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Abwärtskausalität

Wissenschaftsgeschichte, Wissenschaftstheorie bzw. -philosophie, Technik
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Abwärtskausalität

Beitrag von seeker » 26. Jan 2019, 13:44

Dies hier ist ein Ableger aus dem Thread "Instabilität - Reduzibilität vs. Irreduzibilität - Komplexität".
viewtopic.php?f=65&t=4106&start=200

Die Frage nach der Kausalität entwickelte sich im dortigen Themenkomplex zu einem zentralen Argument bzw. Streitpunkt, das m. E. besser in einem eigenen Thread erörtert werden sollte.

Worum es geht:

Zentrales, traditionelles Paradigma in gewissen Bereichen der Naturwissenschaften, insbesondere im 'harten Kern der Physik', ist das Prinzip der starken Aufwärtskausalität. D.h., die Anschauung bzw. Überzeugung, dass Makroprozesse im Prinzip immer, überall und vollständig durch die darunterliegenden Mikroprozesse kausal festgelegt sind, dass Makroprozesse in Wirklichkeit 'nichts anderes' als die Gesamtheit ihrer Mikroprozesse sind, d.h., dass die Kausalkette immer, ausschließlich und vollständig von unten nach oben hin wirkt, wobei die Mikroprozesse vollständig durch die bekannten physikalischen Naturgesetze festgelegt sind.

Erste leichte Einschränkungen und Informationen zu dieser Sicht findet man auch hier:
https://www.leifiphysik.de/waermelehre/ ... ausalitaet
https://www.spektrum.de/lexikon/physik/kausalitaet/7841


Hier soll ein alternativer Ansatz vorgestellt und erörtert werden, die Möglichkeit der Abwärtskausalität:
https://de.wikipedia.org/wiki/Abw%C3%A4 ... lit%C3%A4t.

Ich beginne dazu mit einem Paper von George Ellis.

Professor Ellis ist ein renommierter Mathematiker, Kosmologe und Komplexitätsforscher.
https://de.wikipedia.org/wiki/George_F._R._Ellis

Recognising Top-Down Causation
https://arxiv.org/abs/1212.2275
https://arxiv.org/ftp/arxiv/papers/1212/1212.2275.pdf

Es gibt dazu auch einen interessanten Vortrag von Ellis, als Youtube-Video (beides leider nur auf englisch):

On the Nature of Causality in Complex Systems, George F.R. Ellis
https://www.youtube.com/watch?v=nEhTkF3eG8Q

Viele Argumente die man dort findet, habe ich auch schon in dem anderen Thread angeschnitten, hier findet man sie in konzentrierter und strukturierter und umfassenderer Form.
Diese Argumente bzw. diese Sichtweise haben für mich bes. in ihrer Gesamtheit einiges an Überzeugungskraft, genug um mich ernsthaft zum Nachdenken zu bringen.
Es wurde an anderer Stelle auch schon gefragt, was es denn sei, was mir/uns an der "eisernen Kausalität" denn so wiederstrebt?

Das kann ich beantworten:
Es scheint mir am Ende eine sehr verengte Sichtweise zu sein, die man sogar verdächtigen kann verknöcherte, fundamentalistische Züge zu tragen - und die vor allen Dingen -wie mir scheint- unter Umständen sogar in der Lage sein kann uns am weiteren Vorankommen in den Wissenschaften zu hindern, indem sie uns den Blick verstellt.

Wesentlich ist für mich:
Falls sich das mit der Abwärtskausalität als tragfähig und allgemein überzeugend herausstellen würde, dann ergäbe sich daraus ein neues, erweitertes Paradigma. Und so etwas wäre natürlich außerordentlich weitreichend.


Und falls das obige Paper noch nicht reichen sollte, um zum Nachdenken anzuregen und Zweifel zu sähen, dann noch das hier:

Quantifying causal emergence shows that macro can beat micro
https://www.pnas.org/content/pnas/110/49/19790.full.pdf

Hier haben wir es mit einem mathematisch formulierten, quantitativ-messbaren, falsifizierbaren Programm zu tun!

Hier noch ein Paper von Auletta, Ellis und Jaeger:

Top-down causation by information control: from a philosophical problem to a scientific research programme
https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC3226993/

Hier noch etwas Allgemeinverständlicheres:

Ist die Realität mehr als die Summe ihrer Teile?
https://www.spektrum.de/news/emergente- ... le/1534295


Ich hoffe, damit wird wenigstens klar, dass es sich hier nicht um Esoterik oder Unwissenschaftlichkeit oder Unlogik oder Ignoranz oder emotionale Abneigungen oder dergleichen handelt oder um etwas, worauf es keine Hinweise gibt, sondern um etwas Handfestes, das man nicht so einfach vom Tisch schieben kann und das sehr interessant sein kann.

Allerdings erfordert es wohl eine angestrengte und unvoreingenommene Offenheit und Bereitschaft die Dinge auch einmal von anderer Warte zu betrachten. Die Überschrift von Ellis' Paper ist gut gewählt: "Erkennen der Top-Down-Kausalität", d.h., man kann es aus dem anderen Paradigma heraus gar nicht sehen, erkennen, es ist zuerst ein gedanklicher Sprung notwendig, man muss erst einmal lernen, wie man es erkennen kann. Für den Biologen oder biologisch Vorgebildeten mag das sehr viel leichter und natürlicher gehen als für manch andere, das ist klar.
Grüße
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Re: Abwärtskausalität

Beitrag von Skeltek » 26. Jan 2019, 22:48

Hallo seeker,

zunächst einmal möchte ich mich für den tollen Threadopener bedanken. Für so etwas habe ich oft kaum Zeit und ich weiss wie viel Arbeit dahinter stecken kann. Die Links alle durchzugehen wird wohl eine Dauer benötigen.
Langfristig in ferner Zukunft wird man vielleicht irgendwann erkennen, dass es zwischen Bottom-Up und Top-Down eigentlich gar keinen elementaren Unterschied gibt (es handelt sich um eine Art Dualität), wir jedoch darauf in unserem Denken angewiesen sind kausal eine 'Richtung' zuzuordnen.
Wobei mir jetzt gerade eben beim differenzierteren Nachdenken auffällt, dass man erstmal festlegen sollte, was man mit 'Top' und 'Bottom' exakt meint und es sonst zumindest zweideutig sein könnte. Natürlich läuft der kausale Pfeil immer von der Vergangenheit in die Zukunft. Ich glaube dass man es so auffassen könnte, dass es bereits zu Begin makroskopische Eigenschaften ähnlich eines Summenbetrachtung (mit einer Art Erhaltungssatz) gegeben hat, welche nicht erst emergieren musste sondern bereits da war. Diese diktiert die Rahmenbedingungen, nach welchen die Subsysteme sich potentiell entwickeln können, woraus dann die vielen Untersysteme als Teilaspekte der ursprünglichen makroskopischen Erhaltungsgröße irgendwann emergieren (ersichtlich werden).
Daher ist mir wichtig, das Wort 'Emergenz' in diesem Kontext genauer festzulegen:
Ist es ein Phänomen, das vor dessen Emergenz noch nicht da war, oder war es bereits vorher da, in seiner ursprünglichen Form jedoch noch nicht erkennbar?

Wenn ich das Ganze mal beispielsweise als eine starke Vereinfachung des eindimensionalen Falles darstellen darf:
Man hat eine Kugel mit der Erhaltungsgröße als Radius. Es existiert ein Vektor vom Mittelpunkt zur Oberfläche, dessen Spitze sich ständig auf der Oberfäche bewegt. Weder aus den Summen der Vektorkomponenten (die Teile entlang der drei Raumachsen) noch aus deren Winken kann man direkt auf die Existenz oder den Radius der Kugel schließen (angenommen man weiss nichts vom höherdimensionalen Raum und es sind nur die Teillängen meßbar). Erst während sich das Verhalten des Vektors entwickelt, könnte man vielleicht irgendwann feststellen, dass die Winkel zu einer hypotetischen z-Achse immer das Verhältnis 1:2:7 oder ähnlich haben. Klar kann man die Vektoren beobachten und aus deren aktuellen Werten und bisherigem Verhalten deren zukünftige Werte (mit Hilfe von Reduktion auf die elementaren Einzelverhalten) vorausberechnen. Trotzdem bestimmt die makroskopische Kugeloberfläche bereits von Anfang an das Verhalten der Vektoren.
Der Knackpunkt an der Argumentation (weshalb ich das eher schlecht übertragbare Beispiel genommen habe) ist, dass man durch reine Beobachtung der Teilvektorlängen unmöglich auf die Existenz der Kugel sicher schließen kann oder in den Subsystemen nicht ausreichend messbare Informationen zur Verfügung stehen um alle Aspekte des Gesamtsystems als existente Größen erkennen zu können. So sieht man, dass die Existenz einer übergeordneten kausalen Richtlinie bereits von Anfang an da war, noch bevor irgendein Verhalten der Vektoren für die Subsysteme sichbar oder erkennbar wurde.
Toms Bestreben im anderen Thread war, jegliche emergenten Phänomene durch Reduktion auf die elementaren Bestandteile herzuleiten. Dies ist vermutlich sogar möglich; zumindest kann er dadurch alles herleiten, was hinterher auch meßbar wäre. Trotzdem wäre es aus dem System heraus bottom-up nicht möglich, sämmtliche Aspekte des Gesamtsystems herzuleiten, da einige davon nicht direkt meßbar sind. Man kann einige nicht direkt messbare Aspekte lediglich unbeweisbar mutmaßen und mangels einer Möglichkeit diese durch Messung zu falsifizieren als richtig annehmen.

Trotzdem geben Freiheitsgrade oder innerhalb des Systems nicht prognostizierbare Komponenten einen Hinweis darauf, dass es Aspekte im Gesamtsystem gibt, welche nicht erfasst werden oder nicht erfasst werden können. Es kann z.B. vorkommen, dass man bei der Prognose eine Schar an möglichen Bewegungsvektoren errechnet und nur statistisch raten kann, welchen das Teilen nun genau nimmt.

Die zweite Frage welche mir wichtig wäre geht darum, wie jene in dem Eingangsthread behandelten Kontext die Begriffe 'top' und 'bottom' genau zu definieren sind. Es wäre auch denkbar, dass ein Teil der (möglicherweise mit Schleifen und Rekursionen versetzten) übergeordneten Mechanik im Untersystem gar nicht messbar ist. Daher halte ich es für wichtig, ob man den Begriff 'makroskopischeres System' verwenden sollte und ob man mit 'makroskopisch' eher nur die räumliche Ausdehnung meint oder auch möglicherweise höherdimensionale nur implizit vermutbare Systemmechanismen.
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Re: Abwärtskausalität

Beitrag von seeker » 27. Jan 2019, 09:50

Danke Skeltek! :)
Skeltek hat geschrieben:
26. Jan 2019, 22:48
Wobei mir jetzt gerade eben beim differenzierteren Nachdenken auffällt, dass man erstmal festlegen sollte, was man mit 'Top' und 'Bottom' exakt meint und es sonst zumindest zweideutig sein könnte.
Grundsätzlich: Bei derm Ansatz "Abwärtsverursachung" geht es nicht darum die Aufwärtsverursachung zu ersetzen, sondern zu ergänzen.
Dazu ist es notwenig Grenzen zu identifizieren, wo die Aufwärtsverursachung nicht mehr funktioniert oder nicht mehr (vollständig) gegeben ist.
Denn der Top-down Ansatz behauptet nicht, dass es keine Systeme gäbe, die vollständig Bottom-up determiniert seien, er behauptet nur, dass das nicht auf alle Systeme zutrifft. Und dass die Grenze dort gesucht werden kann, wo integrierte Information ins Spiel kommt (was bei genügend komplexen Systemen der Fall scheint).

