tomS hat geschrieben: ↑12. Jul 2018, 08:17
Und deshalb läuft sowohl der Anspruch bzgl. Schönheit usw. pro Stringtheorie als auch die Kritik contra gegenwärtige Entwicklung wie seitens Sabine - so wie ich ihn bisher verstanden habe - teilweise ins Leere.
Vordergründig gesehen ja. Hintergründig gesehen ganz und gar nicht: Es ist sehr wichtig diese Diskussionen zu führen, es ist gut, dass das passiert. Es geht wie gesagt auch um unsere Entscheidungen und Einordnungen, es geht auch darum was uns wann wie wichtig ist, es geht um Abwägungen.
Und um zu vernünftigen Entscheidungen kommen zu können sind solche Diskussions-Prozesse notwendig.
Wiss. Fortschritt findet nicht per se, in einem objektiven Sinne statt, er ist immer selbstbezüglich: Wir sprechen dann von einem solchen, wenn unsere darauf blickende Bewertung ergibt, dass unsere Fragen, Forderungen, Hoffnungen, Erwartungen nun besser erfüllt werden als früher. Wissenschaftlicher Fortschritt und Erfolg existiert -soweit wir wissen- genau dann -und nur dann- wenn
wir das so wahrnehmen.
Man kann dem auch nicht entkommen, indem man versucht diese Geschichte zu abstrahieren, zu definieren, zu objektivieren und dann zu berechnen, weil der Ausgangspunkt dessen auch wieder von uns ausgeht und dem was wir fragen, wollen, denken, erwarten. Solche formalen Berechnungen würden dann letztlich auch wiederum nur auf unseren dann abstrahierten Erwartungen fußen, diesen abhängig entspringen, diese sozusagen an der Welt, dem was der Fall ist messen.
Skeltek hat geschrieben: ↑12. Jul 2018, 01:07
Wenn man davon ausgeht, dass die meisten entwickelten Theorien zufällig und willkürlich postuliert würden, gibt Falsifizierbarkeit der Theorie bei naiver Wahrscheinlichkeitsrechnung ja eigentlich nur einen Glaubwürdigkeitsvorteil, da man die Theorieentwickler herausfiltern kann, welche sich einfach nur zufällig etwas zusammenspinnen. Falsifizierbarkeit ist toll, um zu sehen, welche falsifizierbaren Theorien falsch sind, allerdings gibt uns das keinen Anhaltspunkt darüber, welche der nicht falsifizierbare Theorien richtig oder falsch sind.
Das Grundproblem am Vorgehen 'Falsifikation' ist m.E. folgendes:
Es gibt prinzipiell für jeden Sachverhalt eine unendlich große Anzahl von möglichen Erklärungen, Theorien.
Durch Falsifikation lassen sich aber immer nur endlich viele Ansätze verwerfen, also bleiben stets unendlich viele mögliche Ansätze übrig, man wird nie fertig, man kann nicht einmal von einer Eingrenzung oder Annäherung an die Wahrheit durch dieses Verfahren sprechen, weil eine Unendlichkeit durch fortlaufende Halbierungen nunmal nicht kleiner wird.
Alles was hier messbar wächst, ist die Anzahl der bis dato ausgeschlossenen/falsifizierten Ansätze, also wächst hier nicht unser Wissen um das was der Fall ist, sondern unser Wissen um das was nicht der Fall ist. Aber immerhin!
Wobei:
Insofern ist die Falsifikation nicht viel besser als die Verifikation: Beide führen nicht zur Wahrheit, sie können aber zu Vertrauen unsererseits führen, zum: "Erfahrungsgemäß schaut es so aus, das hat sich für uns bewährt". Das reicht auch für die meisten Zwecke, schon damit können wir sehr viel anfangen.
Skeltek hat geschrieben: ↑12. Jul 2018, 01:07
Effektiv wird Nicht-Falsifizierbarkeit verachtet und verboten, aber nicht, weil nicht-falsifizierbare Theorien falsch sind, sondern weil uns das ein problematischer Dorn im Auge ist, der uns einfach nur stört und welchen wir weg haben wollen. Hier wird das Problem der Erkennung von Richtig und Falsch nicht gelöst sondern eifnach vermieden, indem man den Kopf in den Sand steckt oder Nicht-Falsifizierbares grundsätzlich a priori ablehnt.
Das Problem ist: Wenn du die Forderung nach Falsifizierbarkeit fallen lässt, dann öffnest du ein sehr großes Tor sehr weit, die Büchse der Pandora, dann besteht die Gefahr der Beliebigkeit, dann kann man fast alles behaupten und nichts kann oder muss an der Natur geprüft werden.
Wir brauchen einen Filter der Vernunft, das ist notwendig, um uns von vorwissenschaftlichen, abergläubischen, magischen Zeiten abgrenzen zu können.
Es kann hier nicht darum gehen, was richtig und was falsch ist, ein 'richtig', im Sinne von 'wahr' wird uns für immer unzugänglich bleiben, aus prinzipiellen Gründen! Hör auf nach "DER Wahrheit" und nach "richtig" zu fragen, diese erlangen zu wollen, es geht nicht, es ist sinnlos, völlig egal was du tust!
Es geht stattdessen darum, was vernünftig und was nicht vernünftig ist, was vernünftigerweise zu irgendeinem Zeitpunkt
von uns "aus gutem Grund für wahrscheinlich nahe an der Wahrheit"
gehalten werden soll und was nicht.
