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Instabilität - Reduzibilität vs. Irreduzibilität - Komplexität

Wissenschaftsgeschichte, Wissenschaftstheorie bzw. -philosophie, Technik
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Instabilität - Reduzibilität vs. Irreduzibilität - Komplexität

Beitrag von seeker » 31. Dez 2018, 13:26

Ich habe neulich den folgenden sehr guten Vortrag angesehen, den ich wirklich interessant fand:

Instabilität • Emergenz • Evolution • vom Urknall zum Gehirn
https://www.youtube.com/watch?v=T0-8tzdHEo0
https://www.youtube.com/watch?v=aDls12DdKpg

Das Ding geht fast 2h und es ist vom Harald Lesch, ich meine aber es lohnt sich, falls iht einmal Lust und Zeit habt.
Wenn manche meinen, das wär vielleicht zu sehr pop-wiss., dann muss ich euch sagen: Nö, isses nicht, wenn ihr nicht grad Experten bei dem Thema seid, was -soweit ich das sehe- bei keinem, den ich hier bisher kennenlernen durfte, der Fall ist. Wenn andere meinen, das wär vielleicht zu sehr ideologisch-missionarisch, dann muss ich sagen: Ja, ein bissl kann er es sich in Teilen seines Vortrags nicht verkneifen, aber es ist verkraftbar, überseht in dem Fall diese Teile einfach, es lohnt sich.

Um was geht es?
Instabilität ist die Voraussetzung für Neues. Neue Eigenschaften in natürlichen Systemen gibt es nur durch nicht mehr rückgängig zu machende Veränderungen. Diese Irreversibilität ist eine der zentralen Eigenschaften der Natur. Kein Moment gleicht dem anderen, jedes makroskopische System ist ein Ein­zelfall. Insofern ist unsere Vorstellung eines Kosmos als vorherrschendes Prinzip in der Natur falsch. Die Natur ist ein irreversibles, sich kontinuierlich selbst organisierendes System, dessen Gesetzlichkei­ten wir zwar in groben Zügen kennen, dessen Wechselspiel mit sich ständig verändernden Rand- und Anfangsbedingungen uns aber zu ganz neuen Perspektiven zwingt. Gerade die Physik als die Grundlage aller Naturwissenschaften hat längst begonnen, eine schwach kausale, nur mehr partiell deterministische, systemisch-organische Sicht auf die Natur und ihre Beziehung zum und mit dem Menschen zu entwickeln. Doch ist das weder in Politik und Wirtschaft noch in der Philosophie bis heute so richtig angekommen.
https://www.youtube.com/watch?v=T0-8tzdHEo0, Beitext zum Video

Es geht z.B. um Komplexität, Emergenz, den Einfluss von Instabilitäten und den Mesokosmos.
Es geht um ganz grundlegende Dinge:
Kann man Emergenz messen bzw. quantifizieren?
Emergenz als ontologisches Konzept.

Starke Emergenz:
- Reduktionismus kann das Verhalten komplexer Systeme nicht erfassen
- Die höheren Ebenen werden durch die tieferen Ebenen nicht vollständig bestimmt
- Es gibt eine abwärtsgerichtete Kausalität von den höheren zur niedrigeren Ebene
- Nicht-materielle Dinge haben einen kausalen Einfluss
Auszüge aus den Folien des o.g. Vortrags

das ist starker Tobak... :)
Die Teile & das Ganze

Das Auftauchen von neuen Eigenschaften ist eine der Welt so eingeprägte Eigenschaft, dass man sich wundert, dass wir tatsächlich über 400 Jahre lang geglaubt haben, wir würden alleine nur über die Suche nach Elementarteilchen etwas über die Welt erfahren. Eigentlich ein Skandal! Vor allen Dingen, relevante Bereiche des Weltgeschehens werden dadurch von der Grundlagenforschung ausgenommen. Weil es heißt: "Grundlagenforschung, die Suche des Fundamentalen, das geht nur, indem wir ins Allerkleinste und Allergrößte vorstoßen." Dass wir in unserer eigenen Welt, in unserer eigenen Umwelt fundamentale Eigenschaften des Universums kennenlernen könnten, das war lange Zeit überhaupt nicht vorstellbar.
Harald Lesch
Fazit

