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LHC und kein Higgs – Alternativen?

Physik der Elementarteilchen, Teilchenbeschleuniger; insbs. eine einführende Artikelserie in das Thema
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tomS
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LHC und kein Higgs – Alternativen?

Beitrag von tomS » 21. Dez 2010, 23:08

Ich wollte wie versprochen eine kurze Zusammenfassung zum Thema Higgsboson sowie insbs. zu Ideen für eine Physik ohne Higgs schreiben.

Zunächst mal zur grundlegenden Idee des Higgsbosons, die aus der Festkörperphysik „geklaut“ ist. Üblicherweise erwartet man, dass eine Eichtheorie masselose Eichbosonen (wie z.B. die Photonen) beinhaltet. Gibt man den Photonen eine Masse (das ist dann die sog. Proca-Theorie, eine Erweiterung der Maxwellschen Theorie) so bricht dies explizit die Eichsymmetrie. Insbs. würden dann neben den beiden transversalen auch noch eine dritte, longitudinale Polarisation der Photonen existieren. Der Bruch der Eichsymmetrie ist klassisch kein Problem, quantenmechanisch allerdings eine Katastrophe, da man die Eichsymmetrie benötigt, damit die Theorie renormierbar bleibt.

Im Falle der schwachen Wechselwirkung kennt man die sogenannte Fermi-Theorie, die in erster Näherung recht gut den Beta-Zerfall beschreibt, die jedoch nicht-renormierbar und nicht-unitär ist; sie kommt zunächst ganz ohne Eichbosonen aus. Man weiß, dass man für eine Beschreibung massive Eichbosonen bräuchte, damit die schwache Kraft kurzreichweitig bleibt (eine langreichweitige Kraft wie die elektromagnetische WW bzw. das Coulombpotential hätte man ja schon experimentell nachgewiesen). Die Kunst ist also
- eine Eichsymmetrie einzuführen, um die Renormierbarkeit sicherzustellen
- den Eichbosonen eine Masse zu geben, um die kurze Reichweite zu erklären
- und trotz Massenterm die Renormierbarkeit nicht zu zerstören

Weinberg et al. gelang es, eine Eichtheorie zu konstruieren, die alle erforderlichen Symmetrieeigenschaften aufweist. Die Eichsymmetrie bricht man nun nicht explizit, sondern durch eine weitere Wechselwirkung, die damit die Massen der Elementarteilchen dynamisch generiert.

Dazu führt man eine Wechselwirkung eines neuen, skalaren Teilchens ein, des sog. Higgs-Bosons (benannt nach Peter Higgs, der diese Idee wohl mit als erstes formuliert hat). Der Witz ist nun, dass dieses Higgsfeld im niedrigsten Energiezustand (Vakuum) nicht verschwindet, sondern einen Wert ungleich Null hat. An dieses Feld koppeln nun die Eichbosonen (W und Z) und erhalten so eine Masse. Man stelle sich das als (praktisch masselose) winzige Kugel vor, die sich durch ein zähes Medium bewegt; die nackte Kugel selbst ist masselos (allerdings unbeobachtbar bzw. nicht vom Medium zu trennen), über die Zähigkeit des Mediums sieht es jedoch so aus, wie wenn sie eine Masse hätte. Die Kugel entspricht dem Eichboson, das zähe Medium dem Higgsfeld, der Widerstand des Mediums gegen die Bewegung der Kugel der Masse. Außerdem kann das Medium selbst ebenfalls schwingen, dies entspricht den Quanten des Higgsfeldes, den Higgsbosonen.

Damit hat man alle Zutaten beieinander: das Modell sagt zusammen mit den experimentell bekannten Daten aus der Fermi-Theorie die Massen (und Kopplungen) der Eichbosonen exakt und richtig (!) voraus, allerdings nicht die des Higgsbosons. Diese bleibt ein freier Parameter. Man kann die Masse jedoch einschränken, da man zwar nicht das Higgsboson selbst, jedoch implizit die Kopplung virtueller Higgsbosonen an andere Teilchen berechnen kann. Darüber kann man den erlaubten Bereich zumindest eingrenzen (im Bereich der Energien am LHC).

Auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede mit den Goldstone-Bosonen gehe ich hier nicht ein.

Was sind nun die Probleme des Higgsbosons?
zum einen der (noch) fehlende Nachweis;
zum zweiten die Tatsache, dass es als skalares Teilchen ein Fremdkörper im Standardmodell zu sein scheint (im Falle der Stringtheorie gilt dies nicht; hier treten Skalarfelder recht natürlich auf);
zum dritten die Tatsache, dass im Bereich der Festkörperphysik Higgs-ähnliche Teilchen nicht elementar sondern zusammengesetzt sind (sog. Quasiteilchen) und man dies ggf. auch für das Higgsteilchen erwarten könnte;
zum vierten, dass seine Masse (und seine Kopplung) wie die jedes anderen Teilchens der Renormierungsgruppe unterliegt und abhängig von der Wechselwirkungsenergie variiert; während bei anderen Teilchen diese Abhängigkeit gering ist, sollte die Masse des Higgsteilchens wegen einer bestimmten Eigenschaft des Skalarfeldes schnell auf eine sehr hohe Masse zulaufen, während wir doch experimentell wissen, dass sie im Bereich von ca. 110 – 180 GeV liegen muss; die Erklärung für diese niedrige Masse ist nicht wirklich verstanden; dies ist das sogenannte Hierarchieproblem.

Die Physiker haben nun aus den o.g. Gründen nach Alternativen zum elementaren Higgs gesucht, von denen ich in den nächsten Tagen einige vorstellen möchte.
Gruß
Tom

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Re: LHC und kein Higgs – was nun?

Beitrag von Timm » 22. Dez 2010, 19:55

tomS hat geschrieben:Ich wollte wie versprochen eine kurze Zusammenfassung zum Thema Higgsboson sowie insbs. zu Ideen für eine Physik ohne Higgs schreiben.

