tomS hat geschrieben: Außerdem ist für mich auch der Gedanke interessant, dass Realität immer beobachtete Realität sei, dass sie erst IN der Beobachtung real würde.
Der Gedanke ist ja in der Philosophie nicht neu.
Was mich als Physiker daran irritiert ist folgendes: zunächst geht die Kritik im wesentlichen immer von der Unanschaulichkeit und der "fehlenden Realität" in der Quantenmechanik aus. ...
Im Allgemeinen ja, aber hier im speziellen Fall Goswami würde ich das nicht so sehen.
Ansonsten d'accord.
tomS hat geschrieben:Das interessante ist, dass man die Quantenmechanik nie wirklich los wird. Man benötigt zwingend den mathematischen Formalismus, und man kann ihn nicht auf etwas einfacheres, anschaulicheres reduzieren (Bell, Kochen-Specker, ...). Man findet sogar auf Basis des Formalismus Ansätze, die in Richtung der Beobachtung zielen (Dekohärenz, Hartle-Frequency-Operator, ...). D.h. dass wenn ich die "Realität in der Beobachtung" als primär ansetze, dann muss ich immer noch auf Basis dieses Formalismus arbeiten, da ich keine Alternative habe. Man muss sich davon verabschieden, dass eine andere Interpretation oder philosophische Grundhaltung für mich das Problem löst, das der Formalismus selbst darstellt: er existiert und er funktioniert! Ich kann keine andere Interpretation der Quantenmechanik anbieten, die nicht auf diesem Formalismus basiert, denn er ist der einzige, den wir zur Verfügung haben, und der uns korrekte Vorhersagen von möglichen Beobachtungen liefert. Eine philosophische Grundhaltung, die noch nicht Interpretation ist, also sich noch nicht auf den Formalismus bezieht, muss dennoch zuletzt einen wie auch immer gearteten Bezug herstellen, ansonsten bleibt sie leeres Gerede.
Insofern ist es letztlich egal, ob ein Naturphilosoph eine ontologische oder eine epistemische Grundhaltung einnimmt, ob er eine unabhängige Realität, die Beobachtung oder die Relation in den Mittelpunkt seiner Überlegungen stellt. Er muss zwingend etwas über den Formalismus der Quantenmechanik sagen: was er bedeutet, in welchem Bezug er zur Realität oder Beobachtung steht, warum er funktioniert usw. Und er muss - um logische Brüche zu vermeiden - dem quantenmechanischen Formalismus eine zentrale Rolle zugestehen und darf nicht sein eigenes Vorstellungsvermögen als Maß ansetzen. Andernfalls scheitert er an der schlichten Tatsache, dass es unmöglich ist, die Quantenmechanik aus der klassischen Physik zu begründen, sehr wohl jedoch umgekehrt.
Ja, sehe ich auch so. Schön geschrieben!
Ein wenig habe ich hineingeschaut, ja interessant, werde das noch genauer lesen. Es ist allerdings genauso reduktionistisch aufgebaut, wie die meisten Interpretationen, denn sie reduziert einen bewussten Beobachter auf ein makroskopisches Quantensystem, setzt beide im Grunde gleich. Und vielleicht ist gerade das nicht radikal genug. Jedenfalls steckt da eine Grundannahme drin, die man näher beleuchten darf.
tomS hat geschrieben:Ich bin also gerne bereit, jede beliebige Interpretation der Quantenmechanik ernstzunehemen - vorausgesetzt, diese nimmt die Quantenmechanik ernst.
Ich glaube, das tut Goswami, er tut aber etwas viel Radikaleres, er bringt das Bewusstsein ins Spiel, sieht es gerade nicht reduktionistisch als Epiphänomen, sondern im radikalen Gegensatz dazu als Ausgangspunkt, als vor/über der Materie stehend (ohne freilich genau erklären zu können, was das eigentlich sei, aber das kann ja niemand), damit stellt er unser aktuelles westliches Weltbild auf grundlegendster Ebene zu Diskussion.
Das Grundproblem dort kennen wir ja: Allein die Existenz von Bewusstsein ist aus einer materialistischen Weltsicht heraus schon sehr überraschend, um es vorsichtig zu sagen, gleichzeitig ist es aber auch das einzige Sein, von dem wir
direkte Kenntnis haben, alles andere ist tatsächlich Theorie, also indirekt. Diesen Umstand kann man sehr ernst nehmen, wenn man möchte. Ich möchte noch hinzufügen, dass es mir sehr viel leichter fällt die Materie als aus etwas Geistigem abgeleitet zu denken als etwas Geistiges aus toter Materie. Genauer: Ich bin davon überzeugt, dass jeder reduktionistische Erklärungsversuch zur schieren Existenz von Bewusstsein scheitert (es geht mir hier also nicht primär um die "Wie-Frage", sondern um die "Dass-überhaupt-Frage"). Und dem muss man irgendwie Rechnung tragen.
Was er da aufbaut, ist eigentlich eine Art Idealismus, ohne die bekannte Physik, ihren mathematischen Formalismus in Frage zu stellen. Wenn man das bei der QM tut, dann geht das m.E. eigentlich nur an zwei Punkten:
1. am Kollaps, incl. dem dortigen Zufall oder Nicht-Zufall
2. am Begriff "Wirklichkeit"
So wie ich das verstanden habe, läuft das darauf hinaus, dass der QM-Formalismus zwar richtig ist, aber nicht die Realität des Faktischen beschreibt, sondern die Realität des Möglichen. Insofern hat die VWI recht, nur ist das eben nur die Welt des Möglichen. Aus der Prämisse, dass Bewusstsein primär sei und Materielles sekundär (Idealismus: philosophische Richtungen, nach denen der Geist die grundlegende Wirklichkeit darstellt), postuliert er, dass das Bewusstsein aus dieser Welt der Möglichkeiten eine wählt, in der Wahrnehmung, und somit realisiert, diese also faktisch macht: Möglichkeit wird in der Wahrnehmung, durch die wahrnehmende, primäre Instanz zum Faktischen, genau an der Stelle, wo die bekannten Naturgesetze dieses zulassen: im QM-Kollaps.
(Ich weiß, das ist eine Zusatzannahme, genau wie bei KI, jedoch nimmt sie unsere Wahrnehmung sehr ernst und sie vermeidet eine andere Annahme, nämlich die, dass Bewusstsein reduktionistisch erklärbar sei.)
Ich weiß, das ist schwer zu schlucken, schon weil es unserem gewohnten Denken um 180° zuwiderläuft und ich bin da auch skeptisch eingestellt, faszinierend finde ich es aber dennoch.
Mein Hauptproblem mit dieser Sichtweise ist, wie er bessere Argumente als die Dekohärenztheorien beischaffen will.