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Instabilität - Reduzibilität vs. Irreduzibilität - Komplexität

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Re: Instabilität

Beitrag von Job » 7. Jan 2019, 10:35

Meine Meinung zu Viele Welten entspricht im Wesentlichen dem, was ATGC hierzu geschrieben hat. Ich brauche es daher nicht zu wiederholen. Wie ATGC bin ich aber auch sehr an Deiner konkreten Sichtweise zu Viele Welten interessiert, Tom. Wäre schön, wenn Du die Zeit dafür finden würdest.

tomS hat geschrieben:
7. Jan 2019, 07:18

Das vollständig isolierte System ist in der Natur durch das Universum selbst gegeben und damit keine Idealisierung.
Ich bin mir nicht sicher, ob dies bei Deinen weiteren Ausführungen eine Rolle spielt, Tom und möchte dem auch nicht vorgreifen. Aber bereits bei dieser Annahme (und mehr ist es nicht) würde sich unsere Sichtweisen grundlegend unterscheiden, wenn Du mit Universum das meinst, was wir heute mit diesem Begriff verbinden. Aber lass uns das diskutieren, wenn wir mehr Substanz durch Deine zukünftigen Ausführungen dazu haben.

Viele Grüße
Job
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Re: Instabilität

Beitrag von seeker » 7. Jan 2019, 13:45

tomS hat geschrieben:
7. Jan 2019, 07:18
Das unterschreibe ich so nicht.
Ich denke, da werden wir schon noch einig, so wollte ich das nicht verstanden wissen. :)
Was ich da schrieb war auch sogar eher allgemein auf die gesamte Physik und sogar alle Naturwissenschaften gemünzt.
Wichtig dabei ist eigentlich nur der letzte Satz:

"Bei allem ist Vorsicht geboten, denn Extrapolationen sind nie ganz sicher und je weiter ihre Reichweite sein soll, desto unsicherer werden sie."

Mehr sage ich gar nicht, aber das sage ich.

In Anbetracht der nicht eliminierbaren Perspektivgebundenheit, Indirektheit und Unsicherheit in den Extrapolationen, kann ich verstehen, dass manche Leute sagen, dass ihnen das zu theoretisch und zu weit weg ist oder dass sie nicht sehen, inwiefern das ihren eigenen Fachbereich tangieren sollte.
Bei der VWI konkret: Kann sein, es gibt Gründe vernünftig zu vermuten, dass das so sein könnte, aber wissen tut man es eben nicht.
Deshalb ist es OK, zu sagen: "Ich vermute begründet, dass das so ist." Aber damit hat es sich dann auch schon, alles andere ist aus dem Fenster lehnen.
tomS hat geschrieben:
7. Jan 2019, 07:18
Zum einen besteht das Wesen der Physik gerade in diesen Extrapolationen - besser: Vorhersagen - die dann experimentell überprüft werden. Nicht viel anders verhält es sich hier, der Bereich der experimentell zugänglichen Quantenphänomene wird weiterhin sukzessive erweitert - siehe z.B. Nobelpreis 2012.
Das ist auch völlig i.O. Wie sollte man es auch sonst machen? Darum geht es mir nicht, es geht mir darum festzuhalten, dass man es tut, schon weil man muss und dass damit eben Unsicherheit einhergeht.
tomS hat geschrieben:
7. Jan 2019, 07:18
Eine Extrapolation auf Dinge, die nicht berechnet werden können, sehe ich im Rahmen der Everettschen Quantenmechanik nicht.
Nehmen wir die QM allgemein, gleich welche Interpretation. Wir können feststellen, dass man sehr viel nicht berechnen kann, sobald irgendein System auch nur ein wenig komplexer ist, Näherungen und Teilbeschreibungen sind manchmal noch möglich, aber das ist dann eben nicht mehr exakt. Und bei wirklich komplexen Systemen ist ganz fertig, da ist die QM ganz einfach auch ungeeignet - oder kannst du den Aktienkurs der Aktie X von nächter Woche per QM ausrechnen oder per QM sinnvoll erklären, was eine "Aktie" oder "Geld" überhaupt ist? Wenn man in Anbetracht dessen nur Aussagen über einfache Systeme macht, die für die QM auch relevant sind, dann ist man auf der sicheren Seite, wenn man aber daraus Aussagen auf die ganze Welt extrapoliert, dann eben nicht. Das heißt überhaupt nicht, dass die Exptrapolation falsch sein muss, es heißt nur, dass man es nicht weiß, ob sie das ist oder nicht. Und dass deshalb solche Aussagen eben auch entsprechend unsicher sind.
tomS hat geschrieben:
7. Jan 2019, 07:18
Eine Extrapolation von ungenauer Messung oder mathematischer Näherung auf exaktes „So-Sein“ war ebenfalls immer das Wesen der Physik - bis zu Niels Bohr. Man war natürlich nur gezwungen, mathematische Modelle als exakte Repräsentanten der Realität aufzufassen, konnte sie jedoch immer als hinreichend genau Repräsentanten auffassen. Bohr wischte das vom Tisch - sehr voreilig, wie Everett et al. zeigen.
Auch das ist völlig i.O. Nur weiß man nicht, ob es wirklich so ist, also ist diese Extrapolation auch mit Unsicherheit behaftet.
Und das Prinzip "ähnliche Ursache -> ähnliche Wirkung" funktioniert ja bei komplexen Systemen bzw. wenn Instabilitäten vorliegen nicht mehr, d.h. dieses Konzept funktioniert ganz praktisch dort nicht mehr. Auch dem muss man Rechnung tragen.

tomS hat geschrieben:
7. Jan 2019, 07:18
Das vollständig isolierte System ist in der Natur durch das Universum selbst gegeben und damit keine Idealisierung.
Aber selbstverständlich ist das eine Idealisierung. Du definierst nämlich hier "Universum", das per Definition vollständig isoliert ist - als Konzept. Ob das so in der Natur vorliegt und ob es "DAS Universum" so überhaupt gibt, das weißt du aber nicht, also idealisiert du.

Nochmal: Ich kritisiere das alles nicht, ich stelle nur fest und leite daraus ab, dass man eben mit Unsicherheiten zu kämpfen hat, die man unmöglich ganz loswerden kann. Und dass man das in allen Aussagen , die man dann daraus über die Welt tätigen will, nicht vergessen soll, man soll entsprechend vorsichtig dabei sein.
tomS hat geschrieben:
7. Jan 2019, 07:18
Jede Interpretation der Quantenmechanik, die einen irgendwie „externen“ Beobachtungsprozess einführt, geht prinzipiell fehl bzw. greift zu kurz. Everett ist nunciature das Maß aller Dinge, jedoch so ziemlich der einzige, der auch nur ansatzweise eine Antwort darauf hat.
Vielleicht, mag sein, die VWI hat zweifellos ihre Stärken, neuer Thread bitte ...
Grüße
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Re: Instabilität

Beitrag von tomS » 7. Jan 2019, 14:12

Job hat geschrieben:
7. Jan 2019, 10:35
tomS hat geschrieben:
7. Jan 2019, 07:18

Das vollständig isolierte System ist in der Natur durch das Universum selbst gegeben und damit keine Idealisierung.
Aber bereits bei dieser Annahme (und mehr ist es nicht) würde sich unsere Sichtweisen grundlegend unterscheiden, wenn Du mit Universum das meinst, was wir heute mit diesem Begriff verbinden.
Das können wir sehr kurz abhandeln:

Es ist keine Annahme sondern schlichtweg eine Definition.

Das Universum ist die Gesamtheit von Raum, Zeit und Materie bzw. Feldern, d.h. das, was wir mit der ART plus weiteren Theorien bereits heute beschreiben können und was wir zukünftig mit einer Theorie der Quantengravitation beschreiben möchten (Quanteneffekte am Urknall, im Inneren von schwarzen Löchern, ggf. das inflationäre Universum, ...). Eine Trennung in Quantensystem einerseits sowie Messgerät und/oder Beobachter andererseits ist demnach per definitionem nicht mehr möglich.

(Die Tatsache, dass eine derartige Theorie für unser Universum angewandt werden kann, ist natürlich eine Annahme)
Gruß
Tom

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Re: Instabilität

Beitrag von tomS » 7. Jan 2019, 14:56

Zurück zum Thema:
seeker hat geschrieben:
6. Jan 2019, 13:23
Wichtig scheint mir hier auch zu sein, dass man erst dann mit höchster Gewissheit sicher sein kann, dass man etwas vollständig richtig formalisiert hat, wenn auch die konkrete Berechenbarkeit und Messbarkeit gegeben ist - und zwar exakt, Näherungen und Messungenauigkeiten schwächen das schon ab.
Für die Theorienbildung ist es irrelevant, ob man etwas vollständig richtig formalisiert hat. Es ist lediglich relevant, ob es vollständig formalisiert ist. Z.B. ist der Kritikpunkt an der Stringtheorie heute nicht, dass man die fundamentalen Gleichungen nicht lösen kann, sondern dass man sie gar nicht kennt.

Es ist nicht sinnvoll, die Ansprüche an die Theorienbildung zurückzuschrauben, nur weil die Lösung schwer fällt.
seeker hat geschrieben:
6. Jan 2019, 13:23
tomS hat geschrieben:
5. Jan 2019, 17:51
Z.B. könnte das heutige Universum eine universelle Turingmaschine sein ...
Ja. Nur rate ich hier von Anfang an zur Vorsicht, auch im Sprachgebrauch: Das Universum könnte nicht eine universelle Turingmaschine sein. Das geht zu weit. Stattdessen: "Das Universum könnte sein WIE etwas, das wir konzeptuell als eine "universelle Turingmaschine" formuliert haben."
Ja. Beides ist denkbar, aber dein sorgfältigerer Sprachgebrauch ist hier angemessener.
seeker hat geschrieben:
6. Jan 2019, 13:23
tomS hat geschrieben:
5. Jan 2019, 17:51
Ich bin keineswegs davon überzeugt, dass dieses Modell zutrifft, aber ich halte es gerade wegen all dieser Eigenschaften und seiner logischen Einfachheit für viel interessanter als irgendwelche nebulösen Konstrukte.
... und ... ob man sie dann in Zukunft nicht noch im Zuge des Fortschritts, der Weiterentwicklung davon befreien können wird. Also einfach Augen offen halten, würde ich sagen.
Ja, Augen offen halten.