Die Physiker haben nun aus den o.g. Gründen nach Alternativen zum elementaren Higgs gesucht, von denen ich in den nächsten Tagen einige vorstellen möchte.
Da bin ich schon gespannt, Tom.

Gruß, Timm

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Re: LHC und kein Higgs – was nun?

Beitrag von tomS » 23. Dez 2010, 00:50

So, eines nach dem anderen. Hier also nun das erste sogenannte Technicolor-Modell, das eine gewisse Verbreitung gefunden hat.

Diese Idee ist inspiriert von der Farbwechselwirkung der QCD und führt – auf einer um etwa den Faktor 1000 höheren Massenskala – eine neue Farbwechselwirkung mit sogenannten Techni-Eichbosonen und Techni-Fermionen ein. Diese weisen eine ähnliche Dynamik wie die Quarks der QCD auf und führen insbs. zu einer spontanen Symmetriebrechung.

Im Gegensatz zur spontanen Symmetriebrechung mittels Higgs wird hier nicht die Eichsymmetrie selbst gebrochen, sondern die globale chirale Symmetrie, die die Symmetrie zwischen rechts- und linkshändigen Quarks bzw. Techni-Fermionen beschreibt. Außerdem funktioniert diese Symmetriebrechung alleine auf Basis der starken Wechselwirkung bzw. der Techni-Wechselwirkung und benötigt kein weiteres skalares Teilchen.

Die spontane Symmetriebrechung der QCD führt zum Auftreten (fast) masseloser Goldstone-Bosonen, der bekannten Pionen. Im Falle der Techni-Fermionen werden ähnliche Teilchen – allerdings bei höherer Masse – erwartet. Die Brechung einer Symmetrie an einem Phasenübergang wird mittels eines Ordnungsparameters beschrieben, z.B. im Falle der spontanen Magnetisierung eben mit der Stärke der Magnetisierung. Im Falle der chiralen Symmetriebrechung existiert ein sogenanntes Quarks- bzw. Techni-Fermion-Kondensat, d.h. eine im Vakuum nicht-verschwindende Fermion-Antifermion-Paar-Dichte <ŤT>.

All dies spielt sich jeweils bei einer typischen Massenskala ab, im Falle der QCD ist dies die QCD Skala Λ[down]QCD[/down] = 200 MeV, im Falle der Technicolor bei über Λ[down]TC[/down] = 200 GeV, in etwa der Skala der elektro-schwachen Symmetriebrechung.

Statt einer Wechselwirkung mit dem im Vakuum nicht verschwindenden Higgsfeld findet nun eine WW mit dem Techni-Fermion-Kondensat <ŤT> statt. Dieses generiert damit die Massen der Eichbosonen der schwachen WW sowie der bekannten Fermionen.

Ein Problem könnte die Erklärung der vergleichsweise großen Masse des Top-Quarks sein; ein weiteres Problem liegt darin, dass um die verschiedenen Massen der bekannten Fermionen erklären zu können, ebenfalls mehrere Generationen an Techni-Fermionen eingeführt werden müssen, insgs. also eine große Anzahl weitere Teilchen. Diese sollten aber aufgrund der Massenskalen von ca. 200 GeV bis zu einigen TeV am LHC nachweisbar sein. Sollten diese nicht existieren, würde dies im Wesentlichen alle Varianten der Technicolor-Modelle ausschließen.
Gruß
Tom

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Re: LHC und kein Higgs – was nun?

Beitrag von Timm » 23. Dez 2010, 10:32

Nach Deinen Ausführungen zu schließen, hört sich zumindest für den Aussenseiter weder Higgs noch Technicolor besonders elegant an. Vielleicht würde es die Teilchenphysiker nicht verdrießen, wenn der LHC keins der beiden preisgeben würde. Sorry für diese nicht konstruktive Bemerkung, man sollte besser abwarten, bis Du fertig bist.

Gruß, Timm

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Re: LHC und kein Higgs – was nun?

Beitrag von tomS » 23. Dez 2010, 10:42

Nee, du sollst nicht warten, bis ich fertig bin. Man jedes Modell erstmal für sich alleine diskutieren.

Ich sehe es auch so wie du, eleganter bzw. einfacher wird das Modell dadurch sicher nicht. Dann ginge außerdem das selbe Drama wie beim Quark-Modell los "finde alle Techni-Quarks"; das kann gut und gerne wieder 20 Jahre dauern - vorausgesetzt, sie befinden sich im LHC Energiebereich.

Aber auch andere Modelle, die ich vorstellen werde, sind nicht wirklich eleganter. Der Grund ist recht einfach: wenn man nur die elementare el.-schw. Theorie ohne jegliche Zutat nutzt, dann hat man ein Modell mit U(1)*SU(2)*SU(3). Die SU(2) verhält sich jedoch dynamisch qualitativ genauso wie die SU(3) der QCD, also sollte man Confinement etc. erwarten, aber eben keine sponatane Symmetriebrechung. Jede Änderung dieses Verhalten (die wir ja brauchen, weil die Wirklichkeit eben anders aussieht) erfordert
- entweder eine Querbeziehung zwischen SU(3) der QCD und SU(2), so dass die QCD letztlich die Symmetriebrechung der SU(2) induziert
- oder eine explizite Zutat, die anders an die SU(2) als an die SU(3) koppelt

Evtl. liefert das Top-Quark Kondensat etwas, das in die Richtung der QCD-induzierten sponatenen Symmetriebrechung ohne Higgs geht.

Andere Theorien gehen mit dem Higgs eher noch infaltionärer um. Stichwort "Little Higgs", SUSY Brechung etc. Da braucht man eher noch mehr Higgsfelder ...
Gruß
Tom

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Re: LHC und kein Higgs – was nun?