Prognostizierbarkeit – Reproduzierbarkeit – Prüfbarkeit – Reduzierbarkeit

Es eint die klassisch-moderne Physik die Annahme, dass vorrangig im Mikro- und Makrokosmos fundamentale Erkenntnisse zu gewinnen seien; sie weitet sukzessive diese äußeren Ränder ins ganz Kleine und ganz Große aus.

Der Raum der mittleren Größenordnung, der Mesokosmos ist demnach kein physikalisch erkenntnisrelevanter Bereich. Es kann von einem Exzentrismus der klassisch-modernen Physik gesprochen werden, welcher zweifelsohne erfolgreich ist. – Ferner sollte auf eine gemeinsame Klammer im Naturverständnis verwiesen werden, welches hier nicht ausgeführt werden kann.
Auch wenn die klassisch-modernen Theorien im Detail unterschiedliche Naturverständnisse nahegelegt haben, so eint sie, dass sie die Entstehung und Entwicklung von komplexen dynamischen Systemen in Natur und Technik kaum thematisieren und nicht erklären können. Selbstorganisation, Prozessualität und Zeitlichkeit bleiben thematisch randständig. Struktur- und Musterbildungen liegen nicht in ihrem Fokus. Instabilitäten werden – wenn überhaupt – zum Randbereich von Natur gezählt.
Jan Cornelius Schmidt

Das ist aus diesem Buch hier:
https://www.amazon.de/Instabilit%C3%A4t ... 3110209693
Die klassisch-moderne Idealwissenschaft Physik war bisher zweifellos erfolgreich

Aber

Entstehung & Entwicklung komplexer dynamischer Systeme in Natur und Technik können nicht thematisiert noch erklärt werden
Selbstorganisation-Prozessualität-Zeitlichkeit
Strukturen-Muster-Instabilitäten

bleiben thematisch randständig
werden zum Randbereich der Natur erklärt
Folie aus dem o.g. Vortrag

... und eben das ist möglicherweise grundfalsch.

Fundamentale Erklärungsmuster auch im Mesokosmos...
Ich glaube, hier dämmert langsam ein neues Paradigma am Horizont herauf, auch wenn wir es heute noch nicht ganz richtig zu fassen bekommen. Das ist wirklich spannend. Vielleicht müssen wir wirklich ganz neu denken und verstehen und an ganz anderen zusätzlichen Stellen als bisher suchen.

Und auch:
Und jetzt sag ich mal eine ganz persönliche Einschätzung, die mich in den letzten Jahren ziemlich verändert hat, nämlich: Der Übergang von interessanter Physik zu relevanter Physik. Und der ist für mich konzeptionell genau an den Begriff der Selbstorganisation, Instabilität gebunden.
Harald Lesch
Prognostizierbarkeit als Schlüsselbegriff zum Verständnis der Physik
"Die Voraussagekraft bestimmt wesentlich über Anerkennung und Ausschluss einer Theorie"
"Im Schluss auf die Zukunft liegt die eigentliche Pointe der Physik."
"Nicht Erklärungen, wohl aber Prognosen stellen die Bedingung der Möglichkeit zur Kontrolle von Zukunft und des plananden Eingreifens bereit.
Der Kern von Wissenschaft liegt in ihrem nicht-metaphysischen, pragmatischen Nutzen, in der Um-Zu-Struktur als Wissenschaft für etwas durch erfolgreiche quantitative Prognosen."
Auzüge aus Folien des o.g. Vortrags

Eigene Gedanken von mir:

Was machen wir aber damit, wenn wir nun merken, dass die Natur in weiten Bereichen prognostisch gar nicht so fest ist?
Wenn die Natur sich intrinsisch instabil verhalten kann, was macht das mit der Prognostizierbarkeit, der Berechenbarkeit der Welt?
Und was macht das mit Handlungsimpulsen, die aus den Naturwissenschaften abgleitet werden sollen?

usw.