Nur wäre es schön, wenn du konkreter sagen könntest, nach was :-)
seeker hat geschrieben:
6. Jan 2019, 13:23
Und es gibt eben auch viele Systeme, denen wir reduktiv nur ganz wenig beikommen und wo auch nicht in Aussicht steht, dass sich das in Zukunft ändern wird.
Auch das kann sich ändern.
seeker hat geschrieben:
6. Jan 2019, 13:23
tomS hat geschrieben:
5. Jan 2019, 17:51
Ich bin mir nicht mehr sicher, ich denke, die folgende Argumentation stammt aus

http://www.schmidt-salomon.de/jvgub/home1.htm
Jenseits von Gut und Böse - Warum wir ohne Moral die besseren Menschen sind

In einem rein physikalischen Weltbild sind sämtliche gesellschaftliche Einflüsse letztlich auf physikalische Prozesse zurückführbar. Prägung ist einerseits durch Genetik, anderseits durch Erziehung bedingt. Letzteres sind physikalische Einflussgrößen, die unsere Gehirnstruktur bestimmen. Dies spricht den Straftäter oder Terroristen zunächst von Schuld frei und verbietet jegliche Strafe im Sinne der Rache. Allerdings erfordert dieses Weltbild unmittelbar die Herstellung von positiven Einflussfaktoren sowohl präventiv in der Erziehung als auch rehabilitierend und wiedereingliedernd z.B. während des Strafvollzugs.
Ein solcher Ansatz kann interessant sein, keine Frage. Es gibt viele theoretische Ansätze dazu.
Nur: Hier handelt es sich nicht um ein theoretisches Problem, sondern um ein reales Problem in der wirklichen Welt.
So einfach dürfen wir 3. deshalb nicht abhandeln. Wir müssen stattdessen schauen, ob meine These zutrifft oder nicht.
Ich sehe folgendes Dilemma: Nach allem was wir wissen, ist es sicher nicht auszuschließen, dass ein rein physikalisches oder "materialistisches" Weltbild zutrifft; man betrachte nur mal die Fortschritte in der Gentechnik, der Neurobiologie und der Pharmazie, die eine immer größere Klasse von Krankheiten (im weitesten Sinne) letztlich physikalisch diagnostizieren, erklären und teilweise therapieren

Demnach ist das ein durchaus sehr reales Problem, das uns die üblichen Chancen wie auch Risiken bietet. Demnach muss man - mit der gebotenen Vorsicht und begleitenden Ethik - derartige Denkrichtungen weiterverfolgen. Andernfalls wären wir auf dem Status der Quacksalberei, Hexenverbrennung und Dämonenaustreibung stehen geblieben.
seeker hat geschrieben:
6. Jan 2019, 13:23
Unwohl wird mir, wenn missioniert wird: "Nur wenn du das so siehst, bist du ein vernünftiger Mensch." Das hat die Naturwissenschaft zu unterlassen, das riecht sonst nach Ideologie.
Richtig.

Unwohl wird mir aber auch, wenn missioniert wird: "Nur wenn du das so nicht siehst, bist du ein vernünftiger Mensch." Das hat die Naturwissenschaft - aber auch die Philosophie und andere Geistes- und Gesellschaftswissenschaften - zu unterlassen, das riecht sonst nach Ideologie.
seeker hat geschrieben:
6. Jan 2019, 13:23
Physiker haben mir -als Physiker- nicht zu erklären, ob die Welt vollkausal ist oder nicht, denn das ist nicht ihr Fachbereich. Und auch Neurobiologen haben mir nicht zu erklären, ob der Mensch ein Bewusstsein und einen Willen hat oder nicht, das ist nicht ihre Aufgabe, nicht so lange sie als Neurobiologen sprechen.
Ich denke, die Physiker tun dies am allerwenigsten.

Recht ideologische Töne kenne ich eher von Biologen - Dawkins ist wohl ein prominentest Beispiel. Nur - warum tut er das? Doch auch als Reaktion auf die Ideologie des "intelligent design".
seeker hat geschrieben:
6. Jan 2019, 13:23
Das ist meine ich eine interessante Frage, ob "fundamental" tatsächlich und notwendig immer nur im Rahmen "klein-groß" bzw. "Teile-> das Ganze" gesehen werden muss.
Nicht zwingend.

In der Physik war das bisher so, allerdings gibt es in der modernen - teilweise spekulativen - theoretischen Physik Hinweise auf ganz andere Dualitäten.
seeker hat geschrieben:
6. Jan 2019, 13:23
In diesem Sinne sind nämlich in komplexen Systemen auch "Fundamentalstrukturen" und Entitäten identifizierbar, die qualitativ andersartig sind, die mit reduktionistischem klein-groß-Denken nichts zu tun haben, die stattdessen "aus der Bewegung heraus" in die Existenz treten.
Nun verhält es sich aber so, dass man z.B. komplexe Muster, die man eher holistisch aufzufassen bereit ist, lokal und mikroskopisch entstehen (Farne, Schneeflocken, ...) und dass wir dieses Wachen rein mikroskopisch erklären können. D.h. es gibt keine Entität, die das Muster der Schneeflocke gespeichert hätte, diese entsteht ausschließlich aufgrund der inter-atomeren Wechselwirkungen.

Das muss man eben auch zur Kenntnis nehmen.
seeker hat geschrieben:
6. Jan 2019, 13:23
Mir geht es dann noch darum, dass das, was ab dem Punkt auf Systemebene noch herausgefunden wird, ebenso ernst genommen werden soll wie das andere, es soll nicht von vornherein als sekundär abgewertet werden, nur weil es erst auf Systemebene erscheint.
Klar.

Jedoch nochmals zum letzten Punkt: wenn du vor hundert Jahren mit einem Biologen über die physikalische Erklärung eines Schmetterlings diskutiert hättest, dann hätte er das als anmaßend zurückgewiesen. Dieselbe Zurückweisung findet auch heute noch statt - obwohl man letztlich gezwungen ist, zumindest vorsichtig in Betracht zu ziehen, dass die Physik tatsächlich recht haben könnte.

Daher: man muss zwischen Strukturbildung und Bedeutung unterscheiden. Wenn die Physik für eine Struktur ein mikroskopisches, dynamisches Modell bereithält, dann muss und kann man das akzeptieren, ohne dem Ergebnis seine inhärente Bedeutung abzusprechen. Viele Physiker spielen auch ein Musikinstrument und hören nicht deswegen damit auf, weil sie präzise verstehen, wie das funktioniert. Und viele Neurobiologen haben sicher Sex ...

Man sollte sich hüten, in die Inquisitions- bzw. Galilei-Falle zu tappen.

Insgs. sind wir uns dann ziemlich einig, denke ich.

Und ich werde mir das neuere Buch von Schmidt mal besorgen.
Gruß
Tom

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Re: Instabilität

Beitrag von Job » 7. Jan 2019, 15:00

tomS hat geschrieben:
7. Jan 2019, 14:12

Das können wir sehr kurz abhandeln:

Es ist keine Annahme sondern schlichtweg eine Definition.

Das Universum ist die Gesamtheit von Raum, Zeit und Materie bzw. Feldern, d.h. das, was wir mit der ART plus weiteren Theorien bereits heute beschreiben können und was wir zukünftig mit einer Theorie der Quantengravitation beschreiben möchten (Quanteneffekte am Urknall, im Inneren von schwarzen Löchern, ggf. das inflationäre Universum, ...). Eine Trennung in Quantensystem einerseits sowie Messgerät und/oder Beobachter andererseits ist demnach per definitionem nicht mehr möglich.

(Die Tatsache, dass eine derartige Theorie für unser Universum angewandt werden kann, ist natürlich eine Annahme)
Hallo Tom,

wir sind da noch immer nicht auf dem gleichen Nenner. Ich versuche mal eine Analogie, um aufzuzeigen, was ich meine. Nehmen wir an, der Raum, in dem wir leben und damit UNSER heutiges Universum wäre so etwas wie eine kleine Gasblase im Pazifik.

Für mich wäre dann der Pazifik insgesamt das, was Du als Universum bezeichnest und die Gasblase dann kein Universum laut Deiner Definition, weil die Gasblase natürlich kein isoliertes System im Pazifik ist, sondern zumindest mit diesem Energie austauscht. Insbesondere wird sich die Temperatur innerhalb der Gasblase an die des Pazifiks angleichen.

Die Sicht auf die Dinge ist dann eine ganz andere und wirft auch Fragen auf, ob zum Beispiel die ART und auch die Gravitationskonstante G nur in der Gasblase gültig und überhaupt definiert sind (da sind wir uns einig), oder ob sie auch eine Relevanz für den Pazifik hat oder evtl. auch nicht! Wenn die Gravitation dann zum Beispiel das Resultat eines osmotischen Drucks in der Gasblase wäre, wäre die Antwort: die ART ist nur in der Gasblase gültig, aber nicht im Pazifik.

Viele Grüße
Job.
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Re: Instabilität

Beitrag von tomS » 7. Jan 2019, 16:50

@Job:

Das ist doch nicht das Problem: ob Definition und Konstruktion zutreffend sind oder nicht, ist eine Frage der experimentellen Überprüfung; die Frage, was das Universum in meiner Theorie "ist", ist dagegen zunächst rein theoretisch.

Wenn ich eine Theorie der Quantengravitation zunächst konsistent formulieren und anschließend überprüfen möchte, dann sind orthodoxe Kollapsinterpretationen angewandt auf ein theoretisches Konstrukt "Universum" sicher ungeeignet, da bereits im ersten Schritt der Definition logisch inkonsistent. Natürlich ist es möglich, dass eine Theorie der Quantengravitation mit ihrem spezifischen Konstrukt "Universums" nicht zutreffend ist und verworfen werden muss. Und natürlich könnte es sein, dass es insgs. völlig verfehlt ist, die Gravitation überhaupt quantisieren zu wollen. Aber all das entbindet uns doch nicht von der Aufgabe, zunächst eine konsistente Theorie aufzustellen.

Zu deinem Bild: die Theorie einer Gasblase im Pazifik mag zunächst theoretisch sinnvoll jedoch später empirisch nicht zutreffend sein; aber die Theorie einer in den Ozean eingebetteten Gasblase mit Zustandsgleichung pV = NkT ist bereits theoretisch nicht haltbar.

Everett löst das erste Problem, natürlich nicht das zweite. Er entwirft einen sehr einfachen theoretischen Rahmen, der weit genug gefasst ist, in sich geschlossene und logisch konsistente Theorien zu entwerfen; das ist zunächst mal ein Fortschritt.
Gruß
Tom

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Re: Instabilität

Beitrag von tomS » 7. Jan 2019, 18:06



Wie oben angedeutet hier einige – durchaus provokante – Thesen.

Ich nehme beim Leugnen eines materialistischen Weltbildes – z.B. rein naturwissenschaftlichen Erklärungsansätzen für Gewalttäter – ideologische und teilweise schlichtweg dumme Denkmuster wahr.

Das naturwissenschaftliche Weltbild hat unbestreitbare Erfolge vorzuweisen (Physik, … Medizin, … Technik, …) die auch in andere Bereiche (Psychologie, Theologie, Philosophie, …) und hineinreichen.

Letztere sind teilweise in einer Art Rückzugsgefecht. Was soll der Psychologe noch tun, wenn z.B. Gendefekte und abnormal ausgeprägte Hirnstrukturen oder Stoffwechselstörungen für Verhaltensauffälligkeiten bis hin zu neurobiologisch erklärbaren Täterprofilen verantwortlich sind? andersherum: was sagen wir einem Opfer einer Gewalttat, wenn wir auf Rücksicht auf das „Ich“ eines Menschen seine biolohgisch angelegtes Gewaltpotential nicht erkennen wollten oder dürften? Was soll der Theologe noch predigen, wenn die Naturwissenschaft die Schöpfung = den Urknall, die Evolution und die Zeugung erklären kann? andersherum: sollen wir ein inquisitorisches Lügengebäude aufrechterhalten?

Das sind natürlich rhetorische Fragen, denn sie alle hätten genug zu tun, nur eben Neues, außerhalb ihres bisherigen Weltbildes.

Generell erkenne ich diese Muster viel eher bzgl. der Gentechnik und der Neurobiologie – jetzt entstehend bzgl. der Informationstechnologie und der künstlichen Intelligenz – als bzgl. der Physik. Umgekehrt erkenne ich offensiv materialistisches Auftreten auch eher in diesen Fachbereichen als bei den Physikern. Ich denke, das ist ein sich selbst verstärkendes Phänomen, insbs. auch befeuert durch anti-rationalistische Strömungen wie dem „intelligent design“ bis hin zu zwei US-Präsidenten …

Bzgl. eines Gegenentwurfs bleiben die Kritiker meist vergleichsweise vage: es bleibt zu oft bei dem Appell contra reduktionistischer und pro (z.B.) holistischer Sichtweisen. Fakt ist jedoch, dass die reduktionistische Sichtweise in weiten Bereichen konkret definiert ist und praktisch funktioniert, während der Gegenentwurf auf der Ebene des Appells bleibt. Die reduktionistische Sichtweise ist damit noch nicht im dogmatischen Sinne „wahr“, jedoch im Popperschen Sinne „zutreffend“.