Beitrag von Timm » 29. Dez 2010, 19:56

Noch zu Higgs:

-In einer viskosen Flüssigkeit kommen Massen, auf die keine sonstigen Kräfte wirken, unabhängig von ihrem anfänglichen Bwegungszustand relativ zu dieser in Ruhe, sodaß es keine Relativgeschwindigkeiten gibt. Diese klassische Betrachtung ist ja wohl auf das Higgs-Feld nicht anwendbar. Muß man sich stattdessen vorstellen, daß dieses Feld der Beschleunigung von Teilchen einen Widerstand enrgegensetzt?

- Offenbar koppeln nicht nur manche Eichbosonen an das Higgs-Feld, sondern auch die Fermionen. Gibt es denn schon Überlegungen, wie das bei den Neutrinos funktionieren könnte?

- Konstituentenmasse der Quarks: der größte Teil ist QCD-Feldenergie, der kleine Rest aus theoretischen Modellen abgeleitete "current mass". Ist der Higgs-Mechanismus dazu alternativ anzusehen? Oder in welchem Zusammenhang steht er im Vergleich zu den vorgenannten Modellen?

Konzept der Masse:

- Ist Masse eine intrinsische Eigenschaft der Teilchen?

- Masse kann nicht in einem Punkt versammelt sein. Wie geht man damit um?

Der Ursprung der Masse der Teilchen dürfte zu den faszinierendsten offenen Fragen der Physik gehören, s. "Concepts of Mass", von Max Jammer. Bis heute sind sie freie Parameter. Sperrt man Photonen in einen Behälter, so erhöht sich - im Gedankenexperiment wägbar - dessen Masse. Kann man die Masse der Teilchen als in diese eingesperrte Energie betrachten? Dann allerdings bräuchte man kein Higgs-Feld.

Gruß, Timm

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Re: LHC und kein Higgs – was nun?

Beitrag von tomS » 31. Dez 2010, 10:31

Hallo Timm,

zu deinen Fragen - sozusagen als EInschub, bevor es mit den Alternativen zum Higgs weitergeht
Timm hat geschrieben:In einer viskosen Flüssigkeit kommen Massen, auf die keine sonstigen Kräfte wirken, unabhängig von ihrem anfänglichen Bwegungszustand relativ zu dieser in Ruhe, sodaß es keine Relativgeschwindigkeiten gibt. Diese klassische Betrachtung ist ja wohl auf das Higgs-Feld nicht anwendbar. Muß man sich stattdessen vorstellen, daß dieses Feld der Beschleunigung von Teilchen einen Widerstand enrgegensetzt?
Ja, so in etwa; es ist eben ein klassisches Bild, das im Rahmen der QFT qualitativ OK ist, aber quantitativ versagt.
Timm hat geschrieben:Offenbar koppeln nicht nur manche Eichbosonen an das Higgs-Feld, sondern auch die Fermionen. Gibt es denn schon Überlegungen, wie das bei den Neutrinos funktionieren könnte?
Ja; dabei kommt ins Spiel, dass Neutrinos Majorana-Teilchen sein könnten, die ihre eigenen Antiteilchen sind. Damit wäre die Struktur der Massenterme anders. Insgs. ist es ein Rätsel, warum die Neutrinos so leicht sind. Man erwartet hier einen grundsätzlich anderen Mechanismus, etwa den sog. See-Saw-Mechanismus, der ein sehr leichtes Neutrino erklären kann, wenn zugleich ein sehr schweres (bisher unbeobachtetes) Neutrino eingeführt wird.

http://en.wikipedia.org/wiki/Seesaw_mechanism
http://de.wikipedia.org/wiki/Majorana-Fermion

DIe Idee ist, dass neben der Brechung der Symmetrie durch das Higgs eine nicht-diagonale Kopplung zwischen den Neutrinos vorliegt. Die Diagonalisierung der Kopplung führt nun dazu, dass das eine Teilchen um so leichter wird, je schwerer das andere wird - daher See-Saw.
Timm hat geschrieben:Konstituentenmasse der Quarks: der größte Teil ist QCD-Feldenergie, der kleine Rest aus theoretischen Modellen abgeleitete "current mass". Ist der Higgs-Mechanismus dazu alternativ anzusehen? Oder in welchem Zusammenhang steht er im Vergleich zu den vorgenannten Modellen?
Der Higgs-Mechanismus erklärt die Current-Quark-Masse; die Konstituentenquarks sind ein unzutreffendes Bild, demzufolge genau drei Quarks im Proton existieren und zusammen 100% der Masse ausmachen. Das ist im Rahmen der QCD nicht mehr haltbar. QCD und Higgsmechanismus passen also gut zusammen.

Konzept der Masse:
Timm hat geschrieben:- Ist Masse eine intrinsische Eigenschaft der Teilchen?
- Masse kann nicht in einem Punkt versammelt sein. Wie geht man damit um?
Masse scheint eine Eigenschaft der Feldwechselwirkung zu sein. Auch wenn man naive Modelle ohne Higgs betrachtet, ist die Masse der Renormierung und damit dem Einfluss der WW unterworfen. IN der QFT betrachtet man eigentlich keine punktförmigen Teilchen, sondern Eigenzustände des sog. Hamiltonoperators, also z.B.

H|proton> = E|proton>

Der Zustand |proton> trägt dabei die wesentlichen Symmetrieeigenschaften der Poincaregruppe. Es gilt also

(H² - P²)|proton> = M²|proton>

und dabei ist M eine dynamische, durch die WW bestimmte Eigenschaft. Die Frage der Lokalisierung oder der punktförmigen Masse stellt sich gar nicht mehr.

Ich gebe dir recht, dass die Frage der Masse eines der ganz großen unverstandenen Probleme der Quantenfeldtheorie ist. Im Rahmen der Stringtheorie scheint dieses Problem zu verschwinden, da hier Vakuumzustände mit spontaner Symmetriebrechung und skalaren Teilchen quasi an der Tagesordnung sind. Sämtliche Parameter der Massenentstehung (und der Kopplungen) ergeben sich als spezielle Lösungen der Gleichungen, so wie im Rahmen der QED eben verschiedene chemische Elemente existieren. Ob man diese Alternative heute akzeptieren mag, ist Geschmacksache, der theoretische Ballast ist enorm. Allerdings kann die Stringtheorie heute Modelle erklären, die einer minimalen supersymmetrischen Erweiterung des Standardmodells (MSSM) sehr nahe kommen; damit erhalten viele unnatürliche, ad-hoc eingeführte Eigenschaften im SM eine andere Erklärung.
Gruß
Tom

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Re: LHC und kein Higgs – was nun?

