Hallo Seeker,
leider ist es so, dass hier viele Wörter auftreten wie "Existenz, Unmöglichkeit, Sein, Realität, Stoff, Regeln, ...", die nicht eindeutig definiert sind und unter denen wir uns daher sehr oft etwas unterschiedliches vorstellen. Das ist ja auch ok, nur führt dies immer wieder dazu, dass die Gefahr besteht, aneinander vorbeizureden. Das Problem ist dabei auch, dass wenn man versucht, zumindest einen Teil dieser Begriffe zu definieren, man feststellt, dass dies nicht ganz so einfach ist (siehe Philosophie) und mitunter sehr lange dauern kann. Daher versuche ich meistens nur im jeweiligen Kontext, das, was ich darunter verstehe, rüberzubringen. Dies hat weder den Anspruch auf Allgemeingültigkeit, noch soll es andeuten, dass dies die "richtige" Sichtweise ist. Es ist einfach nur meine. Ich möchte auch niemanden von irgendetwas überzeugen, sondern betrachte einen Meinungsaustausch als Chance, meine eigenen Ideen zu überprüfen und zu erweitern. Ich bin sicher, Du siehst das genauso.
Ich möchte mich daher im Folgenden in den Kommentaren eher darauf konzentrieren, auf das einzugehen, was ich eigentlich etwas anders meine, als es mir bisher vielleicht gelungen ist, rüberzubringen.
Seeker hat geschrieben: Job hat geschrieben:
Genau wie nicht jeder Gedanke physikalisch auch realisiert werden kann. Beispiel: Ich stelle mir vor, in der nächsten Sekunde in Jeans und T-shirt um alpha centauri zu kreisen und 10 Sekunden später wieder zu Hause an meinem Kaffee zu sitzen. Das kann ich denken, aber nicht physikalisch realisieren.
D.h. du glaubst, dass nur die "physikalische Realität" (was immer das auch sein mag) existiert?
Ist das nicht ein naiver Realismus/Materialismus? Existieren deine Gedanken als Gedanken, meinetwegen als Phänomen nicht? Existieren Zahlen nicht?
Nein, das glaube ich nicht. Natürlich existieren auch Gedanken in irgendeiner Form. Sonst hätte ich sie nicht. Wir kommen aber hier aus meiner Sicht zu einer Frage, die die Menschheit schon seit ewigen Zeiten beschäftigt, ohne bisher eine befriedigende Antwort darauf gefunden zu haben. Man kann es Körper und Geist, oder Seele und Körper, oder Bewusstsein und Körper nennen. Ich bin sicher, dass es neben den Protonen und Elektronen, die meinen Körper ausmachen auch noch etwas anderes geben muss, was einem Geist oder einer Seele oder wie auch immer entspricht. Ich habe aber keine Ahnung, was das ist. Daher konzentriere ich mich auf das für mich einfacher scheinende, den "Körper", den wir zumindest in Ansätzen schon etwas besser verstanden haben. Ich wollte mit dem Beispiel nur ausdrücken, dass wir etwas in der anderen "Welt" denken können, es aber in der Körperwelt nicht realisieren können, weil diese uns bestimmte Restriktionen auferlegt, die in der anderen nicht vorhanden sind.
Seeker hat geschrieben: Job hat geschrieben: Dies bedeutet, dass ich auch mathematische Konstrukte haben kann, die nichts mit der Realität zu tun haben müssen.
Das ist richtig, aber diejenigen, die wir in den NW erfolgreich verwenden, müssen ja schon etwas mit der Welt da draußen zu tun haben. Ohne diese Annahme wäre NW ja gar nicht möglich.
Das sehe ich genauso.
Seeker hat geschrieben: Worin besteht physikalische Realität, wenn nicht aus der Summe der Eigenschaften?
Wozu noch einen Stoff dahinter vermuten? Welche Eigenschaft soll der Stoff "an sich" haben, außer die Eigenschaft Eigenschaften tragen zu können?
Ich kann mir halt keine Eigenschaften vorstellen, ohne dass es Träger oder Bezugspunkte gibt, mit denen diese Eigenschaften überhaupt erst definiert werden können. Dafür reicht meine Phantasie einfach nicht aus.
Seeker hat geschrieben: Job hat geschrieben: Seeker hat geschrieben:
Die Annahme, dass es irgendwo einen Stoff gäbe (der die gefunden Eigenschaften trägt) ist ein reines Postulat, das naturwissenschaftlich mit nichts belegt ist!
Noch dazu möglicherweise ein überflüssiges, wenn man Ockham anwendet...
Ja, das wäre ein Postulat. Aber wenn es ein Postulat wäre, mit dem man viele andere heutige Postulate ablösen könnte, weil sie sich daraus ergeben, wäre dieses zusätzliche Postulat auch im Sinne von Ockham nicht schädlich, im Gegenteil. Und es wäre ja auch nur eine Modellvorstellung wie alles andere auch. Das Modell würde dann nur aussagen, dass sich die Natur so verhält, als ob sie aus unterschiedlichen Teilchen mit bestimmten Wechselwirkungen untereinander bestehen würde, die in der Lage sind, sich unterschiedlich zu strukturieren. Mehr geht wohl nicht.
Welche anderen Postulate wären denn damit tatsächlich ablösbar?