Die Ursachenforschung ist naturgemäß komplex, aber man kann sicher einige Hauptverantwortliche ausmachen, und das sind sowohl philosophische Bewegungen als auch Reaktionen darauf. Das naturwissenschaftliche Weltbild konnte sich parallel zur Aufklärung durchsetzen, sowohl theoretisch als auch praktisch. Der philosophische Gegenentwurf war oft anti-modernistisch, anti-aufklärerisch, mystisch, obskur usw. Man lese zum Beispiel Nietzsche und insbs. Heidegger:

„Die Relativitätstheorie der Physik erwächst der Tendenz, den eigenen Zusammenhang der Natur selbst, so wie er ‘an sich’ besteht, herauszustellen. Als Theorie der Zugangsbedingungen zur Natur selbst sucht sie durch Bestimmung aller Relativitäten die Unveränderlichkeit der Bewegungsgesetze zu wahren und bringt sich damit vor die Frage nach der Struktur des ihr vorgegebenen Sachgebietes, vor das Problem der Materie.“

Das wusste ich jetzt zum Beispiel noch nicht ;-)

Um es mit Popper – und gegen Adorno u.a. – zu sagen:

„Das Schlimmste – die Sünde gegen den heiligen Geist – ist, wenn die Intellektuellen versuchen, sich ihren Mitmenschen gegenüber als große Propheten aufzuspielen und sie mit orakelnden Philosophien zu beeindrucken. Wer’s nicht einfach und klar sagen kann, der soll schweigen und weiterarbeiten, bis er’s klar sagen kann.“

Das habe ich verstanden.

Was ich damit sagen will: die Philosophie hat – in Teilbereichen – schlichtweg die „Sünde“ begangen, präzisen Aussagen wolkiges Geschwurbel entgegenzusetzen; sie steht damit auf verlorenem Posten und überlässt der Physik das Feld. Das entsprechende Weltbild verbreitet sich so mangels Alternative, denn wenn nur Sauerkraut da ist, esse ich nur Sauerkraut, obwohl ich es eigentlich gar nicht so gerne mag. Daraus resultiert auch die – in Summe unberechtigte jedoch in Teilen nachvollziehbare – Verachtung (z.B.) seitens eines Richard Feynmans gegen die Philosophie – was noch wenige Jahrzehnte vorher in Deutschland undenkbar war – man lese z.B. Heisenberg und Weizsäcker. Darüber hinaus hat die Philosophie selbst die Metaphysik brutal getötet (dekonstruiert) und freudestrahlend zu Grabe getragen; nun wundert sie sich, wo sie geblieben ist, warum die Physik – auch im Sinne von Methode, Weltbild und Metaphysik – „alternativlos“ zu sein scheint und das Feld besetzt.

Andererseits haben wir da die unsäglich dogmatischen und positivistischen Denkverbote eines Niels Bohr:

„Es ist falsch zu denken, es wäre Aufgabe der Physik herauszufinden, wie die Natur beschaffen ist. Aufgabe ist vielmehr, herauszufinden, was wir über die Natur sagen können.“

Kann man so sehen, muss man aber nicht. Und Gott sei Dank teilen viele Physiker diese Meinung nicht; z.B. gibt es Stimmen wie die von Murray Gell-Mann:

“Niels Bohr brainwashed a whole generation of theorists into thinking that the job of interpreting quantum theory was done 50 years ago.”

Was ich damit sagen will: die Physiker haben – in Teilbereichen – die „Sünde“ begangen, die in der Philosophie entstandene Lücke durch ein sehr eng gefasstes, wenig differenziertes Weltbild zu ersetzen – und sich als Hobby-Philosophen zu betätigen, was sie manchmal besser hätten bleiben lassen sollen. Andererseits – irgendjemand muss halt den Job machen ;-)

Nicht zuletzt darf man nicht vergessen, dass die Philosophie und dabei die Wissenschaftstheorie sowie die Metaphysik oft mit den physikalischen und insbs. mathematischen Methoden überfordert zu sein scheinen. Es wäre jedoch ein Trugschluss, zu glauben, man könne Metaphysik betreiben, ohne die etablierte Physik verstanden zu haben; zu oft läuft man in die falsche Richtung und wird nicht ernst genommen – s.o. Feynman.

Ich bedauere diese wechselweise Sprachlosigkeit sehr. Das schlimmste scheint mir aber zu sein, dass viele sie nicht bedauern, weil sie sich selbst genug sind …
Gruß
Tom

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Re: Instabilität

Beitrag von seeker » 7. Jan 2019, 23:39

tomS hat geschrieben:
7. Jan 2019, 14:56
Insgs. sind wir uns dann ziemlich einig, denke ich.
Ja. Irgendwie werden wir doch fast immer einig. :wink:

tomS hat geschrieben:
7. Jan 2019, 14:56
Ja, Augen offen halten.

Nur wäre es schön, wenn du konkreter sagen könntest, nach was :-)
Leider muss ich hier zugeben, dass ich mich noch zu wenig auskenne, um hier wirklich so konkret werden zu können wie ich gerne würde.
Was mich im Moment besonders bei all dem interessiert, ist folgende Frage: Wie verhält es sich mit Strukturbeziehungen? Wie sind sie einzuordnen?

Was ich meine, ein einfaches Beispiel (vielleicht nicht das beste, aber eines, das mir ad hoc einfällt):

Nehmen wir ein Boot aus Eisen.
Das Boot besteht aus Atomen, die haben bestimmte Eigenschaften, insofern ergibt sich sicher auch ein Teil der Eigenschaften des Gesamtsystems "Boot" daraus.
Nun ist aber ein Haufen Eisenfeilspäne etwas anderes als ein Boot. Es fehlt also etwas, nämlich die Art und Weise, wie die Eisenatome zusammengefügt sind, eben die Strukturbeziehungen. Daraus erst ergeben sich bestimmte Eigenschaften, z.B. die Eigenschaft des Bootes auf dem Wasser zu schwimmen, während ein Klotz aus Eisen einfach untergehen würde. Solche Eigenschaften haben nicht einmal direkt etwas mit den Eisenatomen zu tun, denn ich könnte sie auch austauschen und das Boot z.B. aus Aluminium oder Holz bauen, es würde immer noch schwimmen und eben ein Boot sein.
Wir haben also zweierlei Elemente vorliegen, aus denen das Boot besteht:

1. Substanz
2. Strukturbeziehungen

Und wie ich es auch durchdenke, ich kann nicht anders, als zu dem Schluss zu kommen, dass beides völlig real ist und dass keines von beiden irgendwo realer als das andere ist oder dass eines davon irgendwie mit Sicherheit primär wäre, das andere nur sekundär, obwohl ich 2. nicht als 'materiell' bezeichnen würde.
Und mir kommt sogar die Frage in den Sinn, ob 1. in Wirklichkeit vielleicht am Ende sogar auch nur aus 2. besteht, sodass es in dem Sinne vielleicht gar keine echte Substanz gibt? Ob das so ist kann ich nicht sagen, es ist nur ein Gedanke, wahrscheinlich, weil ich den Wunsch nach Vereinheitlichung und Verallgemeinerung habe. Und auch deshalb, weil, wenn ich mir die Materie anschaue, dann ist da wie es scheint auch nirgendwo etwa Festes, Substanzielles, da scheint auch immer nur Struktur und Beziehung zu sein: Wie tief man auch schaut, man findet immer nur noch weitere Struktur, nichts anderes.

Mein Punkt über den ich nachdenke ist:

Strukturbeziehungen scheinen im Grunde völlig von von der Kategorie "klein-groß" entkoppelt zu sein, sie können prinzipiell auf jeder Skala auftreten und ich glaube als identifizierbare Entitäten emergieren sie immer, weil sie auch an die Anzahl der prinzipiell möglichen Zustände und damit indirekt meist auch an die Anzahl der zugegenen Teile gebunden sind: Je mehr, desto schärfer können sie werden - wenn gleichzeitig die Ordnung zunimmt (hier wird dann auch der Begriff 'Entropie' wichtig). Sie scheinen zwar immer auf irgendeinem Substrat zu 'leben', aber dieses scheint noch nicht einmal zwingend ein materielles Substrat sein zu müssen, jedenfalls nicht direkt: Ich kann auf einem Computer einen anderen Computer simulieren und auf dieser simulierten Maschine dann ein Programm laufen lassen. Woraus besteht dann dieses Programm? Aus reiner Struktur, es ist sinnlos zu sagen, es sei aus Materie.
Und dennoch kann es kausal wirken, es kann z.B. auf einem materiellen Monitor ein Bild erscheinen lassen.

Ich weiß, aus materieller Sichtweise gibt es das alles nicht, dort gibt es nur die Atome des realen Computers, die sich physikalischen Gesetzen gehorchend so und so verhalten und erst dadurch entsteht irgendein Eindruck "das Programm tut irgendetwas".
Aber ganz so ist es nicht, diese Sichtweise übersieht etwas, denn die Naturgesetze reichen dafür nicht aus, sie bilden nur den Rahmen, erst dadurch, wie dieser Rahmen konkret ausgeschöpft wurde, also welche Struktur mit welchen Beziehungen dort zugegen ist, tut sich das, was sich tut.
Auch die Gegenwart eines Substrates reicht nicht aus, wenn dieses Substrat Atome sind und man glaubt, dass die Atome durch ihre isolierten Eigenschaften schon vollständig beschrieben und festgelegt seien. Das sind sie nicht, denn wenn man das glaubt, vernachlässigt man etwas, das für das einzelne Atom zwar vernachlässigbar ist, aber nicht für größere Systeme: Die Beziehungen zwischen den Atomen und ihre Einbettung in eine Umwelt und einen Kontext. Hier gibt es auch im gesamten Universum keine zwei Teilchen die identisch zueinander wären, schon deshalb nicht, weil die beiden sich nicht an denselben Raumzeitkoordinaten befinden können und daher verschiedene Umgebungen haben.

Und das, was sich da im Gesamtsystem tut, kann auch kausal auf sein Substrat hinunterwirken, nicht nur weil da ein materielles Substrat ist, sondern auch weil bestimmte Strukturbeziehungen existieren. Insofern also Abwärtverursachung... und die interessiert mich brennend, ob da etwas dran ist, denn falls ja, würde das ein ganz neues Weltbild ergeben: Kausal wirksam sind Agenten, Agent kann vieles sein, auch die Materie ist ein Agent, aber auch ein Attraktor in einem chaotischen System oder der Geist im Gehirn.

Das Ganze hat sehr viel Ähnlichkeit mit dem Körper-Geist-Problem. Festhalten kann man zumindest, dass hier mehr als nur eine interessante Perspektive möglich ist.

Und wenn es um die Frage der Beschreibung oder Erklärung eines Systems geht, bleibt mir festzuhalten:
Manchmal gelingt die Erklärung vorwiegend von unten nach oben leichter, manchmal aber auch umgekehrt.
Und die Frage nach der Beschreibung bzw. Erklärbarkeit ist eh von der Frage nach dem Sein mindestes einigermaßen entkoppelt.
Ich denke, man darf sich auch nicht zu sehr von den Erfolgen irgendeiner Methode blenden lassen oder davon, dass sie einfacher zu bewerkstelligen ist, ontologisch beweist das gar nichts.

