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von Job » 27. Okt 2015, 11:33
Hallo zusammen,
sehr interessante Diskussion. Zu dem einen oder anderen möchte ich auch ein paar Gedanken beisteuern. Zunächst zu einigen ausgewählten Interpretationen:
1. Der Kollaps der Kopenhagener Interpretation (KI) ist so vage und wirft mehr Fragen auf, als er beantwortet, dass er für mich wie wohl für viele andere hier im Forum auch, als "vernünftige" Erklärung ausscheidet.
2. Die Dekohärenz hat aus meiner Sicht viele gute Ansätze. Das Problem ist aber hier noch die Interpretation dieser Interpretation. Wenn wir in diesem Zusammenhang davon sprechen, dass jedes System nicht als isoliert betrachtet werden kann, sondern mit seinem Umfeld interagiert und dies zur Dekohärenz führen kann, kann ich dem voll und ganz zustimmen. Allerdings stellen wir uns unter diesem Umfeld derzeit in der Regel nur Dinge vor, die wir kennen wie Photonen, Elektronen, Atome, etc. Dies führt dazu, dass wir zwar große Mehrteilchen-Zustände damit ganz gut beschreiben können, bei einzelnen Elektronen z.B. aber auch nicht wirklich weiter kommen. Der Grund hierbei ist aus meiner Sicht, dass unsere Zustandsbegriffe in diesem Fall noch zu grob sind. Wenn wir dem Vakuum die (aktive) Rolle geben würden, die es aus meiner Sicht verdient, hätte auch ein einzelnes Elektron eine Umwelt und diese Umwelt würde mit genau derselben Argumentation dafür sorgen, dass das Elektron einer Dekohärenz unterliegt. Damit bräuchte man keinen Kollaps, da das Elektron bereits durch die Interaktion mit dem Vakuum "kollabiert" ist. Es ist damit (wenn auch nicht scharf wie in der klassischen Sichtweise) im Rahmen seiner "stochastischen Zitterbewegungen" durchaus lokalisierbar. In der Thermodynamik würde man das Phänomen der Dekohärenz in diesem Fall einen Phasenübergang nennen und das Elektron wäre ein (durchaus komplexes) Kondensat. Kurz: Die Dekohärenz ist aus meiner Sicht auf dem richtigen Weg, springt aber noch zu kurz.
3. Die viele Welten Interpretation (VWI) hat aus meiner Sicht das Problem, dass sie behauptet, die Verzweigungen würden alle wirklich realisiert. Das halte ich nicht für "vernünftig". Ich möchte das an einem Beispiel erläutern. Wenn wir uns ein Brownsches Teilchen ansehen, dann kann es bei einem gegebenen Startpunkt in der Zukunft potenziell beliebig viele unterschiedliche Pfade mit zugeordneten Wahrscheinlichkeiten durchlaufen. Wenn die Zeit voranschreitet, wird davon genau einer auch realisiert. Die anderen bis dahin potentiell möglichen aber nicht. Die VWI behauptet im übertragenen Sinne aber genau das. Und das entspricht aus meiner Sicht nicht der Realität und ist auch unnötig.
4. Die de Broglie Bohm (dBB) Interpretation hat für mich den guten Ansatz, dass sie ein Elektron auch wirklich als ein Teilchen akzeptiert, was nach einer etwas breiteren Auslegung der Dekohärenz auch kein Problem darstellen würde. Unklar bleibt dabei, was der physikalische Hintergrund der Führungswelle ist. Zum anderen ist dBB so aufgebaut, dass sie bei gegebenen Anfangsorten die Bahngeschwindigkeiten deterministisch bestimmt und benötigt eine Quantengleichgewichts-Hypothese. Dieser Teil der Theorie trifft aus meiner Sicht nicht die Realität, da der Zufall an die falsche Stelle gelegt wird.
5. Besser ist da der Ansatz der Nelsonschen Stochastik. Er beseitigt dieses Problem, weil er die deterministischen Geschwindigkeiten des Bohmschen Ansatzes durch mittlere Geschwindigkeiten, gesteuert durch einen Wienerprozess zu einem direkten stochastischen Ansatz erweitert. Er ist damit in der Lage, das Bohmsche Quantenpotential abzuleiten und nicht zu postulieren und auch die Quantengleichgewichtshypothese benötigt er nicht. Dieser Ansatz kommt dem Ganzen schon sehr nahe, hat aber aus meiner Sicht auch noch einen entscheidenden Mangel, wodurch er auf halbem Wege stecken bleibt. Wie Tom in einem anderen Beitrag festhielt, ist ein klassischer Wienerprozess nicht geeignet, alle Phänomene abzuleiten. Man muss also den Wienerprozess durch einen anderen etwas spezifischeren stochastischen Prozess ersetzen. So könnte man die Unitarität sicherstellen und auch die SRT geeignet berücksichtigen.
Meine Einschätzung zum Maudlin-Trilemma wäre dann
1) der Zustandsvektor ist eine vollständige Beschreibung der physikalischen Eigenschaften des Systems (Verschärfung von Axiom A)
--> Nein, da die Vakuumzustände nicht ausreichend berücksichtigt werden. Die Antwort hängt aber zugegeben stark davon ab, was man unter "vollständig" und "Eigenschaften" versteht.
2) die Zeitentwicklung des Zustandsvektors folgt (immer!) der Schrödingergleichung und ist damit linear und unitär (Axiom B)
--> Ja, aber nur, wenn man die ART ausklammert
3) Experimente haben exakt definierte Ergebnisse
--> Kann ich nicht richtig einschätzen, da mir nicht klar ist, was mit exakt definierten Ergebnissen genau gemeint ist. Wenn damit gemeint ist, dass wir keine Überlagerungszustände wie "Katze tot und lebendig" oder Atomkern "zerfallen und nicht zerfallen" messen können, wäre meine Antwort Ja.
Viele Grüße
Job
Alles ist einfacher, als man denken kann, zugleich verschränkter, als zu begreifen ist.
J.W. von Goethe