglich, dass jedes Atom des Magens, der Nahrung, ... der Quantenmechanik gehorcht, jedoch makroskopische Formen entstehen oder Prozesse ablaufen, für die dies nicht gültig ist. Wie soll eine Form entstehen, in der Atome durch die Quantenmechanik determiniert sind, wenn die Form irgendwie nicht durch die Quantenmechanik determiniert ist? Damit wäre ein Atom an einer Stelle, die der Quantenmechanik widerspricht.

Ich denke, dass jedes beliebige Subsystem eines Organismus einschließlich des Organismus selbst sowie seiner Interaktionen den Gesetzen der Quantenmechanik folgen. D.h. wenn ich die o.g. Strukturierung sinnvoll vornehme, gelange ich zu - zumeist, jedoch nicht zwingend und nicht scharf -räumlich abzugrenzende Subsysteme. Für diese Subsysteme kann ich quantitative Gesetzmäßigkeiten finden, die die innerhalb des Subsystems ablaufenden Prozesse sowie die Interaktion und Wechselwirkung des Subsystems beschreiben (siehe jedoch 2). Ich kann dies auf Quantenmechanik zurückführen.

2) Ich sehr hier jedoch keinen Widerspruch unserer Positionen. Die Physik besagt zunächst, dass wenn man ein beliebiges System vor sich hat, dass man dies auf bestimmten Ebenen nach praktischen Gesichtspunkten strukturieren kann. Diese Strukturierung erfolgt zunächst auf Basis von Beobachtungen, d.h. der Sichtbarmachung von Formen und Prozessen und dem Vesändnis der Funktion. Letzteres tut die Biologie, in dem sie Organe, Stoffwechsel usw. identifiziert. Diese Strukturierung findet im Verstand des Forschers nach seinen Kriterien statt, nicht im betrachteten System selbst. Zumindest findet die Strukturierung im realen System in der Ebene (1) statt, nicht in (2). Natürlich gehen wir als Wissenschaftler davon aus, dass unsere Strukturierung (2) der Struktur in (1) zumindest näherungsweise isomorph ist. Darüberhinaus ist es natürlich möglich, diverse quantitative Gesetzmäßigkeiten in (2) zu finden, die für die Biologie gültig sind, und die ich auf Quantenmechanik zurückführen kann.

Einfaches Beispiel:
  • ich starte mit QED plus QCD inkl. Physik des Atomkerns
  • ich modelliere den Atomkern näherungsweise als Punkt, evtl. als klassische Ladungs- und Stromverteilung
  • ich führe mehrere Näherung durch, die mir z.B. die Dirac- oder Pauli-Gleichung liefern
  • ich betreibe Atomphysik
Dies zeigt, dass die Atomphysik auf QED und QCD reduzibel ist, d.h. ich kann im Sinne von (1) glauben, das ich mit den Quarks und Gluonen mathematische Entitäten identifiziert habe, die die Natur (näherungsweise) isomorph abbilden, und die Dynamik von Quarks und Gluonen in sämtlichen - auchhöherwertigen - Systemen vollständig determinieren.

Und ich kann im Sinne von (2) glauben, dass die Gesetze der Atomphysik auf die Gesetze von QED plus QCD reduziert werden können. Darüberhinaus habe ich im Sinne von (2) Gesetzmäßigkeiten auf einer höheren Ebene gefunden - z.B. auch bzgl. Molekülphysik, Van-der-Wals-Kräften usw. - die in den Gesetzen der QED und QCD nicht angelegt sind; ich habe diese Gesetze selbst identifiziert, weil ich zunächst mal Atome als strukturierende Objekte aufgrund meiner Beobachtungen eingeführt habe, weil ich deren Gesetzmäßigkeiten formalisiert habe, weil ich eine Hypothese bzgl. QED und QCD formuliert habe und in der Lage war, diese erstens auf fundamentaler Ebene zu testen, und zweitens die Gesetzmäßigkeiten der Atomphysik aus den Gesetzmäßigkeiten der QED und QCD zurückzugewinnen. Dazu war ich jedoch nur in der Lage, weil ich diese Strukturierung mittels meines Verstandes durchgeführt hatte und demnach wusste, welche Strukturen ich aus den fundamentalen Theorien zurückgewinnen will. Ich wusste, welche Anfangsbedingungen ich in die fundamentalen Gleichungen einzusetzen hatte, so dass das quantenmechanische System ein H20-Molekül darstellt, und keinen Neutronenstern. Ohne die Kenntnis des H20-Moleküls hätte ich schlimmstenfalls alle = überabzählbar viele Anfangsbedingungen mit der vollständigen Dynamik simulieren müssen, um eine winzig kleine jedoch immer noch überabzählbar mächtige Menge von Lösungen der Gleichungen zu erhalten, aus der mittels Mustererkennung die Struktur des H20-Moleküls folgt; ich hätte jedoch nicht gewusst, nach was ich eigtl. suchen soll. Wenn ich als ohne jegliche Kenntnis eine vollständige Simulation von QED plus QCD gestartet hätte, dann hätte ich außerdem noch eine überabzählbar mächtige Menge von Mustererkennungen vornehmen müssen.