Falls jemand Lust dazu hat, ich würde einige Dinge aus diesem Vortrag hier gerne diskutieren, gerne auch bezugnehmend mit Zeitangaben aus dem Vortrag.
Grüße
seeker


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Re: Instabilität

Beitrag von tomS » 1. Jan 2019, 12:46

Gerade die Physik als die Grundlage aller Naturwissenschaften hat längst begonnen, eine schwach kausale, nur mehr partiell deterministische, systemisch-organische Sicht auf die Natur und ihre Beziehung zum und mit dem Menschen zu entwickeln. Doch ist das weder in Politik und Wirtschaft noch in der Philosophie bis heute so richtig angekommen.
Was soll eine „partiell deterministische, systemisch-organische Sicht“ denn genau sein??
... so eint sie, dass sie die Entstehung und Entwicklung von komplexen dynamischen Systemen in Natur und Technik kaum thematisieren und nicht erklären können. Selbstorganisation, Prozessualität und Zeitlichkeit bleiben thematisch randständig. Struktur- und Musterbildungen liegen nicht in ihrem Fokus. Instabilitäten werden – wenn überhaupt – zum Randbereich von Natur gezählt.
siehe dazu dein Kommentar
und eben das ist möglicherweise grundfalsch ...
Ja, das ist grundfalsch.

Leider kann man deinem Beitrag nicht entnehmen, wer das genau sagt bzw. schreibt - Lesch? Schmidt?

Zu letzterem:

https://www.ifp.uni-jena.de/Webseiten+d ... _+Dr_.html
Nachmoderne Wissenschaft: Selbstorganisation, Chaos, Komplexität
Nachmodern = Postmodern? Soll man das im naturwissenschaftlichen Kontext ernst nehmen? (*)

Hier ein paar prominente Gegenbeispiele - auch im Bereich der Chemie und Biologie gibt es entsprechende Forschungsprojekte

https://www.physik.uni-muenchen.de/lehr ... index.html
https://www.ds.mpg.de/15765/about_us

https://www.springer.com/de/book/9783662101872
https://www.springer.com/de/book/9783528063467

http://gepris.dfg.de/gepris/projekt/285875264

https://en.m.wikipedia.org/wiki/Dissipative_system
https://en.m.wikipedia.org/wiki/Non-equ ... modynamics
https://en.m.wikipedia.org/wiki/Self-or ... riticality
https://en.m.wikipedia.org/wiki/Autocat ... r_creation
https://en.m.wikipedia.org/wiki/Onsager ... _relations

https://en.m.wikipedia.org/wiki/Navier% ... smoothness

https://en.m.wikipedia.org/wiki/Illustris_project
https://en.m.wikipedia.org/wiki/Galaxy_ ... _evolution

(*)

B96D5537-31E0-40BB-87DD-6D9A3D93F81E.jpeg
Instabilität in Natur und Wissenschaft: Eine Wissenschaftsphilosophie der nachmodernen Physik
B96D5537-31E0-40BB-87DD-6D9A3D93F81E.jpeg (74.71 KiB) 12557 mal betrachtet
Schauen wir doch mal nach:

https://en.m.wikipedia.org/wiki/Poincar ... on_theorem
https://en.m.wikipedia.org/wiki/Lyapunov_stability
https://en.m.wikipedia.org/wiki/N-body_problem
https://en.m.wikipedia.org/wiki/Chaos_theory

https://web.archive.org/web/20060422022 ... bks/coll9/
https://en.m.wikipedia.org/wiki/Ergodic_theorem

Alles schon Jahrzehnte vorher.
Gruß
Tom

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Re: Instabilität

Beitrag von seeker » 2. Jan 2019, 17:23

tomS hat geschrieben:
1. Jan 2019, 12:46
Leider kann man deinem Beitrag nicht entnehmen, wer das genau sagt bzw. schreibt - Lesch? Schmidt?
Ich habe meinen Beitrag nachbearbeitet, um besser verständlich zu machen, was von wem gesagt wurde.