Ich komme an dem Punkt daher irgendwo nicht zu einer Entscheidung, was denn nun der Fall ist.
Grüße
seeker


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Re: Instabilität

Beitrag von seeker » 8. Jan 2019, 00:22

Noch kurz zu deinen Thesen Tom:
tomS hat geschrieben:
7. Jan 2019, 18:06
Ich nehme beim Leugnen eines materialistischen Weltbildes – z.B. rein naturwissenschaftlichen Erklärungsansätzen für Gewalttäter – ideologische und teilweise schlichtweg dumme Denkmuster wahr.
Ja, das gibt es sicher auch. Aber das wollen wir hier nicht tun.
tomS hat geschrieben:
7. Jan 2019, 18:06
Generell erkenne ich diese Muster viel eher bzgl. der Gentechnik und der Neurobiologie – jetzt entstehend bzgl. der Informationstechnologie und der künstlichen Intelligenz – als bzgl. der Physik. Umgekehrt erkenne ich offensiv materialistisches Auftreten auch eher in diesen Fachbereichen als bei den Physikern. Ich denke, das ist ein sich selbst verstärkendes Phänomen, insbs. auch befeuert durch anti-rationalistische Strömungen wie dem „intelligent design“ bis hin zu zwei US-Präsidenten …
Ja, sehe ich z.T. auch. Das sind Polarisierungen. Ich mag das nicht, wie du weißt, es verhindert ernsthaftes miteinander Sprechen und vor allen Dingen zuhören und vieles mehr.
tomS hat geschrieben:
7. Jan 2019, 18:06
Bzgl. eines Gegenentwurfs bleiben die Kritiker meist vergleichsweise vage: es bleibt zu oft bei dem Appell contra reduktionistischer und pro (z.B.) holistischer Sichtweisen. Fakt ist jedoch, dass die reduktionistische Sichtweise in weiten Bereichen konkret definiert ist und praktisch funktioniert, während der Gegenentwurf auf der Ebene des Appells bleibt. Die reduktionistische Sichtweise ist damit noch nicht im dogmatischen Sinne „wahr“, jedoch im Popperschen Sinne „zutreffend“.
Ich würde es etwas einschränkender sehen: Es ist in seinem Rahmen zutreffend.
Und mir geht es ja auch gar nicht das abzulehnen, bewahre! Es geht mir darum Möglichkeiten zu suchen, es zu sinnvoll zu erweitern, falls möglich.
Es mag richtig sein, dass holistische Ansätze oft vage bleiben, das liegt aber m. E. eher in der Natur der Sache. Die reduktionistische Methode ist viel einfacher zu verfolgen. Man kann aber von der Einfachheit der Methodik noch nicht auf Wahrheit schließen und schon gar nicht "auf der Weisheit letzter Schluss". Deshalb muss man da versuchen offen zu bleiben, da wo es sinnvoll erscheint.
tomS hat geschrieben:
7. Jan 2019, 18:06
„Das Schlimmste – die Sünde gegen den heiligen Geist – ist, wenn die Intellektuellen versuchen, sich ihren Mitmenschen gegenüber als große Propheten aufzuspielen und sie mit orakelnden Philosophien zu beeindrucken. Wer’s nicht einfach und klar sagen kann, der soll schweigen und weiterarbeiten, bis er’s klar sagen kann.“
Vielen Dank! Wo soll ich unterschreiben? :)
Ehrlich: Mir geht das auch ganz gehörig auf den Keks. Ich glaube Wittgenstein war auch dieser Ansicht, er sagte einmal:
"Was sich überhaupt sagen lässt, lässt sich klar sagen; und wovon man nicht reden kann, darüber muss man schweigen."

Also was soll das sprachkünstlerische Geschwurbel mancher Autoren? Bei mir stellt sich dabei oft der Verdacht der Effekthascherei ein... a la:
"Was, du verstehst meine hochgeistigen Worte nicht? Na, das liegt wohl daran, dass dir der intellektuelle Zugang fehlt (= du zu blöd bist)..."
Nee, Alter! Das liegt wohl eher daran, dass DU zu blöd oder unwillens bist dich klar auszudrücken. :devil:
tomS hat geschrieben:
7. Jan 2019, 18:06
nun wundert sie sich, wo sie geblieben ist, warum die Physik – auch im Sinne von Methode, Weltbild und Metaphysik – „alternativlos“ zu sein scheint und das Feld besetzt.
Da ist wohl etwas dran...
Aber es ist auch eine Verallgemeinerung, vorsicht...
tomS hat geschrieben:
7. Jan 2019, 18:06
Was ich damit sagen will: die Physiker haben – in Teilbereichen – die „Sünde“ begangen, die in der Philosophie entstandene Lücke durch ein sehr eng gefasstes, wenig differenziertes Weltbild zu ersetzen – und sich als Hobby-Philosophen zu betätigen, was sie manchmal besser hätten bleiben lassen sollen. Andererseits – irgendjemand muss halt den Job machen ;-)
Da ist wohl auch etwas dran... :)
... auch wenn man auch da bei der Verallgemeinerung vorsichtig sein sollte.
tomS hat geschrieben:
7. Jan 2019, 18:06
Ich bedauere diese wechselweise Sprachlosigkeit sehr. Das schlimmste scheint mir aber zu sein, dass viele sie nicht bedauern, weil sie sich selbst genug sind …
Es fehlt glaube ich oft etwas an beiderseitigem Verständnis und auch an Grundwissen. Das ist bedauerlich. Es wäre mehr fachübergreifende Kommunikation wünschenswert, ein mehr an voneinander Lernen, nicht nur zwischen Physik und Philosophie.

Aber neben all dem scheint mir etwas anderes noch gewichtiger zu sein:
Der geschichtlich gesehen unglaubliche Erfolg der Physik mit ihrer Methode und ihrem Überzeugungsbackground "Materialismus", incl. der darauf aufgebauten Technik mit ihren dramatisch verändernden Folgen für den Altag der Menschen der gesamten Gesellschaft. Ich glaube bei so etwas besteht immer die Gefahr, dass der Blick in manche Richtung auch einmal vernebelt werden kann und dass zu viel Selbstzufriedenheit aufkommt.
Grüße
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Re: Instabilität

Beitrag von tomS » 8. Jan 2019, 01:49

Auch zu deinen Kommentaten meine Zustimmung.

Dein letzter Kommentar passt zu einem meiner Eingangsstatements. Zusammengefasst: maßgeblicher, messbarer und insbs. auch finanzieller Erfolg einer Methode, die von der anderen, nicht messbar erfolgreichen Partei, die gerade ihre Methoden auf den Müll geworfen hat, oft nicht verstanden wird; kein Duell auf Augenhöhe.
Gruß
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Re: Instabilität

Beitrag von Job » 8. Jan 2019, 12:23

seeker hat geschrieben:
7. Jan 2019, 23:39
Wir haben also zweierlei Elemente vorliegen, aus denen das Boot besteht:

1. Substanz
2. Strukturbeziehungen

Und wie ich es auch durchdenke, ich kann nicht anders, als zu dem Schluss zu kommen, dass beides völlig real ist und dass keines von beiden irgendwo realer als das andere ist oder dass eines davon irgendwie mit Sicherheit primär wäre, das andere nur sekundär, obwohl ich 2. nicht als 'materiell' bezeichnen würde.
Ok
seeker hat geschrieben:
7. Jan 2019, 23:39
Und mir kommt sogar die Frage in den Sinn, ob 1. in Wirklichkeit vielleicht am Ende sogar auch nur aus 2. besteht, sodass es in dem Sinne vielleicht gar keine echte Substanz gibt? Ob das so ist kann ich nicht sagen, es ist nur ein Gedanke, wahrscheinlich, weil ich den Wunsch nach Vereinheitlichung und Verallgemeinerung habe. Und auch deshalb, weil, wenn ich mir die Materie anschaue, dann ist da wie es scheint auch nirgendwo etwa Festes, Substanzielles, da scheint auch immer nur Struktur und Beziehung zu sein: Wie tief man auch schaut, man findet immer nur noch weitere Struktur, nichts anderes.
Ich glaube, dass die Natur da eine andere Antwort zu gefunden hat. Es wird wird Dir auch nicht gelingen, diese Sichtweise mathematisch abzubilden, denn mathematisch sind Strukturen nur über die Elemente bzw. Teilmengen von Mengen definierbar, die letztlich dann das Pendant zur „Materie“ sind.
seeker hat geschrieben:
7. Jan 2019, 23:39
Mein Punkt über den ich nachdenke ist:

Strukturbeziehungen scheinen im Grunde völlig von von der Kategorie "klein-groß" entkoppelt zu sein, sie können prinzipiell auf jeder Skala auftreten und ich glaube als identifizierbare Entitäten emergieren sie immer, weil sie auch an die Anzahl der prinzipiell möglichen Zustände und damit indirekt meist auch an die Anzahl der zugegenen Teile gebunden sind: Je mehr, desto schärfer können sie werden - wenn gleichzeitig die Ordnung zunimmt (hier wird dann auch der Begriff 'Entropie' wichtig). Sie scheinen zwar immer auf irgendeinem Substrat zu 'leben', aber dieses scheint noch nicht einmal zwingend ein materielles Substrat sein zu müssen, jedenfalls nicht direkt:
Wunderbar
seeker hat geschrieben:
7. Jan 2019, 23:39
Ich kann auf einem Computer einen anderen Computer simulieren und auf dieser simulierten Maschine dann ein Programm laufen lassen. Woraus besteht dann dieses Programm? Aus reiner Struktur, es ist sinnlos zu sagen, es sei aus Materie.
Und dennoch kann es kausal wirken, es kann z.B. auf einem materiellen Monitor ein Bild erscheinen lassen.
Dieses Beispiel ist aus meiner Sicht nicht gut, weil es sehr angreifbar ist und auch einige Begriffe etwas unscharf sind. Ein Programm ist (auch mathematisch) keine Struktur. Ein Programm arbeitet oft mit Datenstrukturen und manipuliert diese, ist aber selbst keine Struktur. Ein Programm kann eine Struktur haben, aber das bezieht sich dann auf Relationen bestimmter Teilbereiche des Programmes, also wieder auf Teilmengen einer Menge.
seeker hat geschrieben:
7. Jan 2019, 23:39
Auch die Gegenwart eines Substrates reicht nicht aus, wenn dieses Substrat Atome sind und man glaubt, dass die Atome durch ihre isolierten Eigenschaften schon vollständig beschrieben und festgelegt seien. Das sind sie nicht, denn wenn man das glaubt, vernachlässigt man etwas, das für das einzelne Atom zwar vernachlässigbar ist, aber nicht für größere Systeme: Die Beziehungen zwischen den Atomen und ihre Einbettung in eine Umwelt und einen Kontext. Hier gibt es auch im gesamten Universum keine zwei Teilchen die identisch zueinander wären, schon deshalb nicht, weil die beiden sich nicht an denselben Raumzeitkoordinaten befinden können und daher verschiedene Umgebungen haben.
Wunderbar
seeker hat geschrieben:
7. Jan 2019, 23:39
Und das, was sich da im Gesamtsystem tut, kann auch kausal auf sein Substrat hinunterwirken, nicht nur weil da ein materielles Substrat ist, sondern auch weil bestimmte Strukturbeziehungen existieren. Insofern also Abwärtverursachung... und die interessiert mich brennend, ob da etwas dran ist, denn falls ja, würde das ein ganz neues Weltbild ergeben:
Wunderbar
seeker hat geschrieben:
7. Jan 2019, 23:39
Kausal wirksam sind Agenten, Agent kann vieles sein, auch die Materie ist ein Agent, aber auch ein Attraktor in einem chaotischen System oder der Geist im Gehirn.