Meine Erkenntnis der Reduzibilität von (1) hängt entscheidend von meiner Kenntnis der Strukturen und Prozesse auf einer höheren Ebene ab. Insofern gelingt mir die Reduzibilität von (1), ich scheitere jedoch bei (2). Strukturen und Prozesse auf der höheren Ebene gewinne ich nicht aus der fundamentalen Ebene, sondern durch Beobachtung und Denkleistung auf der höheren Ebene.

Im Falle von QED und QCD gelingt mir insbs. die Reduzierung der Prozesse der atomaren oder molekularen Ebene. Allerdings ist es wohl praktisch nicht möglich, alle Regeln der Biologie derartig zu formalisieren. Und es ist möglicherweise auch prinzipiell unmöglich.

Als Physiker glaube ich aus o.g. Gründe wieder an die Reduzibilität von (1), denn
- erstens würde Irreduzibilität neue Physik jenseits der Quantenmechanik bedeuten
- zweitens kenne ich keine Gegenbeispiele
- drittens folgt aus meinem Scheitern der Reduzibilität für (2) nicht das Scheitern in (1)
Reduzibilität bei (1) ist zulässig, auch wenn sie im Sinne von (2) nicht erkennbar ist, d.h. auch wenn im Sinne von (2) Irreduzibilität vorliegt.

Unsere beiden Positionen unterscheiden sich hier denke ich in drei Punkten:
- ich lege wert auf den Unterschied zwischen der praktischen sowie der prinzipiellen Möglichkeit
- ich siedle die prinzipielle Unmöglichkeit von (2) erst auf der Ebene von Gehirn/Geist an, weil ich denke, nur dies logisch beweisen zu können
- ich verorte die Irreduzibilität im wesentlichen auf der Ebene des Verstandes, d.h. im Sinne von (2); da bin ich mir bei dir bin noch nicht sicher.

Anders formuliert halte ich es für denkbar, dass eine höhere Intelligenz als die des Menschen in der Lage ist, das Programm der Reduzibilität sogar bzgl. (2) auch auf die Humanbiologie anzuwenden - jedoch wahrscheinlich wieder an der eigenen Biologie und sicher am eigenen Verstand scheitern wird.

Letztlich bin ich Platonist in der einen oder anderen Variante. Modern könnte man z.B. von Strukturenrealismus sprechen. D.h. ich halte die von uns auf der Ebene (2) identifizierten Gesetze für sinnvolle und näherungsweise isomorphe Abbilder der tatsächlichen Realität auf Ebene (1), ich bin ihr jedoch meiner Beschränkung auf Ebene (2) bewusst - siehe Platons Hölengleichnis - und akzeptiere diese Beschränkung. Als Platonist und Naturwissenschaftler übertrage ich diese meine Beschränkung jedoch nicht auf die Ebene (1). Als Naturwissenschaftler setze ich dies nach Popper als Hypothese an, die ich rational begründe - nicht beweise. Und ich skizziere ein Programm zur Überprüfung meiner Hypothese, wobei ich diese zum einen stützen, zum anderen kritisch testen möchte.

Ich hoffe, meine Haltung ist klar geworden.