Im konkreten Fall, auf den du dich beziehst, stammt das von der "Urknall, Weltall und das Leben"-Gruppe, als Beitext zum Vortrag.
https://www.youtube.com/watch?v=T0-8tzdHEo0 (unter dem Video-Fenster auf "MEHR ANSEHEN" klicken)
https://www.urknall-weltall-leben.de/
Wer das genau geschrieben hat, lässt sich nicht leicht herausfinden, einer von denen hier wird's gewesen sein:
https://www.urknall-weltall-leben.de/team.html
Vielleicht stammt es von Andreas Müller, er hält das Vorwort im Video, frag ihn, was eine "partiell deterministische, systemisch-organische Sicht" genau sein soll. :)

Ich denke, man versteht es besser, wenn man den Vortrag anschaut. Es scheint mir, es geht um die Grenzen und Überwindung der der rein reduktionistisch-kausalen Sichtweise als vollständige Welterklärung ("die Welt als vollständig berechenbare Maschine"). Und hier scheint mir ein noch lange nicht abgeschlossener Prozess im Gange zu sein: Es bröckelt seit Jahrzehnten, aber der Kipppunkt ist noch lange nicht erreicht, in den Köpfen vieler Leute ist das noch nicht angekommen und schon gar nicht angenommen.
tomS hat geschrieben:
1. Jan 2019, 12:46
Nachmodern = Postmodern? Soll man das im naturwissenschaftlichen Kontext ernst nehmen? (*)

Hier ein paar prominente Gegenbeispiele - auch im Bereich der Chemie und Biologie gibt es entsprechende Forschungsprojekte
...
...
Bevor wir entscheiden etwas ernst zu nehmen oder nicht ernst zu nehmen, sollten wir zunächst versuchen besser zu verstehen, was überhaupt gemeint sein könnte.

Deine Liste an "Gegenbeispielen" zeigt uns, dass natürlich schon lange und an vielen Stellen auch an der Front geforscht wird.
Aber es scheint gar nicht darum zu gehen, wofür das als Gegebeispiele herhalten könnte. Darum geht es nicht.
Mir scheint, es geht um etwas anderes.
Zum Beispiel:

Bringt das, was in der Komplexitätsforschung gemacht wird, fundamentale, nicht-reduzierbare Muster der Natur zu Tage, ebenso fundamental wie die Forschung im Allerkleinsten und Allergrößten, die mit der Kategorie "groß-klein" gar nichts zu tun hat, jenseits davon steht?
Ja (fundamental) oder nein (randständig)?
Und wie tangiert das unsere Bewertung der Welt, unser Weltbild?
Wie tangiert das gesellschaftlich unser Verständnis der Prognostizierbarkeit, Beherrschbarkeit, Kontrollierbarkeit der Welt, insbes. unserer Unwelt?
Dein dazu verlinkter Textblock ist Jahrzehnte alt, aber ist das bis heute allgemein anerkannt schon längst in alle Köpfe vorgedrungen?
Ich denke nicht, überhaupt nicht.
Und macht es in Anbetracht dessen noch Sinn, immer noch von einer ontologisch vollständig durchdeterminierten Welt auszugehen?*
Genau in der Sichtweise liegt ja das alte Paradigma, das auch heute noch genügend Kraft entfaltet - oder nicht?

