Ein paar Gedanken dazu:
Seit über 20 Jahren stehe ich nun schon auf der Bühne und versuche meinem Publikum zu erklären, was die Wissenschaft kann. Während Corona jedoch habe ich realisiert, dass vielen überhaupt nicht klar ist, was Wissenschaft nicht kann. Wissenschaft sagt uns nämlich nicht, was wir tun sollen. Wissenschaft erklärt lediglich, wie bestimmte Dinge funktionieren.
Vince Ebert,
https://interaktiv.ipa.fraunhofer.de/re ... eat-again/
Ich würde es allgemeiner und neutraler so sagen:
Vielen Leuten ist leider weder klar, was Wissenschaft kann, noch was sie nicht kann.
Vielen Leuten ist leider ganz allgemein nicht klar, wie Wissenschaft überhaupt funktioniert und was Wissenschaft überhaupt ist.
Wobei:
Um das wirklich tiefer wissen zu können, muss man wohl selber Erfahrung in wissenschaftlicher Arbeit gemacht haben, erst dadurch lernt man auch Details kennen, die auch wichtig sein können, die man aber nicht so einfach irgendwo nachlesen kann.
Aber auch ohne diese Erfahrung kann man, wenn man das möchte, ein wenig Interesse vorausgesetzt, ein genügend gutes Verständnis davon bekommen, würde ich meinen.
Es wäre wichtig und hilfreich, wenn das mehr geschehen würde.
Was Ebert hier noch anspricht ist die Sache mit dem Wollen:
Unsere Wissenschaften können uns nicht sagen, was wir wollen und nicht wollen und welche ethisch-moralischen Werte wir uns als Gesellschaft in welchen Gewichtungen setzen und in welchen Gewichtungen nicht.
Man muss verstehen, dass das eine Kategorie jenseits der Wissenschaften ist.
Wissenschaft kann zwar auch untersuchen, was wir wollen und versuchen zu ergründen, warum wie wann was, aber sie erzeugt dies in dem Sinne nicht, sondern schaut es nur an, in etwa so wie ein Astronom Sterne untersucht, diese aber auch nicht erzeugt.
Beispiel: Der Wert eines menschlichen Lebens ist wissenschaftlich nicht begründbar. Dennoch liegt darin ein Wert, weil wir das so wollen, so beschlossen haben.
Wissenschaft liefert eine Menge Erkenntnisse. Aber sie macht keine Aussagen darüber, wie wir als Gesellschaft auf diese Erkenntnisse reagieren sollen. Was selbstverständlich nicht heißt, sie zu ignorieren.
ebd.
Dieser Satz ist wichtig.
Er besagt nämlich, dass in Anbetracht dessen, dass Wissenscht nur feststellt und dies auch nie fehlerlos und mit absoluter Sicherheit tut, NICHT folgt, dass es eine kluge Haltung wäre, wissenschaftliche Erkenntnisse deshalb einfach zu ignorieren. Sie dienen stattdessen als wertvolle Entscheidungshilfen, um unsere selbstgesetzten Ziele zu erreichen, auf welche Ziele in welcher Gewichtung wir uns auch immer festlegen.
Was muss ich tun, um den Klimawandel in den Griff zu bekommen? Wie kann ich Allergien vermeiden? Was passiert, wenn ich beim Italiener Pasti und Antipasti zusammenbringe? Die allermeisten wissenschaftlichen Phänomene sind hochkomplex und uneindeutig. Und genau dieser Gedanke ist der Allgemeinheit schwer zu vermitteln. Denn am liebsten hätten wir eindeutige Aussagen. Erst recht in einer solchen Ausnahmesituation. Aber so funktioniert der wissenschaftliche Erkenntnisprozess nun mal nicht.
Wissenschaft bedeutet nicht, den genauen Weg zu kennen, sondern sich auf einen unbekannten Weg einzulassen. Man stellt eine Hypothese auf und überprüft sie. Dann kommen neue Daten und man überprüft neu. Gegebenenfalls muss man die Ausgangshypothese über den Haufen werfen und einen neuen Denkansatz ausprobieren. Und so irrt man sich Stück für Stück nach oben.
ebd.
Das sollte man noch etwas ergänzen:
Es geht hier beim Thema am Ende nicht nur darum, dass man sich emporirrt, sondern auch darum, was man auf diesem (ja niemals endenen) Weg mit den dort vorläufig gefundenen und stets mit Unsicherheit behafteten Erkenntnisen anfängt, wie man sie bewertet, wie man mit ihnen umgeht.
Und ob man mit ihnen objektiv-sachlich-vernunftgeleitet umgeht oder nicht.
Anders gesagt; die Frage ist auch: Wie geht man richtigerweise mit Unsicherheiten um, wenn man das vernunftgeleitet tun möchte?
Und übrigens:
Der Wunsch nach eindeutigen Aussagen, am besten noch nach einfachen eindeutigen, letzgültigen Aussagen ohne Grauschattierugen ist verständlich, aber eigentlich ist das (Denk-)Faulheit! Es ist nämlich mühsam, arbeitsintensiv und z.T. sogar schmerzhaft, sich ein einer hochkomplexen Welt zurechtzufinden und alles ständig zu hinterfragen und ggf. zu revidieren und die damit verbundenen Unsicherheiten zu ertragen. Da sind einfache und wohlig-eindeutige Antworten verführerisch, auch dann, wenn sie falsch(er) sind: Es muss einem ja dann nur noch erfolgreich gelingen, dies zu verdrängen bzw. zu ignorieren, schon ist die Welt wieder in wohliger, bequemer Ordnung...
In der Ignoranz, Bequemlichkeit und Denkfaulheit vieler Leute steckt also auch ein Kernproblem. Wir bräuchten in vielen Fällen nicht unbedingt mehr oder bessere Information oder Wissen, sondern weniger Ignoranz und mehr Bemühung zur kritischen Selbstreflektion.
Das Eingestehen von Unwissen ist eine der größten Stärken der Wissenschaft. Und gleichzeitig ist dieses Eingeständnis ihre vielleicht größte Schwäche, wenn es um die allgemeine Akzeptanz der Wissenschaft geht.
ebd.
Ich würde das noch etwas anders formulieren, denn es ist ja gerade überhaupt keine objektive Schwäche, sondern nur ein Punkt, wo man die Wissenschaften propagandistisch-desinformativ angreifen kann, Zweifel und Unsicherheit in den Köpfen einiger Leute erzeugen kann.
Der Punkt dabei ist: Das wird aber eher nur bei den Leuten verfangen, die nicht verstanden haben, was Wissenschaft ist und warum sie auch trotz ihrer Vorläufigkeit und Unsicherheit sehr wertvoll ist und vernünftigerweise nicht ignoriert werden darf.