Folgendes ist evtl. gar nicht mehr so wichtig:
Ich werde also später versuchen, in einem zweiten Teil Belege für die Reduzibilität weiterer Bereiche der Biologie anzuführen. Außerdem werde ich versuchen, deine Beispiele für die Irreduzibilität durch Gegenbeispiele zu widerlegen oder Lücken in deiner Beweisführung zu finden, die entweder logischer Natur sind oder die auf mangelnder Kenntnis der Physik beruhen.
Gruß
Tom

Der Wert eines Dialogs hängt vor allem von der Vielfalt der konkurrierenden Meinungen ab.
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Re: Instabilität

Beitrag von tomS » 13. Jan 2019, 18:12

Hallo ATGC,

mich interessiert insbs. deine Haltung zu (1) und (2), deswegen lasse ich den ersten Teil bis auf weiteres unkommentiert.
ATGC hat geschrieben:
13. Jan 2019, 16:33
Das läuft darauf hinaus, dass du meine letztgenannte Alternative glaubst, und deswegen das Vorhaben gar nicht beginnen möchtest.
Ich sehe zumindest keinen gangbaren Ansatz für eine Formalisierung biologischer Gesetze, da es keine Möglichkeit gibt, die konkreten Selektionsdrücke mathematisch abzubilden, die den Ausschlag dafür geben, welche Mutationen erhalten bleiben und welche eliminiert werden sowie generell, welche Mutationen sich wann und wo in welcher Anzahl ereignen und in die Keimbahn gelangen. Zumindest sind mir keine solchen Möglichkeiten bekannt und ich kann in der Literatur nichts dazu finden, bis auf die abstrakten Modelle zur Populationsdynamik, die jedoch sehr allgemein gehalten sind und die tatsächliche Komplexität von Ökosystemen nicht abbilden.
Das deutet zunächst auf ein Scheitern bzgl. (2) in rein praktischer Hinsicht hin.

ATGC hat geschrieben:
13. Jan 2019, 16:33
... Dann versuche ich es noch mal ohne Zirkelschluss:

Die Gesetze der Biologie sind nicht formalisierbar, so dass die Forderung nach Formalisierung nicht eingelöst werden kann. Eine Reduktion biologischer Gesetze auf quantenmechanische Gesetze ist daher nicht durchführbar.

Die Gesetze der Biologie sind deshalb nicht formalisierbar, weil wir es hier mit Prozessen zu tun haben, die sich einer Wahrscheinlichkeitsrechnung entziehen. Wir können hier also keine mathematischen Terme aufstellen, die die Prozesse so abbilden, dass man sie als Grundlage für eine Modellierung heranziehen könnte.
Das ist ein riesiges Missverständnis, und das tut mir sehr leid!!


Für die von mir angestellten Überlegungen sind die stochastischen Aspekte der Quantenmechanik völlig irrelevant; ich argumentiere rein auf Basis der – vollständig deterministischen – Schrödingergleichung!

Betrachten wir einen Quantenzustand |ψ> sowie dessen Zeitentwicklung

|ψ(t)> = U(t) |ψ(0)>

mit dem Zeitentwicklungsoperator

U(t) = exp[-iHt]

|ψ> repräsentiere z.B. das abgeschlossene System Sonne – Erde – Mond innerhalb einer genügend großen abschließenden Kugelschale von vielen Mrd. LJ Durchmesser.

Nun wissen wir folgendes:

Aus dem Zeitentwicklungsoperator der QED folgen die klassischen Gesetze der Elektrodynamik (plus quantenmechanische Korrekturterme).

Aus einer bestimmten Näherung folgt die Thermodynamik (im Wesentlichen, wenn man unbeobachtbare oder irrelevante Freiheitsgrade ausreduziert, also z.B. alle Freiheitsgrade außerhalb eines bestimmten räumlichen Bereiches z.B.).

In der Zeitentwicklung von |ψ(t)> sind sämtliche quantenmechanisch mögliche Strukturen angelegt; eine „Reduktion“ oder ein „Sichtbarwerden“ genau einer Struktur erfolgt im Zuge einer Beobachtung oder Messung, wobei ich hier unterschiedliche Interpretationen der Quantenmechanik nicht diskutieren möchte, da letztlich alle auf dasselbe hinauslaufen.

Auf Basis der Dekohärenz verstehen wir, warum beim „Sichtbarwerden“ gerade stabile klassische Strukturen erscheinen, also z.B. die bekannte lebende oder die tote Katze, keine Superposition. Demzufolge sind auch sämtliche klassischen Gesetze sowie klassischen Strukturen angelegt, genau eine klassische Struktur wird sich ausprägen.

Bei Wahl „vernünftiger“ quantenmechanischer Anfangsbedingungen |ψ(0)> für das frühe System Sonne – Erde – Mond sollte dieses nach einigen Milliarden Jahren in |ψ(t)> auch sämtliche gemäß der Quantenmechanik zulässigen biologischen Strukturen enthalten.