Beitrag von gravi » 31. Dez 2010, 13:24

Ich möchte hier mal eine Zwischenfrage einschieben.
Habe jetzt schon öfter davon gehört, dass man durch Untersuchung von Bose-Einstein-Kondensaten herausfinden will, woher die Materie ihre Masse bekommt. Hier eine Meldung in diesem Zusammenhang:

http://www.astronews.com/news/artikel/2 ... -024.shtml

Ich dachte bisher, dass man nur durch Hochenergieexperimente der Masse auf die Spur kommen könnte.
Wie aber soll das mit BEC's funktionieren?

Gruß
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Re: LHC und kein Higgs – was nun?

Beitrag von Timm » 31. Dez 2010, 15:50

Hallo Tom,

danke für Deine wirklich sehr hilfreichen Erläuterungen. Um Deinen Thread nicht zu sehr zu verfälschen, möchte ich mich auf einige wenige Nachfragen beschränken. Zu überlegen wäre, ob man Beiträge zum Thema "Masse" ev. auslagern sollte, sofern sie die Higgs Spur zu sehr verlassen. Majorana Neutrinos sind eine spannende Sache, meines Wissens laufen noch immer Experimente zu deren Nachweis. Dann, ob und wie die Zitterbewegung des relativistischen Elektrons mit seiner Masse zusammen hängt?
tomS hat geschrieben: Der Higgs-Mechanismus erklärt die Current-Quark-Masse; die Konstituentenquarks sind ein unzutreffendes Bild, demzufolge genau drei Quarks im Proton existieren und zusammen 100% der Masse ausmachen. Das ist im Rahmen der QCD nicht mehr haltbar. QCD und Higgsmechanismus passen also gut zusammen..

Die Current-Quarkmasse wird auch als nackte Quarkmasse bezeichnet und liegt nach http://en.wikipedia.org/wiki/Current_quark_mass
beim u- und d-Quark bei einigen MeV, während gemäß http://en.wikipedia.org/wiki/Constituent_quark_mass die Konstituenten Quarkmasse dieser Quarks 300 MeV beträgt und als eine Art Bindungsenergie betrachtet wird. Lt. Wiki erhält man die Stromquarkmasse aus der Lagrangefunktion der QCD. Du schreibst, daß der Higgsmechanismus dazu gut passt. Aber den Zusammenhang verstehe ich noch immer nicht. Ist dieser Mechanismus denn mit dem in Wiki erwähnten Hintergrund identisch, also ein Teil der QCD, oder alternativ dazu?

Du erwähnst den Hamilton Operator des Protons, das ja nicht punktförmig ist. Gilt dasselbe auch für Quarks und Elektronen?
Ist es letztlich die oben erwähnte Zitterbewegung, weshalb man allgemein nicht von punktförmigen Teilchen ausgeht? Oder ist Zitterbewegung auf das Elektron beschränkt?

Deine Ausführungen zu Masse/Stringtheorie sind auch interessant, leider kann ich aus Zeitgründen nicht darauf eingehen. Aber sie gehören natürlich auch zum Thema Masse.

Komm gut ins Neue Jahr!

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Re: LHC und kein Higgs – was nun?

Beitrag von tomS » 31. Dez 2010, 17:59

Im Hamiltonoperator der QCD (ohne Betrachtung des Higgs) führt man als m[down]q[/down] tatsächlich die Stromquark-Massen ein. Die QCD ist nicht sehr sensitiv für deren genaue Werte; auch die Massen von Protonen und Neutronen hängen nur in geringem Maße davon ab; bei hochenergetischen Streuprozessen (tiefinelastische Streung) ist auch m[down]q[/down]=0 (zumindest für q = u,d,s) eine akzeptable Näherung.

Bei Betrachtung des vollen Standardmodells ersetzt man m[down]q[/down] im Wesentlichen durch die Yukawa-Massenterme, d.h. durch eine Kopplung masseloser Quarks mit m[down]q[/down]=0 an den Vakuumerwartungswert des Higgsfeldes. Im elektro-schwachen Sektor ist das wichtig (m[down]q[/down]>0 würde zu einer Anomalie der SU(2) führen und damit letztlich die Konsistenz der Theorie ruinieren), im starken Sektor letztlich egal, d.h. im Rahmen der QCD macht man sich nicht die Mühe, das Higgs explizit zu betrachten (viel Rechenaufwand für eine Korrektur in der was-weiß-ich-wievielten Nachkommastelle)

Bisher betrachten wir "punktförmige" Quarks. Nun gehen wir zu den Konstiuentenquarks. Betrachten wir ein idealisiertes Proton, das aus exakt drei Quarks besteht. Dann müsste (für die Näherung m[down]u[/down]=m[down]d[/down]) gelten, dass m[down]q[/down] = M/3. Tatsache ist aber, dass auch Gluonen zur Masse beitragen, d.h. die Konstituentenquarks mit M/3 sind keine gute Näherung. Betrachtet man im Rahmen der tiefinelastischen Streuung die Strukturfunktionen des Nukleons (http://www.google.de/url?sa=t&source=we ... Ug&cad=rja insbs. #35ff), so stellt man sogar fest, dass die Quarks alleine einen gerinegeren Massebeitrag liefern als die Gluonen, sowie dass der Spinbeitrag zu einem Großteil aus dem Bahndrehimpuls der Quarks und Gluonen stammt. Das Bild der im Proton gebundenen Quarks mit einem Gluonenfeld (wie bei den Elektronen im Atom) ist also falsch. Nachdem es nun im Proton auch Gluonen gibt, können diese wiederum (virtuell) in Quark-Antiquark-Paare zerfallen. Diese Sea-Quarks (engl. sea = See; Dirac hat diesen Begriff eingeführt) liefern u.a. zur Masse einen erheblichen Beitrag. Damit ist auch die Vorstellung, es gäbe drei Quarks (egal welcher Masse) nicht haltbar. Er entstammt einer rein algebraischen Betrachtung (Gell-Mann, Zweig, Feynman; z.B. http://en.wikipedia.org/wiki/Gell-Mann% ... ss_formula) ohne bzw. vor (!) Berücksichtigung der QCD.