*: Um die Frage besser zu verstehen folgende Frage:
Nehmen wir an, unser Urknall würde sich "irgendwo im Anderswo" völlig exakt wiederholen.
Würde sich dann aus diesem Universum exakt wieder unsere Welt herausbilden, mit 13,8 Mrd Jahre später genau uns darin? Glaubst du/ihr das?
Grüße
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Re: Instabilität

Beitrag von tomS » 2. Jan 2019, 17:59

seeker hat geschrieben:
2. Jan 2019, 17:23
Dein dazu verlinkter Textblock ist Jahrzehnte alt, aber ist das bis heute allgemein anerkannt schon längst in alle Köpfe vorgedrungen?
Ich denke nicht, überhaupt nicht.
Der Text stammt aus dem Buch von Schmidt und ist ca. 10 Jahre alt.

In welche Köpfe soll das denn vordringen? Physiker - auch Biologen und Chemiker - arbeiten daran; es existieren Lehrstühle sowie ein MPI, es gab auf dem Gebiet auch schon Nobelpreise ... Ich denke, hier handelt sich um ganz normale Wissenschaft.

Die Physiker stehen immer wieder vor Herausforderungen. Die letzte große war die Quantenmechanik, ggw. sind es wohl die Grenzen des experimentell zugänglichen Mikro- und Makrokosmos, die die wissenenschaftliche Methode möglicherweise ganz grundsätzlich herausfordern. Komplexitätstheorie ist es m.E. nicht. Ich mag es nicht, wenn man mit Begriffen um sich wirft wie „Instabilität in ... Wissenschaft“ und „nachmodernen Physik“, insbs. wenn der Begriff der - anti-rationalen - „Postmoderne“ sozusagen um die Ecke lugt.
seeker hat geschrieben:
2. Jan 2019, 17:23
Und macht es in Anbetracht dessen noch Sinn, immer noch von einer ontologisch vollständig durchdeterminierten Welt auszugehen?
Genau in der Sichtweise liegt ja das alte Paradigma, das auch heute noch genügend Kraft entfaltet - oder nicht?
Was ist eine ontologisch vollständig durchdeterminierten Welt?

Schau dir doch mal an, wie unabhängig physikalische, chemische und biologische Strukturen auf unterschiedlichen Ebenen existieren. Gerade die Entkopplung dieser Skalen erlaubt es dem Biologen, die Morphogenese von Embryonen zu studieren, ohne die Gleichungen der QED und QCD lösen zu müssen. Demzufolge sind bestimmte makroskopische Muster natürlich nicht automatisch und vollständig durch den Mikrokosmos determiniert, aber sie sind auch nicht völlig unabhängig vom Mikrokosmos.
seeker hat geschrieben:
2. Jan 2019, 17:23
Um die Frage besser zu verstehen folgende Frage:
Nehmen wir an, unser Urknall würde sich "irgendwo im Anderswo" völlig exakt wiederholen.
Würde sich dann aus diesem Universum exakt wieder unsere Welt herausbilden, mit 13,8 Mrd Jahre später genau uns darin? Glaubst du/ihr das?
Nach dem heutigen Verständnis der Everettschen Quantenmechanik würde sich aus identischen Anfangsbedingungen ein identische quantenmechanische Struktur bilden, die auch alle einzelnen „Blätter“ im Sinne der Everettschen Quantenmechanik enthält.
Gruß
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Re: Instabilität

