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#14 Gravitationswellen

Verfasst: 17. Dez 2017, 11:29
von tomS
Nach den spektakulären Ergebnissen des Gravitationswellen-Observatoriums LIGO (Laser Interferometer Gravitational-Wave Observatory) seit 2015 und dem – unvermeidlichen – Nobelpreis 2017 "für entscheidende Beiträge zum LIGO-Detektor und die Beobachtung von Gravitationswellen" an Weiss, Barish und Thorne – das T in MTW – möchte ich an dieser Stelle mal eine Übersicht für Einsteiger präsentieren.

Gravitationswellen sind eine unmittelbare Konsequenz der Allgemeinen Relativitätstheorie. Sie sind nicht möglich im Rahmen der Newtonschen Mechanik, die von einer absoluten und statistischen Raumzeit ausgeht; diese bildet letztlich eine feste Bühne für das Geschehen "auf" der Raumzeit, also die Bewegung von Körpern wie Sonnen und Planeten sowie deren untereinander wirkenden Gravitationskräfte. In der Allgemeinen Relativitätstheorie wird die Bühne selbst dagegen dynamisch: die Krümmung der Raumzeit bestimmt die Bewegung der Materie innerhalb der Raumzeit, d.h. die Bahnkurven der Körper, und Energie sowie Impuls und Druck der Materie wirken umgekehrt wieder auf die Raumzeit zurück und bewirken bzw. verändern deren Krümmung.

Entscheidend dabei ist, dass sich diese Krümmung ausbreitet; man spricht von "Propagation", d.h. die von Materie verursachte Krümmung bleibt nicht statisch fixiert sondern breitet sich i.A. in die ansonsten leere Raumzeit hinein aus. Krümmung kann also auch im Vakuum vorliegen.

Von Gravitationswellen spricht man i.A. dann, wenn die Bewegung von Körpern zu einer schwachen Störung der Raumzeit führt. Man geht also von einer Näherung einer – wie bei Newton – statischen Raumzeit aus. Ein einzelner Himmelskörper bewirkt demzufolge eine statische Krümmung, ein zweiter, viel kleinerer Körper, bewirkt eine "Kräuselung" dieser statischen Raumzeit, d.h. Gravitationswellen "auf" derselben.

In dieser Näherung – und nur in dieser – ist es sinnvoll, den Gravitationswellen eine Geschwindigkeit zuzuschreiben. Aufgrund sehr allgemeiner Eigenschaften der Geometrie der Raumzeit – jeder beliebigen im Rahmen der ART zulässigen Raumzeit – entspricht diese der universellen Grenzgeschwindigkeit c, die man im Rahmen des Elektromagnetismus als Lichtgeschwindigkeit bezeichnet. Man erhält eine Art Wellengleichung sowie deren Lösung, eben die Gravitationswellen. Aus der Wellengleichung folgen neben der Ausbreitungsgeschwindigkeit c einige weitere Eigenschaften, z.B. die Polarisation der Gravitationswellen. All dies entspricht in etwa den elektromagnetischen Wellen.

Es gibt jedoch einige wesentliche Unterschiede.

Die Aussendung elektromagnetischer Wellen hat etwas mit der Änderung des Dipolmomentes einer Ladungsverteilung zu tun; ändert sich das Dipolmoment, so ändert sich das elektromagnetische Feld (Änderungen des Monopolmomentes entsprächen Änderungen der Gesamtladung; und das ist aufgrund der Ladungserhaltung verboten!) Die in einer Stabantenne schwingende Ladungsverteilung führt zu einem zeitlich veränderlichen Dipolmoment und somit zur Abstrahlung elektromagnetischer Wellen. Eine sphärisch symmetrisch pulsierende Ladungsverteilung mit konstanter Gesamtladung (!) führt dagegen nicht zur Abstrahlung elektromagnetischer Wellen; das Coulombfeld bleibt statisch.

Im Falle der Gravitationswellen muss sogar ein zeitlich veränderliches Quadrupolmoment der Massenverteilung vorliegen. Auch hier gilt, dass ein zeitlich veränderliches Monopolmoment nicht zu Gravitationswellen führt. Insbs. bedeutet dies, dass der sphärisch symmetrische Kollaps eines nicht rotierenden Sterns keine Gravitationswellen erzeugt; dieser Fall kommt in der Realität jedoch kaum vor. Die Detektoren von Gravitationswellen können aus diesem Grund nicht stabförmig sein; sie sind vielmehr kreuzförmig oder ggf. auch dreieckig aufgebaut.

Zwei einander umkreisende Sterne in einem Doppelsternsystem haben nun gerade ein zeitlich veränderliches Quadrupolmoment und entsprechen einem einfachen Gravitationswellensender. Wie im Falle des elektromagnetischen Feldes entzieht eine Gravitationswelle dem Sender Energie; als Konsequenz ändert sich die Rotationsfrequenz des Doppelsternsystems.