Die Zitterbewegung ist eine Art Relikt aus der Diracschen relativistischen Quantenmechanik, wobei man versucht, die Dirac-Wellenfunktion zu interpretieren. Im Rahmen von Quantenfeldtheorien ist das veraltet und irreführend. Hier verwendet man statt einer Wellenfunktion q(x) oder q(k,s) den Begriff eines Feldoperators q(k,s), der ein Quarks (einer bestimmten Sorte) des Impulses k mit Spin s repräsentiert.

Im Rahmen der QCD ist es auch sinnlos, den Zustand eines einzelnen Quarks zu betrachten, denn dieser ist unphysikalisch! Betrachtet man den Zustand |u,k,s> eines u-Quarks, so trägt dieses immer auch eine Farbe (die im Rahmen der Konstituentenquarkmodelle nur rein algebraisch, d.h. ohne WW bzw. Gluonen betrachtet wird. Ein derartiger Zustand |u,k,s,c> mit c für „Color“ ist jedoch aufgrund der Color-Neutrality verboten, d.h. unphysikalisch; es gilt nämlich Q[up]a[/up]|phys> = 0 mit a = „Farbindex“, d.h. farbige Zustände (Farbladung ungleich Null) sind physikalisch verboten. Demzufolge sind "einzelne" Quarks (seien es nun Strom- oder Konstituentenquarks) nur in bestimmten Energiebereichen vernünftige Näherungen.

Wenn das interessiert, schreibe ich dazu gerne etwas separat - bzw. verweise auf andere Beiträge hier im Elementarteilchenforum.
Gruß
Tom

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Re: LHC und kein Higgs – was nun?

Beitrag von wilfried » 2. Jan 2011, 12:24

Guten Tag zusammen

im Moment habe ich den Eindruck, dass ein wenig Unruhe in der Physikerwelt herrscht, weil die Ergebnisse des LHC nicht so sind, wie geren erwartet bzw. dass die Ergebnisse noch auf sich warten lassen.

Ich meine, wir sollten ein wenig geduld aufbringen, bevor irgendwelche Modell- oder Vorstellungsvarianten entwickelt werden.

Geduld bedeutet hier:

- die Messtechnik muss stimmen - tut sie das wirklich?
- die Auswertungen müssen korrekt sein - sind sie das bereits in der feinen Granularität?
- die Überprüfbarkeit (Messverfälschung etc) muss durchgeführt worden sein - ist sie das bereits?

Wir sollten noch ein wenig zuwarten, bevor Alternativen gekocht werden. Es ist leichter neue Modellvorstellungen zu entwickeln, als in allen Details die Messungen durchzuführen und auszuwerten. Wir befinden uns in einem Bereich, der nicht so leicht handzuhaben ist.

In meinem Umfeld haben wir eine Messtechnik entwickelt, welche Positionen im untersten nm-Bereich feststellen kann. Das wird über magnetische Kopplung dargestellt. Bis aber mal diese Genauigkeiten reproduziert und serienreif für Maschinen (Waferstepper, Präzisionshohner usw) nachgeweisen sind, vergeht eine Zeit. Wir befinden uns eben am Rand des momentan technologisch machbarem.

Also: Gemach Gemach gemach

Netten Gruß

Wilfried
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-rot E - dB / (c dt) = (4 pi k ) / c
rot B - dE/ / (c dt) = (4 pi j ) / c
div B = 4 pi rho_m
div E = 4 pi rho_e

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Re: LHC und kein Higgs – was nun?

Beitrag von tomS » 2. Jan 2011, 12:47

Ich hoffe nicht, dass hier der Eindruck entstanden ist, es gäbe Hinweise auf die Nicht-Existenz des Higgs.

Es geht lediglich darum - wie immer in der theoretischen Physik - Alternativen auszuloten. Das Higgsmodell ist aus theoretischer Sicht nicht hunderprozentig überzeugend - daher die Motivation bzgl. anderer Modelle. Die hier noch zu diskutierenden Alternativen sind meist älteren Datums - vor Start des LHC.
Gruß
Tom

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Re: LHC und kein Higgs – was nun?

Beitrag von wilfried » 2. Jan 2011, 15:01

Tag Tom

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Ich hoffe nicht, dass hier der Eindruck entstanden ist, es gäbe Hinweise auf die Nicht-Existenz des Higgs.
nein, nein, der Eindruck ist nicht entstanden. Nur bisher ist das Teilchen nicht entdeckt worden und deshalb sage ich: erst mal abwarten, bevor Schlüsse gezogen werden können.

Was Du ausführst ist schon völlig richtig und ich unterstreiche dies.

Netten Gruß

Wilfried
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Re: LHC und kein Higgs – was nun?

Beitrag von Timm » 2. Jan 2011, 17:15

Tom's Vorhaben, Alternativen zum Higgsmechanismus vorzustellen, finde ich sehr interessant. Gerade auch im Hinblick darauf, daß der "interessierte Laie" in populärwissenschaftlichen Artikeln und Büchern zwar einiges über Higgs erfährt, aber verständlicherweise nichts darüber hinaus. Und, es entstand nicht der Eindruck, daß Higgs bereits ad acta gelegt ist.