Das Ganze hat sehr viel Ähnlichkeit mit dem Körper-Geist-Problem. Festhalten kann man zumindest, dass hier mehr als nur eine interessante Perspektive möglich ist.
Ja, das (Körper-Geist) ist wohl das eigentliche Geheimnis der Natur und eine Antwort darauf ist offen. Ich bin aber sicher, dass hier Unendlichkeiten und deren Grenzwerte (Emergenzen) eine zentrale Rolle spielen. Dieses Problem und seine Lösung ist im wahrsten Sinne des Wortes unendlich vielschichtig und mathematisch bisher so gut wie nicht behandelt, soweit ich das überblicke. Mit endlichen Ansätzen wie „der Geist kann alleine aus den Atomen des Gehirns heraus erklärt werden“ kommt man nicht zum Ziel. Damit kann man durchaus viele Phänomene und Strukturen in der Welt erklären, was die Physik ja auch eindrucksvoll getan hat, aber eben nicht alle.
seeker hat geschrieben:
7. Jan 2019, 23:39
Und wenn es um die Frage der Beschreibung oder Erklärung eines Systems geht, bleibt mir festzuhalten:
Manchmal gelingt die Erklärung vorwiegend von unten nach oben leichter, manchmal aber auch umgekehrt.
Das liegt daran, dass die Natur es genauso macht. Die elektromagnetische Wechselwirkung zum Beispiel kann man nur von unten nach oben erklären. Die Gravitation nur von oben nach unten.


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Re: Instabilität

Beitrag von seeker » 8. Jan 2019, 13:10

Danke! :)
Job hat geschrieben:
8. Jan 2019, 12:23
Ich glaube, dass die Natur da eine andere Antwort zu gefunden hat. Es wird wird Dir auch nicht gelingen, diese Sichtweise mathematisch abzubilden, denn mathematisch sind Strukturen nur über die Elemente bzw. Teilmengen von Mengen definierbar, die letztlich dann das Pendant zur „Materie“ sind.
Ja, du hast Recht. Die Elemente in der Mathematik entsprechen der Substanz im Universum.
Dazu eine grundsätzliche Frage:
Ist es vielleicht doch möglich?
Lässt sich vielleicht doch eine Mathematik ohne Elemente ('Substanz') formulieren?
Idee dazu: Man könnte es vielleicht so versuchen, dass man die Elemente (Zahlen, Mengen, ...) auf irgendeiner Ebene stets durch tieferligende Strukturbeziehungen definiert/bildet, unaufhörlich immer weiter runter, unendlich weit runter. Durch das 'Unendlichkeitsschlupfloch' würde man sie dann ganz loswerden.
Nur so als eine Idee...

Was mich an unserer Mathematik übrigens auch noch -wie soll ich sagen?- ein wenig wundert, ist ihr im Kern statischer Charakter: Das Rechnen, also die tätige Bewegung, z.B. die tatsächliche rechnerische Manipulation von Zahlen, Iterationsprozesse, allgemein die Prozesshaftigkeit scheint mir irgendwie nur aufgepropft zu sein, aber in ihrem Kern, ihrem Grundaufbau gar nicht vorzukommen. Kann man verstehen, was ich meine?
Ließe sich das nicht irgendwie besser schon in Kern integrieren? Schwierige Frage, ich weiß...
Job hat geschrieben:
8. Jan 2019, 12:23
Dieses Beispiel ist aus meiner Sicht nicht gut, weil es sehr angreifbar ist und auch einige Begriffe etwas unscharf sind.
Ja, da hast du Recht. Es lässt sich bestimmt noch ein besseres Beispiel finden.
Job hat geschrieben:
8. Jan 2019, 12:23
Mit endlichen Ansätzen wie „der Geist kann alleine aus den Atomen des Gehirns heraus erklärt werden“ kommt man nicht zum Ziel. Damit kann man durchaus viele Phänomene und Strukturen in der Welt erklären, was die Physik ja auch eindrucksvoll getan hat, aber eben nicht alle.
Ja, man kommt zwar auf diesem Weg auch immer noch ein Stückchen weiter, aber ein wirklich befriedigendes Endresulat kommt nicht in Sicht.
Pragmatisch gesehen ist es dabei eh klar, dass man bei genügend komplexen Systemen immer auch noch andere Erklärungen und Beschreibungen und Begriffe brauchen wird, als nur die, die 'physikalisch-reduktionistisch-elementar' (blöder Ausdruck, ihr wisst aber was ich meine) zur Verfügung stehen. Aus eben diesem Grund wird es auch immer neben der Physik auch noch die anderen Naturwissenschaften geben und brauchen.
Es wäre dabei nur schön, wenn 'die anderen' oder eine ganz neue übergreifende Wissenschaft dabei ähnlich exakt wie die Physik werden könnte.
Das möchte ich hier zumindest einmal als ein Ziel für die Zukunft definieren.
Grüße
seeker


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Re: Instabilität

Beitrag von tomS » 8. Jan 2019, 13:47

Zur Strukturbildung:

In vielen Fällen ist diese mikroskopisch kodiert. Z.B. resultiert die Strukturbildung einer Schneeflocke aus den inter-atomare Wechselwirkungen und den umgebenden Wassermolekülen; die Regeln zur Strukturbildung bei Lebewesen sind in der DNA kodiert; die Strukturbildung bei Verkehrsstaus kann mittels zellulärer Automaten oder hydrodynamischen Gleichungen modelliert werden.

In allen Fällen ist die tatsächliche Struktur emergent, d.h. es existiert kein Bauplan im Sinne der makroskopischen Struktur, diese geht vielmehr durch mikroskopische Regeln aus elementaren Entitäten hervor. Dabei sind diese mikroskopischen Regeln (Quantenmechanik, Biochemie, Zustandsautomat) und Entitäten (Wassermoleküle, Eiweißmoleküle, Zustände in zellulären Automaten bzw. Autos) ausreichend zur Erklärung der Strukturentstehung jedoch nicht für die Bedeutung der Struktur.

Im Falle des Bootes oder der Späne verhält es sich nun anders: hier ist ein externen "Bauplan" vorhanden (als Zeichnung, als textuelle Handlungsanweisung, ggf. nur im Gehirn). Mit diesem Plan ist auch eine Intention verknüpft ("baue ein Boot = einen Körper, der schwimmt und Lasten aufnehmen kann", oder "zersäge diese Eisenplatte"). Hier ist es nicht mehr sinnvoll, von Emergenz zu sprechen. Doieses Problem können wir nur verstehen, wenn wir letztlich das Körper-Geist-Problem lösen.
Job hat geschrieben:
8. Jan 2019, 12:23
Ich glaube, dass die Natur da eine andere Antwort zu gefunden hat. Es wird wird Dir auch nicht gelingen, diese Sichtweise mathematisch abzubilden, denn mathematisch sind Strukturen nur über die Elemente bzw. Teilmengen von Mengen definierbar, die letztlich dann das Pendant zur „Materie“ sind.
Es gibt da eine recht interessante philosophische Richtung, den sogenannten Strukturenrealismus, der die Ontologie sozusagen umkehren und sie Strukturen - anstelle der Substanz - als fundamentale Entitäten festlegen möchte.

Ich denke, man kann derartige Ansätze tatsächlich mathematisch formulieren. Ein extremes Beispiel ist die Twistor-Theorie: hier nutzt man eine spezielle geometrische Dualität aus, die es erlaubt, eine Bijektion zwischen der Raumzeit und dem Twistorraum herzustellen. Ein Punkt im Twistorraum entspricht dabei einem (unendlich ausgedehnten) Lichtstrahl in der bekannten Raumzeit, ein Punkt der Raumzeit wird durch ein Bündel sich schneidender Lichtstrahlen = dem Lichtkegel in diesem Punkt beschrieben; der Punkt ist dabei nicht fundamental. Ich kenne leider den aktuellen Status der Twistor-Theorie bzgl. der Quantengravitation nicht; jedenfalls ist der Ansatz nicht sehr weit verbreitet.
Job hat geschrieben:
8. Jan 2019, 12:23
Ein Programm ist (auch mathematisch) keine Struktur. Ein Programm arbeitet oft mit Datenstrukturen und manipuliert diese, ist aber selbst keine Struktur.
Das ist m.E. Ansichtssache.

Wenn du eine universelle Turingmaschine betrachtest, dann sollte es möglich sein, den Zustandsautomaten ebenfalls auf dem Band unterzubringen; die Turingmaschine ist dann im wesentliche ein Datenspeicher.

Wenn du das selbe Programm als Flussdiagramm darstellst, dann hast du Relationen ,Graphen, und damit eher eine Struktur.
Job hat geschrieben:
8. Jan 2019, 12:23
Ja, das (Körper-Geist) ist wohl das eigentliche Geheimnis der Natur und eine Antwort darauf ist offen. Ich bin aber sicher, dass hier Unendlichkeiten und deren Grenzwerte (Emergenzen) eine zentrale Rolle spielen. Dieses Problem und seine Lösung ist im wahrsten Sinne des Wortes unendlich vielschichtig und mathematisch bisher so gut wie nicht behandelt, soweit ich das überblicke.
Ja.
Job hat geschrieben:
8. Jan 2019, 12:23
Mit endlichen Ansätzen wie „der Geist kann alleine aus den Atomen des Gehirns heraus erklärt werden“ kommt man nicht zum Ziel. Damit kann man durchaus viele Phänomene und Strukturen in der Welt erklären, was die Physik ja auch eindrucksvoll getan hat, aber eben nicht alle.
Doch, es gibt da eine letztlich sehr einfache Möglichkeit.

Nehmen wir an, "Geist" ist letztlich nichts anderes als ein Algorithmus, implementiert in der HW des Gehirns. Damit können zumindest alle algorithmische Handlungen erklärt werden. Im Falle von scheinbar nicht-algorithmischen Handlungen (Zufall, freie Willensentscheidungen, ...) könnte entweder externer Zufall (seitens der Reize aus der Umwelt) oder mangelnde Introspektion vorliegen (die algorithmische Entscheidung dringt nicht ins Bewusstsein).

Der "Geist" bzw. das "Selbst-Bewusstsein" und dessen Funktionsweise wäre dann für uns nicht ergründbar, weil dies erfordern würde, dass der Algorithmus mit den relevanten Daten sich selbst repräsentiert und sich selbst versteht, was für genügend mächtige Algorithmen nach Gödel beweisbar unmöglich ist.

Dieses Modell könnte zutreffend sein; aber wenn es zutreffend ist, dann ist es gleichzeitg beweisbar nicht verstehbar.

Zum Körper-Geist-Problem gibt es ja diverse Ansätze. Evtl. lesenswert ist das Buch vom Popper und Eccles mit der Theorie der Drei-Welten-Lehre; Popper und Eccles diskutieren und kritisieren auch andere Ansätze.

Generell halte ich einen Dualismus für problematisch, denn wenn Geist wesenverschieden von Materie ist, dann bleibt die tatsächliche und absichtliche Einwirkung des Geistes auf die Materie rätselhaft. Da halte ich einen reinen Materialismus, der jedoch prinzipbedingt nicht vollständig verstehbar ist, für einfacher.

Ebenfalls interesant ist das Chinesische Zimmer von Searle.

