positronium hat geschrieben: ↑19. Feb 2017, 15:13
Natürlich ist es nicht so, dass man nur genug Daten haben muss, um so etwas wie einen Menschen vollständig zu "kennen"; zu "beschreiben" geht hingegen theoretisch schon. "Kennen" bedeutet, ihn zu werten, und dafür ist eine Auswertung aller, zumindest sehr vieler seiner möglichen Handlungen nötig; auch kann vieles nicht quantifiziert werden, weil wir gar keinen Begriff zur Klassifikation haben - es geht nun einmal in den meisten Fällen nicht um Eigenschaften, die man als Zahl darstellen kann.
Darum geht es.
positronium hat geschrieben: ↑19. Feb 2017, 15:13
Kunst ist längst nicht so frei, wie man sich das gerne vorstellt. Nicht nur, dass auf der einen Seite immer der Markt steht, in dem man nur durch Innovation und Wiedererkennbarkeit einen Platz erobern kann, sondern auf der anderen Seite steht der Mensch, der eigentlich gar nichts neues macht. Der Künstler wird inspiriert und formt aus gelerntem scheinbar neues. Im Prinzip läuft in Künstlern auch nur ein Programm ab, wobei der Künstler einen recht grossen Parameterraum zur Verfügung hat, und darin navigiert er mit einer Idee für den Inhalt/die Aussage eines Kunstwerks, lässt sich durch die Möglichkeiten seines Materials treiben, beschränkt sich durch seinen Stil bzw. sein Konzept, und greift permanent auf das zurück, was funktioniert. Kreativität ist kein so grosser Einflussfaktor.
ralfkannenberg hat geschrieben: ↑19. Feb 2017, 23:32
Ich persönlich habe eher die Erfahrung gemacht, dass man das Ziel schon vor der Lösung sehen muss und dann der vollständige Weg, also der von den Voraussetzungen über das aufformulierte Theorem und die Beweisversuche bis hin zum gelungenen Beweis das wirklich spannende und auch sehr kreativ ist.
Sicherlich! Solche Dinge sind zu diskutieren. (Und sorry, ich habe im Moment keine Veröffentlichung parat.) Es ist dabei auch m.M.n. keineswegs so, dass Kreativität z.B. bei einem Künstler völlig frei wäre und auch nicht, dass problemlösungsorinetierte Kreativität keine wichtige und oft auch hohe Form der Kreativität sei. Aber man kann festhalten, dass der Mensch prinzipiell zu mehr als einer Form der Kreativität fähig ist.
Lesch und Precht ging es auf weiten Strecken mehr um konkrete, gesellschaftlich relevante Dinge hierzu:
Es wurde z.B. behauptet, dass wir unseren Kindern in den Schulen, so wie sie heute real existieren, vornehmlich und zunehmend nur noch eine Form der Kreativität nahebringen: die problemlösungsorinetierte Kreativität. An der ist wie gesagt nichts Schlechtes, aber man kann fragen, ob darin dann nicht auch eine Art der geistigen Eingleisigkeit liegt?
Die Frage ist: Inwieweit ist das so oder nicht? Und falls ja: Wollen wir unsere Kinder so haben?
Allegemein scheint es eine zunehmende Ökonomisierung (Quantifizierung, also das Erfassen der Welt in Zahlen bezgl. Mathematik, Physik und Ökonomie/Geldwirtschaft gingen geschichtlich gesehen meist Hand in Hand) aller Lebensbereiche des Menschen zu geben, einschließlich der Wissenschaften.
Jemand muss die Frage stellen: Ist das gut so? Wollen wir das?
Oder formen wir den Menschen vielleicht doch zunehmend so, wie ihn die Ökonomie haben möchte, sozusagen zu einem Menschen, der zunehmend wie eine Maschine denkt und ansonsten ein rein ökonomisch gefälliges Konsumverhalten zeigt?
Erzeugen wir vielleicht auch eine virtuelle Blase aus Zahlen, Messwerten, die auf die in ihren Denkrichtungen dann eingeschränkten Menschen wie eine echte Realität erscheint, aber tatsächlich vielleicht nur ein Fake ist?
Eine Sache war bei den Wissenschaften noch wichtig:
Es ist so, dass die Mathematik mit dem Aufkommen der Astronomie ab etwa Galilei starken Einzug in die Physik fand, wo das auch hervorragend funktionierte.
Gleichzeitig tauchte das Papiergeld auf und auch die ersten Derivate, Wechsel, etc. und die erste Finanzblase. Auch die Mathematik bekam durch ihre Behrührungspunkte mit diesen neue Impulse.
Als nächstes holte man das in der Physik sozusagen vom Himmel auf die Erde herab und hat auch die Erde so vermessen.
Man kann sagen, dass das Arbeiten mit empirischen quantifizierten Messwerten der Physik heute ureigen ist. Wichtig ist hier, dass die Physik isolierte Systeme kennt, wo ihre Gleichungen sehr gut und rel. einfach mit der Beobachtung in Übereinstimmung gebracht werden können. Außerdem kann sie vieles im Labor unter Idealbedingungen reproduzierend untersuchen.*
In letzter Zeit hat das aber auch in andere Wissenschaften Einzug gehalten, wo man das früher so nicht für möglich gehalten hätte: In die Geistes- und Sozialwissenschaften (* geht dort i.d.R. eher nicht).