Diese Frage möchte ich lieber nicht beantworten, dass sie mir eh keiner glauben wird
Seeker hat geschrieben: Die Frage ist doch: Wozu ist diese Annahme dann nütze? Und: Leitet sie uns in unserem Denken in die richtige Richtung oder in die Irre?
Ob sie uns in die richtige Richtung führt oder in die Irre, weiß man oft erst dann, wenn man es einmal versucht hat. Die Forschung ist voll von Annahmen, die sich dann später als falsch erwiesen haben. Und das ist auch gut so. Wenn man etwas neues herausfinden will, muss man dieses Risiko eingehen. Viele Entdeckungen sind erst dadurch entstanden, dass man Annahmen gemacht hat, die der jeweilige Mainstream bis dahin für unmöglich gehalten hat.
Seeker hat geschrieben: Job hat geschrieben:
Ich kenne ehrlich gesagt weder in der Physik, noch in der Mathematik einen Strukturbegriff, der auf jegliche Bausteine, seien es nun Teilchen oder Elemente einer Menge verzichten kann. Wie definierst Du eine Struktur ohne "Bausteine"?
Ich behaupte dass du genau das tust in der Mathematik, denn auch deine scheinbaren Bausteine darin hast du zuvor ja auch rein durch Regeln festgelegt/erzeugt.
Es gibt daher auf grundlegender Ebene nur Regeln in der Mathematik, der Rest sind Ableitungen und Anwendungen daraus.
Auch beispielsweise ein Punkt ist deshalb kein wirklicher Baustein, denn es muss ja auch zuvor durch Regeln festgelegt werden, was ein Punkt denn überhaupt sei.
Meines Wissens nach gibt es in der Mathematik keinen wohldefinierten Begriff "Regel". Struktur dagegen ist definiert. Wikipedia sagt dazu:
Eine mathematische Struktur ist eine Menge mit bestimmten Eigenschaften. Diese Eigenschaften ergeben sich durch eine oder mehrere Relationen zwischen den Elementen (Struktur erster Stufe) oder den Teilmengen der Menge (Struktur zweiter Stufe).[1]Diese Relationen und damit auch die Struktur, die sie definieren, können von sehr verschiedener Art sein. Eine solche Art lässt sich durch gewisse Axiome festlegen, die die definierenden Relationen zu erfüllen haben. Die wichtigsten großen Typen, in die sich Strukturen klassifizieren lassen, sind algebraische Strukturen, Ordnungsstrukturen und topologische Strukturen.[2] Viele wichtige Mengen besitzen sogar mehrfache Strukturen, das heißt Mischstrukturen aus diesen Grundstrukturen.[3] Zum Beispiel haben Zahlbereiche sowohl eine algebraische, eine Ordnungs- als auch eine topologische Struktur, die miteinander verbunden sind. Daneben gibt es auch noch geometrische Strukturen.
Trotzdem ist der Begriff Regel vielleicht intuitiv hinreichend klar. Dass es auf der untersten Stufe nur "Regeln" geben soll, ist mir aber ebenfalls nicht bekannt. Als Beispiel können wir die Charakterisierung der natürlichen Zahlen über die Peano-Axiome anschauen. In Wikipedia findet man dazu:
Peano betrachtete ursprünglich 1 als kleinste natürliche Zahl. In seiner späteren Version der Axiome, die im Folgenden modern notiert sind, ersetzte er 1 durch 0.Die Axiome haben dann folgende Form:
...
Diese Axiome lassen sich folgendermaßen verbalisieren, wobei n' als „Nachfolger von n“ gelesen wird:
0 ist eine natürliche Zahl.
Jede natürliche Zahl n hat eine natürliche Zahl n' als Nachfolger.
0 ist kein Nachfolger einer natürlichen Zahl.
Natürliche Zahlen mit gleichem Nachfolger sind gleich.
Enthält X die 0 und mit jeder natürlichen Zahl n auch deren Nachfolger n', so bilden die natürlichen Zahlen eine Teilmenge von X.
(Die formalen Stellen habe ich weggelassen (...), da nicht kopierbar.)
Auch hier gibt es einen festen Bezugspunkt: In diesem Fall: 0. Alles andere kann man als Regeln ansehen. Aber ohne die 0 geht es nicht. 0 ist ein fester Baustein, aus dem sich durch Regeln alle anderen ergeben.
Seeker hat geschrieben: Die Frage die sich daher m.E. ergibt ist:
Was hast du, wenn du alle Regeln weglässt? Hast du ein Nichts oder hast du eine Unendlichkeit an Möglichkeit?
Ich behaupte dabei: "Möglichkeit" ist kein Nichts, im Gegenteil!
Kommst du zum Sein indem du dem Nichts irgendetwas hinzufügst (wie soll das gehen, woher soll das "irgendetwas" herkommen??)?
Oder kommst du zum Sein indem du die unendliche Möglichkeit eingrenzt, bis Struktur sichtbar wird?
(Interessant dabei: Der Möglichkeitsraum darf bei diesem Vorgang auch stets unendlich groß bleiben, er muss nicht bis zum Endlichen/völlig Konkreten oder gar bis zum Nichts hinunter eingegrenzt werden, um Struktur zu erhalten.)
Für mich gibt es kein "nichts". Daher stellen sich mir diese Fragen nicht. Aus meiner Sicht gab es schon immer beides: "Bausteine" und Wechselwirkungen zwischen ihnen ("Regeln"). Aber das ist nur meine persönliche Meinung und die muss ja nicht stimmen.
Viele Grüße
Job