Soweit ich das sehe: "Top" meint identifizierbare Entitäten auf Ebenen, die irgendwo weiter oben liegen.
"Bottom" muss -stringent durchgehalten- zwingend die allerunterste Ebene meinen.
Die Ebenen kann man so darstellen wie in Table 1 hier:
https://arxiv.org/ftp/arxiv/papers/1212/1212.2275.pdf

Ein sehr starkes Argument gegen die reine Aufwärtsverursachung mit ihrem immer wiederkehrenden Argument "X ist nichts anderes als Y" (sei X z.B. eine lebende Zelle) ist dies:
Was ist Y?? Sind es Atome? Sicher nicht, denn Atome bestehen aus Protonen, Neutronen und Elektronen. Dann noch tiefer? Quarks? Quantenfelder? Loops? Strings? Was ist es? Wo ist der Boden, wann kann man sicherstellen, dass man den Boden gefunden hat, welche identifizierbare Teile gibt es dort? Der Boden ist gar nicht sichtbar, Y ist gar nicht identifizierbar, jedenfalls nicht gesichert-empirisch.
Skeltek hat geschrieben:
26. Jan 2019, 22:48
Natürlich läuft der kausale Pfeil immer von der Vergangenheit in die Zukunft.
Warum? Steht das so in den bekannten Naturgesetzen, die ja zeitsymmetrisch sind? Ich möchte jetzt nicht die Diskussion auf den Zeitpfeil lenken (bitte lasst uns das hier nicht tun) aber kurz anmerken, dass der Grund für den Zeitpfeil wahrscheinlich in den Anfangsbedingungen des Universums zu suchen ist - und dass er allem Anschein nach eine globale emergente Eigenschaft unseres Universums ist, die natürlich auch auf die Teile des Universums zurückwirkt.
Skeltek hat geschrieben:
26. Jan 2019, 22:48
Ist es ein Phänomen, das vor dessen Emergenz noch nicht da war, oder war es bereits vorher da, in seiner ursprünglichen Form jedoch noch nicht erkennbar?
Das ist die tiefe Frage! Ellis meint -und ich neige ihm da zu- dass es vorher noch nicht da war, nur als reine Möglichkeit gegeben war und hinterher echt-neu-da ist, kausal wirksam, erst dann kausal wirksam. Diese Position behauptet, dass wir es hier mit echter in-die-Existenz-kommen zu tun haben. D.h.: Diese Position geht über die reine Frage nach der Erkennbarkeit hinaus.
Skeltek hat geschrieben:
26. Jan 2019, 22:48
Wenn ich das Ganze mal beispielsweise als eine starke Vereinfachung des eindimensionalen Falles darstellen darf:
...
Der Knackpunkt an der Argumentation (weshalb ich das eher schlecht übertragbare Beispiel genommen habe) ist, dass man durch reine Beobachtung der Teilvektorlängen unmöglich auf die Existenz der Kugel sicher schließen kann oder in den Subsystemen nicht ausreichend messbare Informationen zur Verfügung stehen um alle Aspekte des Gesamtsystems als existente Größen erkennen zu können. So sieht man, dass die Existenz einer übergeordneten kausalen Richtlinie bereits von Anfang an da war, noch bevor irgendein Verhalten der Vektoren für die Subsysteme sichbar oder erkennbar wurde.
Darum geht es hier gerade nicht!
Skeltek hat geschrieben:
26. Jan 2019, 22:48
Die zweite Frage welche mir wichtig wäre geht darum, wie jene in dem Eingangsthread behandelten Kontext die Begriffe 'top' und 'bottom' genau zu definieren sind. Es wäre auch denkbar, dass ein Teil der (möglicherweise mit Schleifen und Rekursionen versetzten) übergeordneten Mechanik im Untersystem gar nicht messbar ist. Daher halte ich es für wichtig, ob man den Begriff 'makroskopischeres System' verwenden sollte und ob man mit 'makroskopisch' eher nur die räumliche Ausdehnung meint oder auch möglicherweise höherdimensionale nur implizit vermutbare Systemmechanismen.
Was ich sagen kann ist, dass es beim Top-Down-Ansatz nicht um eine ausschließliche Betrachtung der Dinge in der Ordnung "klein-groß" geht.
Es geht dort auch um die im System wirksamen Strukturen, Prozesse. Der Blick ist dort eher auf die Ordnung "einfach-komplex" gerichtet, was also zunächst einmal eine skalenunabhängige Perspektive ist.

Ganz wichtig sind hier schon die folgenden Definitionen:

Definition 1: Causal Effect

If making a change in a quantity X results in a reliable demonstrable change in a quantity Y in a given context, then X has a causal effect on Y.
bzw.
Definition 1: Kausale Wirkung
Wenn eine Änderung einer Quantität X zu einer zuverlässigen nachweisbaren Änderung einer Quantität Y in einem bestimmten Kontext führt, dann hat X einen kausalen Effekt auf Y.

Definition 2: Existence
If Y is a physical entity made up of ordinary matter, and X is some kind of entity that has a demonstrable causal effect on Y as per Definition 1, then we must acknowledge that X also exists (even if it is not made up of such matter).
bzw.
Definition 2: Existenz
Wenn Y eine physische Entität ist, die sich aus gewöhnlicher Materie zusammensetzt, und X eine Art Entität ist, die nach Definition 1 einen nachweisbaren kausalen Effekt auf Y hat, dann müssen wir anerkennen, dass auch X existiert (auch wenn es nicht aus einer solchen Materie besteht).
https://arxiv.org/ftp/arxiv/papers/1212/1212.2275.pdf

Man muss zunächst verstehen, dass diese beiden Definitionen nicht die Definitionen der traditionellen Standardphysik sind: Die traditionelle Sichtweise bestreitet beide Definitionen!
Dennoch erscheinen die obigen Definitionen völlig logisch und sinnvoll. Alles andere ergibt sich dann daraus stringent.

Das Ganze kann man bis auf Aristoteles zurückverfolgen.
Grüße
seeker


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Re: Abwärtskausalität

Beitrag von seeker » 27. Jan 2019, 11:45

Hallo ATGC,

wenn du das PDF (https://arxiv.org/ftp/arxiv/papers/1212/1212.2275.pdf) oder das Video anschaust, verstehst du es.

Das einfachste Beispiel, das zu Def. 1 angegeben wird, ist der Computer:

Du drückst auf deiner Tastatur die Taste mit dem Buchtaben "A", auf deinem Bildschirm erscheint der Buchtabe A.
Was ist die Ursache davon, dass das geschieht? Die physikalischen Mikroprozesse in der Harware? Offenbar nicht, denn dasselbe geschieht auch auf einem anderen Computer mit anderer Hardware, wo andere Mikroprozesse ablaufen, aber dieselbe Software läuft. Sinnvoll ist es hier davon zu sprechen, dass es die Software ist, die dafür sorgt, dass auf deine Tastatureingabe das Zeichen "A" auf dem Bildschirm erscheint - als nicht-physische, abstrakte, aber kausal wirksame Entität.
Man kann zahllose Beispiele angeben.
Lies am besten im PDF nach oder schau das Video an...

Derartige Ursachen können nun auch z.B. komplexe rückgekoppelte Prozessstrukturen als echte Entitäten in einer lebenden Zelle sein, die in der Form nicht Materie sind, sondern nur auf Materie ablaufen, etwas Abstrakteres sind und auf die Materie aber kausal einwirken.
ATGC hat geschrieben:Und wenn X nicht aus Y besteht - worauf gründet sich dann die "Existenz" von X?
Dass wir von so einer Existenz sprechen können, gründet sich zunächst einmal darauf, dass wir sie identifizieren können.
Und sie gründet sich dynamisch 'aus der Bewegung heraus' im Gesamtsystem.
Grüße
seeker


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Re: Abwärtskausalität

Beitrag von seeker » 27. Jan 2019, 12:07

Noch eines grundsätzlich:

Die Ansicht/Perspektive "das Ganze ist nichts anderes als seine Teile und durch diese vollständig festgelegt" ist prinzipiell symmetrisch, denn auch umgekehrt gilt genauso: "die Teile sind nichts anderes als das Ganze und durch dieses vollständig festgelegt". Und warum überhaupt etwas existiert und worauf sich das dann letztendlich gründet ist ja eh ungeklärt. D.h: So gesehen besteht zunächst einmal ein Patt.

Damit man die Teile logisch begründbar wichtiger nehmen kann, muss man sagen können, dass dieselben Teile auch zu einem anderen Ganzen führen können. Z.B. kann man aus denselben Atomen (für die in jedem Fall exakt dieselben Regeln gelten, auch das muss man erst einmal nachweisen) verschiedene makroskopische Gegenstände machen.
Also ist in den Fällen die Mikro-Beschreibung der Atome fundamentaler/allgemeiner als die Makro-Beschreibung von irgendwelchen, verschiedenen makroskopischen Gegenständen, die aus denselben Atomen zusammengesetzt sind.

Damit man dieses Argument aufweichen kann, muss man das Umgekehrte nachweisen, nämlich, dass es auch Fälle gibt, wo dasselbe Ganze aus verschiedenen Teilen aufgebaut sein kann, wo verschiedene Mikro-Regeln gelten, wo aber immer dieselben Regeln für das Ganze auf Ebene des Ganzen gelten (-> siehe das Computerbeispiel mit der Software). Also ist in dem Fall die Makro-Beschreibung dieses Ganzen fundamentaler/allgemeiner als die Beschreibung von irgendwelchen, verschiedenen mikroskopischen Entitäten.
Grüße
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Re: Abwärtskausalität

Beitrag von Skeltek » 27. Jan 2019, 14:21

seeker hat geschrieben: Die Ansicht/Perspektive "das Ganze ist nichts anderes als seine Teile und durch diese vollständig festgelegt" ist prinzipiell symmetrisch, denn auch umgekehrt gilt genauso: "die Teile sind nichts anderes als das Ganze und durch dieses vollständig festgelegt".
Das war, was ich vorher mit Dualität meinte. Manchen bereitet es aber auch schon Schwierigkeiten die Sache mit der Kraft und Gegenkraft zu begreifen - viele sehen das trotzdem als zwei verschiedene Kräfte an, obwohl es eigentlich mehr oder weniger nur ein 'aus zwei Richtungen durchs gleiche Rohr durchgucken' ist.

Darüber ob die Mikro-Beschreibung fundamentaler ist lässt sich streiten. Betrachtest du nur die Teilchen, dann sagt das gar nicht viel aus. Ihre Koordinaten sind eher der makroskopischen Perspektive zuzuordnen. Ein Teilchen für sich alleine kann ja nicht einmal nach links und rechts gucken, sondern nur in seinen Vergangenheitskegel (und sogar dafür braucht es eine räumliche Ausdehnung). Wie du weiter oben sagst gibt es im Mikrokosmos 'nach unten hin' keinen Boden den wir erkennen können. Wenn man es auf die Spitze treibt, kann man sich darüber streiten, ob die Summe der Punkte den Raum ausmacht oder die Punkte durch Metrisierung des Raumes erst entstehen. Aber das soll ja nicht zentrales Thema des Threads hier sein.
Wir haben einmal die Teilchen, dann die Strukturbeschreibung und dann noch das Ganze. Die Strukturbeschreibung mit den Angaben der Relationen und Verhältnisse der Teile untereinander befindet sich ja ziemliche zwischen dem 'Micro' und dem 'Macro'. Sie beschreibt einerseits, wie das Ganze einzuteilen ist um die Einzelteile zu bekommen. Andererseits beschreibt es, wie die Einzelteile anzuordnen sind um das Ganze zu erhalten.
So wie weder die Punkte noch der Raum ohne die Betrachtung von Topologie und Metrik in irgendeinen umfassenden sinnvollen Kontext gesteckt werden können, bin ich mir nicht so sicher, ob wir am Ende des Threads möglicherweise feststellen, dass das Bindeglied zwischen 'Mikro' und 'Makro' eigentlich nicht wirklich einem 'top-down' oder 'bottom-up' Ansatz zuordnbar sein könnte, sondern einfach neutral in der Mitte steht.

