ATGC hat geschrieben: ↑21. Nov 2017, 11:51
Wenn es sich um einen zyklischen Prozess handelt, ja, aber damit Peptidketten funktional rückkoppeln können, müssen sie spezifisch geformt sein - und damit einen Kernbestand an spezifischen Aminosäuren in den Positionen aufweisen, wo es auf bestimmte Faltungsmuster ankommt. Das Problem entsteht in der Reproduktion von Peptidketten, die ähnlich gefaltet sind wie ihre inzwischen zerfallenen Vorläufer. Ohne eine hinreichend genaue Reproduktion kollabieren die Reaktionszyklen bzw. es konstituieren sich andere, die mit den Vorläuferzyklen nichts zu tun haben. Oszillation zeichnet sich aber durch eine Rückkopplungsschleife aus, so dass sich ein bestimmter Ausgangszustand nach einiger Zeit wieder herstellt. Ich denke nicht, dass man das 1 zu 1 auf den unspezifischen Aufbau und Zerfall von Zufallspolymeren wie Polypeptiden übertragen kann.
1 zu 1 sicher nicht, es könnte aber Beginne, Graustufen davon geben.
ATGC hat geschrieben: ↑21. Nov 2017, 11:51
Na ja, von der Vorstellung, die ersten Organismen hätten sich in einer Ursuppe gebildet, sollten wir uns verabschieden. Plausibler sind Stoffwechselsysteme auf mineralischen Oberflächen, bei denen Membranstrukturen für eine Teilkompartimentierung gesorgt haben, so dass sich separate Bereiche entwickeln konnten, ohne das alles ins chemische Gleichgewicht kollabierte. Die "Ursuppe" war nützlich für den Stoffaustausch zwischen den Teilsystemen, aber die entscheidenden Prozesse liefen eher in der Gel-Phase ab - vielleicht analog zu den Oparinschen Koazervaten - die sich auf den mineralischen Unterlagen erstreckte. Dort war einfach mehr Stabilität gegeben.
Das hört sich für mich nach einer Weiterentwicklung des Ursuppenansatzes aus. Interessant und plausibel, na gut, dann infiltrierte die Ursuppe wahrscheinlich eben poröses Gestein.
ATGC hat geschrieben: ↑21. Nov 2017, 11:51
wenn sie zuerst noch nicht ganz direkt nach dem "Schlüssel-Schloss-Prinzip" miteinander interagieren
Die Passformen waren zuerst über die Struktur des mineralischen Untergrundes vorhanden - einschließlich der katalytisch wirksamen Metall-Ionen. Peptide, die sich später zu Proteinen entwickelten, imitierten diesen Untergrund zum einen durch die Form (aktive Zentren der Proteine als charakteristische Einstülpungen und Ausbuchtungen auf der Moleküloberfläche) und zum anderen durch die mineralischen Komponenten, die als prosthetische Gruppe die Funktionalität des Proteins gewährleisten (siehe dazu z.B. die Fe-S-Cluster in den Ferredoxinen). Das heißt, dass von Anfang an das Schlüssel-Schloss-Prinzip für enzymatische Aktivitäten gültig war. Es dauerte nur seine Zeit, bis geeignete Proteine heranwachsen konnten, die dieses Prinzip in eine transportable und reproduzierbare Form brachten. Und dann natürlich die Kopplung an die RNA-Chemie, die zur Entstehung der Translation führte ...
Das mag alles sein. Worum es mir bei dieser "Standardfolklore" geht, ist dass diese Perpektive strikt auf ein von "unten nach oben" gerichtet scheint. Ich denke darüber nach, ob und wie sich das durch einen Blick von "oben nach unten" ergänzen lässt.
Klar ist, dass wir für Leben mindestens drei Zutaten brauchen: Einen Replikationsträger (z.B. RNA), "Replikationsmaschinen" (z.B. Proteine) und eine Teilabgrenzung zur Umwelt (z.B. Membran).
Das ist der Blick von unten nach oben.