@Tom. Nun habe ich eine bessere Vorstellung, wie Higgs zum SM passt, danke.
gravi hat geschrieben:http://www.astronews.com/news/artikel/2 ... -024.shtml

Ich dachte bisher, dass man nur durch Hochenergieexperimente der Masse auf die Spur kommen könnte.
Wie aber soll das mit BEC's funktionieren?
Das würde mich auch interessieren,

Gruß, Timm

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Re: LHC und kein Higgs – was nun?

Beitrag von tomS » 2. Jan 2011, 19:11

Ohne das genau gelesen zu haben: Das Konzept des Higgs ist der Festkörperphysik entlehnt; darin ist der Vakuumerwartungswert selbst das BCS-Kondensat. Der Unterschied ist, dass z.B. im Falle der Supraleitung die kondensierenden Bosonen keine elementaren Objekte sind, sondern durch Phononen (Gitterschwinungen) gebundene Elektronenpaare. Im Gegensatz dazu enthält das Standard-Higgs-Modell ein elementares Boson.
Gruß
Tom

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tomS
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Re: LHC und kein Higgs – was nun?

Beitrag von tomS » 5. Jan 2011, 23:23

So, ich komme wieder zur urspünglichen Idee zurück, nämlich der Darstellung alternativer Mechanismen, die el.-schw. Eichsymmetrie zu brechen und den W- und Z-Bosonen Masse zu verleihen (das bleibt das Ziel, auch wenn es kein Higgs geben sollte).

Eine Idee ist die sogenannte Gauge-Higgs-Unification oder KK-Higgs-Models. (KK steht für Kaluza-Klein, die als erste die Idee einer fünfdimensionalen Raumzeit mit Kompaktifizierung einer Dimension zu einem Kreis und der daraus resultierenden Vereinigung von Gravitation und Elektromagnetismus diskutiert hatten).

Die fünfte Dimension wird dabei zu einem winzige Kreis aufgerollt. Die Schwingunsgmoden der Eichfelder entlang dieser Dimension erscheinen als Higgsfelder. In dieser fünften Dimension sind nun quantisierte (= wie bei einer eingespannten Saite) diskrete, beliebig hohe Schwingungsmoden mit entsprechendne Massen erlaubt. Die typische Massenskala ist dabei n/L wobei L der Umfang der Kreises der fünften Dimension ist und n die Schwingunsgmoden zählt. Die in dieser fünften Dimension schwingende Komponente des Eichfekldes koppelt dabei an die vierdimensionalen Komponenten und verleiht diesen eine Masse. Man kann sozusagen von eine "geometrischen" Higgs-Mechanismus sprechen.

Vorteile? klar, kein Higgs, sondern nur Eichfelder; die Higgs-Masse wird intrinsich durch Quanteneffekte erzeugt und nicht durch künstliche Einführung eines Potentials; sie bleibt natürlicherweise im Bereich der Skala der Symmetriebrechung und "läuft nicht weg".
Nachteile: die Resultate der einfachsten Modelle widersprechen explizit den seit den 80igern bekannten Ergebnisse des GSW-Modells plus Higgs (Masse der Eichbosonen falsch, Masse des Higgs zu klein, falscher Wert für den Weinbergwinkel entspr. Verhältnis der el. zur schw. Kopplung).

Natürlich kann man nun beliebig komplizierte Kompaktifizierunsgszenarien einführen und so phänomenologisch korrekte Vorhersagen machen. Allerdings ist es dann unklar, ob man wirklich etwas gewonnen hat. Wo bleibt der Vorteil, ob man nun das Higgs-Feld selbst künstlich einführt, oder eine zusätzliche, unbeobachtbare Dimension einführt und aus dieser das Higgs erzeugt.
Gruß
Tom

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Re: LHC und kein Higgs – was nun?

Beitrag von deltaxp » 7. Jan 2011, 10:31

und warum bekommen dann einige eichfelder masse und andere nicht, wenn alle in der extradimension schwingen ?

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Re: LHC und kein Higgs – was nun?

Beitrag von tomS » 7. Jan 2011, 11:22

Man muss wiederum eine Symmetriebrechung durchführen, diesmal alledings nicht in den Higgsfeldern sondern direkt in den Eichfeldern. Die Eichfelder schwingen ja in der fünften Dimension; bzgl. dieser Schwingung führt man eine Fourierzerlegung durch (diese ist diskret, da die fünfte Dimension einem Kreis entspricht; es handelt sich also um diskrete Fouriermoden). Nun bricht man die Symmetrie einer Gruppe G zu einer kleineren Untergruppe H, indem man einigen fünfdimensionalen Zero-Modes (also den Nullmoden der Fourierzerlegung) einen Vakuumerwartungswert zuweist. Die Symmetrie der Untergruppe H bleibt erhalten, die zugehörigen Eichbosonen bleiben masselos. Die Vakuumerwartungswerte koppeln an die verbleibenden Eichbosonen im Coset G/H und erscheinen hier als Masseterme.

Entscheidend ist die Wahl von G, H, d.h. die Struktur der Symmetriebrechung. Das ist leider genauso "künstlich" bzw. "gebastelt" wie im Higgsmodell selbst. Man muss die richtigen Zutaten selbst herausfinden. Eine natürliche Erklärung gibt es nicht.

Ich habe leider bisher keinen Artikel gefunden, der ein Modell beschreibt, das dem Higgsmodell phänomenologsich äquivalent oder gar überlegen ist. Evtl. hilft aber das hier als Übersicht weiter: Kap. 8, Seite 30 in http://arxiv.org/abs/0910.5095v1
Gruß
Tom

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Re: LHC und kein Higgs – Alternativen?

Beitrag von tomS » 15. Jan 2011, 15:17

wenn es dazu keine Fragen mehr gibt, dann würde ich weitere Alternativen vorstellen ...
Gruß
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Re: LHC und kein Higgs – Alternativen?