Während uns intuitiv klar ist, was es bedeutet, chinesisch zu verstehen, löst sich dieses Verständnis in Nichts auf, wenn man ein Zimmer betrachtet, in dem ein Mensch sitzt, der des Chinesischen nicht mächtig ist, jedoch nach festgelegten Regeln chinesische Schriftzeichen identifiziert und
manipuliert. Nichts und niemand weist hier irgendein Verständnis der chinesischen Schrift und Sprache auf, dennoch verhält sich das Zimmer mit dem Menschen darin so, wie wenn ein Chinese eingeschlossen wäre. Wir sehen das nur deswegen ein, weil wir aus dem Zimmer heraustreten können bzw. weil wir es uns erst ausgedacht haben. Im Falle unseres Gehirn verstehen einzelne Neuronen auch kein Chinesisch; wir können aber ebenfalls das Verstehen nicht verorten; wie genau wir auch in unser Gehirn hinschauen, wir finden keinen Chinesen. Leider ist uns das heraustreten aus unserem Geist jedoch verwehrt.
Job hat geschrieben:
8. Jan 2019, 12:23
Die [Gravitation] kann man nur von oben nach unten [erklären]
Warum??
Gruß
Tom

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Re: Instabilität

Beitrag von tomS » 8. Jan 2019, 14:14

seeker hat geschrieben:
8. Jan 2019, 13:10
Lässt sich vielleicht doch eine Mathematik ohne Elemente ('Substanz') formulieren?
Idee dazu: Man könnte es vielleicht so versuchen, dass man die Elemente (Zahlen, Mengen, ...) auf irgendeiner Ebene stets durch tieferligende Strukturbeziehungen definiert/bildet, ...
Das ist doch bereits der Fall.

Natürliche Zahlen kann man nach von Neumann konstruieren, wobei einzige gesetzte Element die leere Menge ist:

https://de.wikipedia.org/wiki/Nat%C3%BC ... hen_Zahlen

Reelle Zahlen werden definiert mittel Dedekindscher Schnitte

Generell empfehle ich, sich in die [urlhttps://de.wikipedia.org/wiki/Kategorientheorie]Kategorientheorie[/url] einzuarbeiten - und sie mir dann zu erklären.
seeker hat geschrieben:
8. Jan 2019, 13:10
Was mich an unserer Mathematik übrigens ein wenig wundert, ist ihr im Kern statischer Charakter: Das Rechnen, also die tätige Bewegung, z.B. die tatsächliche rechnerische Manipulation von Zahlen, Iterationsprozesse, allgemein die Prozesshaftigkeit scheint mir irgendwie nur aufgepropft zu sein, aber in ihrem Kern, ihrem Grundaufbau gar nicht vorzukommen.
Ich sehe das als Wechselspiel. Die Mathematiker sind in der Lage, die rechnerischen Manipulationen in einen Rahmen zu bringen, der sozusagen den statischen Gesamtkontext darstellt. Darüber hinaus weisen dann z.B. Erweiterungen dieses Kontextes, z.B. Erweiterungen des Zahlensystems.
seeker hat geschrieben:
8. Jan 2019, 13:10
Pragmatisch gesehen ist es dabei eh klar, dass man bei genügend komplexen Systemen immer auch noch andere Erklärungen und Beschreibungen und Begriffe brauchen wird, als nur die, die 'physikalisch-reduktionistisch-elementar' zur Verfügung stehen.
s.o. - nicht unbedingt im fundamentalen Sinne bzw. im Sinne des Verständnisses.

Man benötigt Qualia offenbar im tägliche Leben, ohne dass man dadurch verstehen würde, um was es sich dabei handelt.
Gruß
Tom

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Re: Instabilität

Beitrag von tomS » 8. Jan 2019, 16:01

ATGC hat geschrieben:
8. Jan 2019, 14:53
Hallo Tom,
die Regeln zur Strukturbildung bei Lebewesen sind in der DNA kodiert
Das ist zwar weit verbreitete populäre Meinung, aber sie ist dennoch falsch ...
Danke für die Details.

Der Punkt ist aber doch, dass der Plan auf DNA (+ RNA) kodiert ist, während die Zellen mit ihrem Stoffwechsel etc. die Maschinen darstellen, die den Plan umsetzen. Vor der Ausdifferenzierung liegt ein Zellcluster identischer Zellen vor, später entstehen spezialisierte Zellen, die den selben Plan anders interpretieren können.

Gibt es einen Mechanismus, der über die einzelne Zelle hinausgreift?
ATGC hat geschrieben:
8. Jan 2019, 14:53
Als Analogie kann man sich das so vorstellen: Aus der Zutatenliste der Speisekammer einer Hotelküche lässt sich nicht ableiten, wie man ein Hotel so bewirtschaftet, dass es ein erfolgreiches Hotel ist. Die DNA entspricht hier der Zutatenliste. Welche Zutaten man in welcher Menge und in welcher Abfolge man verwendet, um daraus ein Fünf-Gänge-Menü zu kreieren, mit dem man Gäste ins Hotel lockt und zum Bleiben zu veranlassen, ist Angelegenheit des Personals, welches immer wieder mal in die Speisekammer kommt, um sich Zutaten zu holen.
Aber das Personal weiß das, bzw. hat einen Chefkoch, der das weiß.

Wer weiß das in der Zelle?
Gruß
Tom

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Re: Instabilität

Beitrag von Job » 8. Jan 2019, 16:58

ATGC hat geschrieben:
8. Jan 2019, 16:23

Diese Rückkopplungen wiederum greifen auf organisierte Weise auch auf das Genom zu, um einerseits benötigte Proteine zu reproduzieren und andererseits über veränderte Gradienten auf veränderte Weise auf Genombereiche zuzugreifen, so dass daraus die Individualentwicklung (Ontogenese) zustande kommt. Wir haben es hier also mit einem hochgradig dynamischen Geschehen zu tun, in das die DNA zwar einbezogen ist (Vorlage für RNA und Proteine), aber selber keinerlei Steuerungsfunktion hat. Die Steuerung verläuft vollkommen "ungeplant", um es mal salopp zu sagen - obwohl es uns so scheint, als gebe es einen Ablaufplan. Verblüffend, aber wahr.
Das ist ja hochinteressant. Danke ATGC.

Tom hatte ja auch schon eine Unterscheidung gemacht in Prozesse, die einem "Bauplan" folgen (Boot) und Prozesse wie hier, die zumindest keinen explizit erkennbaren und irgendwo lokalisierten Bauplan haben. Unser Universum hat sicher auch keinen expliziten Bauplan und trotzdem ist es in der Lage eine Spezies hervorzubringen, die wiederum explizite Baupläne erstellen kann und damit Dinge herstellen kann, die die Natur aus sich heraus ohne diesen Bauplan nie von selbst hervorgebracht haben könnte. Wie zum Beispiel ein Containerschiff. Ich muss ehrlich gestehen, dass mir die Tragweite hiervon noch völlig unklar ist.

Viele Grüße
Job
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Re: Instabilität

Beitrag von tomS » 8. Jan 2019, 17:19

ATGC hat geschrieben:
8. Jan 2019, 16:23
Hallo Tom,
Der Punkt ist aber doch, dass der Plan auf DNA (+ RNA) kodiert ist, während die Zellen mit ihrem Stoffwechsel etc. die Maschinen darstellen, die den Plan umsetzen.
Nein, eben nicht ... Wir haben es hier also mit einem hochgradig dynamischen Geschehen zu tun, in das die DNA zwar einbezogen ist (Vorlage für RNA und Proteine), aber selber keinerlei Steuerungsfunktion hat. Die Steuerung verläuft vollkommen "ungeplant", um es mal salopp zu sagen - obwohl es uns so scheint, als gebe es einen Ablaufplan.
Schauen wir uns eine Fabrik an: da gibt es einen Bauplan für Teile sowie eine Koordinierung von Maschinen und Linien, auf denen dann Autos verschiedener Typen enstehen. DNA + RNA stehen für den Plan der Teile, richtig?
ATGC hat geschrieben:
8. Jan 2019, 16:23
Vor der Ausdifferenzierung liegt ein Zellcluster identischer Zellen vor, später entstehen spezialisierte Zellen, die den selben Plan anders interpretieren können.
Wie gesagt, so scheint es auszusehen, aber in Wirklichkeit interpretiert da niemand etwas. Das Geschehen sortiert sich selbst über Stoff- und Konzentrationsgradienten, so dass am Ende ein geordnet ablaufendes Differenzierungsgeschehen herauskommt, ohne dass dazu ein "Masterplan" irgendwo festgeschrieben steht.
Das sage ich doch: die selbe DNA = der selbe Plan wird anders "interpretiert", weil eine andere Umgebungsbedingung vorliegt.
ATGC hat geschrieben:
8. Jan 2019, 16:23
Gibt es einen Mechanismus, der über die einzelne Zelle hinausgreift?
Ja, an den Kontaktstellen der aneinander haftenden Zellen werden Proteine und Hormone ausgetauscht, die dann weitere Reaktionskaskaden auslösen, welche dann die Differenzierung und die Embryogenese vorantreiben.
OK, die Zellen wären dann die Maschinen, die untereinander interagieren.
ATGC hat geschrieben:
8. Jan 2019, 16:23
Wer weiß das in der Zelle?
Niemand. Die Dinge regulieren sich von selbst.
Doch, im wesentlichen "weiß" das die Zelle; besser ist vielleicht, sie "kann" es, nicht im Sinne eines Planes sondern im Sinne eines kleinen Programms + Umgebungseinflüssen + interner biochemischer Vorgänge.

Das ändert letztlich nichts daran, dass man dies im wesentlichen auf Ebene der Zelle plus externer Einflüsse abläuft.

Jedenfalls liegt kein übergreifender oder umfassender Plan vor, und dennoch funktioniert das auf mikroskopischer Ebene. Und genau darauf wollte ich hinaus.
Gruß
Tom

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Re: Instabilität

Beitrag von Job » 8. Jan 2019, 17:22

tomS hat geschrieben:
8. Jan 2019, 13:47
Job hat geschrieben:
8. Jan 2019, 12:23
Die [Gravitation] kann man nur von oben nach unten [erklären]
Warum??
Für von unten nach oben (Vakuum) sind die Energiedichten der einzelnen Schichten des Vakuums viel zu groß als dass sich daraus die im Vergleich winzige Energiedichte der Gravitation ableiten liesse.

Die geometrische Sichtweise der Gravitation in der ART ist keine Erklärung der Gravitation, sondern lediglich eine mathematische (effektive) Abbildung der Konsequenzen der Gravitation auf den Zustand des Vakuums und die Bewegung von Materie und Licht. Sie erklärt im Grunde die Ursache und das Wesen der Gravitation nicht.

Bleibt also nur eine Sicht von oben nach unten. Dies bedeutet, dass die Ursache der Gravitation und ihre Schwäche im Vergleich zu anderen Kräften aus den Zuständen des Universums als Ganzes abgeleitet werden muss. Global --> Lokal. Erik Verlinde hat dies u.a. aus dem holographischen Prinzip und thermodynamischen Aspekten heraus motiviert. Und das trifft es auch im Wesentlichen, wenn man das holographische Prinzip entsprechend interpretiert.

Viele Grüße
Job
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Re: Instabilität

Beitrag von tomS » 8. Jan 2019, 17:34

Job hat geschrieben:
8. Jan 2019, 17:22
tomS hat geschrieben:
8. Jan 2019, 13:47
Job hat geschrieben:
8. Jan 2019, 12:23
Die [Gravitation] kann man nur von oben nach unten [erklären]
Warum??
Für von unten nach oben (Vakuum) sind die Energiedichten der einzelnen Schichten des Vakuums viel zu groß ...

Die geometrische Sichtweise der Gravitation in der ART ...
Bleiben wir zunächst mal bei der klassischen Gravitation.

