Wie lautet deine eigentliche Frage?
Du bist auf die Reduzierbarkeit eingegangen, aber ich glaube, das ist nur ein Zwischenschritt.
Die eigentlich interessante Frage lautet aus meiner Sicht:
Ist das, was wir in komplexen Systemen erkennen, fundamental, ist es zumindest ein Hinweis auf 'neue Physik' oder ist es das nicht?
Ist das deine Frage?
tomS hat geschrieben: ↑14. Jan 2019, 23:01
Meine Schlussfolgerung lautet weiterhin,
1) dass es prinzipiell möglich erscheint, dass biologische Systeme und Prozesse nicht qualitativ verschieden sind von physikalischen Prozessen,
2) dass wir Menschen jedoch zur praktischen Beschreibung und zum Verständnis andere, biologische Gesetze benötigen,
3) dass es uns jedoch aufgrund unserer praktischen Limitierung nicht gelingt, diese biologische Gesetze auf physikalische zurückzuführen
4) dass (3) lediglich ein Argument für unsere praktische Beschränkung darstellt, nicht für eine prinzipielle Andersartigkeit von Biologie und Physik.
Meine Haltung dazu ist weiterhin:
1) Ja. Möglich erscheint vieles. Aber man weiß es eben nicht: Die prinzipielle Frage erscheint mindestens derzeit unbeantwortbar. Und jede Antwort, die wir darauf prinzipiell überhaupt finden können, wird immer perspektivabhängig* sein.
2) Ja, sicher, mindestens teilweise. Das sagt uns jedoch nichts über 1)
3) Ja, auch das ist sicher, dass es
mindestens so ist. Auch das sagt nichts über 1)
4) Ja, zunächst. Auch das sagt nichts über 1)
Aus all dem folgt allerdings nicht, dass 1) tatsächlich der Fall ist. Und empirisch sehe ich bisher leider keine wirklichen Indizien, die das stützen würden - im Gegenteil, denn zwischen teilweiser Reduzierbarkeit (die niemand bestreitet) und vollständiger besteht ein erheblicher Unterschied.
Wenn ich vor die Wahl gestellt werde entweder der Empirie oder der Theorie den Vorzug geben zu müssen, dann entscheide ich selbst mich für die Empirie zum heutigen Stand.
Das ist aber nur meine pers. Einstellung, jeder darf da andere Präferenzen setzen. Aber darum geht es nicht, es geht darum, dass so lange sich an der empirischen Lage nichts ändert, alles hierzu Spekulation bleibt. Wir müssen einsehen: Wir wissen es alle nicht, keiner kann seine Position beweisen, noch für alle genügend stichhaltig stützen. Das liegt schon daran, dass die Perspektiven auf die Welt verschieden sind und keiner den Anspruch erheben darf, zu sagen, seine sei die allein richtige. Das wäre Unsinn. Was wir stattdessen bei komplexen Systemen brauchen ist fachübergreifende kommunikative Zusammenarbeit und Dialog.
*: Aus Perspektiven folgen immer Einschränkungen der Erkenntnisfähigkeit. Ich halte es nicht für zielführend bzw. verfehlt zu glauben oder daran festzuhalten, man könne auch nur prinzipiell wirklich alles unter nur einer Perspektive schon hinreichend gut beschreiben bzw. erklären, denn was 'hinreichend' ist, unterliegt ebenso der Perspektive. Das wäre eine m.E. ideologisch gefärbte Einstellung, zumindest ein Vorurteil. Den Wunsch danach kann ich dabei aus dem Wunsch nach Einheit heraus wiederum verstehen.
tomS hat geschrieben: ↑14. Jan 2019, 23:01
D.h.
A) ich sehe bisher kein logisch stichhaltiges Argument pro prinzipielle Irreduzibilität, lediglich
B) contra praktische Reduzibilität aufgrund unserer menschlichen Limitierungen
So weit waren wir schon: Keiner kann hier wirklich stichhaltige Argumente vorlegen. Auch du nicht, schon weil du zu viele Vorausannahmen in Kombination treffen musst, die nicht sichergestellt sind.
seeker hat geschrieben:7. Du kannst die Anfangsbedingungen nicht im Voraus vernünftig wählen.
tomS hat geschrieben: ↑14. Jan 2019, 23:01
Es mag für dich unbefriedigend sein, aber das ist nicht das Problem der Reduzibilität. Natürlich kann ich testen, ob ich vernünftige Anfangsbedingungen gewählt habe, indem ich prüfe, ob sie den Endzustand genügend präzise reproduzieren.