Mein Problem ist, dass ich eine stark abstrahierte Vorstellung vom ganzen Sachverhalt habe. Vermutlich macht es keinen Sinn zu diskutieren, solange ich mir nicht sicher sein kann, ob unsere unterschiedlichen Modelvorstellungen bei selber Argumentation zu denselben Resultaten führen würden.
Wegen:
seeker hat geschrieben: Das ist die tiefe Frage! Ellis meint -und ich neige ihm da zu- dass es vorher noch nicht da war, nur als reine Möglichkeit gegeben war und hinterher echt-neu-da ist, kausal wirksam, erst dann kausal wirksam. Diese Position behauptet, dass wir es hier mit echter in-die-Existenz-kommen zu tun haben. D.h.: Diese Position geht über die reine Frage nach der Erkennbarkeit hinaus.
Ich versuche mir den Raum, kausale Flächen und die zugehörige kausal geordnete Struktur rein topologisch vor Augen zu führen. Ich kann bei dieser Betrachtungsweise momentan kein 'Entstehen' eines noch nicht angelegten Etwas erkennen. Zumindest sind Metrik/Punkte/Mikro bei einer rein topologischen Betrachtung ohne Metrik nicht relevant. Für das Entstehen von emergenten Phänomenen gibt es keinen festen Zeitpunkt, das ganze ergibt sich einfach indem über eine Zeitdauer (zugegeben eine recht kurze) sich eine von vielen Möglichkeiten verstärkt während die anderen auf fast Null reduziert werden. So wie eine Superposition, welche als Summe vieler Funktionen besteht, bei welcher sich dann eine der Funktionen immer mehr gewichtet und die anderen abschwächen.

Vielleicht kann man es mit einem neuronalen Netzwerk vergleichen, bei dem durch Lernen eine von den vielen bereits latent angelegten Funktionen herauskristalisiert. Anfangs bekommt das neuronale Netzwerk Input, während der Output eine wild gewichtete Mischung aus allen möglichen erlernbaren Funktionen besteht. Durch Lernen wird die Menge der Funktionen welche ein falsches Ergebniss liefern nach und nach abgeschwächt, während die Funktionen, welche ein gutes Ergebnis liefern verstärkt werden.
Das erwünschte Verhalten 'emergiert' sozusagen durch Lernen, trotzdem war die Ablage dafür vorher bereits da.
Ich lade später mal ein PDF auf den Server, das ich mal für ein Projekt erstellt hatte.
Ich hatte damals ohne Vorwissen ein neuronales Netzwerk erstellt und mir selbst zusammengereimt wie es meiner Meinung nach funktionieren müsste. Zumindest war das eine der zentralen Erkentnisse für mich, dass es sich beim Output des Neuronalen Netzwerkes zunächst um eine Superposition aller möglichen realisierbaren funktionen handelt. Die erwünschte Menge an Funktionen, welche das Ergebnis möglichst gut abbilden, emergiert erst nach und nach aus der 'Superposition'.
Ichverlink das dann später, falls ihr maleinen Blickdarauf werfen wollt.
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Re: Abwärtskausalität

Beitrag von tomS » 27. Jan 2019, 18:21

seeker hat geschrieben:
27. Jan 2019, 11:45
Du drückst auf deiner Tastatur die Taste mit dem Buchtaben "A", auf deinem Bildschirm erscheint der Buchtabe A.
Was ist die Ursache davon, dass das geschieht? Die physikalischen Mikroprozesse in der Harware? Offenbar nicht, denn dasselbe geschieht auch auf einem anderen Computer mit anderer Hardware, wo andere Mikroprozesse ablaufen, aber dieselbe Software läuft. Sinnvoll ist es hier davon zu sprechen, dass es die Software ist, die dafür sorgt, dass auf deine Tastatureingabe das Zeichen "A" auf dem Bildschirm erscheint - als nicht-physische, abstrakte, aber kausal wirksame Entität.
Man kann zahllose Beispiele angeben.
Ich denke nicht, dass sich beide Perspektiven widersprechen, ich denke, man findet eine sehr einfach Lösung auf der sprachlichen Ebene.

A) Betrachten wir ein abgeschlossenes System einer Fabrik, die unterschiedliche Computer mit unterschiedlicher Hard- und Software herstellt. Man führt nun verschiedene Experimente durch, an deren Ende jeweils das Zeichen „A“ auf dem Bildschirm erscheint.

B) Betrachten wir ein abgeschlossenes System. Man führt nun verschiedene Experimente durch, an deren Ende jeweils eine bestimmte Konfiguration von elektronischen und photonischen Mustern existiert.

Frage: Warum sollte man für (A) ein anderes Erklärungsparadigma suchen als für (B)?
Gruß
Tom

Der Wert eines Dialogs hängt vor allem von der Vielfalt der konkurrierenden Meinungen ab.
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Re: Abwärtskausalität

Beitrag von seeker » 27. Jan 2019, 20:22

ATGC hat geschrieben:
27. Jan 2019, 15:10
Das ist eben die Frage: Wirken die Prozessstrukturen auf die Materie ein oder wirken sie sich lediglich auf das Verhalten der Materie aus, indem der Möglichkeitsspielraum des Verhaltens der Materie so eingeengt wird, dass infolge "Kanalisation" des Verhaltens dann vergleichbare Muster herauskommen, wie z.B. ein "A" auf dem Monitor nach dem Drücken der entsprechenden Taste auf der Tastatur? Ich tendiere zu Letzterem.
Ich stimme dir zu, aber ich sehe den Unterscheid nicht.
Wenn eine Prozessstruktur in einem Kontext so auf das Verhalten der Materie einwirkt, dass der Möglichkeitsspielraum des Verhaltens der Materie so eingeengt wird, dass dadurch zusätzliche Struktur gebildet wird, alo eine kausale Wirkung ausmachbar ist, dann erfüllt das Ellis' Definition und ich nenne die Prozessstruktur "existierend" - und zwar in einem abstrakteren Sinne, unabhängig von der Materie, auf der sie läuft. Voraussetzung ist, dass so ein Möglichkeitsspielraum gegeben ist, aber das erklärt Ellis auch.
ATGC hat geschrieben:
27. Jan 2019, 15:10
O.K., wir schließen also von wiederkehrenden Verhaltensmustern innerhalb eines Systems (die wir beobachten können) auf vorhandene Strukturen des Gesamtsystems und weisen ihnen eine Eigenschaft zu, die deshalb als "existierend" bezeichnet wird, weil sie kausale Effizienz aufweisen, die die Erscheinungsweise der im System ablaufenden Prozesse betrifft. "Existenz" ist also dadurch charakterisiert, dass sie verursachend auf das Verhalten anderer existierender Sachverhalte, Dinge usw. wirken kann. Existenz ist also eine Umschreibung für potenzielle Wirksamkeit, die potenziell wahrnehmbar ist. Wäre es nicht zutreffender, zu sagen, dass etwas existiert, wenn etwas auf etwas anderes einwirkt? Dann hätten wir den Prozesscharakter deutlicher herausgestellt als mit der Substantivierung von "existieren" in Gestalt des Begriffes "Existenz"?
Wir können auch sagen, "dass etwas existiert, wenn es auf etwas anderes beobachtbar einwirkt". Ellis präzisiert das eben, damit es völlig klar wird.
Hintergrund ist Aristoteles. Er führt vier verschiedene Arten von Ursachen auf:

- causa formalis: die Formursache (z.B: Warum zerkleinert eine Säge Holz? Wegen der Form des Sägeblatts – die funktionsgerechte Form macht das Wesen der Säge aus)
- causa finalis: die Zweckursache (Warum wird gesägt? Um Brennholz zu gewinnen)
- causa materialis: die Materialursache (Warum besteht die Säge aus Metall? Sie muss hart genug sein, um Holz zu zerkleinern)
- causa efficiens: die Wirkursache (Warum bewegt sich die Säge? Weil sie jemand bewegt)
https://de.wikipedia.org/wiki/Kausalit% ... ristoteles

Wenn man das anschaut, dann sieht man, dass wenn irgend etwas geschieht, dass dann i.d.R. mehrere Ursachenarten sinnvoll angegeben werden können, nebeneinander, ohne dass sich daraus ein Widerspruch ergibt.

Schau dir das Flugzeugbeispiel im Video an (ab ca. Min. 30/31), das stellt klarer heraus, worum es ihm geht:
https://www.youtube.com/watch?v=nEhTkF3eG8Q
tomS hat geschrieben:
27. Jan 2019, 18:21
A) Betrachten wir ein abgeschlossenes System einer Fabrik, die unterschiedliche Computer mit unterschiedlicher Hard- und Software herstellt. Man führt nun verschiedene Experimente durch, an deren Ende jeweils das Zeichen „A“ auf dem Bildschirm erscheint.

B) Betrachten wir ein abgeschlossenes System. Man führt nun verschiedene Experimente durch, an deren Ende jeweils eine bestimmte Konfiguration von elektronischen und photonischen Mustern existiert.

Frage: Warum sollte man für (A) ein anderes Erklärungsparadigma suchen als für (B)?
Dein A) ist nicht treffend. A) muss dergestalt sein:

A) Betrachten wir verschiedene abgeschlossene Systeme von Fabriken, die unterschiedliche Computer mit unterschiedlicher Hardware aber gleicher Software herstellen. Man führt nun verschiedene Experimente durch, an deren Ende jeweils das Zeichen „A“ auf den Bildschirmen erscheint.

Das MS Word auf deinem Computer kann exakt dasselbe sein wie auf meinem Computer, unsere Computerhardware ist aber sicher unterschiedlich. Warum erhalten wir reproduzierbar dennoch beide ein "A" auf unseren jeweils auch materiell unterschiedlichen Bildschirmen, wenn wir die entsprechende Taste drücken (die materiell auch unterschiedlich sind)?
Was ist die Ursache?

Es ist einleuchtend, dass es so ist:

Data/Input (Tastendruck "A") --(MS Word)--> Output "A"
(im Paper genauer nachzulesen...)
Skeltek hat geschrieben:
27. Jan 2019, 14:21
bin ich mir nicht so sicher, ob wir am Ende des Threads möglicherweise feststellen, dass das Bindeglied zwischen 'Mikro' und 'Makro' eigentlich nicht wirklich einem 'top-down' oder 'bottom-up' Ansatz zuordnbar sein könnte, sondern einfach neutral in der Mitte steht.
Möglich. Nur: Aus Sicht der traditionellen Physik gibt es da keine Mitte. Das ist ja das...
Und wie gesagt: Der Top-Down Ansatz will den Bottom-Up Ansatz nicht ersetzen, sondern ergänzen.
Skeltek hat geschrieben:
27. Jan 2019, 14:21
Ich versuche mir den Raum, kausale Flächen und die zugehörige kausal geordnete Struktur rein topologisch vor Augen zu führen. Ich kann bei dieser Betrachtungsweise momentan kein 'Entstehen' eines noch nicht angelegten Etwas erkennen.
...
Natürlich nicht! Weil du hier rein reduktiv denkst und ein einfaches System betrachtest. Wenn du das Video anschauen würdest und versuchen zu verstehen, wenigstens die letzte Viertelstunde, würde das vieles erleichtern...
https://www.youtube.com/watch?v=nEhTkF3eG8Q
Grüße
seeker


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Re: Abwärtskausalität

Beitrag von tomS » 27. Jan 2019, 21:53

Ob eine oder mehrere Fabriken ist doch egal.