Da kann man die ART als Eichtheorie umformulieren, so dass - bis auf mathematische Feinheiten - die geometrische Struktur der ART analog zu QED, QCD etc. verstanden werden kann.
Job hat geschrieben:
8. Jan 2019, 12:23
Erik Verlinde hat dies u.a. aus dem holographischen Prinzip und thermodynamischen Aspekten heraus motiviert. Und das trifft es auch im Wesentlichen, wenn man das holographische Prinzip entsprechend interpretiert.
Verlindes Ansatz ist keineswegs unumstritten:

https://en.wikipedia.org/wiki/Entropic_ ... ntal_tests

Loop Quantum Gravity und Asymptotic Safety gehen hier einen anderen, sehr konservativen Weg, insbs. letztere. Die Stringtheorie geht wieder völlig andere Wege.

Das holographische Prinzip alleine ist für diese Schlussfolgerung nicht ausreichend; es handelt sich da wohl um einen sehr generischen Ansatz, der in unterschiedlichsten Kontexten immer wieder auftaucht.
Gruß
Tom

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Re: Instabilität

Beitrag von tomS » 8. Jan 2019, 17:44

ATGC hat geschrieben:
8. Jan 2019, 17:34
die selbe DNA = der selbe Plan wird anders "interpretiert", weil eine andere Umgebungsbedingung vorliegt.
Nein. Es gibt hier keinen Plan. Es gibt lediglich Vorlagen für die Reproduktion von Proteinen, aber keinen Plan, der interpretiert werden müsste.
Wir streiten nur u Worte.

Es gibt einen Plan = eine Vorlage für die Reproduktion von Proteinen; das erfolgt in biochemischen Vorgängen, was der Interpretation des Planes = der DNA + RNA entspricht.
ATGC hat geschrieben:
8. Jan 2019, 17:34
die Zellen wären dann die Maschinen, die untereinander interagieren.
Das passt auch nicht, denn jede Zelle ist ein eigenständiger und vollständiger Organismus.
Was stört an dieser Analogie? Eine Maschine doch auch im wesentlichen autark.
ATGC hat geschrieben:
8. Jan 2019, 17:34
im wesentlichen "weiß" das die Zelle; besser ist vielleicht, sie "kann" es, nicht im Sinne eines Planes sondern im Sinne eines kleinen Programms plus Umgebungseinflüssen plus interner biochemischer Vorgänge.
Nein, es gibt hier kein Programm. Es gibt nur eine Grundausstattung für die Reproduktion der Proteine, aber die Produktion selber läuft autonom ab ... Die DNA liefert dazu ihren spezifischen Beitrag, aber kein Programm, wie was abzulaufen hat.
Das Programm oder die Grundausstattung ist die Biochemie der Zelle. Ich habe nicht gesagt, dass es die DNA ist.
Gruß
Tom

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Re: Instabilität

Beitrag von tomS » 8. Jan 2019, 20:22

ATGC hat geschrieben:
8. Jan 2019, 17:58
Wir streiten nur um Worte.
Nein, wir streiten um einen adäquaten Zugang zum Verständnis, wie man Leben begreifen kann und wie nicht bzw. wie man es falsch oder unzureichend begreifen kann.
Darüber will ich gar nicht streiten. Ich hatte schlichtweg unpräzise Vergleiche gezogen, die du korrigierst. Aber für unseren Kontext ist das irrelevant.
ATGC hat geschrieben:
8. Jan 2019, 17:58
Was stört an dieser Analogie?
Jede Zelle hat ein eigenes Genom und einen eigenen Stoffwechsel. Wenn Zellen mit anderen Zellen über Stoffaustausch interagieren, stimmen sie sich nicht darauf ab, ein bestimmtes Ziel zu erreichen, was Du aber über Deine Autofabrik-Analogie nahegelegt hattest.
Maschinen in einer Autofabrik stimmen sich nicht auf ein Ziel ab, sondern erledigen eigene, autonome Aufgaben. Dass dabei ein Auto entsteht, ist in Unterlagen enthalten, die während der Produktion nirgendwo in der Fabrik existieren.
ATGC hat geschrieben:
8. Jan 2019, 17:58
Das Programm oder die Grundausstattung ist die Biochemie der Zelle.
Noch einmal: Die Biochemie der Zelle ist kein Programm, was etwas festlegt oder festschreibt, sondern ein Prozess, der sich ohne jegliche Festschreibung vollzieht, die man als Plan bezeichnen könnte oder als Programm.
Ich bezeichne die Biochemie nicht als Plan.

Und was ist der Unterschied zu einem Programm? Es gibt definierten Input der unter definierten Bedingungen zu einem bestimmten Output sowie einer Veränderung des Zustandes der Zelle führt. Es folgt physikalischen Gesetzen, damit bekannten mathematischen Gleichungen - wenn auch sehr komplizierten. Das ist rein mathematisch im weitesten Sinne isomorph zu einem Algorithmus oder ein Programm, nur dass es nicht mit Zahlen sondern Stoffen arbeitet.

An welcher Stelle verläuft das nicht-algorithmisch?

Und was heißt „ohne jegliche Festschreibung“?
ATGC hat geschrieben:
8. Jan 2019, 17:58
Wir haben es hier mit einem Effekt zu tun, der so erscheint, als liefe er geplant oder programmiert, aber bei der Suche nach einem Plan oder Programm wird man nicht fündig ...
An welcher Stelle verläuft der Prozess nicht-algorithmisch?

Wenn das zuträfe, würde dies bekannte Naturgesetze verletzen, die bekanntermaßen alle einem Algorithmus, einer Berechnungsmethode und damit einem Programm entsprechen.
ATGC hat geschrieben:
8. Jan 2019, 17:58
Du musst hier das Ganze betrachten und berücksichtigen und nicht nur die einzelnen Teile, aus denen sich dieses Ganze zusammensetzt. Und das schließt im Falle von Lebewesen die Umgebung mit ein, in der sie sich befinden, da sie Fließgleichgewichte sind, die über die Umgebungsbedingungen beeinflussbar sind.
Das macht es komplizierter, aber nicht nicht-algorithmisch.
Gruß
Tom

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Re: Instabilität

Beitrag von Skeltek » 8. Jan 2019, 21:07

Bei Erbgut hängt es vom 'Elektronegativitäts-Fingerabdruck' ab (entschludigt das geschnörkelte Wort), wo sich eine lange Molekülkette wie biegt und wohin ihre Komponenten bei katalysierter Faltungsinduktion beschleunigen. Das ist nicht immer die entropisch beste Anordnung sondern oft ein lokales Optimum.
Durch eine andere Zusammensetzung der Flüssigkeit (Dielektrizität, Katalysatoren, usw), in welcher die Molekülkette schwimmt, als auch durch katalysierende Oberflächen anderer Moleküle und Strukturen, biegt sich die Molekülkette teils anders oder an mehreren Stellen fast gleichzeitig, wodurch ein anders gefaltetes Konstrukt entsteht.
Insofern sehe ich es schon als einen Bauplan an, welcher jedoch wie auch Algorithmen der Mathematik kontextabhängig zu sehen ist.
Die DNA ist mehr oder weniger als Input zu sehen, während seine unmittelbare Umgebung die auswertende Funktion darstellt.
Es ist wohl eher so, dass es weniger von den Instruktionen abhängt was dabei raus kommt, sondern jede 'Fabrik' etwas anderes aus dem Bauplan macht.
Die DNA ist nicht der Algorithmus, sondern der Input des Algorithmus. Sie wird von 'anderen Konstrukten' ausgelesen, die dann jeweils etwas anderes damit anstellen. Teils ist die Grenze zwischen dem 'Algorithmus' und der 'Funktion' aber nicht wirklich trennbar.
Spiegelmann hat damals exzessiv Forschung hierzu betrieben und glaube auch die Mechanismen entdeckt, welche Erbstränge auslesen und dann duplizieren oder verwerten. Eine reine Suppe aus DNA/RNA macht von sich aus erstmal gar nichts.

Sorry, meine Terminologie und Wissen in Biologie sind nur schlecht bis mittelmäßig. Ich hoffe es ist klar was ich meine.
Gödel für Dummies:
  • Unentscheidbarkeit - Dieser Satz ist wahr.
  • Unvollständig - Aussage A: Es existiert nur ein Element A.
  • Widersprüchlich - Dieser Satz ist falsch.

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Re: Instabilität

Beitrag von seeker » 8. Jan 2019, 21:50

@ATGC: Vielen Dank für die Ausführungen, das ist wirklich hochinteressant!
tomS hat geschrieben:
8. Jan 2019, 20:22
An welcher Stelle verläuft das nicht-algorithmisch?
Ich denke, das ist gar nicht die wesentliche Frage.
Wesentlich an so einem System ist, dass der Ort des 'Speichers' und der Ort des 'Programms' unscharf verteilt und veränderlich sind, also nirgendwo klar und vollständig gefunden werden können, weder nur in der DNS und noch nicht einmal nur innerhalb der Zelle, weil das Geschehen nicht-vernachlässigbar auch noch von der Umgebung der Zelle abhängt. Wir haben es hier mit einem nach beiden Seiten offenen System zu tun. Also ist der Vergleich mit einem anderen System, wie einer Fabrik oder einem Computer, wo all das gegeben ist, nicht adäquat, unzureichend. Und auch die Begriffe 'Speicher' und 'Programm' sind nicht mehr adäquat, wenn sie eben diese Begriffe als scharf abgegrenzt, von Anfang an unveränderlich-fixiert und eindeutig erkennbar und verortbar definieren bzw. meinen.
Wesentlich ist hier die Nicht-Teilbarkeit, die Nicht-Reduzierbarkeit des Geschehens auf seine Einzelteile, weil hier die selbstregulierende Dynamik des Prozesses -als Gesamtprozess- wesentlich ist, das was insgesamt zwischen allen Teilen und nur teilweise in den Teilen 'lebt', dies erst als Ganzes codiert das Geschehen und das Sein des Systems "aus der Bewegung heraus".
Im Gehirn, bei einem Ameisenhaufen, usw. haben wir es mit ganz ähnlichen Phänomenen zu tun.
Die Frage ist hier nicht, ob es sich hier nicht auch im Prinzip um einen Algorithmus handelt, sondern ob uns dieser Versuch eines Zugangs beim Verständnis des beobachteten Geschehens weiterhilft - und falls ja: Wie weit und wie weit eben nicht mehr?

Wir können vor solchen Systemen eigentlich nur staunend stehen, dass so etwas möglich ist, unfähig ganz zu erfassen und zu verstehen, was wir da eigentlich sehen. Teilweise mag das manchmal aber auch an unserem Denken liegen: Anderes Denken, anderer Zugang.
Grüße
seeker


Wissenschaft ... ist die Methode, kühne Hypothesen aufstellen und sie der schärfsten Kritik auszusetzen, um herauszufinden, wo wir uns geirrt haben.
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Re: Instabilität

Beitrag von tomS » 8. Jan 2019, 21:59

ATGC hat geschrieben:
8. Jan 2019, 21:24
Ein Programm ist ein vieldeutiger Begriff.
Ich meinte einen Algorithmus, (Computer)Programm, Turingmaschine, oder - was dies formalisiert - eine berechenbare Funktion. Diese Konzepte sind verwandt, teilweise äquivalent.
ATGC hat geschrieben:
8. Jan 2019, 21:24
In Bezug auf Lebewesen würde ich unter einem Programm den Ablauf verstehen, welcher einen Organismus hervorbringt und in seinen konkreten Erscheinungsweisen sich entwickeln lässt - also die komplette Ontogenese abdeckt, von der ersten Zellteilung bis zum Tod (bei Mehrzellern) bzw. von der Zellteilung der Mutterzelle bis zur erneuten Zellteilung der Tochterzelle (bei Einzellern). Hier wäre das Programm also lediglich der phänomenale Entwicklungsvorgang - also das, was als Phänotyp am Lebewesen beobachtbar ist.
Das meine ich explizit nicht. Insbs. argumentiere ich gerade nicht auf der Ebebe des Phänotyps.
ATGC hat geschrieben:
8. Jan 2019, 21:24
Die Tatsache, dass die Ontogenese auf der Basis physikalischer Gesetze abläuft, macht aus der Ontogenese noch keinen Algorithmus, der sich mit einer mathematischen Gleichung ausdrücken ließe.
Warum nicht?