Im Zuge einer Beobachtung des Systems wird eine Struktur sichtbar, die bei „vernünftigen“ Anfangsbedingungen biologische Subsysteme enthält. Diese Subsysteme folgen den bekannten klassischen physikalischen Gesetzen. Möglicherweise waren die Anfangsbedingungen falsch gewählt, oder biologische Systeme entstehen nur bei sehr speziellen Bedingungen (was nicht annehmen möchte)

Soviel zu (1). Zu (2) ist damit noch lange nichts gesagt, denn erstens können wir die uns vertrauten biologischen Strukturen sowie die klassischen Gesetze nur mittels (2) aus |ψ(t)> „extrahieren“, und zweitens können wir nur aufgrund von (2) entscheiden, dass der Anfangszustand geeignet gewählt war, um biologische Strukturen zu erzeugen.

Wie würde nun eine solche Extraktion aussehen? Nehmen wir an, wir wüssten im Sinne von (2) bereits, was wir in |ψ(t)> erwarten. Suchen wir z.B. eine Arterie. Welche formalen Kriterien bzw. Muster erwarten wir? Eine flexible Röhre mit einem bestimmten Querschnitt, aus dem richtigen Material, Stofftransport, den richtige Stoff, … ein geschlossenes System von Arterien und Venen, … eine kontinuierlich-gepulsten Stofftransport, … Ich denke, das läuft bereits für ein kurzes Stückchen Arterie auf hunderte von Kriterien hinaus. All diese Kriterien müssen erfüllt sein, und zwar nicht irgendwie einzeln, sondern im richtigen Zusammenhang, an den passenden Orten und natürlich in einem gigantischen Kontext weiterer Bedingungen für den gesamten Organismus und das gesamte Ökosystem.

Alle diese Kriterien müsste man als quantenmechanische Observable formulieren und diese in |ψ(t)> „suchen“. Bsp. Stofftransport: Man betrachte die Impulsstromdichte j(x), berechnet den Erwartungswert für den gefunden Zustand, d.h. <ψ(t| j(x) |ψ(t)> und sucht sämtliche räumliche und zeitlichen Muster, die man aus der Biologie kennt. Insbs. muss der Stofftransport innerhalb kleiner Kreise stattfinden und außerhalb verschwinden, wobei sich die Kreise zu einer Röhre zusammenfügen müssen.

Zu
Ich werde also später versuchen, in einem zweiten Teil Belege für die Reduzibilität weiterer Bereiche der Biologie anzuführen.
Ich denke, dass man das oben skizzierte Programm auch für andere biologische Konzepte durchführen kann – vorausgesetzt, sie lassen sich im weitesten Sinne physikalisch beschreiben. Das sollte gelten für Temperaturen, Drücke, Dichten und Konzentrationen von Stoffen, Stoffgemische, Transportphänomene, Ladungen und Ströme, natürlich auch durch Ionen getragene Ströme, elektromagnetische Felder.

Essentiell im Sinne von (2) ist, dass du mir präzise sagst, wonach ich auf Ebene (1) in |ψ(t)> suchen soll. Ich übersetze das dann in quantenmechanische Observable und deren Erwartungswerte. Letztere werden dann einer Mustererkennung unterworfen, deren Ergebnis du im Sinne von (2) wieder bewertest, also prüfst, ob die Kriterien hinreichend gut erfüllt sind, um sagen zu können „da ist ein Laubfrosch“.

Dabei hilft uns ein Quantencomputer, denn glücklicherweise sind in |ψ(t)> alle quantenmechanisch möglichen Pfade der Evolution enthalten. Ich muss zunächst eine sukzessive Projektion von |ψ(t)> auf klassisch nicht-dekohärierende Zweige durchführen, d.h. ich muss aus dem unendlich-dimensionalen Zustand |ψ(t)> auf einen – wiederum unendlich-dimensionalen – Zustand |ψ‘(t) > projizieren, wobei ich den Projektor wiederum anhand der o.g. Kriterien bzw. stabile klassische Strukturen wähle. Die erste Projektion könnte z.B. anhand des prinzipiellen Vorhandenseins eines bestimmten Kohlenwasserstoffmoleküls erfolgen.