Beitrag von seeker » 2. Jan 2019, 19:34

tomS hat geschrieben:
2. Jan 2019, 17:59
In welche Köpfe soll das denn vordringen?
In die Köpfe der anderen? In die Köpfe der Politiker, der Gesellschaft, aller Leute, die in ihrem Fachbereich mit sowas nichts zu tun haben?
tomS hat geschrieben:
2. Jan 2019, 17:59
Physiker - auch Biologen und Chemiker - arbeiten daran; es existieren Lehrstühle sowie ein MPI, es gab auf dem Gebiet auch schon Nobelpreise ... Ich denke, hier handelt sich um ganz normale Wissenschaft.
Ja natürlich.
tomS hat geschrieben:
2. Jan 2019, 17:59
Die Physiker stehen immer wieder vor Herausforderungen. Die letzte große war die Quantenmechanik, ggw. sind es wohl die Grenzen des experimentell zugänglichen Mikro- und Makrokosmos, die die wissenenschaftliche Methode möglicherweise ganz grundsätzlich herausfordern. Komplexitätstheorie ist es m.E. nicht.
Bist du sicher? Warum nicht? Ich mein, im alten Paradigma, so lange du noch an eine kausal geschlossene Welt glaubst, hast du kein Problem, da ist die Welt noch in Ordnung. Die Frage ist aber, ob das angemessen ist, ob das ausreicht.
tomS hat geschrieben:
2. Jan 2019, 17:59
ch mag es nicht, wenn man mit Begriffen um sich wirft wie „Instabilität in ... Wissenschaft“ und „nachmodernen Physik“, insbs. wenn der Begriff der - anti-rationalen - „Postmoderne“ sozusagen um die Ecke lugt.
Ach so. Ok, ich habe das halt nicht in diesen Hals bekommen, da hab ich gar nicht daran gedacht. "Antirationale Postmoderne", nö, das liegt mir fern, da bin ich auch nicht dabei.
tomS hat geschrieben:
2. Jan 2019, 17:59
Was ist eine ontologisch vollständig durchdeterminierten Welt?
Eine tatsächlich kausal geschlossene Welt. Die Abweichungen unserer Beschreibungen davon werden als Wissenslücke erklärt.
Aber das ist die interessante Frage, die hier zu stellen ist: Ist es tatsächlich nur eine Wissenlücke oder ist es mehr, ist dies wesentlich, intrinsisch für die Natur?
Ist die Welt kausal geschlossen oder nicht?
tomS hat geschrieben:
2. Jan 2019, 17:59
Schau dir doch mal an, wie unabhängig physikalische, chemische und biologische Strukturen auf unterschiedlichen Ebenen existieren. Gerade die Entkopplung dieser Skalen erlaubt es dem Biologen, die Morphogenese von Embryonen zu studieren, ohne die Gleichungen der QED und QCD lösen zu müssen.
Das ist ja gerade das Interessante: Skaleninvarianz!
Und es geht noch darüber hinaus: Gleiche Phänomene bei völlig unterschiedlichen Systemen: Universalität!
tomS hat geschrieben:
2. Jan 2019, 17:59
Demzufolge sind bestimmte makroskopische Muster natürlich nicht automatisch und vollständig durch den Mikrokosmos determiniert, aber sie sind auch nicht völlig unabhängig vom Mikrokosmos.
Ja. Sie sind ganz sicher nicht völlig unabhängig vom Mikrokosmos, ganz und gar nicht. Eine Akausalität steht nicht zur Debatte. Wohl aber eine schwache Kausalität.
Hinweis: Wenn du hier eine nicht-vollständige Determinierung vom Mikrokosmos her vermutest, dann erwägst du schon die Existenz der schwachen Kausalität und zweifelst an der starken Kausalität. Das schon ist ein Paradigmensprung.
tomS hat geschrieben:
2. Jan 2019, 17:59
seeker hat geschrieben:Um die Frage besser zu verstehen folgende Frage:
Nehmen wir an, unser Urknall würde sich "irgendwo im Anderswo" völlig exakt wiederholen.
Würde sich dann aus diesem Universum exakt wieder unsere Welt herausbilden, mit 13,8 Mrd Jahre später genau uns darin? Glaubst du/ihr das?
Nach dem heutigen Verständnis der Everettschen Quantenmechanik würde sich aus identischen Anfangsbedingungen ein identische quantenmechanische Struktur bilden, die auch alle einzelnen „Blätter“ im Sinne der Everettschen Quantenmechanik enthält.
Und jetzt doch wieder starke Kausalität? Glaubst du das? Ich glaube es nicht mehr. Warum sollten wir? Warum sollten wir trotz allem was wir in Komplexitätsforschung und Chaostheorie gelernt haben heute noch davon ausgehen, dass das gegeben sei? (Wissen tun wir es ja eh nicht.)
Weil wir die Annahme der starken Kausalität in der Physik brauchen? Nein, wir brauchen sie nicht! Die schwache reicht aus, eine hinreichend starke Kausalität reicht aus, alles andere ist unnötige Idealisierung.