Von oben nach unten gesehen, brauchen wir ein dynamisches System, dass sich von der Umwelt teilabgrenzt, globale Bedingungen schafft, die auf seine Elemente rückwirken und in der Lage ist seine Komplexität zu steigern, also zur Evolution fähig ist.
Um das tun zu können muss es strukturbildende Attraktoren herausbilden. Solche Attraktoren wirken auf das Verhalten seiner Elemente ähnlich wie Naturgesetze ein.
ATGC hat geschrieben: ↑21. Nov 2017, 11:51
Ja, das ist sehr interessant, aber ein System produziert in erster Linie sich selbst, indem es sich permanent reproduziert.
Ich möchte die Idee in dem Zitat etwas anders ausdrücken:
Die Systeme produzieren die Elemente aus denen sie bestehen werden, durch die Elemente aus denen sie bestanden.
Dazu ist ganz am Anfang noch keine vollständige Reproduktion notwendig, es reicht, wenn sich im System geringste "Vorlieben" einstellen, die dann mit der Zeit in machen Fällen dominat werden können, ähnlich wie teilweise bei der biologischen Evolution. Bifurkationen...
Einfaches Beispiel, wahrscheinlich nicht ganz stimmig, da aus dem Stehgreif, aber hoffentlich inspirierend:
Nehmen wir an, wir hätten ein teilisoliertes System, in dem kurze Peptidketten drin sind und kurze RNA-Ketten (und viele weitere Zutaten).
Dann ist die Frage: Können und werden die auf dieser Stufe aufeinander einwirken und wie?
Als Idee: Nun könnte es sein, dass manche Peptidketten zufällig eine Struktur aufweisen, die bei passenden RNA-Ketten bei Stößen ein klein wenig bevorzugt ein bestimmtes Atom anregen, was dazu führt, dass, wenn sich die RNA-Kette zufällig durch den Anbau eines weiteren Nucleotids verlängert, dass durch die Anregung des bestimmten Atoms bestimmte Nucleotide ein klein wenig bevorzugter angebaut werden als andere.
Diese bestimmten verlängerten RNA-Ketten könnten durch Stöße wiederum zufällig so auf Aminosäureketten einwirken, dass sie wiederum bevorzugt ein bestimmtes Atom im Peptid so anregen, dass umgekehrt gerade die Bidung der Peptide, die unser bestimmtes RNA-Molekül etwas mehr zur Bildung anregen, sich auch bevorzugt bilden.
Schon hätten wir den Anfang eines Kreislaufs, wo unter bestimmten Systembedingungen sich mit der Zeit bestimmte Aminosäureketten und bestimmte RNA-Ketten anreichern, die in einer bestimmten Weise zueinander "passen", ohne sich schon wirklich exakt reproduzieren zu können.
Und so ein Anfang könnte sich mit der Zeit immer weiter ausdifferenzieren, bis man am Ende tatsächlich Leben hat.
In Wirklichkeit wird alles natürlich viel komplizierter sein, aber ich hoffe ich kann den Gedanken damit klarmachen.
ATGC hat geschrieben: ↑21. Nov 2017, 11:51
Ja, das ist sehr interessant, aber ein System produziert in erster Linie sich selbst, indem es sich permanent reproduziert.
Jep, jedoch auf längere Sicht: indem es evolviert!
ATGC hat geschrieben: ↑21. Nov 2017, 11:51
Hier ist es also nicht so einfach, Elemente des Systems voneinander abzugrenzen.
Man sollte den Blick daher nicht nur auf die Elemente lenken und sich das System allein als "aus Elementen zusammengebaut" denken.
Man sollte den Blick zusätzlich auch darauf lenken, wie das System als Gesamtheit auf seine Teile einwirkt.
The whole is to some degree constrained by the parts (upward causation), but at the same time the parts are to some degree constrained by the whole (downward causation).
Wenn ich sterbe, dann werden nach und nach auch alle meine Körperzellen sterben; zuletzt -soweit ich weiß- die Zellen, die den Horn meiner Nägel bilden.
Die Ursache für das Sterben dieser Zellen ist der Tod des Gesamtsystems "Mensch", also steckt da eine Abwärtsverursachung drin.