PSR 1913+16 – nach seinen Entdeckern auch Hulse-Taylor-Pulsar genannt – bildet zusammen mit einem Neutronenstern ein derartiges Doppelsternsystem. Beide Sterne umlaufen den gemeinsamen Schwerpunkt in ca. 7,75 Stunden. Hulse und Taylor zeigten, dass sich die Abstrahlungsverluste in einer Verringerung des Abstands beider Sterne äußern, was wiederum zur Reduzierung der Umlaufdauer führt. Im Jahre 1984 wurde die Verlustrate mit −(2,40 ± 0,09)·10-12 Sekunden pro Sekunde angegeben, was zu 99,7 ± 0,2 % mit den Voraussagen der ART übereinstimmt. Von der Entdeckung im Jahre 1974 bis zur Veröffentlichung der Daten 1979 nahm die Umlaufdauer um fast 2 Sekunden ab. Diese Entdeckung wurde 1993 als erster indirekter Nachweis von Gravitationswellen mit dem Nobelpreis für Physik geehrt (nach Wikipedia).

Re: #14 Gravitationswellen

Verfasst: 17. Dez 2017, 13:11
von Dares
Danke Tom, das ist eine gute Sache es auch Einsteigern nahe zu bringen und zu erklären.

Was mich als Einsteiger etwas ratlos macht ist, dass es mit Fachbegriffen erklärt wird die nur fachlich qualifizierte Wissenschaftler
verstehen. Mal angefangen von Dipolmoment (ja, da muss ich erstmal googeln) was Tom gemeint hat und nicht zuletzt auch wieder
mal Raum und Zeit. Ich verstehe diese einzelnen Begriffe, aber mir ist es nicht möglich diese gedanklich als Raumzeit zu erkennen.

Es wäre wirklich schön wenn man die Sache etwas anschaulicher erklären könnte z.B. an praktischen Beispielen.

Freundliche Grüsse

Dares

Re: #14 Gravitationswellen

Verfasst: 17. Dez 2017, 18:32
von tomS
Gehen wir mal von einer sphärisch symmetrischen Massenverteilung aus. Nun deformieren wir die Massenverteilung, wobei Deformation sowohl eine Änderung der räumlichen Form als auch eine lokale Dichteänderung umfassen kann.

Wir gehen dabei nach einem bestimmten Muster vor.

Zuerst betrachten wir auschließlich Deformationen in x-Richtung oder in y-Richtung oder in z-Richtung; dies entspricht jeweils Dipolmomenten; davon gibt es offensichtlich drei. Anschließend betrachten wir kompliziertere Muster für die Deformationen. Graphisch kann man das wie folgt darstellen:

Y.GIF
http://mriquestions.com/how-to-map-bo.html
Y.GIF (41.98 KiB) 7528 mal betrachtet

Re: #14 Gravitationswellen

Verfasst: 17. Dez 2017, 19:43
von Frank
Guter Artikel über den Sinn und Zweck der Entdeckung von Gravitationswellen.

http://scienceblogs.de/astrodicticum-si ... onswellen/

Re: #14 Gravitationswellen

Verfasst: 17. Dez 2017, 23:20
von Dgoe
Dares hat geschrieben:
17. Dez 2017, 13:11
[...] und nicht zuletzt auch wieder
mal Raum und Zeit. Ich verstehe diese einzelnen Begriffe, aber mir ist es nicht möglich diese gedanklich als Raumzeit zu erkennen.
[...]
Hallo Dares,

ich hatte mir anfangs mit einem Gedankenspiel geholfen, ausgehend von dem Gummituch, das sich wölbt/krümmt, wenn man eine Kugel oben drauf legt, weil die Schwerkraft sie nach unten zieht. Das Problem ist nur, dass das Tuch zweidimensional ist und sich in die dritte Dimension krümmt, während sich ein dreidimensionaler Raum wohin genau krümmen soll, analog dazu?

Ich hab es mit der Zeit versucht, weil sie dort desto langsamer vergehen sollte, je mehr Schwerkraft vorhanden ist. Der Raum krümme sich also in der Zeit, dort wo die Schwerkraft die Zeit verlangsamt; womit ich ein zwar nur vages abenteuerliches Bild hatte, aber wenigstens überhaupt eins. Der Haken ist nur, dass das so nicht so genau stimmt.
Wenn Du bis hier hin folgen konntest, ist möglicherweise aber schon viel gewonnen, fehlen nur die Korrekturen noch.

Ein tieferes Verständnis führt an Minkowski, Poincaré und Einstein nicht vorbei. Jedenfalls ist der Minkowski-Raum vierdimensional, 3 für den Raum und eine für die Zeit (die Zeit nur unter umgekehrtem math. Vorzeichen), deshalb nennt man das Ganze: Raumzeit.

Und letztendlich ist das übliche Bild so, dass die Gravitation den Raum krümmt. Sie zieht also nicht etwa wie ein Magnet andere Massen an, sondern einfach gar nicht. Da sie aber den Raum krümmt, bewegt sich der eigentlich ruhende Apfel Richtung Erde und die Erde fliegt nur vorwärts und vollzieht nur wegen der Krümmung des Raumes doch eine Bahn um die Sonne. Der Raum ist quasi schief, dort wo Schwerkraft=Gravitation ist.