So identifiziere ich sukzessive alle klassisch nicht-dekohärierenden Zweige, für die deine Kriterien sozusagen irgendwie und irgendwo erfüllt sind. Damit habe ich alle – unendlichen vielen – klassischen Zweige und damit alle quantenmechanisch zulässigen Evolutionspfade. Anschließend suche ich je Pfad mittels Mustererkennung nach den richtigen räumlichen und zeitlichen Mustern für einen gesamten Organismus. Mit dieser Methode finde ich alle biologischen Strukturen und Organismen, die im Rahmen der Evolution entstehen hätte können.

Mich würde interessieren, an welcher Stelle dieses Programm deiner Meinung nach prinzipiell scheitert. Dass es praktisch undurchführbar ist, sollte klar geworden sein. Konkret: welche biologischen Strukturen oder Prozesse sind nicht in der o.g. Auflistung enthalten bzw. können nicht auf physikalische Mechanismen zurückgeführt werden?

Mit der Populationsdynamik habe ich natürlich kein prinzipielles Problem: wenn du mir z.B. physikalisch beschreibst, was einen Hasen und was einen Fuchs ausmacht, dann kann ich prinzipiell, auch Hasen und Füchse zählen. Evtl. ist es sogar einfacher, so zu starten: man identifiziert zunächst sich bewegende und dabei makroskopisch stabile Strukturen; anschließend untersucht man diese Strukturen auf biologische Merkmale, um sie z.B. von Flugzeugen zu unterscheiden. D.h. im wesentlichen das selbe wie oben, jedoch top-down.

Zur Wahrscheinlichkeit: diese kommt erst ins Spiel, wenn ich je klassisch nicht-dekohärierendem Zweig die Bornsche Regel anwende. Ich erhalte dann je Evolutionspfad dessen Wahrscheinlichkeit, die ich allerdings nochmals zusammenfassen muss, d.h. ich muss z.B. über alle Zweige summieren, die Hasen, Füchse, … enthalten und sich lediglich bzgl. der Populationsgröße unterscheiden.
Gruß
Tom

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Re: Instabilität

Beitrag von tomS » 13. Jan 2019, 19:44

seeker hat geschrieben:
12. Jan 2019, 21:02
Ich erkenne dennoch nicht, dass bis heute auch nur ein einziges echt-komplexes System auf rein reduktivem Weg vollständig oder auch nur hinreichend gut verstanden worden wäre.
Deshalb meine Einschätzung und meine umgekehrte Forderung, dass man es erst noch zeigen soll, auch ganz im Popperschen Sinne.*
Aber wenn man mir das zeigt, bin ich der erste der das glaubt. Ich will eben sehen, sonst glaube ich nicht... :)
Ich habe im letzten Post als Antwort an ATGC begonnen, die Methode zu skizzieren.

Die Idee ist: nenne mir sämtliche biologische Kriterien bzw. Muster, lass' uns diese Kriterien physikalisch und insbs. quantenmechanisch übersetzen, lass' uns die Evolution eines quantenemechanischen Zustandes betrachten, im Endzustand nach der Existenz der Muster sowie geeigneter raum-zeitlicher Kombinationen derselben suchen.

Meine Einschätzung: die Methode ist logisch konsistent und theoretisch durchführbar. Sie scheitert jedoch sicher praktisch aus Aufwandsgründen; und sie scheitert eventuell praktisch and der nicht vollständig durchführbaren Formalisierung - für die ich jedoch ein Schlupfloch sehe.

Frage: siehst du eine logischen Bruch?
seeker hat geschrieben:
12. Jan 2019, 21:02
Was war mein Hauptgedanke, warum ist mir das mit den Randbedingungen wichtig?
Siehe den letzten Post: die Anfangsbedigungen sind eine davon getrennt zu betrachtende Fragestellung.

Setzen wir die oben skizzierte Methode voraus, so lauten die Fragen:
1) können wir - ausgehend von einem gegebene Anfangszustand - biologische Muster im Endzustand identifizieren?
2a) für welche Anfangszustände triftt das zu?
2b) mit welcher Wahrscheinlichkeit erhalten wir welchen Evolutionspfad
Gruß
Tom

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Re: Instabilität

Beitrag von seeker » 13. Jan 2019, 23:04

tomS hat geschrieben:
13. Jan 2019, 19:44
Ich habe im letzten Post als Antwort an ATGC begonnen, die Methode zu skizzieren.

Die Idee ist: nenne mir sämtliche biologische Kriterien bzw. Muster, lass' uns diese Kriterien physikalisch und insbs. quantenmechanisch übersetzen, lass' uns die Evolution eines quantenemechanischen Zustandes betrachten, im Endzustand nach der Existenz der Muster sowie geeigneter raum-zeitlicher Kombinationen derselben suchen.