Wenn die Ontogenese vollständig auf physikalischen Gesetzen basiert, die für sich betrachtet mathematisch formulierbar sind, dann ist auch die Ontogenese selbst prinzipiell mathematisch formulierbar. Dass wir die Gleichungen nicht kennen und wir dies praktisch nicht durchführen können, bedeutet nicht, dass die Gleichungen nicht existieren können. Im mathematischen Sinn existieren sie sogar sicher, es nur praktisch nicht möglich, sie zu finden.
ATGC hat geschrieben:
8. Jan 2019, 21:24
Zu dieser Tatsache, dass wir es beim Leben mit einem Phänomen zu tun haben, welches sich innerhalb des Rahmens der gültigen physikalischen Gesetze vollzieht und nicht gegen diese Gesetze verstößt, kommen aber noch weitere Tatsachen hinzu, die sich aus der Systemnatur des Lebens ergeben und sich nicht aus den physikalischen Grundlagen ableiten lassen. Ein Beispiel sind die verschiedenen Selektionsdrücke, die sich aus der Interaktion von Lebewesen mit ihrer Umwelt ergeben.
Das macht das System größer und die ganze Sache komplizierter, im Sinne der Mathematik und der Algorithmen jedoch nicht komplexer.
ATGC hat geschrieben:
8. Jan 2019, 21:24
Neben rein physikalischen Faktoren (Temperatur, Salzgehalt, Feuchte, Trockenheit, Nahrungsverfügbarkeit usw.) sind es auch Faktoren, die sich durch Interaktion mit anderen Lebewesen ergeben (intraspezifische Konkurrenz sowie interspezifische Konkurrenz) und über den physikalischen Rahmen hinausreichen, so dass in das (als reiner Ablauf verstandene) "Programm" Prozesse involviert sind, die zwar ebenso auf der Basis der physikalischen Gesetze erlaubt sind (auch andere Organismen verstoßen nicht gegen die Gesetze der Physik), aber über dieselben physikalischen Gesetze nicht mehr erfasst werden, wei sie darüber hinaus weiteren Gesetzen unterliegen, die im Zuge des Prozesses der Lebensentwicklung emergiert sind.
dito - das macht die Sache komplizierter, im Sinne der Mathematik jedoch nicht komplexer.
ATGC hat geschrieben:
8. Jan 2019, 21:24
Es ist daher nicht richtig, Zahlen durch Stoffe zu ersetzen, so dass es dann wieder mit dem Algorithmus passen würde. Lebewesen stellen eine eigene Klasse von Dingen dar, die sich einer rein mathematischen Beschreibung entziehen, wenn man sie vollständig als Lebewesen beschreiben möchte.
Das kann ich aufgrund deiner Ausführungen noch nicht logisch nachvollziehen.

Bzw. es hängt an de Bedeutung des Wortes „vollständig“. Was genau meinst du damit?
ATGC hat geschrieben:
8. Jan 2019, 21:24
Mathematik deckt hier nur einen Teilaspekt - meinetwegen den maschinellen und biochemischen Aspekt - ab, aber niemals den gesamten organismischen, der aus einem Stoffwechselsystem ein lebendes System macht. Hier greifen weitere Zusammenhänge, die sich nicht auf Physik reduzieren lassen, obwohl sie auf der Basis der Physik erwachsen, was niemand ernsthaft bestreiten kann.
dito

Hier hängt es evtl. an dem Begriff „lebendes System“. Was ist damit gemeint?

In der Wikipedia finde zum Begriff Leben physikalische Eigenschaften:
  • Energie- und Stoffwechsel und damit Wechselwirkung mit ihrer Umwelt.
  • Organisiertheit und Selbstregulation (Homöostase).
  • Reizbarkeit, das heißt sie sind fähig, auf chemische oder physikalische Änderungen in ihrer Umwelt zu reagieren.
  • Fortpflanzung, das heißt, sie sind zur Reproduktion fähig.
  • Vererbung, das heißt, sie können Informationen (Erbgut) an ihre Nachkommen übermitteln.
  • Wachstum und damit die Fähigkeit zur Entwicklung.
Fehlen dir hier Eigenschaften?

Wenn ein System aus Entitäten besteht, die für sich physikalischen Gesetzmäßigkeiten folgen und gemäß diesen wechselwirken - hier konkret den Gesetzmäßigkeiten der Atom- und Molekülphysik, formuliert im Rahmen der Quantenmechanik - dann folgt das System als Ganzes ebenfalls diesen physikalischen Gesetzmäßigkeiten. Es ist sogar vergleichsweise einfach, die entsprechende Gleichung zu formulieren.

Dies bedeutet nicht, dass das System in allen Aspekten mittels physikalischer Begriffen beschrieben werden kann. Z.B. kann man Qualia wie „Grellrot“, „Schmerz“, „Sympatisch“, ... heute nicht auf physikalischer Begriffe reduzieren - sicher nicht praktisch und möglicherweise nicht prinzipiell. Dies liegt jedoch nicht am System selbst, es ist vielmehr unser Bewusstsein/ Verstand / Geist / der diese Qualia setzt, und der sich selbst und damit seinen subjektiven Erlebnisgehalt möglicherweiserweise dieser physikalischen Beschreibung entzieht.

Unterhalb dieser Ebene ist eine Mikrobe, ein Elephant, ein Wald, ... zunächst mal ein physikalisches System.
Gruß
Tom

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Re: Instabilität

Beitrag von tomS » 8. Jan 2019, 23:21

seeker hat geschrieben:
8. Jan 2019, 21:50
@ATGC: Vielen Dank für die Ausführungen, das ist wirklich hochinteressant!
tomS hat geschrieben:
8. Jan 2019, 20:22
An welcher Stelle verläuft das nicht-algorithmisch?
Ich denke, das ist gar nicht die wesentliche Frage.
Doch, das ist schon eine wesentliche Frage.

Wenn wir diskutieren, welche Aspekte nicht physikalisch reduzibel sind - und ich habe oben Aspekte genannt, wir die das nach meiner Überzeugung in gewisser Weise zutrifft - dann sollten wir schon Klarheit darüber haben, welche Aspekte tatsächlich reduzibel sind. Wir reden hier nämlich entweder über Nebenkriegsschauplätze, die trivialerweise physikalisch reduzibel sind, oder wir übersehen etwas Essentielles - oder missverstehen uns.

Wie gesagt, ich halte das Körper-Geist-Problem bzw. die Qualia für die Fragestellung, die möglicherweise sogar prinzipiell physikalisch reduzibel ist, jedoch wenn sie es ist, dann beweisbar für uns nicht praktisch verstehbar.
seeker hat geschrieben:
8. Jan 2019, 21:50
Wesentlich an so einem System ist, dass der Ort des 'Speichers' und der Ort des 'Programms' unscharf verteilt und veränderlich sind, also nirgendwo klar und vollständig gefunden werden können, weder nur in der DNS und noch nicht einmal nur innerhalb der Zelle, weil das Geschehen nicht-vernachlässigbar auch noch von der Umgebung der Zelle abhängt. Wir haben es hier mit einem nach beiden Seiten offenen System zu tun.
OK - aber in unserem Kontext m.E. wenig relevant.
seeker hat geschrieben:
8. Jan 2019, 21:50
Also ist der Vergleich mit einem anderen System, wie einer Fabrik oder einem Computer, wo all das gegeben ist, nicht adäquat, unzureichend.
Natürlich. In allen Fällen muss man eben die Systemgrenzen geeignet wählen. Eine Fabrik hat auch einen Zu- und Abfluss an Materialen, Gütern und Energie, und ein Computer hängt zumeist am Internet. Das ändert nichts daran, dass dies prinzipiell algorithmisch modellierbar ist.
seeker hat geschrieben:
8. Jan 2019, 21:50
Und auch die Begriffe 'Speicher' und 'Programm' sind nicht mehr adäquat, wenn sie eben diese Begriffe als scharf abgegrenzt, von Anfang an unveränderlich-fixiert und eindeutig erkennbar und verortbar definieren bzw. meinen.
Diese Begriffe sind evtl. irreführend. Die Begriff des Algorithmus oder der berechenbaren Funktion abstrahiert davon. Es ging hier gar nicht so sehr um diesen Vergleich - an dem wir uns nur festbeißen, weil ich die Analogie unzutreffend gewählt hatte.

Betrachten wir die Obermenge aller physikalisch modellierbaren Systeme - Nukleonen ... Moleküke ... Zellen ... Organe ... Planeten ... und überlegen uns, wo genau sie Aspekte aufweisen, die sich einer physikalischen Reduzierung entziehen.

Bei den Qualia bin ich mir sicher, dass es praktisch der Fall ist - s.o. Dies trifft auf alle Entitäten zu, denen wir einen Sinn, eine Bedeutung, eine Absicht, ein Gefühl, ... zuschreiben. Die Irreduzibilität ist dann jedoch keine Eigenschaft dieser Entität alleine, sondern immer der Entität einschließlich ihrer mentalen Representation und unserer Denkakte. „Röte“ ist irreduzibel, wohingehend die elektrochemische Erregung im Gehirn reduzibel ist.
seeker hat geschrieben:
8. Jan 2019, 21:50
Wesentlich ist hier die Nicht-Teilbarkeit, die Nicht-Reduzierbarkeit des Geschehens auf seine Einzelteile, weil hier die selbstregulierende Dynamik des Prozesses -als Gesamtprozess- wesentlich ist, das was insgesamt zwischen allen Teilen und nur teilweise in den Teilen 'lebt', dies erst als Ganzes codiert das Geschehen und das Sein des Systems "aus der Bewegung heraus".
Das ist m.E. irrelevant. Ich sehe nicht, welche systemimmanenten Aspekte nicht im physikalischen Sinne reduzierbar wären.
seeker hat geschrieben:
8. Jan 2019, 21:50
Im Gehirn, bei einem Ameisenhaufen, usw. haben wir es mit ganz ähnlichen Phänomenen zu tun.
Die Frage ist hier nicht, ob es sich hier nicht auch im Prinzip um einen Algorithmus handelt, sondern ob uns dieser Versuch eines Zugangs beim Verständnis des beobachteten Geschehens weiterhilft
Genau!

Wie gesagt, ich bin der Meinung, dass hier zunächst prinzipiell ein physikalisches Modell anwendbar ist. Dieses weist zunächst die offensichtliche und rein praktische Limitierung auf - Kompliziertheit, Lösbarkeit, ... Darüberhinaus weist es die prinzipielle Limitierung auf, dass es - auch unter Einbeziehung der Biochemie unseres Gehirns - nicht weiterhilft bzgl. Verständnis, Erklärungskraft, ... etc. Dieses prinzipielle Problem ist jedoch kein systemimmanentes, sondern resultiert erst daraus, dass sich unser Verstand / Geist / Bewusstsein zu diesem System in Beziehung setzt und evtl. bereits Teil des Systems ist.
Gruß
Tom

Der Wert eines Dialogs hängt vor allem von der Vielfalt der konkurrierenden Meinungen ab.
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