Zusammengenommen spricht man von gekrümmter Raumzeit.


Soweit von Laie zu Laie, hoffe das hilft etwas und ist weitestgehend okay so.

Gruß,
Dgoe

Re: #14 Gravitationswellen

Verfasst: 18. Dez 2017, 08:13
von tomS
Gravitation entspricht i.A. nicht gekrümmtem Raum sondern gekrümmter Raumzeit.

Es verhält sich sogar so, dass für schwache Gravitationsfelder für die die Newtonsche Näherung gut funktioniert - wie z.B. im Sonnensystem - die Krümmung des Raumes vernachlässigbar ist und ausschließlich die "Krümmung in der Zeit" den wesentlichen Beitrag liefert. Dies erkennt man zunächst daran, dass der 3-dim. Raum offensichtlich flach erscheint und dass in dieser Näherung das von Newton bekannte 1/r Potential folgt.

Re: #14 Gravitationswellen

Verfasst: 18. Dez 2017, 15:08
von Dgoe
Hm, dann einfach vergessen, was ich oben geschrieben hatte. :?

Re: #14 Gravitationswellen

Verfasst: 25. Dez 2017, 11:59
von tomS
Der nächste Beitrag soll sich den bei LIGO beobachteten Gravitationswellen widmen, die zumeist aus der Verschmelzung zweier schwarzer Löcher resultieren.

Die Verschmelzung verläuft dabei im Wesentlichen in drei Phasen:

1) Zunächst "umkreisen" sich die beiden SLs auf zunehmend enger werdenden, näherungsweise elliptische Bahnen. Die dabei ausgesandten Gravitationswellen entsprechen zunächst denen von (fast) stabilen Doppelsternsystemen, z.B. zwei Neutronensternen (wie im ersten Beitrag). Die charakteristische Größe ist dabei die sogenannte Chirp-Mass (Zwitscher-Masse), die sowohl die Amplitude als auch die Frequenz der Gravitationswellen (in führender Ordnung) bestimmt. Dabei können die beiden SLs als näherungsweise ungestörte Objekte betrachtet werden, d.h. ihr eigenes Gravitationsfeld wird durch das jeweils andere SL nur sehr wenig verzerrt. Aus der gemessenen Frequenz sowie der zeitlichen Änderung derselben können die Chirp-Mass und daraus wiederum die Masse der einzelnen SLs ermittelt werden.

Man beachte, dass dies ein ziemlich kompliziertes Unterfangen ist, da:
- die beiden SLs jeweils für sich rotieren, also Kerr-SLs entsprechen
- die Rotationsachsen natürlich i.A. nicht parallel sind
- die Rotationsachsen natürlich i.A. nicht senkrecht auf der Rotationsebene der beiden SLs steht
- weder die Rotationsachsen noch die Normale zur Rotationsebene in Richtung der Erde weisen

https://en.wikipedia.org/wiki/Chirp_mass


2) Anschließend findet die eigentliche Verschmelzung (Merger) der SLs und damit auch der EHs statt. Zu diesem Zeitpunkt erreichen die Gravitationswellen ihre höchste Frequenz und Amplitude. Ab diesem Moment wird außerdem ein erheblicher Teil der Masse als Gravitationswellen abgestrahlt, d.h. das resultierende SL hat deutlich weniger Masse als die Summe der beiden zu Beginn vorhandenen SLs.

Eine numerische Auswertung ergibt das folgende Bild der „Form“ der beiden EHs zum Zeitpunkt des eigentlichen Verschmelzens:

merger.jpg
On Toroidal Horizons in Binary Black Hole Inspirals
Michael I. Cohen, Jeffrey D. Kaplan, Mark A. Scheel (Caltech)
merger.jpg (52.4 KiB) 7417 mal betrachtet

3) Zuletzt oszilliert das resultierende SL (Ringdown) mit einer charakteristischen Frequenz und geht in ein ideales Kerr-SL über.

https://www.spektrum.de/astrowissen/lexdt_k02.html#kerr

Wiederum kann die Masse (sowie der Drehimpuls) des resultierenden SLs aus dem Signal ermittelt werden.


Im Folgenden eine Graphik zum gemessenen Gravitationswellensignal sowie den drei diskutierten Phasen

main-qimg-0d8595f84845a8a6ea7a56ec25614314.png
Observation of Gravitational Waves from a Binary Black Hole Merger
B. P. Abbott et al.
main-qimg-0d8595f84845a8a6ea7a56ec25614314.png (113.62 KiB) 7417 mal betrachtet

Re: #14 Gravitationswellen

Verfasst: 8. Jan 2018, 09:22
von tomS
Anbei eine Übersicht der verschiedenen Quellen und Nachweismethoden für Gravitationswellen

IMG_4750.JPG
https://commons.wikimedia.org/wiki/File:The_Gravitational_wave_spectrum_Sources_and_Detectors.jpg
IMG_4750.JPG (116.26 KiB) 7321 mal betrachtet