Beitrag von tomS » 16. Jan 2011, 16:11

Bei einer weiteren Möglichkeit, die ich in der Literatur gefunden habe, wird die Eichsymmetrie durch eine Modifizierung der el.-schw. Theorie (ohne Higgs) durch eine Selbstwechselwirkung der W- und Z-Bosonen sowie durch Quantenkorrekturen im Pfadintegral gebrochen.

Zum ersten wird dabei der Renormierungsansatz verändert, nämlich explizit nur endliche Größen betrachtet, so dass die Struktur der el.-schw. Theorie bzgl. Massentermen, Weinberg-Winkel usw. aus dieser Selbstwechselwirkung resultiert. Die dabei erforderliche explizite Brechung der Eichsymmetrie wird dabei "repariert", in dem Zusatzterme konstruiert werden, die diese Symmetriebrechung wieder rückgängig machen. Die Theorie bleibt dabei nach wie vor renormierbar, endlich und zunächst symmetrisch unter allen Eichtransformationen. Zum zweiten werden im Pfadintegral Quantenkorrekturen (ad hoc) eingebaut, die dann die noch symmetrischen Wechselwirkungsterme spontan brechen und so rein durch Quantenkorrekturen Massenterme für die W- und Z-Bosonen entstehen. Zwar benötigt man ebenfalls einen ad hoc Mechanismus (wie im Falle des Higgs auch), alledings kommt man ohne neues Teilchen (Higgs) aus.

Die Idee klingt zunächst einfach, die Rechnungen sind jedoch ziemlich verwickelt und es ist mir nicht klar, ob tatsächlich alle (unterschiedlichen) Fermionmassen ebenfalls konsistent erzeugt werden können. Außerdem ist der Renormierungsansatz ziemlich exotisch und ich konnte nicht in allen Details nachvollziehen, ob der gesamte Ansatz konsistent ist. Angeblich kann das Modell alle relevanten Phänomene des el.-schw. Sektors des SM erklären, wobei jedoch einige (am LHC experimentell testbare!) Unterschiede auftreten sollten.

Ich habe die Defomierung des Pfadintegralmaßes leider nicht genau verstanden und kann daher letztlich nicht beurteilen, ob dieser Ansatz sinnvoll ist oder nicht.
Gruß
Tom

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Re: LHC und kein Higgs – Alternativen?

Beitrag von Timm » 17. Jan 2011, 19:39

Du gibst Dir wirklich sehr viel Mühe und hast so wenig Resonanz. Nach meinem laienhaften Eindruck sind die Alternativen zu Higgs wohl doch recht "gesucht" und vermutlich deshalb nicht mainstream.

Gruß, Timm

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Re: LHC und kein Higgs – Alternativen?

Beitrag von tomS » 17. Jan 2011, 21:28

Danke für die Aufmunterung; immerhin wird der Thread ja gelesen. Und ja, die Alternativen sind nicht gerade Mainstream.
Gruß
Tom

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Re: LHC und kein Higgs – Alternativen?

Beitrag von tomS » 24. Jan 2011, 23:17

Eine relativ neue Idee zur elektroschwachen Symmetriebrechung mit Erzeugung von W- und Z-Bosonmassen sowie außerdem Fermionenmassen stammt aus der Quantengravitation, genauer der Einstein-Cartan-Theorie. Dabei ist nicht die Quantisierung der Gravitation selbst sondern „nur“ die Symmetriestruktur der klassischen Theorie wichtig.

Vorneweg: Die elektroschwache Lagrangedichte (ohne Higgs-Boson) enthält keinen Term mit reiner Quark-Quark Wechselwirkung, so dass daraus ein Vakuumerwartungswert entstehen könnte. Die Idee besteht darin, die Selbstwechselwirkung des Higgs durch eine andere Selbstwechselwirkung zu ersetzen. Diese Selbstwechselwirkung könnte nun durch verschiedene Mechanismen erzeugt werden:
a) explizite Einführung dieser Terme (komme ich später noch mal darauf zurück; man muss dann erklären, warum sie neben der Massenerzeugung keine weiteren messbaren Effekte verursachen
b) dynamische Erzeugung dieser Terme durch Quanteneffekte (habe ich schon beschrieben)
c) Einführung einer weiteren Wechselwirkung, die diese Terme induziert.

Eine Variante des Mechanismus c) wird im Kontext einer erweiterten Theorie der Quantengravitation, der sogenannten Einstein-Cartan-Theorie vorgeschlagen. Diese Theorie entsteht relativ zwanglos, wenn man Fermionen an die dynamische Raumzeit der ART koppelt. Fermionen können aus algebraischen Gründen nicht direkt an die Metrik, sondern nur an ein sogenanntes Vierbeinfeld koppeln, aus dem wiederum die Metrik rekonstruiert werden kann. Die Einführung dieses Vierbeinfeldes liefert eine der ART äquivalente Theorie, wenn (!) eine bestimmte Zusatzbedingung, die sogenannte Torsionsfreiheit gefordert wird. Diese Zusatzbedingung erscheint jedoch künstlich und wird deshalb im Rahmen der ECT fallengelassen. Dies definiert die erweiterte Riemann-Cartan-Geometrie, die neben der Raumkrümmung auch Torsion enthält. Die ART (umformuliert mittels der Vierbeinfelder) wird dabei um einen Zusatzterm, den sogenannten Holst-Term erweitert.

Allerdings unterscheidet sich die Torsion grundlegend von der Krümmung, sie ist nämlich nicht-dynamisch, d.h. es gibt keine im Vakuum propagierenden Torsionswellen. Stattdessen kann eine rein algebraische Gleichung (keine partielle Differentialgleichung wie sonst in der ART) gelöst werden und die Torsion direkt durch die Materiefelder ausgedrückt werden. Insbs, verschwindet damit die Torsion im Vakuum (und ist damit nicht experimentell messbar, wodurch die ECT und die ART experimentell nicht unterschieden werden können).