Überall in den Veröffentlichungen müssen nun auch dort irgendwelche Zahlen, Diagramme, Rankings schon fast zwingend mit dabei sein. Sicher, bis zu einem gewissen Punkt ist das auch gut so, aber nur bis dahin. Jedenfalls kann einen schon manchmal der Verdacht beschleichen, dass mit solchen Zahlen öfters eine Objektivität vorgegaukelt wird, die so einfach nicht existiert.
Mir fällt hier z.B. der World Happiness Report ein oder der Pisa-Vergleich, auch mit Ranking. Und so eine Zahl kommt dann in der Tagesschau, vielleicht 500 Seiten Studie auf eine einzige Zahl reduziert und dann wird damit vielleicht Politik gemacht, die öffentliche Wahrnehmung wird auf jeden Fall beeinflusst.
Solche Zahlenspiele eignen sich jedenfalls hervorragend für Manipulationen aller Art: Wenn du nicht ganz genau verstehst, wie sie erhoben wurden, dann kannst du ihnen eigentlich nur sehr vorsichtig gegenüberstehen.
Oder kennt ihr diese betriebsinternen Leistungsbewertungen oder das Punktbewertungssystem bei Anträgen auf öffentliche Ausschreibungen? Ich kenne sie und ich weiß, dass sie nur sehr ungenau die Realität abbilden können. Dennoch steht am Ende eine völlig exakte Zahl auf dem Papier. Mit der kann man dann argumentieren und sie mit anderen Zahlen vergleichen, da kann es kaum noch Einsprüche geben, ist ja schließlich völlig objektiv, welche Zahl die größte ist und ob deine Zahl den Sollwert erreicht hat oder nicht. Ja, aber eben nur scheinbar...
Man kann auf solche Fragen so oder so antworten, aber man sollte sie stellen und versuchen zu beantworten, sie sind wichtig.
Und was Lesch noch sinngemäß sagte: Man darf bei der ganzen Inventur der Natur, die wir die letzten paar hundert Jahre gemacht haben, eines nicht vergessen: Die Rand- und Anfangsbedingungen! Wenn man diese nicht kennt, nützen alle Gleichungen nur wenig, wenn man etwas richtig vorhersagen will, insbesondere bei Systemen, die schon gegeben sind und die man nicht im Labor reproduzierend untersuchen kann. Geschichtliche Prozesse sind von der Art: Das Universum, das Leben, der Mensch, seine Geschichte, Gesellschaften, Kulturen, Ökonomie. Wir können dies nicht noch vielmals im Labor von vorne laufen lassen, um zu sehen, was dann herauskommt oder was dann wie oft.
Beim Universum mag man diese Bedingungen noch sinnvoll/stimmig annehmen können, aber z.B. bei der Politik wird das schon sehr schwierig.
Pippen hat geschrieben: ↑19. Feb 2017, 23:03
Es ist schon heute möglich: Im Go kann AI bereits stärkere Intuition und Strategie vorweisen als ein Mensch, gleiches im Poker.
Schön dass du das Go erwähnst. Dort ist es nämlich so weit gekommen, dass die KI eine Strategie verfolgt und mit der auch gewonnen hat, wo jeder gute menschliche Go-Spieler gesagt hätte, dass man damit niemals gewinnen kann.
Die Maschine hat also selbstständig eine völlig neue Strategie gefunden. Allerdings ist sie gleichzeitig nicht in der Lage uns ihre Strategie zu erklären. Und auch die Programmierer der KI können das nicht herausfinden, weil die Software der KI so abgefahren ist, dass man sie zwar programmieren kann, aber hinterher nicht mehr versteht, was sie eigentlich wann warum genau tut. D.h. die Kenntnis des Kausalzusammenhangs geht uns auch hier verloren.
Weiterhin sind komplexe Systeme einfach nicht auf längere Zeitspannen hin sicher vorhersagbar (siehe z.B. Wetter, Aktienkurse, Entscheidungen die Donald Trump am 20.Feb. 2018 treffen wird, wie der Syrienkrieg genau ausgeht, ob du dir irgendwann den Arm verstauchen wirst und falls ja welchen und wann und wo genau, usw.), ganz besonders dann nicht, wenn du selbst Teil des vorherzusagenden Systems bist: Angenommen du hättest einen 'Gottcomputer', der dir exakt den Zustand der Erde in 1 Jahr ausrechnet (was schon wegen der QM nicht geht, aber nehmen wirs trotzdem an) und du wüsstest dieses Ergebnis heute, incl. aller relevanten Ereignisse, dann würde dein Wissen über diese Zukunft eben diese Ereignisse verändern (wenigstens minimal, oft auch radikal) oder der Gottcomputer hätte auch das eingerechnet, dann würde dein Wissen über das Wissen über die Zukunft (also dein Wissen, dass der GC dein Wissen mit eingerechnet hat) diese Ereignisse verändern, usw. (das führt in einen infiniten Regress).
Aber lass uns diese Grundsatzdiskussion bitte in diesem Thread nicht lange weiterführen, wir hatten das schon an anderer Stelle ähnlich und eigentlich ist das ja Franks Thread und sowas hatte er sicher auch nicht im Sinn mit seinem Thread, wie ich ihn kenne. Lass uns mal die gesellschaftliche Seite erörtern.