Und exakt die selbe SW ist es natürlich nicht, da die SW immer eine HW-abhängige Schicht enthält. Insgs. wird das „A“ ja nicht von MS Word alleine produziert, die benötigst außerdem noch Betriebsystem inkl. Tastaturtreiber u.v.a.m.

Ich wiederhole trotzdem nochmal meine Frage:
tomS hat geschrieben:
27. Jan 2019, 18:21
Warum sollte man für (A) ein anderes Erklärungsparadigma suchen als für (B)?
Gruß
Tom

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Re: Abwärtskausalität

Beitrag von Skeltek » 27. Jan 2019, 22:33

Hab mir deinen letzten Link angesehen. Stellenweise kann man Schlüsselargumente in der Luft zerrupfen, aber es geht ja mehr um das worauf er hinaus will. Was mir nicht gefält ist, dass er das Stichwort 'Quantenfluktuationen' verwendet, um eine Prognostizierbarkeit von unten herab einfach abzuwiegeln.
Das Beispiel mit der Software hat auch eine Menge Makel. Software ist tatsächlich physikalisch realisiert, wobei ich hier anmerken möchte, dass die Software mit Hilfe von 'Bitflipping' ein physikalisches Bit invertieren kann, ohne dass dieses Bit jemals ausgelesen oder beschrieben wurde. Bitflipping ist ein einfaches Beispiel, wie Software physikalische Auswirkungen auf die Hardware hat - selbst auf die, welche nicht am verarbeitenden Prozess teilnimmt.
Software wird auch je nach Hardware teils anders ausgewertet und in der IT sind Hardware, Software und Daten nicht rein auf Funktion und Parameter reduzierbar. Hardware und Daten sind wenn man es pingelig herunterbricht Komplemente, welche als ganzes erst die Funktion bilden. Aber darauf will ich nicht auch eingehen, weil das auch etwas am Punkt vorbei geht.

Ich habe noch einiges mehr zuschreiben und zu kommentieren, das muss aber ersteinmal reichen, da ich gerade Prüfungen habe.
Da ich mich bereits mit fast allem beschäftigt habe was im Video so vorkommt, kann ich morgen mal schauen ob ich dazu noch etwas von meinem alten Material finde. Derzeit sind Prüfungen, daher habe ich nur eingeschränkt Zeit.

Trotz all der Kritik stimme ich dem Vortrag mal grob zu, trotzdem wird meiner Meinung nach auf gerade entscheidende Argumente nicht tief genug eingegangen, was aber in Anbetracht des Publikums und der Tatsache, dass es ein einfacher Vortrag ist, in Ordnung ist. Es soll ja leichte Kost sein und für alle verständlich.
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  • Unentscheidbarkeit - Dieser Satz ist wahr.
  • Unvollständig - Aussage A: Es existiert nur ein Element A.
  • Widersprüchlich - Dieser Satz ist falsch.

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Re: Abwärtskausalität

Beitrag von tomS » 27. Jan 2019, 22:54

One of the basic assumptions implicit in the way physics is usually done is that all causation flows in a bottom up fashion, from micro to macro scales. However this is wrong in many cases in biology, and in particular in the way the brain functions. Here I make the case that it is also wrong in the case of digital computers - the paradigm of mechanistic algorithmic causation - and in many cases in physics, ranging from the origin of the arrow of time to the process of state vector preparation. I consider some examples from classical physics, as well as the case of digital computers, and then explain why this is possible without contradicting the causal powers of the underlying microphysics. Understanding the emergence of genuine complexity out of the underlying physics depends on recognising this kind of causation.

A key assumption underlying most present day physical thought is the idea that causation is bottom up all the way: particle physics underlies nuclear physics, nuclear physics underlies atomic physics, atomic physics underlies chemistry, and so on. Thus all the higher level subjects are at least in
principle
reducible to particle physics, which is therefore the only fundamental science; as famously claimed by Dirac, chemistry is just an application of quantum physics.

However there are many topics that one cannot understand by assuming this one-way flow of causation. The flourishing subject of social neuroscience makes clear how social influences act down on individual brain structure; studies in physiology demonstrate that downward causation is necessary in understanding the heart, where this form of causation can be represented as the influences of initial and boundary conditions on the solutions of the differential equations used to represent the lower level processes; epigenetic studies demonstrate that biological development is crucially shaped by the environment.

What about physics? In this essay I will make the case that top-down causation is also prevalent in physics, even though this is not often recognised as such. This does not occur by violating physical laws; on the contrary, it occurs through the laws of physics, by setting constraints on lower level interactions. Thus my theme is that the foundational assumption that all causation is bottom up is wrong, even in the case of physics. Some writers on this topic prefer to refer to “contextual effects” or “whole-part constraints”. These are perfectly acceptable terms, but I will make the case that the stronger term “top-down causation” is appropriate in many cases.
Ich muss mich in diesem Thread evtl. zurückhalten, um nicht die Diskussion meiner Ideen zu duplizieren.

Ellis ist natürlich eine Größe, und schon von daher schwierig zu kritisieren.

Ich denke, Ellis hat mit fast allem Recht, insbs. bei den fett markierten Stellen. Ellis ist m.E. sprachlich unpräzise (bzw. schießt über’s Ziel hinaus) an den rot markierten Stellen.

Evtl. habe ich nicht alles präzise verstanden, aber bei allen was ich sehe, kann man aus Ellis genau meine Position herauslesen.
Gruß
Tom

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Re: Abwärtskausalität

Beitrag von seeker » 28. Jan 2019, 00:05

tomS hat geschrieben:
27. Jan 2019, 22:54
Ich muss mich in diesem Thread evtl. zurückhalten, um nicht die Diskussion meiner Ideen zu duplizieren.
Ich würde mir hier nur eine ergebnisoffene, von allen Seiten betrachtende, nicht-polarisierende Diskussion wünschen, deren Ziel es nicht sein muss irgendeine endgültige Entscheidung zu treffen.
Das ist alles.
Ich meine, die 'traditionelle Argumentation/Sichtweise' ist uns ja recht gut klar, dort können wir nicht mehr allzuviel Neues lernen, das hier ist in der Form neuer und unbekannter, also verspricht das, dass es hier noch etwas zu lernen gibt.
tomS hat geschrieben:
27. Jan 2019, 22:54
Ich denke, Ellis hat mit fast allem Recht, insbs. bei den fett markierten Stellen.
Ja, da kann man wohl wieder leichter einen Konsens finden.
tomS hat geschrieben:
27. Jan 2019, 22:54
Ellis ist m.E. sprachlich unpräzise (bzw. schießt über’s Ziel hinaus) an den rot markierten Stellen.
Ich hab mir auch den Vortrag angeschaut, mein Eindruck ist schon, dass er es genau so meint, genau diesen Standpunkt als seine eigene Meinung vertritt. Allerdings nicht als bewiesener Fakt, sondern als bestehende, diskussionswürdige Möglichkeit die Dinge zu sehen.
Er spricht auch von "emergence of genuine complexity"...
tomS hat geschrieben:
27. Jan 2019, 21:53
Und exakt die selbe SW ist es natürlich nicht, da die SW immer eine HW-abhängige Schicht enthält. Insgs. wird das „A“ ja nicht von MS Word alleine produziert, die benötigst außerdem noch Betriebsystem inkl. Tastaturtreiber u.v.a.m.
Es geht zunächt noch nicht gleich um ein anderes Paradigma, allein aus dem Punkt hier heraus. Dieser Punkt allein besagt noch gar nichts.
Dort geht es erst einmal nur darum Ellis' Definitionen plausibel zu machen.

Und:
Doch, es ist plausibel, dass es (auf dieser Ebene) exakt dieselbe Software ist, auch wenn es richtig ist, dass sich darunter noch andere Schichten befinden, die natürlich auch eine Rolle spielen, aber nicht die Entscheidene:
Ich kann das Programm "MS Word" auch auf einen USB-Stick ziehen, mit mir herumtragen und es auf einem anderen Computer installieren. Ich kann den Code anschauen und prüfen, ob es derselbe Code ist. Tue ich das, stelle ich fest, dass das bis auf das letzte Bit immer der Fall ist (bzw. ist es leicht einzusehen, dass es immer der Fall sein kann).
Wichtig ist hier die Möglichkeit, dass ich hier eine vernünftige Perspektive einnehmen kann, aus der heraus ich plausibel sagen kann, dass die Software existiert - und zwar unabhängig davon, auf welchem materiellen Trägermedium (incl. dessen Mikroprozessen auf z.B. Quantenebene) sie nun konkret gespeichert ist. Und ich kann auch sagen, dass die Software kausale Wirkkraft haben kann, indem sie determiniert, was auf eine konkrete Eingabe als Output herauskommt - und zwar deutlich mehr als die Schichten die unter ihr liegen. Sie ist hier das wesentliche Element.
Ich kann daher sagen, dass die Software eine existierende, nicht-materielle, abstrakte Entität mit kausaler Wirkkraft ist.
Und ich kann sagen, dass die Schwankungen auf der jeweiligen materiellen Mikroebene in quantifizierbaren Grenzen vernachlässigbar sind, für das, was geschieht, wenn der Computer, auf dem das Programm läuft, eine Eingabe erhält.
Das ist ein interessanter Gedanke, immerhin das muss man zugeben!

Was ich nicht sagen kann ist natürlich, dass das die einzige Möglichkeit sei, die Dinge zu sehen. Darum geht es aber nicht.
Es geht erst einmal darum zu zeigen, dass eine Wahl zwischen verschiedenen vernünftigen Möglichkeiten/Perspektiven besteht.