Passend dazu:
https://www.youtube.com/watch?v=aDls12DdKpg,
Ich empfehle im Video die Minute 9-11 anzuschauen, insbesondere die Folien ab 10min24s und 10min34s: "Gibt man aber die starke Kausalität auf..." (dann muss ich diese Folien für hier nicht abschreiben :) )
Grüße
seeker


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Re: Instabilität

Beitrag von Job » 3. Jan 2019, 09:41

seeker hat geschrieben:
2. Jan 2019, 17:23

*: Um die Frage besser zu verstehen folgende Frage:
Nehmen wir an, unser Urknall würde sich "irgendwo im Anderswo" völlig exakt wiederholen.
Würde sich dann aus diesem Universum exakt wieder unsere Welt herausbilden, mit 13,8 Mrd Jahre später genau uns darin? Glaubst du/ihr das?
Nein, das glaube ich nicht.
Unser Universum ist m.E. kein abgeschlossenes System. Daher kann es zum einen keine exakte Wiederholung der Entstehung des Universums geben, als auch keine exakte Wiederholung der Ausbildung unserer Welt. Das "All" (hier speziell unser Universum) m.E. ist kausal organisiert, aber nicht (vorwärts) deterministisch (Zufall) und schon gar nicht zeitumkehrbar.

Man muss hier aber auch sehr stark differenzieren. Das Endresultat unseres Universums (m.E. ein Schwarzes Loch mit einer vorgegebenen Masse) ist bis zu einem gewissen Grade deterministisch vorhersagbar. Die unendlich vielen möglichen Wege dahin sind es aber nicht, und damit auch nicht eine exakte Wiederholung unserer Welt.
Alles ist einfacher, als man denken kann, zugleich verschränkter, als zu begreifen ist.
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Re: Instabilität

Beitrag von tomS » 3. Jan 2019, 23:02

Job hat geschrieben:
3. Jan 2019, 09:41
Unser Universum ist m.E. kein abgeschlossenes System.
Dann wäre es aber nicht das Universum. Das Universum ist per definitionem geschlossen.

Mit was sollte es denn irgendetwas austauschen?
Job hat geschrieben:
3. Jan 2019, 09:41
Das Endresultat unseres Universums (m.E. ein Schwarzes Loch mit einer vorgegebenen Masse) ...
Das widerspricht so ziemlich allem, was wir von der Geometrie unseres Universums wissen.

Welche Lösung der ART sollte das denn sein?
Job hat geschrieben:
3. Jan 2019, 09:41
... ist bis zu einem gewissen Grade deterministisch vorhersagbar. Die unendlich vielen möglichen Wege dahin sind es aber nicht, und damit auch nicht eine exakte Wiederholung unserer Welt.
Gemäß der ART ist das alles vorhersagbar.

Gemäß welcher Theorie wäre es das nicht?
Gruß
Tom

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Re: Instabilität

Beitrag von tomS » 3. Jan 2019, 23:03

ATGC hat geschrieben:
3. Jan 2019, 15:18
... der Ablauf der biologischen Evolution ist nicht durchweg determiniert.
Gemäß welcher Theorie ist die biologischen Evolution nicht determiniert?
Gruß
Tom