Das ist der eigentliche Kern dieser Diskussionen.
Skeltek hat geschrieben: ↑12. Jul 2018, 01:07
Ockhams Rasiermesser sollte eigentlich Theorien bevorzugen, welche weniger Formeln und Parameter haben aber ansonsten Inhaltsgleich sind.
Ockham's Razor fordert Sparsamkeit bei den (nicht bewiesenen, rein angenommenen/erfundenen Grundannahmen), das hat zunächst nichts mit der Anzahl der Formeln zu tun oder wie komplex/kompliziert eine darauf aufgebaute Theorie letztlich ausschaut.
Das ist im Grunde ein praktischer Rat: Je weniger du postulieren musst (das sind Dinge, die du nicht weißt, die du sozusagen erfindest), desto besser, ganz einfach weil damit die Wahrscheinlichkeit sinkt, dass du falsch liegst und in die Irre gehst. Klingt vernünftig, zur Wahrheit führt das natürlich auch nicht, aber das geht wie gesagt eh nicht, man sollte das besser akzeptieren, es bringt nichts den Kopf vor dieser Wahrheit in den Sand zu stecken.
Skeltek hat geschrieben: ↑12. Jul 2018, 01:07
Als Beispiel kann man einfache Lebewesen nehmen. Was ist das Ziel eines Lebewesens? Sich 'fortzupflanzen und zu überleben' würde die einfachere Theorie sagen. Das ist aber zum Beispiel auch schlichtweg falsch, da diese Verhaltensweisen lediglich emergente Symptome des eigentlichen viel komplexeren Sacheverhaltes sind, nämlich sark simplifiziert der Entropieumsetzung in Kombination des Aussterbens der Konkurenz.
Das Überleben ist also lediglich Resultat der Regeln der Umwet und des Universums und nicht das eigentliche Ziel. Es ist nur eine Begleiterscheinung.
Das Leben hat per se kein Ziel. Jede Theorie, auch zum Leben, ist letzlich 'falsch', wenn du so möchtest (in einem strengen Sinne), ganz gleich welche Erklärung du ersinnst.
Nochmal: Es geht nicht um richtig/falsch, es geht um
für uns möglichst befriedigende Antworten auf die
von uns erfundenen Fragen.
Skeltek hat geschrieben: ↑12. Jul 2018, 01:07
Ich kann einfach nicht glauben, dass auf allen Größenordnungen exakt die einfachste Teiltheorie verwirklicht sein soll. Wenn wir davon ausgehen, dass in 80% der Fälle die einfachere Variante bzw Theorie durch das Universum realisiert ist, dann können wir durch neue Theorieentdeckungen uns höchstens asymptotisch auf eine 80% vollständige/richtige TOE annähern, aber diese nie erreichen. Wenn man über die 80% hinausgehen will, muss man zwangsläufig akzeptieren, dass ein relevanter Prozentsatz des Formelgebildes der Welt eben doch eine komplexere Theorie verwirklicht hat.
Versuche deinen Blickwinkel zu ändern, es geht nicht um richtig/falsch, auch nicht um x% richtig, das ist sinnlos.
Es geht in deinem Beispiel darum, ob uns die Verfolgung eines einfacheren oder eines komplexeren Ansatzes vielversprechender dabei erscheint uns mehr Befriedigung unserer Neugier zu verschaffen. Es kann gut sein, dass das eines Tages der komplexere Ansatz ist, das hängt stark davon ab, wie wir uns selbst weiterentwickeln, was wir bevorzugt wollen werden und es hängt auch stark von ganz pragmatischen Sachen ab: welche Mittel und Werkzeuge stehen zur Verfügung, was ist von uns überhaupt wie weit verfolgbar, machbar?
Warum haben wir denn gerade diese Diskussion in der Physik, wo einige alte Werte wie die Falsifizierbarkeit hinterfragt werden, ganz vorzugsweise gerade von den Theoretikern?
Wir haben sie deshalb, weil die Theoretiker im Moment schneller sind, nicht zuletzt wegen den Möglichkeiten der modernen Computertechnik, weil die messtechnische Seite der Physik zunehmend hinterher hinkt, zu wenig Input liefert und sich das absehbar auch nicht mehr ändern wird.
Wir tun stets das, was geht. Und wenn sich die Randbedingungen ändern, dann fragen wir, ob wir nicht auch unsere Vorgehensweise und unsere Werte ändern sollten, das ist etwas ganz normales, gesundes, dass das jetzt diskutiert wird.
Skeltek hat geschrieben: ↑12. Jul 2018, 01:07
Jetzt ist das physikalische Gebilde inzwischen aber so umfangreich und komplex, dass man vermutlich gar nicht wissen kann wo man ansetzen sollte. Im schlimmsten Fall ist unser Verständnis von Raum und Zeit grundsätzlich falsch und unser Standardmodel nur die emergent scheinbare Verwirklichung eines entarteten Grenzfalls.
Es ist ganz sicher grundsätzlich falsch, weil es kein richtig für uns gibt.
Ja, es ist heute schwerer denn je von der Pike auf etwas ganz Neues aufzubauen, um dann vielleicht erst in 50 Jahren zu sehen, ob das irgendwo hinführt, das besser ist, aber wir haben ja Zeit.