Noch eine Anmerkung:
Das mit der Top-Down Verursachung als Perpektive auf die Welt ist in vielen Wissenschaften eh seit jeher eine weit verbreitete Sache. Z.B. beruht die Evolutionstheorie darauf, um nur ein Beispiel zu nennen: Umwelteinflüsse wirken per Selektion hinab bis ins Erbgut, der Eisbär hat deshalb ein weißes Fell, weil das in der Umwelt, in der er lebt, von Vorteil ist. Das ist Abwärtsverursachung.
Ellis behauptet nun, dass es das in manchen Teilen auch schon lange in der Physik gäbe, dass es aber dort meist übersehen würde.
Grüße
seeker


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Re: Abwärtskausalität

Beitrag von tomS » 28. Jan 2019, 01:09

seeker hat geschrieben:
28. Jan 2019, 00:05
tomS hat geschrieben:
27. Jan 2019, 22:54
Ellis ist m.E. sprachlich unpräzise (bzw. schießt über’s Ziel hinaus) an den rot markierten Stellen.
Ich hab mir auch den Vortrag angeschaut, mein Eindruck ist schon, dass er es genau so meint, genau diesen Standpunkt als seine eigene Meinung vertritt.
Wie gesagt, ich halte das für eine sprachliche Unsauberkeit, die ich auch im anderen Thread immer wieder angemerkt habe.
seeker hat geschrieben:
28. Jan 2019, 00:05
tomS hat geschrieben:
27. Jan 2019, 21:53
Und exakt die selbe SW ist es natürlich nicht, da die SW immer eine HW-abhängige Schicht enthält. Insgs. wird das „A“ ja nicht von MS Word alleine produziert, die benötigst außerdem noch Betriebsystem inkl. Tastaturtreiber u.v.a.m.
Doch, es ist plausibel, dass es (auf dieser Ebene) exakt dieselbe Software ist, auch wenn es richtig ist, dass sich darunter noch andere Schichten befinden, die natürlich auch eine Rolle spielen, aber nicht die Entscheidene:
Ich kann das Programm "MS Word" auch auf einen USB-Stick ziehen, mit mir herumtragen und es auf einem anderen Computer installieren. Ich kann den Code anschauen und prüfen, ob es derselbe Code ist. Tue ich das, stelle ich fest, dass das bis auf das letzte Bit immer der Fall ist (bzw. ist es leicht einzusehen, dass es immer der Fall sein kann).
Möglicherweise schon eine entscheidende: Es ist nicht die selbe Software, denn MS Word alleine schreibt nichts auf den Bildschirm. Das siehst du schon daran, wenn du es von einem PC auf einen Mac transportierst.
seeker hat geschrieben:
28. Jan 2019, 00:05
Wichtig ist hier die Möglichkeit, dass ich hier eine vernünftige Perspektive einnehmen kann, aus der heraus ich plausibel sagen kann, dass die Software existiert - und zwar unabhängig davon, auf welchem materiellen Trägermedium (incl. dessen Mikroprozessen auf z.B. Quantenebene) sie nun konkret gespeichert ist. Und ich kann auch sagen, dass die Software kausale Wirkkraft haben kann, indem sie determiniert, was auf eine konkrete Eingabe als Output herauskommt - und zwar deutlich mehr als die Schichten die unter ihr liegen. Sie ist hier das wesentliche Element.
Natürlich kannst du das sagen, und es ist völlig richtig, dass die SW hier nach deiner Sichtweise die bedeutendere Rolle spielt. Dennoch existiert zunächst rein physikalisch (materialistisch) nichts anderes als dynamische Konfigurationen von quantenmechanischen Elektronen-Zuständen auf einem eher statischen Hardware-Substrat der Atomkerne, wodurch Photon-Emissionen angeregt werden, wenn ein gewisser mechanischer Auslöser vorliegt = wenn ein Druckpunkt überschritten existiert.

Die höherwertige kausale Verursachung ist genau das, was Ellis richtigerweise als „appropriate ... [for] ... understanding“ bezeichnet. Das ist keineswegs falsch, es ist lediglich eine andere Ebene, die letztlich dadurch resultiert, dass wir den mikroskopischen Zuständen und Prozessen eine Bedeutung beimessen, die es ohne unsere Existenz und ohne unser Denken nicht gäbe.

Deswegen hatte ich auch die Frage gestellt:
tomS hat geschrieben:
27. Jan 2019, 18:21
Warum sollte man für (A) ein anderes Erklärungsparadigma suchen als für (B)?
Was ist denn deine Antwort darauf?

Weiter:
seeker hat geschrieben:
28. Jan 2019, 00:05
Ich kann daher sagen, dass die Software eine existierende, nicht-materielle, abstrakte Entität mit kausaler Wirkkraft ist.
Das kannst du sagen, aber das ist wieder die selbe sprachliche Verwirrung, die ich schon die ganze Zeit kritisiere.

Software ist zunächst ein rein physikalischer Zustand eines physikalischen Substrats. Eine nicht-materielle, abstrakte Entität wird Software sicher dadurch, dass wir ihr diese selbst zuschreiben, weil wir sowohl die Software als auch die Hardware mit einem bestimmten Zweck geschaffen haben. Dieser Zweck und alles weitere, was damit zusammenhängt, ist aber lediglich unsere makroskopische Sicht, die wir über die reine Substanz darüberlegen.

Der Zweck oder der Sinn von Software ist natürlich nicht materiell, und er entsteht auch nicht rein aus der Materie. Aber er entsteht auch nicht autark von alleine, sondern er existiert genau deswegen, weil wir existieren, und diese Elektronenzustände als Träger von Sinn und Zweck erzeugen. Wenn es überhaupt einen Träger des Sinns gibt, dann wäre es unser Verstand, der die Software schafft, versteht, anwendet, ihre Inputs definiert und ihre Ergebnisse interpretiert.

Auf dieser höheren Ebene ist Software genau deswegen eine abstrakte Entität mit kausaler Wirkkraft, weil wir diese Beschreibung so wählen. Ohne unsere Existenz, ohne unser Denken und insbs. ohne unser Zutun wäre Software ausschließlich dieser rein physikalischer Zustand eines physikalischen Substrats. Natürlich würde er aber ohne unser schöpferisches Zutun in dieser Form nicht zur Existenz gelangen.
seeker hat geschrieben:
28. Jan 2019, 00:05
Das ist ein interessanter Gedanke, immerhin das muss man zugeben!
Sicher, keine Frage.

Popper hat das in seinen „Drei Welten“ ebenfalls dargestellt.
seeker hat geschrieben:
28. Jan 2019, 00:05
Was ich nicht sagen kann ist natürlich, dass das die einzige Möglichkeit sei, die Dinge zu sehen. Darum geht es aber nicht.
Es geht erst einmal darum zu zeigen, dass eine Wahl zwischen verschiedenen vernünftigen Möglichkeiten/Perspektiven besteht.
Ich habe diesen Wechsel der Perspektive nie bestritten, ich habe ihn sogar mehrfach explizit angesprochen.

Siehe im anderen Thread z.B. 8. Jan 2019, 13:47, 8. Jan 2019, 21:59, 8. Jan 2019, 23:21. Dann insbs. 13. Jan 2019, 13:51, 13. Jan 2019, 13:51, 18. Jan 2019, 01:09

Ich hatte dort gerade zu Beginn immer wieder betont, dass ich das Leib-Seele-Problem gerne aus meiner Argumentation pro-Reduzibilität ausklammern würde, da ich dabei nach anderen vorgebrachten Argumenten sicher scheitern würde. In deiner Argumentation hier fehlt m.E. ebenfalls genau diese Betrachung, vielleicht kommen wir deswegen nicht zusammen.
seeker hat geschrieben:
28. Jan 2019, 00:05
Ellis behauptet nun, dass es das in manchen Teilen auch schon lange in der Physik gäbe, dass es aber dort meist übersehen würde.
Das glaube ich so nicht. Anders gesagt, ich denke nicht, dass ich der erste bin, der darauf hinweist, dass im wesentlichen ein sprachliches Problem - gepaart mit dem inkonsequenten, unklaren oder unzulässigen Ausklammerns des Leib-Seele-Problems vorliegt.

Bis auf diese Differenzen gehen wir m.E. völlig konform.
Gruß
Tom

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Re: Abwärtskausalität

Beitrag von seeker » 28. Jan 2019, 09:58

tomS hat geschrieben:
28. Jan 2019, 01:09
Bis auf diese Differenzen gehen wir m.E. völlig konform.
Wir gehen bis auf unsere Sichtweise/Perspektive auf die Dinge völlig konform, ja.
Das ist der Dreh- und Angelpunkt.
Was mich bei dir manchmal gestört hat, war, dass es bei dir sprachlich manchmal so herüberkommt, als wäre deine Position etwas anderes bzw. mehr als eine reine Perspektive.
Z.B.:
tomS hat geschrieben:
28. Jan 2019, 01:09
Dennoch existiert zunächst rein physikalisch (materialistisch) nichts anderes als dynamische Konfigurationen von quantenmechanischen Elektronen-Zuständen auf einem eher statischen Hardware-Substrat der Atomkerne, wodurch Photon-Emissionen angeregt werden, wenn ein gewisser mechanischer Auslöser vorliegt = wenn ein Druckpunkt überschritten existiert.
Das ist auch unsauber formuliert. Du machst hier Existenzaussagen, du machst die Aussage Materialismus = Physik, was nicht klar ist. Man muss klarer/vorsichtiger formulieren: "Aus einer anderen, streng materialistischen Perspektive heraus..."
tomS hat geschrieben:
28. Jan 2019, 01:09
Ich hatte dort gerade zu Beginn immer wieder betont, dass ich das Leib-Seele-Problem gerne aus meiner Argumentation pro-Reduzibilität ausklammern würde, da ich dabei nach anderen vorgebrachten Argumenten sicher scheitern würde.
Ich glaube, dass diese Sichtweise hier auch zum besseren Verständnis des Leib-Seele-Problems beitragen kann.
Wir sollten dieses Problem eigentlich nicht ausklammern. Vieleicht könntest du in einem eigenen Thread einmal darstellen, wo du dort das prinzipielle, dich überzeugende Problem siehst?
tomS hat geschrieben:
28. Jan 2019, 01:09
Warum sollte man für (A) ein anderes Erklärungsparadigma suchen als für (B)?
Was ist denn deine Antwort darauf?
Das muss ich dann -und nur dann- tun, wenn ich zu der Ansicht komme, dass die Software wirklich existiert, also eine echte emergente kausal wirksame Entität ist. Wenn ich zu dieser Ansicht komme, dann komme ich zu der Ansicht, dass die Software zum Teil vom materiellen Substrat entkoppelt ist. Darin liegt der Paradigmensprung.

Und es bleibt auf jeden Fall:
Möglicherweise schon eine entscheidende: Es ist nicht die selbe Software, denn MS Word alleine schreibt nichts auf den Bildschirm. Das siehst du schon daran, wenn du es von einem PC auf einen Mac transportierst.
Ich kann aber exakt dieselbe Software auf einem AMD oder auch auf einem Intel-PC laufen lassen. Ich kann auch auf dem Mac ein virtuelles Windows laufen lassen auf dem dann exakt dasselbe MS Word läuft wie auf dem PC. Entscheidend ist, dass die unteren Ebenen verschieden sind, die abstrakte Logik/Struktur auf oberer Ebene aber gleich bzw. identisch. Und dass sie entscheidend für den Output ist: Der PC alleine, mit allen unteren Ebenen - ob bei mehreren PCs gleich oder verschieden -, aber ohne Software (z.B. MS Word) und Input tut gar nichts.
Und wenn eine andere Software läuft, z.B. ein Musikprogramm, dann tut er bei demselben Input etwas anderes. Die Softwareschicht ist die entscheidende Schicht. Der Input (also die Anfangsbedingungen) ist ebenso entscheidend.

Und wie verlinkt, existiert inzwischen für solche Dinge sogar eine mathematische Theorie, mithilfe derer man diese Entkopplung sogar quantitativ bestimmen kann, aufbauend auf der Informationstheorie, mithilfe des Begriffs "effektive kausale Wirkung". Und dort kommt heraus, dass Schichten in der Mitte mehr effektive kausale Wirkkraft haben können, als weiter unten liegende Schichten. Und dies wird gerade an realen Systemen empirisch getestet. Das ist m. E. höchst interessant.
Und am Ende werde ich wahrscheinlich dem Paradigma mehr zuneigen, das leistungsfähiger ist: Unsere Überzeugungen zu (1) folgen aus (2)...

