Hallo zusammen,
jetzt melde ich mich aus dem Urlaub zurück und möchte mich
kurz einklinken. Bitte beachtet, dass es sich bei Vafa’s Conjectures eben nur um Vermutungen handelt, die meines Erachtens – zumindest derzeit – wesentlich weniger fundiert sind, als eine Vielzahl anderer Resultate in Stringtheorie (einige hat Tom ja schon genannt).
Daher stimme ich der Aussage
Tom hat geschrieben:
M.E. benötigen wir noch viel mehr Vafas, um mit diesen Indizienketten - die diverse schwache Glieder haben - aufzuräumen. Anstatt also weitere Indizien zu beschaffen, warum diese wunderbare Theorie funktionieren könnte - ja funktionieren muss - wäre es an der Zeit, die wesentlichen Schwachpunkte in Angriff zu nehmen.
so nicht zu. Denn Vafas „Angriff“ auf KKLT et al. ist ja gerade selbst wieder eine Hypothese, die auf ein paar trivialen Beispielen beruht. Der Punkt der Arbeiten von Giddings, Kachru, Polchinski (GKP) und KKLT war ja gerade, dass man sich etwas kompliziertere Kompaktifizierungen anschauen muss (Calabi-Yau Orientifolds, d.h. O-Planes usw. berücksichtigen muss), damit man Vakua konstruieren kann. Daher finde ich es ehrlich gesagt sehr waghalsig, anhand der Berechnung des Potentials für einen Volumen-Modulus aus einer einfachen Kompaktifizierung eine allgemeine Aussage herleiten zu wollen, wie Vafa et al. es machen.
Es ist in jedem Fall natürlich begrüßenswert, dass man die Landscape-Vakua und deren Abgrenzung zu Swampland besser versteht (mehr dazu unten), allerdings ist es nicht zielführend, technisch weit fortgeschrittene Konstrukte wie KKLT und Nachfolger zu verwerfen, weil es jetzt eine Hypothese gibt, die im Vergleich zu jenen Konstrukten weit weniger ausgereift sind (siehe etwa die Probleme mit Quintessence im Paper von Denef, Hebecker, Wrase).
Nichts für ungut, gerade wenn diese Aussagen von einem Physiker wie Vafa kommen, der völlig zurecht als hervorragender Physiker gilt, besteht leider auch die Gefahr, dass die Argumente für oder gegen seine Hypothese bzw. für/gegen existierende Ansätze zur Konstruktion von dS Vakua nicht mehr objektiv gewichtet werden.
Vermutlich war es das, was Arthur Hebecker in dem Talk von Thomas Van Riet meinte. (Vielleicht zur Klarstellung, damit meine Kommentare richtig eingeordnet werden: Arthur war mein Doktorvater, daher bin ich vielleicht nicht 100% objektiv, auch wenn ich es versuche. Da ich jedoch fertig bin und mich beruflich umorientiert habe, dürfte ich aber hoffentlich bei nahe 100% sein.)
In diesem Zusammenhang:
seeker hat geschrieben:
Ich wusste gar nicht, dass die Stringtheorie in Europa einen so schlechten Stand hat.
Der Stand ist in der Tat nicht so toll. Guck dir z.B. mal an, wie viel Bühne solchen Leuten wie Alexander Unzicker mit seinen Büchern wie „Vorm Urknall zum Durchknall“ oder „Higgsfake“ gegeben wird, welche auch noch ausgezeichnet werden. Das ist richtig beschämend. Aber auch unter Physikerkollegen wird man manchmal belächelt, wenn über D7-Branes, Strings und Calabi-Yau-Kompaktifizierungen nachdenkt und forscht. Somit ist es durchaus ein sensibles Thema, wenn neue Conjectures mit Nachdruck präsentiert und verkauft werden, wodurch eben leicht der Eindruck entstehen kann, dass es sich hier um Theoreme handelt.
Tl;dr: Die Behauptung, dass es in (Typ IIB) Stringtheorie keine dS Vakua geben kann, ist lediglich eine (steile) Hypothese, die im Kontrast zu einigen Versuchen zur Konstruktion von dS-Vakua steht. Es muss erst verstanden werden, wie dieser Konflikt zustande kommt, wo etwaige Fehler in den jeweiligen Behauptungen sind/sein könnten.
Außerdem möchte ich betonen, dass es länger schon Ansätze gab, um die String-Landscape besser zu verstehen und zu untersuchen. Beim Lesen entsteht hier (zumindest bei mir) der Eindruck, dass man jetzt erst richtig damit beginnen würde, was schlicht nicht wahr ist. Daher möchte ich mal kurz zusammenfassen, was schon seit über zehn Jahren in dieser Richtung getan wird:
Modulistabilisierung
Diese Landscape entsteht ja gerade dadurch, dass man die ganzen Moduli (durch Einschalten von Flüssen, Berücksichtigung von Quantenkorrekturen usw.) stabilisiert, d.h. ihren skalaren Wert fixiert. Dazu gibt es neben KKLT noch andere Ansätze wie das Large Volume Scenario oder das sog. Kähler-Uplifting, die als Alternativen/Ergänzungen entwickelt und vorgeschlagen wurden. Das alles ist extrem wichtig, da in den verschiedenen Szenarien unterschiedliche Skalen zur Brechung von SUSY realisierbar sind. (So wurde das Large Volume Scenario entwickelt, um Low-Scale-SUSY Modelle zu haben.)