Das kannst du nur, wenn du hinterher auch positive Ergebnisse erhält. Ob das gelingen wird, kannst du aber im Voraus nicht wissen, nur hoffen, dass du zufällig einen Treffer landest. Also kannst du prinzipiell nur Rückschau machen, das ist eine Einschränkung.
Und was sind genügend präzise Endzustände bei solchen Systemen? Und: Es geht nicht um Zustände, es geht um Prozesse!
Und wenn die gesuchte Reduzierung -wenn überhaupt- nur in der dynamischen Kombination aus Anfangsbedingungen plus Naturgesetze zu finden ist (was ich für sicher halte)? Dann landest du notgedrungen teilweise in den Anfangsbedingungen und musst diese noch herleiten/reduzieren/erklären, um wirklich fertig zu werden.
tomS hat geschrieben: ↑14. Jan 2019, 23:01
Nein, ich setze die Reduzibilität gerade nicht voraus.
Die Reduzibilität enthält - wie ich oben aufgeführt habe - verschiedene Aspekte. Einer davon besteht darin, Kriterien für Leben, Organismen, Stoffwechsel, diverse weitere Prozesse zu formalisieren. Wenn dies nicht gelingt, ist die Reduzibilität an diesem Punkt gescheitert.
Eben! Ein Programm vorzuschlagen, das prinzipiell nicht gelingen kann, wäre sinnlos.
In deinem Programm gehst du schon reduktiv vor, indem du vorschlägst, das Leben als die Summe von einzelnen (quantenmechanischen) Kriterien zu formalisieren.
Also: Unter der Voraussetzung, dass dein Programm prinzipiell überhaupt gelingen können
kann, muss das voraussetzbar sein, was du aber erst nach erfolgreichem Abschluss dieses Programms wissen kannst. Also weiß man im Voraus nicht, ob dein Programm sinnvoll ist.
Daher kannst du
daraus nicht im Voraus schon schlussfolgern oder als Indiz werten ...
tomS hat geschrieben: ↑14. Jan 2019, 23:01
1) dass es prinzipiell möglich erscheint, dass biologische Systeme und Prozesse nicht qualitativ verschieden sind von physikalischen Prozessen,
... jedenfalls nicht verallgemeinernd für alle anderen, die vielleicht andere Perspektiven einnehmen und andere Vorausannahmen plausibler finden.
Prinzipiell möglich erscheinen kann dir das dennoch, aber nicht aus obigem Programm heraus begründet, weil das ein Zirkel ist:
Wenn das Programm Erfolg haben kann (bzw. hat), ist es sinnvoll. Wenn es sinnvoll ist, kann es Erfolg haben.
Dann:
tomS hat geschrieben: ↑14. Jan 2019, 23:01
Nochmal: Reduzibilität sehe ich auf zwei Ebenen:
(1) zum einen kann ich fragen, ob die Quantenmechanik - nach den Gesetzen die wir kennen - biologische Strukturen und deren Dynamik hervorbringen kann
(2) und zum anderen kann ich fragen, ob wir diese Strukturen und Prozesse erkennen und verstehen können
Ja.
Zu (1): Es ist sicher, dass die QM das nur in richtiger Kombination mit den passenden Anfangsbedingungen kann. Der Rest ist und bleibt kompliziert.
zu (2): Meine Einschätzung ist, dass wir das teilweise können und dass wir unter dieser Einschränkung, für möglichst vollumfassendes Verständnis, verschiedene Perspektiven benötigen.
tomS hat geschrieben: ↑14. Jan 2019, 23:01
Meine ganze Überlegungen läuft darauf hinaus, dass die schlichte Behauptung „Biologie ist nicht auf Quantenmechanik reduzierbar“ überhaupt keine intrinsische Eigenschaft der Biologie ist, sondern eine Beschränkung unseres Verstandes
Ja, das ist klar geworden. Und das ist möglich. Wir wissen es nur nicht. Und auch deine Überlegungen helfen uns aus diesem Unwissen nicht wirklich heraus. Deshalb meinte ich, dass es uns in der Hinsicht nicht wirklich viel weiter bringt. Etwas anderes wäre es, wenn du ein praktisch durchführbares Programm auf den Tisch legen könntest.
Ich wäre viel mehr dafür uns auf das zu konzentrieren was wir heute wissen und prüfen können.
Deshalb mein wiederholter Vorschlag uns auch einmal die Computersysteme anzuschauen, denn einiges an komplexen Systemen ist, so denke ich, durchaus sicher reduzierbar und so auch verstehbar (nur eben nicht alles). Und wo die Knackpunkte sind, versteht man m.E. am besten, wenn man konkret anschaut und versteht, wo sie nicht sind.