Daher: Ich würde hier gerne den Fokus weniger darauf legen die Top-Down-Perspektive anzugreifen/abzulehnen und mehr darauf sie erst einmal konzentriert zu verfolgen, zu durchdenken und zu verstehen, soweit es geht, um zu sehen, wohin man damit kommt. Im anderen Thread kann man dann das Umgekehrte tun.
Am Ende könnte man das dann vergleichen und würde mehr Klarheit zur eigenen ontologischen Position erhalten. Das wäre meine Strategie.
Grüße
seeker


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Re: Abwärtskausalität

Beitrag von Job » 28. Jan 2019, 11:52

seeker hat geschrieben:
28. Jan 2019, 09:58
Das muss ich dann -und nur dann- tun, wenn ich zu der Ansicht komme, dass die Software wirklich existiert, also eine echte emergente kausal wirksame Entität ist. Wenn ich zu dieser Ansicht komme, dann komme ich zu der Ansicht, dass die Software zum Teil vom materiellen Substrat entkoppelt ist. Darin liegt der Paradigmensprung.

Grundsätzlich bin ich nach wie vor der Meinung, dass wir nur über konkrete Beispiele in der Lage sind, unsere unterschiedlichen Sichtweisen wirklich klar zu machen und die Unterschiede zu erkennen. An dem Softwarebeispiel wird dies sehr deutlich.
seeker hat geschrieben:
28. Jan 2019, 09:58
Das muss ich dann -und nur dann- tun, wenn ich zu der Ansicht komme, dass die Software wirklich existiert,
Aus meiner Sicht stellt sich diese Frage überhaupt nicht. Natürlich existiert die Software (auch physikalisch). Entweder in Form von Source code, der in Files abgelegt ist, oder in Form von Maschinencode im Hauptspeicher, oder in Form von irgendwelchen formatierten Ablagen für Interpreter, …
seeker hat geschrieben:
28. Jan 2019, 09:58
also eine echte emergente kausal wirksame Entität ist.
Wo ist da etwas emergent? Aus meiner Sicht ist hier gar nichts emergent.
seeker hat geschrieben:
28. Jan 2019, 09:58
Wenn ich zu dieser Ansicht komme, dann komme ich zu der Ansicht, dass die Software zum Teil vom materiellen Substrat entkoppelt ist.
Es gibt allgemein das Bestreben, dass Software möglichst Hardware unabhängig erstellt werden sollte. Das hat aber mit unserem Thema sicher nichts zu tun. Die Software selber muss früher oder später mal in den Hauptspeicher geladen werden, in welcher Form auch immer. Das materielle Substrat ist zwingend notwendig, damit überhaupt etwas passiert und die Software ihren Zweck erfüllen kann.
seeker hat geschrieben:
28. Jan 2019, 09:58
Darin liegt der Paradigmensprung.
Es tut mir leid, aber ich kann bei diesem Beispiel weit und breit keinen Paradigmensprung erkennen.


Seeker, ich habe eine gewissen Ahnung, was Dich umtreibt. Ich halte aber dieses Beispiel dafür für denkbar ungeeignet.


Viele Grüße
Job
Alles ist einfacher, als man denken kann, zugleich verschränkter, als zu begreifen ist.
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Re: Abwärtskausalität

Beitrag von seeker » 28. Jan 2019, 13:35

Job hat geschrieben:
28. Jan 2019, 11:52
Aus meiner Sicht stellt sich diese Frage überhaupt nicht. Natürlich existiert die Software (auch physikalisch).
Das ist eben nicht natürlich, aus Sicht der streng materialistischen Perspektive existiert die Software nicht, nicht wirklich, sie ist dort nur ein sekundärer Aspekt.
Deshalb muss man erst einmal begünden, warum man das so sehen kann, dass sie wirklich, eigenständig existiert, unabhängig davon, auf welchem konkreten Substrat das nun der Fall ist.
Job hat geschrieben:
28. Jan 2019, 11:52
Wo ist da etwas emergent?
Ok. Das ist hier auch noch nicht wichtig. Wichtig ist, ob die Software existiert, als eine echte kausal wirksame abstrakte Entität - oder ob sie das nicht tut.
Job hat geschrieben:
28. Jan 2019, 11:52
Es gibt allgemein das Bestreben, dass Software möglichst Hardware unabhängig erstellt werden sollte. Das hat aber mit unserem Thema sicher nichts zu tun. Die Software selber muss früher oder später mal in den Hauptspeicher geladen werden, in welcher Form auch immer. Das materielle Substrat ist zwingend notwendig, damit überhaupt etwas passiert und die Software ihren Zweck erfüllen kann.
Hast du die Argumentation im verlinkten PDF gelesen und verstanden?
https://arxiv.org/ftp/arxiv/papers/1212/1212.2275.pdf (auf Seite 1 und 2)

Die Software ist dabei nur ein einfaches Beispiel, das besonders eindrücklich ist, weil wir es im Computer sicher mit einem 'voll-determinierten System' zu tun haben, man kann auch Dinge wie Leben, Bewusstsein, usw. unter derselben Perspektive betrachten...
Grüße
seeker


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Re: Abwärtskausalität

Beitrag von tomS » 28. Jan 2019, 17:16

seeker hat geschrieben:
28. Jan 2019, 09:58
Was mich bei dir manchmal gestört hat, war, dass es bei dir sprachlich manchmal so herüberkommt, als wäre deine Position etwas anderes bzw. mehr als eine reine Perspektive ...

Du machst hier Existenzaussagen, du machst die Aussage Materialismus = Physik, was nicht klar ist. Man muss klarer/vorsichtiger formulieren: "Aus einer anderen, streng materialistischen Perspektive heraus..."
Da stimme ich dir zu, und deswegen werde ich meine Darstellung auch anders aufziehen müssen.
seeker hat geschrieben:
28. Jan 2019, 09:58
Wir sollten dieses [Leib-Seele]-Problem eigentlich nicht ausklammern.
Wir müssen es zunächst ausklammern, wenn wir verstehen wollen, wie und warum diverse emergente Gesetzmäßigkeiten physikalisch begründbar sind. Wir werden im Zuge dieses Verständnisprozesses das Leib-Seele-Problem jedoch als prinzipielle Grenze des Verständnisses wieder antreffen.
seeker hat geschrieben:
28. Jan 2019, 09:58
tomS hat geschrieben:
28. Jan 2019, 01:09
Warum sollte man für (A) ein anderes Erklärungsparadigma suchen als für (B)?
Was ist denn deine Antwort darauf?
Das muss ich dann -und nur dann- tun, wenn ich zu der Ansicht komme, dass die Software wirklich existiert. Darin liegt der Paradigmensprung.
Darauf wollte ich hinaus. Wenn du der Software an sich eine eigenständige und reale Seinsweise zuschreibst, dann auch den Prozessen, Kausalketten usw.

Nochmal zu meiner Frage
tomS hat geschrieben:
27. Jan 2019, 18:21
A) Betrachten wir ein abgeschlossenes System einer Fabrik, die unterschiedliche Computer mit unterschiedlicher Hard- und Software herstellt. Man führt nun verschiedene Experimente durch, an deren Ende jeweils das Zeichen „A“ auf dem Bildschirm erscheint.

B) Betrachten wir ein abgeschlossenes System. Man führt nun verschiedene Experimente durch, an deren Ende jeweils eine bestimmte Konfiguration von elektronischen und photonischen Mustern existiert.

Frage: Warum sollte man für (A) ein anderes Erklärungsparadigma suchen als für (B)?
Warum sollte man für (A) ein anderes Erklärungsparadigma suchen als für (B)? Was unterscheidet die beiden Szenarien fundamental? Welche real existierende Entität oder welcher Prozess?
seeker hat geschrieben:
28. Jan 2019, 13:35
Das ist eben nicht natürlich, aus Sicht der streng materialistischen Perspektive existiert die Software nicht, nicht wirklich, sie ist dort nur ein sekundärer Aspekt.
Deshalb muss man erst einmal begünden, warum man das so sehen kann, dass sie wirklich, eigenständig existiert, unabhängig davon, auf welchem konkreten Substrat das nun der Fall ist.
Sie existiert unabhängig von einem spezifischen Substrat, aber nicht vollständig ohne Substrat, zumindest nicht, wenn sie real auf irgendein Substrat einwirken soll.

Nochmal: warum erweiterst du deinen begrifflichen Rahmen, wenn du über (A) statt über (B) redest? warum tust du das? was fehlt dir bei (B)? was ist der tiefere Sinn deines Paradigmenwechsels?
Gruß
Tom

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Re: Abwärtskausalität

Beitrag von Job » 28. Jan 2019, 17:50

seeker hat geschrieben:
28. Jan 2019, 13:35
Das ist eben nicht natürlich, aus Sicht der streng materialistischen Perspektive existiert die Software nicht, nicht wirklich, sie ist dort nur ein sekundärer Aspekt.
Deshalb muss man erst einmal begünden, warum man das so sehen kann, dass sie wirklich, eigenständig existiert, unabhängig davon, auf welchem konkreten Substrat das nun der Fall ist.
Nun, die Architektur hochkomplexer Software ist mein Job und ich kann Dir versichern: Die Software existiert. Ich kann sie zum Beispiel kopieren, installieren, versionieren, patentieren, etc. Das gleiche gilt für Daten. Natürlich ist ein Programm kein "Ding" im klassischen Sinne, auf das ich einen Impuls übertragen kann. Auf der anderen Seite gibt es aber auch kein Programm, das nicht in irgendeiner Form durch physische vorhandene "Dinge" wie eine Disk, ein Buch, ein Hauptspeicher, ein Gehirn, etc. repräsentiert wird. Ohne etwas physisches gibt es auch kein Programm. Das Programm auf der Disk hat dabei keinerlei kausalen Einfluß auf irgendeinen Computer. Erst, wenn es im Hauptspeicher eines Computers ist und das Umfeld stimmt, kann es seine Arbeit tun.
seeker hat geschrieben:
28. Jan 2019, 13:35
Hast du die Argumentation im verlinkten PDF gelesen und verstanden?
https://arxiv.org/ftp/arxiv/papers/1212/1212.2275.pdf (auf Seite 1 und 2)

Die Software ist dabei nur ein einfaches Beispiel, das besonders eindrücklich ist, weil wir es im Computer sicher mit einem 'voll-determinierten System' zu tun haben, man kann auch Dinge wie Leben, Bewusstsein, usw. unter derselben Perspektive betrachten...

Ich hatte es nicht gelesen, habe es aber nun (im Schnellgang) nachgeholt. Viele Aussagen, die der Autor macht, kann ich nachvollziehen und teile ich auch. Ich kann allerdings nicht erkennen, wo denn nun das wirklich Neue an seiner Sichtweise sein soll. Für mich hat er bereits bekannte Dinge in neue Worte gekleidet und teilweise trägt das bei mir eher zur Verwirrung bei.


Computer und Software unterscheiden sich in meinen Augen fundamental von Dingen wie Leben und Bewusstsein. Um einen Computer zu designen und inkl. Software zum Laufen zu bringen, braucht man einen Plan. Daher bin ich nach wie vor der Meinung, dass dieses Beispiel schlecht ist, um sich dem Thema Leben zu nähern, bei dem es wie wir gelernt haben, diesen Plan so gerade nicht gibt.