Löst man nun diese Gleichungen und eliminiert so die Torsion aus der ECT, so induziert diese Lösung mittels des Holst-Termes eine Fermion-Selbstwechselwirkung. Dabei wird die Paritätsverletzung der elektroschwachen Theorie in diese Selbstwechselwirkung übertragen. Während in einem Sektor die bekannten Fermionen einer Händigkeit aus dem Standardmodell enthalten sind, enthält der andere Sektor neue (bisher unbeobachtete), sogenannte Technifermionen. Passt man die Kopplungskonstanten entsprechend an, so erreicht man, dass diese Technifermionen erst oberhalb von einigen TeV messbare Effekte verursachen (d.h. die Vorhersagen der so konstruierten Theorie währen bisher tatsächlich unbeobachtbar, sollten jedoch am LHC experimentell überprüfbar sein). Außerdem kann man die Kopplungskonstanten so einjustieren, dass die Fermionen des Standardmodells weiterhin schwach wechselwirken, während die Technifermionen einer stark anziehenden Wechselwirkung unterliegen, die zu einem Fermion-Kondensat führt.

Ein derartiges Fermion-Kondensat ist z.B. auch aus dem Mechanismus der Supraleitung bekannt; hier „kondensieren“ die aus zwei schwach gekoppelten Elektronen bestehenden Cooperpaare (BCS-Theorie).

Man kann nun die Wechselwirkung im Technifermionsektor so konstruieren, dass dieser die Niederenergiephysik (unterhalb einiger TeV) außer durch die Massenentstehung kaum beeinflusst, während oberhalb sowohl W- und Z-Bosonen als auch die SM-Fermionen durch eine Kopplung an das Kondensat eine Masse erhalten.

Der Mechanismus erscheint zunächst durch die notwendige Anpassung der Kopplungskonstanten etwas künstlich, allerdings hat er den Vorteil, dass er zwar freie Parameter, jedoch keine zusätzlichen dynamischen Felder enthält.
Gruß
Tom

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Re: LHC und kein Higgs – Alternativen?

Beitrag von wilfried » 25. Jan 2011, 12:58

Guten Tag

die Suche nach einem Verbindungsteilchen -Higgs- und Derivaten nimmt meines Erachtens nach einen gewissen zwangsneurotischen Charakter an.

Es wird gesucht, es wurde bis jetzt nichts gefunden, es muss aber zwangsneurotisch so etwas da sein...

ergo:

man eicht mal wieder dem Teufel ein Ohr ab.

Sorry, wenn ich mal wieder auf die Eichtheorien losgehe, aber ist es nicht einmal an der Zeit die Physik an dieser Stelle ein wenig mehr in den Vordergrund zu stellen?

Ist es nicht eine Notwendigkeit diese "Misserfolge" zu hinterfragen:

- Ist denn unser Ansatz vernünftig
(Verweis auf die gerade bei uns im Forum laufenden Diskussion "Schönheit der Physik", in der komplizierte Ansätze von tensor als fraglich und damit der Diskussion der Überarbeitung würdig, dargelegt werden)

- Ist den der Ansatz physikalisch
Eventuell ist der Ansatz ja eher kontruktionsbedingt, nach dem Motto: was muss ich mathematisch anstellen, das dies oder jenes passieren mag?
Eichtheorie ist hier einer der Punkte ...

- Ist der Ansatz reif oder muss eventuell noch nachgearbeitet werden
Ja kennen wir denn überhaupt die notwendigen Bedingungen oder fehlt eventuell Kenntnis (Physik), die halt doch noch nachgeholt werden muss?

Lieber tom, mein Beitrag ist kein Torpedo Deiner Aktivität nach Alternativen zu suchen, aber es ist ein Torpedo bezogen auf die vielen Anstrengungen irgendeinen tollen Eichansatz zu erfinden, der "es wieder richtet".
Die Suche nach dem Higgs ist für mich zu einem richtigen Eiertanz geworden, ich bekomme den Eindruck nicht los, dass sich irgendwelche Profs und deren Jünger einfach nicht von ihren heeren Theorien lösen wollen.

Netten gruß

Wilfried
Die Symmetrie ist der entscheidende Ansatz Dinge zu verstehen:
-rot E - dB / (c dt) = (4 pi k ) / c
rot B - dE/ / (c dt) = (4 pi j ) / c
div B = 4 pi rho_m
div E = 4 pi rho_e

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Re: LHC und kein Higgs – Alternativen?

Beitrag von tomS » 25. Jan 2011, 13:22

Hallo Wilfried,

ich verstehe deine Bedenken nicht.

Man hat eine Grundstruktur (eine lokale, chirale Eichsymmetrie) die sowohl Massen für Eichbosonen als auch für Fermionen verbietet. Man muss also eine Möglichkeit finden, diese Massen dynamisch zu erzeugen, ohne die zugrundeliegende Symmetrie und damit die Konsistenz der Theorie zu zerstören (die Theorie ist mit Ausnahme des Higgs sowie einiger ungeklärter Fragen bzgl. der Neutrinos extrem erfolgreich - die Grundstruktur also wohl korrekt).

Historisch war der Higgs-Ansatz (entlehnt aus der Festkörperphysik) einer der frühesten; Idee: spontane Symmetriebrechung über ein nicht-trivial wechselwirkendes skalares Teilchen.
Alternativen: keine Higgs, dafür andere Mechanismen zur Erzeugung der Masse, insbs. über Selbstwechselwirkungen der Eichbosonen oder der Fermionen (beides habe ich hier vorgestellt).

Grundsätzlich ist das die Vorgehensweise, die jahrzehntelang bei der Konstruktion von Quantenfeldtheorien angewendet wurde: Konstruktion und Prüfung von Alternativen - verbunden mit dem Hoffen auf die Erleuchtung, also dem fundamentalen Prinzip.

Hast du dir mal durchgelesen, wie Einstein seine ART konstruiert hat? Wieviel Trial-and-Error da drinsteckte.Die moderne Physik ist da nicht so grundsätzlich anders unterwegs.
Gruß
Tom

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