Phänomenologie
Man kann obige Konstrukte noch weiter phänomenologisch untersuchen. Beispielsweise sagt das Large Volume Scenario die Existenz eines ultraleichten Axions vorher, das phänomenologisch ein Problem ist. Denn dieses Axion wirkt als dunkle Strahlung, wodurch die effektive Anzahl an relativistischen Spezies eher zu hoch angesichts der PLANCK-Daten ausfällt. Aus phänomenologischer Sicht steht es um das Large Volume Scenario m.E. eher schlecht.
Durch BICEP2 ist zudem die Frage entstanden, ob Large-Field Inflation (d.h. das Inflaton rollt mehr als 1 M_pl) in String-Theorie realisierbar ist. Eine wichtige Frage: Wäre die Antwort nein, und BICEP2 wäre korrekt gewesen, wäre Stringtheorie wohl nicht in der Natur realisiert. Aktueller Stand ist, dass man Large-Field Inflation in Stringtheorie für schwierig hält, aber No-Go Theoreme nur für spezielle Situationen gelten. Es gibt auf der anderen Seite auch Vorschläge, wie Realisierungen aussehen könnten, aber es ist dann häufig nicht ganz klar, wo genau diese Modelle scheitern würden, wenn es denn ein allgemeines No-Go-Theorem geben sollte. Ungeachtet der Tatsache, dass BICEP2 sich in Staub aufgelöst hat, sind diese Fragen extrem spannend. Sie stehen auch im Zusammenhang mit der Idee der Swampland.
Swampland
Da diese Landscape sehr groß ist, bestand schon damals die Frage, was die Landscape-Vakua im Vergleich zu generischen Vakua in effektiver Feldtheorie (EFT) auszeichnen. Gäbe es keinen Unterschied, bräuchte man sich nicht um Stringtheorie kümmern, sondern könnte fröhlich EFTs via Bottom-Up-Approach basteln, so wie man sie braucht. Insbesondere könnte man einfach eine EFT für Large-Field Inflation hinschreiben (N.B. natürlich mit passender Symmetrie, damit höherdimensionale Operatoren Inflation nicht ruinieren). Dass die Landscape-Vakua nur ein sehr viel kleinerer Teil aller durch Bottom-Up-Approach realisierbaren EFT-Vakua sind, ist durchaus naheliegend. In Landscape-EFTs sind alle EFT-Parameter durch ganzzahlige Flusszahlen vorgegeben (da man Moduli in jedem Fall mit Flüssen stabilisiert). Daher wäre zu erwarten, dass die Landscape das Maß Null im Raum aller EFTs hat. Wie sind diese EFTs, die nicht in der Landscape sind, zu interpretieren? Ganz einfach, sie lassen sich nicht aus Stringtheorie herleiten, und falls Stringtheorie richtig sein sollte, können diese EFTs nicht die Realität beschreiben. Die Menge aller solcher EFTs nannte Vafa 2005 Swampland. Diese Idee ist also bereits 13 Jahre alt! Offene Punkte sind dabei, welche Kriterien genau zwischen Landscape und Swampland unterscheiden. Dazu gibt es Vorschläge:
1. Weak Gravity Conjecture bzw. Nichtexistenz globaler Symmetrien in Quantengravitation: Wurde im Forum bereits diskutiert. Genaue Formulierung und Gültigkeit ist noch Stand aktueller Forschung (WGC ist 12 Jahre alt). Die WGC könnte Large-Field Inflation ausschließen. In diesem Fall wäre Large-Field Inflation in der Swampland.
2. Swampland-Distance Conjectures: Hier ist das Problem, dass große Distanzen im Feldraum eines Modulus zu exponentiell leichten Kaluza-Klein Moden führen. (Das Problem ist auch schon 12 Jahre bekannt und wurde durch Eran Palti et al. im Rahmen der Diskussion um Large-Field Inflation vor 1-2 Jahren aufgegriffen.)
3. Die Hypothese, dass es keine dS-Vakua in Stringtheorie gibt.
Tl;dr: Man hat sich sehr wohl immer um eine Verknüpfung zwischen Landscape und realer Physik bemüht und durchaus Fortschritte darin erzielt. Auch die Swampland-Idee ist überhaupt nicht neu. Einzig neu ist das Vafasche Kriterium, das dS-Vakua ausschließt. Während es für die WGC noch halbwegs nachvollziehbare Argumente gibt, erscheint mir das neue Kriterium eine sehr kühne Hypothese zu sein. Vor diesem Hintergrund halte ich die aktuell stattfindende Diskussion zwar für wichtig, aber zum aktuellen Zeitpunkt als gehyped.
Ich bin sehr gespannt, wie sich die Diskussion entwickeln wird. Ich hoffe sehr, dass sich die Gemüter etwas beruhigen und wir bald eine Antwort finden. Wäre ich Postdoc, würde ich nochmal einen Blick auf das Paper von Hertzberg, Kachru, Taylor, Tegmark werfen:
https://arxiv.org/pdf/0711.2512.pdf
In der Typ IIA Stringtheorie sind Inflation und de Sitter Vakua in bestimmten parametrischen Regimen ausgeschlossen, und zwar auf solider Ebene. Man könnte nun hoffen, dass es in der T-dualen Seite, der Typ IIB Stringtheorie auch so ist, aber so einfach ist es nicht. Denn der im Beweis betrachtete Kähler-Modulus ist auf der Typ IIB Seite ein Modulus der komplexen Struktur, und da wird es rechentechnisch leider extrem hässlich und schwierig.
Beste Grüße
Patrick