Viele Grüße
Job
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Re: Abwärtskausalität

Beitrag von tomS » 28. Jan 2019, 18:25

Job hat geschrieben:
28. Jan 2019, 17:50
Viele Aussagen, die der Autor macht, kann ich nachvollziehen und teile ich auch. Ich kann allerdings nicht erkennen, wo denn nun das wirklich Neue an seiner Sichtweise sein soll. Für mich hat er bereits bekannte Dinge in neue Worte gekleidet und teilweise trägt das bei mir eher zur Verwirrung bei.
Sehe ich ähnlich.
Job hat geschrieben:
28. Jan 2019, 17:50
Computer und Software unterscheiden sich in meinen Augen fundamental von Dingen wie Leben und Bewusstsein. Um einen Computer zu designen und inkl. Software zum Laufen zu bringen, braucht man einen Plan. Daher bin ich nach wie vor der Meinung, dass dieses Beispiel schlecht ist, um sich dem Thema Leben zu nähern, bei dem es wie wir gelernt haben, diesen Plan so gerade nicht gibt.
Sehe ich ebenfalls ähnlich.

Ich denke, wir sind uns darin einig, dass wir bisher kein Beispiel diskutiert haben - Atome, Organismen, Leben, Software ... - das vollständig ohne Substrat auskommt (reine Mathematik im Sinne der platonischen Ideenlehre mal außen vor gelassen; Seele als substratunabhänguge, immaterielle Entität würde ich gerne ausklammern, d.h. wir diskutieren keine dualistischen und insbs. theologischen Positionen). Das Substrat ist sozusagen universell.

Nun existieren jedoch Phänomene, bei denen die rein physikalische Sicht auf das Substrat unzureichend erscheint - Leben, Software ... - und wir neue Betrachtungsweisen einführen. Im Falle der Software ist es schlicht praktisch, die Kausalketten ohne Rückgriff auf die Physik zu formulieren, obwohl dies sicher nicht zwingend erforderlich ist: ein Computersystem ist nach den Regeln der Physik konstruiert und folgt ihnen sklavisch; ein Informatikstudium muss jedoch von der Ebene der Physik abstrahieren. Bei der Biologie sehe ich dies zwar ebenfalls so, hier existiert jedoch ein größerer Konfliktpotential :-)

Soweit OK?
Gruß
Tom

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Re: Abwärtskausalität

Beitrag von seeker » 28. Jan 2019, 19:30

Job hat geschrieben:
28. Jan 2019, 17:50
Nun, die Architektur hochkomplexer Software ist mein Job und ich kann Dir versichern: Die Software existiert. Ich kann sie zum Beispiel kopieren, installieren, versionieren, patentieren, etc. Das gleiche gilt für Daten. Natürlich ist ein Programm kein "Ding" im klassischen Sinne, auf das ich einen Impuls übertragen kann.
Da sind wir uns ja dann einig. :wink:
Aber sind wir das?
Es geht hier um die Frage: Inwiefern existiert Software? Ist sie aus Materie gemacht, ist sie ausschließlich Materie? Hat sie eine eigene kausale Wirkkraft, die über die kausale Wirkkraft der Materie auf der sie 'lebt' hinausgeht?
Wirkt die Software, wenn sie läuft, kausal abwärts auf die Materie ein? Was sagt uns die Beobachtung?
Wie gesagt kann exakt dieselbe Software auf sehr verschiedenen materiellen Substraten laufen, also kann das "Wesen" der Software im Allgemeinen -so gesehen- nicht im Mikrokosmos eines speziellen materiellen Substrats zu finden sein und auch nicht einmal vollständig in einer Klasse von ähnlichen materiellen Substraten - denn dazu können diese zu unterschiedlich sein: Ich kann MS Word im Prinzip auch mit Papier und Bleistift ausführen oder mit einem großen Rechenschieber.
Man kommt zu dem Schluss: Software ist in ihrem eigentlichen Wesen etwas nicht-materielles, abstraktes.
Man kann zu dem Schluss kommen: Dennoch kann sie auf Materie kausal einwirken.
Job hat geschrieben:
28. Jan 2019, 17:50
Computer und Software unterscheiden sich in meinen Augen fundamental von Dingen wie Leben und Bewusstsein. Um einen Computer zu designen und inkl. Software zum Laufen zu bringen, braucht man einen Plan. Daher bin ich nach wie vor der Meinung, dass dieses Beispiel schlecht ist, um sich dem Thema Leben zu nähern, bei dem es wie wir gelernt haben, diesen Plan so gerade nicht gibt.
Hier geht es zunächst einmal um das Thema Abwärtsverursachung.
(Du hast Recht, ich habe das Wort Emergenz im vor-vorherigen Beitrag in einem Zusammenhang gebraucht, in den es nicht hingehört, das war verwirrend.)

Der Zusammenhang ist der:
Wenn man von "echter Emergenz" und "echter Komplexität" sprechen können will, also nicht von etwas, "das letztlich nichts anderes ist, als gewöhnliche materielle Mikroprozesse", dann muss man erklären, inwiefern das überhaupt möglich sein soll.
Und dazu muss man dann eine plausible Erklärung finden, wie eine Systemebene "weiter oben" echte kausale Wirksamkeit haben können soll, die über die kausale Wirksamkeit der darunterliegenden Schichten hinausgeht, sogar auf diese hinabwirkt - und inwiefern sie das tun kann, ohne die bekannten physikalischen Naturgesetze zu verletzen. Wie man eine solche Art der Kausalität verstehen kann und wie nicht. Darum geht es hier.
Grüße
seeker


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Re: Abwärtskausalität

Beitrag von seeker » 28. Jan 2019, 19:45

@Tom:
Nochmal: Ich möchte in diesem Thread vornehmlich erörtern, wo man mit diesem Ansatz/Paradigma hinkommt, wenn man ihn/es erst einmal so akzeptiert bzw. als wahr annimmt. Bitte dasselbe Spiel wie im anderen Thread, nur umgekehrt. Quid pro quo... :wink:
tomS hat geschrieben:Warum sollte man für (A) ein anderes Erklärungsparadigma suchen als für (B)? Was unterscheidet die beiden Szenarien fundamental? Welche real existierende Entität oder welcher Prozess?
Wie gesagt ist dieses (A) für mich nicht akzeptabel/treffend. Es geht am Problem vorbei. Ich habe daher schon ein anderes (A) vorgeschlagen und diskutiert.
Grüße
seeker


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Re: Abwärtskausalität

Beitrag von tomS » 28. Jan 2019, 20:13

seeker hat geschrieben:
28. Jan 2019, 19:45
tomS hat geschrieben:Warum sollte man für (A) ein anderes Erklärungsparadigma suchen als für (B)? Was unterscheidet die beiden Szenarien fundamental? Welche real existierende Entität oder welcher Prozess?
Wie gesagt ist dieses (A) für mich nicht akzeptabel/treffend. Es geht am Problem vorbei. Ich habe daher schon ein anderes (A) vorgeschlagen und diskutiert.
Klar.

Aber was ist denn dieses Problem, zu dessen Beschreibung (A) bzw. deine Alternative nicht akzeptabel/treffend sind?
Gruß
Tom

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Re: Abwärtskausalität

Beitrag von tomS » 28. Jan 2019, 20:27

seeker hat geschrieben:
28. Jan 2019, 19:30
Es geht hier um die Frage: Inwiefern existiert Software? Ist sie aus Materie gemacht, ist sie ausschließlich Materie? Hat sie eine eigene kausale Wirkkraft, die über die kausale Wirkkraft der Materie auf der sie 'lebt' hinausgeht?
Hat sie zunächst nicht, weil auf Ebene von HW und SW nichts passiert, was man nicht ausschließlich mittels der Gesetze der Materie erschließen kann.
seeker hat geschrieben:
28. Jan 2019, 19:30
Wirkt die Software, wenn sie läuft, kausal abwärts auf die Materie ein? Was sagt uns die Beobachtung?
Ja, das tut sie. Aber wenn sie das tut, dann immer exakt nach den Regeln der Materie.
seeker hat geschrieben:
28. Jan 2019, 19:30
Ich kann MS Word im Prinzip auch mit Papier und Bleistift ausführen
Ja, das kannst du, das ist das Wesen eines Algorithmus oder Computerprogramms.
seeker hat geschrieben:
28. Jan 2019, 19:30
Man kommt zu dem Schluss: Software ist in ihrem eigentlichen Wesen etwas nicht-materielles, abstraktes.
Man kann zu dem Schluss kommen: Dennoch kann sie auf Materie kausal einwirken.
Software ist in ihrem Wesen etwas nicht-materielles, abstraktes - solange man nicht die kausale Einwirkung auf Materie (HW, die Pixel des LCD-Displays, ...) beschreiben möchte. Sobald du Software und Substrat zusammenbringst, spielst du nach den Regeln des Substrats.

Ich denke aber, dass das nicht das ist, was du unter dem eigentlichen Wesen der Software verstehst.
seeker hat geschrieben:
28. Jan 2019, 19:30
Und dazu muss man dann eine plausible Erklärung finden, wie eine Systemebene "weiter oben" echte kausale Wirksamkeit haben können soll, die über die kausale Wirksamkeit der darunterliegenden Schichten hinausgeht, ...
Auf einer gewissen Ebene.
seeker hat geschrieben:
28. Jan 2019, 19:30
... sogar auf diese hinabwirkt - und inwiefern sie das tun kann, ohne die bekannten physikalischen Naturgesetze zu verletzen. Wie man eine solche Art der Kausalität verstehen kann und wie nicht.
In dem man sich bewusst wird, dass Naturgesetze usw. lediglich Kategorien unseres Verstandes sind, die wir epistemisch / gedanklich über ein zunächst nicht direkt zugängliches Substrat darüberlegen, um Sichten, Perspektiven, strukturierte Wahrnehmung usw. für uns zu erzeugen.
Gruß
Tom

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Re: Abwärtskausalität

Beitrag von seeker » 29. Jan 2019, 09:22

Ja, alles Ok für mich.
tomS hat geschrieben:
28. Jan 2019, 20:27
In dem man sich bewusst wird, dass Naturgesetze usw. lediglich Kategorien unseres Verstandes sind, die wir epistemisch / gedanklich über ein zunächst nicht direkt zugängliches Substrat darüberlegen, um Sichten, Perspektiven, strukturierte Wahrnehmung usw. für uns zu erzeugen.
Ja. Nur müssen wir aufpassen: Mit diesen Umstand kann man, wenn man möchte, jede Diskussion um Ontologie unterbinden.

Was ich wie gesagt hier tun möchte, ist erst einmal Ellis zu folgen und versuchen genügend gut zu verstehen, was er uns eigentlich sagt und wohin das führt.
tomS hat geschrieben:
28. Jan 2019, 20:27
Wirkt die Software, wenn sie läuft, kausal abwärts auf die Materie ein? Was sagt uns die Beobachtung?
Ja, das tut sie. Aber wenn sie das tut, dann immer exakt nach den Regeln der Materie.
Ja. Aber was bedeutet das genau? Hier kann es nun interessant werden.

Soweit ich das sehe ist es so, zumindest aus der hier zu besprechenden Perspektive:
Wenn die Software auf einem PC geladen ist, dann gibt es in der Hardware eine Repräsentation davon.
Wenn wir das dann nach unten hin verfolgen, stellen wir fest, dass diese Repräsentation eine bestimmte Ebene kennt, die am wichtigsten für das Geschehen ist: Die Ebene der loischen Gatter bzw. die Ebene, wo Bits und Bytes codiert sind.
Diese Ebene trägt das meiste der eigentlichen Information. Weitere Information steckt in den Ebenen darüber, wo bestimmt ist, wie diese Gatter miteinander verschaltet sind und wie sie im speziellen Fall zusammenarbeiten, wenn z.B. in Word die Taste "A" gedrückt wird.
Die Ebenen, die unter der Gatterebene liegen, sind weniger wichtig, sie sind in diesem Kontext sozusagen eher die 'passive Bühne' des Geschehens: Thermisches Rauschen auf Molekülebene spielt kaum eine Rolle, ebensowenig wie atomare Zerfälle, usw., so lange solche Dinge nicht ein gewisses Maß überschreiten, das den Computer zum Absturz bringt.
Umgekehrt ist es aber so, dass das Geschehen auf Bitebene und darüber sehr wohl auch einen Effekt auf diese unteren Ebenen hat: Die Moleküle/Atome, die eine Speicherzelle repräsentieren, werden wärmer, wenn das Programm läuft. Welche Speicherzellen wie warm werden ergibt sich von oben herab und wird nur so verständlich.