Meine Einschätzung: die Methode ist logisch konsistent und theoretisch durchführbar. Sie scheitert jedoch sicher praktisch aus Aufwandsgründen; und sie scheitert eventuell praktisch and der nicht vollständig durchführbaren Formalisierung - für die ich jedoch ein Schlupfloch sehe.

Frage: siehst du eine logischen Bruch?
Ich will mich möglichst kurz fassen:
Ich sehe zunächst immer noch einige implizite Vorausannahmen in diesem Programm, die ich schon erwähnt hatte und bei denen nicht sichergestellt ist, dass sie zutreffen. Wir teffen diese Vorannahmen an anderer Stelle oft auch, das ist richtig, aber hier müssen wir sie in Kombination annehmen, das ist anderswo oft nicht so, deshalb ist das hier kritischer.

Aber unter der Voraussetzung, dass sie alle zutreffen, sehe ich zwar, dass das so im Großen und Ganzen funktionieren sollte, aber immer noch Knackpunkte hat, also insofern immer noch einen Bruch:

1. Die Anfangsbedingungen: Du kannst die korrekten Anfangsbedingungen immer nur in der Rückschau finden bzw. wählen, d.h. du kannst nicht prognostizieren.

2. Die Störungen des Systems durch den QM-Zufall: Modelliert werden sollen nicht alle QM-Systeme im VWI-Universum, sondern einzelne klassische Systeme mit ihren ganz eigenen geschichtlichen Pfaden. Für diese Systeme wirkt (und mit "wirkt" meine ich physikalische Wirkung) es aber in nicht vernachlässigbarer Weise so, als ob der QM-Zufall echt wäre, gleich ob er es aus einer Vogelperspektive heraus nicht ist. Diese Wahl der Geschichtlichkeit, die sozusagen die Systeme im Rückgriff selbst treffen, ist nicht vorausberechenbar. Und um diese Wahl treffen zu können muss man das System selbst sein. Die Wahl der Interpretation der QM spielt dabei keine Rolle.

3. Die Bestimmbarkeit: Du kannst nicht unendlich genau messen und du kannst nicht alles messen und du kannst nicht störungsfrei messen und du kannst nicht isoliert messen.

4. Die Berechenbarkeit: Du kannst nicht unendlich genau rechnen. Und du kannst nicht alle Gleichungen analytisch lösen.

5. Die Begriffe: Es wird auch hier nicht unbedingt scharf und eindeutig-vollständig klar, wie aus den verwendeten physikalischen Begriffen die Begriffe der Biologie hervorgehen sollen. Dieses Problem betrifft wohl hauptsächlich den menschlichen Intellekt, überfordert ihn bzw. wird seiner Natur/Funktionsweise nicht gerecht, vielleicht ist es aber sogar noch tiefgehender.
(Einen Versuch wärs aber wert.)

6. Der Erkenntnisgewinn: Es ist nicht klar, ob man das, was dabei herauskäme, verstehen können würde. Das hängt u.a. auch mit 5. zusammen.
(Einen Versuch wär aber auch das wert.)

Zu den komplexen Systemen in Computersystemen:

Diese sind für mich von besonderem Interesse, weil ich glaube, dass dort dein Programm in seinem prinzipiellen Vorgehen funktionieren könnte, insofern der Computer exakt rechnet/nicht rundet und keine Störungen von außen auftreten (beides kann man dort sicherstellen). Dort fallen also immerhin die Probleme 2., 3. und 4. sicher weg (bzw. kann man sie dann künstlich sogar wieder hinzufügen und untersuchen, ob und welchen Unterschied das macht).
Aber auch hier müssen wir zwischen Rückschau und Prognose unterscheiden und bei der Begrifflichkeit und der Erkenntnis muss man immer noch sehen, ob das zufriedenstellend wird.

Daher sehe ich dies ganz pragmatisch als Vorprogramm an, das man zuerst angehen sollte, um zu schauen, wie weit man dort kommt:
Was dort schon nicht lösbar ist, wird es bei deinem Programm bei natürlichen Systemen schon gar nicht sein.
Grüße
seeker


Wissenschaft ... ist die Methode, kühne Hypothesen aufstellen und sie der schärfsten Kritik auszusetzen, um herauszufinden, wo wir uns geirrt haben.
Karl Popper

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