Ellis schreibt dazu (übersetzt):
"Das Hauptmerkmal ist, dass die Dynamik auf höherer Ebene effektiv von Gesetzen auf niedrigerer Ebene und Details der Variablen auf niedrigerer Ebene entkoppelt ist [1]: Mit einigen Ausnahmen im Zusammenhang mit strukturierten Systemen müssen wir diese Details nicht kennen, um das Verhalten auf höherer Ebene vorherzusagen."

(Das ist jetzt noch etwas aus dem Zusammenhang gerissen... es geht um den Textbloch direkt unter Table 1, Seite 2, im PDF, ich will hier jetzt nur nicht alles reinkopieren müssen.)

Ellis schreibt noch etwas Wichtiges:
"Fragen der Ontologie mögen auf der Quantenebene unklar sein, aber auf der Makroebene sind sie klar."

Ein Stuhl ist ein Stuhl, ein Mensch ist ein Mensch, usw. All das existiert klar. Er nimmt hier klar eine Perspektive von oben nach unten ein, ohne die unteren Ebenen zu verneinen und bewertet, in welchem Kontext welche Ebene wie stark für ein konkretes Geschehen kausal verantwortlich ist.
Kurz: Er bringt den Kontext ins Spiel.
Ich will sehen, wie er das genau meint und wohin man damit kommt.
Grüße
seeker


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Re: Abwärtskausalität

Beitrag von tomS » 29. Jan 2019, 11:31

seeker hat geschrieben:
29. Jan 2019, 09:22
tomS hat geschrieben:
28. Jan 2019, 20:27
In dem man sich bewusst wird, dass Naturgesetze usw. lediglich Kategorien unseres Verstandes sind, die wir epistemisch / gedanklich über ein zunächst nicht direkt zugängliches Substrat darüberlegen, um Sichten, Perspektiven, strukturierte Wahrnehmung usw. für uns zu erzeugen.
Ja. Nur müssen wir aufpassen: Mit diesen Umstand kann man, wenn man möchte, jede Diskussion um Ontologie unterbinden.
Das war nicht meine Absicht.

Es ging mir darum, die Ontologie von den epistemischen Themen, den Theorien und Begriffen etc. zu trennen.

Bsp.: ich kann annehmen, dass die Welt durch das Substrat bottom-up vollständig und kausal determiniert ist; ich kann desweiteren annehmen, dass wir mittels physikalischer Theorien (Quantenmechanik, ...) sowie weiteren Theorien (Chemie, Biologie, ...) erfassen.

Ich denke, ich hatte diese zwei Annahmen immer wieder unzulässig vermischt, wenn ich davon gesprochen habe, "dass die Quantenmechanik die Systeme vollständig determiniert". Besser wäre es, zu sagen, "dass die mikroskopische Dynamik des Substrats die Systeme vollständig determiniert, und dass wir dies mittels physikalischer Theorien (Quantenmechanik, ...) sowie weiteren Theorien (Chemie, Biologie, ...) erfassen bzw. bewschreiben".
seeker hat geschrieben:
29. Jan 2019, 09:22
Was ich wie gesagt hier tun möchte, ist erst einmal Ellis zu folgen und versuchen genügend gut zu verstehen, was er uns eigentlich sagt und wohin das führt.
Ich bin auf der Suche nach einer anderen Darstellung.
seeker hat geschrieben:
29. Jan 2019, 09:22
tomS hat geschrieben:
28. Jan 2019, 20:27
Wirkt die Software, wenn sie läuft, kausal abwärts auf die Materie ein? Was sagt uns die Beobachtung?
Ja, das tut sie. Aber wenn sie das tut, dann immer exakt nach den Regeln der Materie.
Ja. Aber was bedeutet das genau? Hier kann es nun interessant werden.
Ich sehe hier nur die von mir immer wieder vorgeschlagene Sichtweise, dass die relevanten Entitäten und Prozesse immer mikroskopischer Natur sind, und dass Software letztlich in verschiedenen Formen für verschiedene Substrate existiert und dort wirkt. Zur "Software" im eigentlichen Sinne wird sie lediglich durch eine andere Betrachtungsweise, die es uns ermöglicht, einerseits vom unterlagerten Substrat zu abstrahieren sowie andererseits die "Software" für sich mit angemessenen Begriffen zu beschreiben.
seeker hat geschrieben:
29. Jan 2019, 09:22
Soweit ich das sehe ist es so, zumindest aus der hier zu besprechenden Perspektive:
Wenn die Software auf einem PC geladen ist, dann gibt es in der Hardware eine Repräsentation davon.
Ich nehme hier die andere Perspektive ein: Das Abstraktum "Software" resultiert aus unserer eigene Abstraktion des Konkretums "Zustand bzw. Inhalt des Arbeitsspeichers". Im Gegensatz zum Thema "Leben" fällt uns das leicht, weil wir natürlich die Strukturen zur Beschreibung von "Software" bereits vorgedacht haben und nicht erst im Experiment herausfinden müssen. D.h. "Software" ist keineswegs emergent, in dem Sinne dass es aus diesen Prozessen entsteht, sondern es ist geplant, konstruiert - so wie ein Fahrrad, ein Handy oder ähnliches.

Damit schließt sich für mich auch der Kreis zum Thema Gehirn/Geist.
seeker hat geschrieben:
29. Jan 2019, 09:22
Wenn wir das dann nach unten hin verfolgen, stellen wir fest, dass diese Repräsentation eine bestimmte Ebene kennt, die am wichtigsten für das Geschehen ist: Die Ebene der loischen Gatter bzw. die Ebene, wo Bits und Bytes codiert sind.
Diese Ebene trägt das meiste der eigentlichen Information. Weitere Information steckt in den Ebenen darüber, wo bestimmt ist, wie diese Gatter miteinander verschaltet sind und wie sie im speziellen Fall zusammenarbeiten, wenn z.B. in Word die Taste "A" gedrückt wird.
Die Ebenen, die unter der Gatterebene liegen, sind weniger wichtig, sie sind in diesem Kontext sozusagen eher die 'passive Bühne' des Geschehens: Thermisches Rauschen auf Molekülebene spielt kaum eine Rolle, ebensowenig wie atomare Zerfälle, usw., so lange solche Dinge nicht ein gewisses Maß überschreiten, das den Computer zum Absturz bringt.
Umgekehrt ist es aber so, dass das Geschehen auf Bitebene und darüber sehr wohl auch einen Effekt auf diese unteren Ebenen hat: Die Moleküle/Atome, die eine Speicherzelle repräsentieren, werden wärmer, wenn das Programm läuft. Welche Speicherzellen wie warm werden ergibt sich von oben herab und wird nur so verständlich.
Alles richtig, und dieses "verständlich" ist für mich entscheidend. Wir setzen - je nach Interessenslage - verschiedenen Brillen auf bzw. nehmen verschiedenen Perspektiven ein. Sobald die "Software" fertig gedacht ist, können wir sie schreiben und frei lassen, d.h. wir überführen sie von einem Gehirnzustand in einen greifbaren, vollständig verständlichen Zustand verschiedener Substrate; dabei bleibt einerseits die vorgedachte abstrakte Struktur der "Software" erhalten - und es ist oft ausreichend, allein diese zu betrachten - andererseits existieren nun verschiedene substrat-spezifische Ausprägungen.

Mit diesem Bild bin ich in der Lage, allen Perspektiven gerecht zu werden.

Wieder schließt sich auch der Kreis zum Thema Gehirn/Geist.
seeker hat geschrieben:
29. Jan 2019, 09:22
"Das Hauptmerkmal ist, dass die Dynamik auf höherer Ebene effektiv von Gesetzen auf niedrigerer Ebene und Details der Variablen auf niedrigerer Ebene entkoppelt ist [1]: Mit einigen Ausnahmen im Zusammenhang mit strukturierten Systemen müssen wir diese Details nicht kennen, um das Verhalten auf höherer Ebene vorherzusagen."
Auch das kann ich unterschreiben, allerdings nehme ich wieder eine andere Perspektive ein.

Aus Sicht der Halbleiterphysik, der Computertechnik und letztlich der Informatik und der Programmierer ist diese Entkopplung ja so gedacht und geplant. Das ganze Unternehmen ist so geplant, dass diese Entkopplungen existieren, um eben HW-neutrale Programme schreiben zu können. Umgekehrt können wir aber aus Sicht der Physik diese Entkopplung auch erklären, d.h. zunächst die zugrundeliegende Physik verstehen, aus der wir Mechanismen für eine derartige Entkopplung ableiten können, so dass wir diese anschließend technisch anwenden können.

Der wesentliche Unterschied zur Biologie ist wieder, dass wir im Falle der Computer vorher einen Plan haben, den wir umsetzen und deswegen später - wenig überraschend - implementiert wieder vorfinden, während im Falle der Biologie dieser Plan nicht vorher existiert, sondern dass wir ohne Plan entsprechende biologische Muster identifizieren müssen.
seeker hat geschrieben:
29. Jan 2019, 09:22
Ellis schreibt noch etwas Wichtiges:
"Fragen der Ontologie mögen auf der Quantenebene unklar sein, aber auf der Makroebene sind sie klar."
Das halte ich sprachlich für verfehlt. Da ist viel weniger Ontologie und viel mehr Phänomenologie enthalten, als zunächst gedacht.

Möglicherweise steht Ellis jedoch auch in einer eher phänomenologischen Tradition, so dass für ihn Ontologie letztlich identisch ist mit Phänomenologie: "Die Erscheinung wird nicht von irgendeinem von ihr verschiedenen Existierenden getragen: sie hat ihr eigenes Sein (Sartre)"
seeker hat geschrieben:
29. Jan 2019, 09:22
Ein Stuhl ist ein Stuhl ...
Nee. Ein Stuhl ist ein Stuhl - für den Menschen, der in betrachtet und benützt. Die Funktion liegt im Auge des Betrachters und ist deswegen keine reine Ontologie.

Deswegen halte ich den Artikel von Ellis für nicht besonders gut.
seeker hat geschrieben:
29. Jan 2019, 09:22
Er nimmt hier klar eine Perspektive von oben nach unten ein, ohne die unteren Ebenen zu verneinen und bewertet, in welchem Kontext welche Ebene wie stark für ein konkretes Geschehen kausal verantwortlich ist.
Ich vermisse bei ihm die explizite Referenz auf den Beobachter.

Der Stuhl als Ansammlung von Atomen verändert seine mikroskopische Dynamik nicht, egal ob wir ihn nun betrachten oder benützen. Der Stuhl als "Stuhl" wird zu einem solchen, dass ihn bewusste Menschen mit entsprechender Körpergröße als solchen nutzen. Ohne einen einzigen Menschen im Weltall existieren keine "Stühle"
Gruß
Tom

Der Wert eines Dialogs hängt vor allem von der Vielfalt der konkurrierenden Meinungen ab.
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