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Re: Instabilität

Beitrag von tomS » 3. Jan 2019, 23:24

seeker hat geschrieben:
2. Jan 2019, 19:34
tomS hat geschrieben:
2. Jan 2019, 17:59
Die Physiker stehen immer wieder vor Herausforderungen. Die letzte große war die Quantenmechanik, ggw. sind es wohl die Grenzen des experimentell zugänglichen Mikro- und Makrokosmos, die die wissenenschaftliche Methode möglicherweise ganz grundsätzlich herausfordern. Komplexitätstheorie ist es m.E. nicht.
Bist du sicher? Warum nicht? Ich mein, im alten Paradigma, so lange du noch an eine kausal geschlossene Welt glaubst, hast du kein Problem, da ist die Welt noch in Ordnung. Die Frage ist aber, ob das angemessen ist, ob das ausreicht.
An welcher Stelle und gemäß welcher Theorie oder aufgrund welcher experimentellen Erkenntnisse sollte denn die Welt nicht kausal geschlossen sein?
seeker hat geschrieben:
2. Jan 2019, 19:34
"Antirationale Postmoderne", nö, das liegt mir fern, da bin ich auch nicht dabei.
Gut
seeker hat geschrieben:
2. Jan 2019, 19:34
Ist die Welt kausal geschlossen oder nicht?
s.o. - ich sehe bisher keinen Grund, warum das nicht der Fall sein sollte.
seeker hat geschrieben:
2. Jan 2019, 19:34
tomS hat geschrieben:
2. Jan 2019, 17:59
Schau dir doch mal an, wie unabhängig physikalische, chemische und biologische Strukturen auf unterschiedlichen Ebenen existieren. Gerade die Entkopplung dieser Skalen erlaubt es dem Biologen, die Morphogenese von Embryonen zu studieren, ohne die Gleichungen der QED und QCD lösen zu müssen.
Das ist ja gerade das Interessante: Skaleninvarianz!
Nein, die Natur ist gerade nicht skaleninvariant.

Nukleonen, Atomkerne und Atome haben z.B. eine bestimmte Größe. Im Falle von Skaleninvarianz müssten identische Strukturen auf jeder Skala auftreten.
seeker hat geschrieben:
2. Jan 2019, 19:34
tomS hat geschrieben:
2. Jan 2019, 17:59
Nach dem heutigen Verständnis der Everettschen Quantenmechanik würde sich aus identischen Anfangsbedingungen ein identische quantenmechanische Struktur bilden, die auch alle einzelnen „Blätter“ im Sinne der Everettschen Quantenmechanik enthält.
Ich glaube es nicht mehr. Warum sollten wir? Warum sollten wir trotz allem was wir in Komplexitätsforschung und Chaostheorie gelernt haben heute noch davon ausgehen, dass das gegeben sei?
Die Chaostheorie widerspricht an keiner Stelle einer universell deterministischen (Everettschen) Quantenmechanik.
seeker hat geschrieben:
2. Jan 2019, 19:34
Weil wir die Annahme der starken Kausalität in der Physik brauchen? Nein, wir brauchen sie nicht! Die schwache reicht aus, eine hinreichend starke Kausalität reicht aus, alles andere ist unnötige Idealisierung.
Was heißt Idealisierung?

Es handelt sich um etablierte Physik ohne Gegenbeispiel oder Widerlegung.
Gruß
Tom

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Re: Instabilität

Beitrag von seeker » 4. Jan 2019, 00:32

tomS hat geschrieben:
3. Jan 2019, 23:24
An welcher Stelle und gemäß welcher Theorie oder aufgrund welcher experimentellen Erkenntnisse sollte denn die Welt nicht kausal geschlossen sein?
An keiner, zumindest an keiner, wo man das heute eindeutig genug feststellen könnte.
Aber Gegenfrage: An welcher Stelle und aufgrund welcher experimentellen Erkenntnisse sollte denn die Welt kausal geschlossen sein?
Verstehst du nicht? Die perfekte kausale Geschlossenheit ist eine reine Annahme, die mit nichts empirisch belegt ist, deshalb ist das diskutabel, ob man das überhaupt annehmen sollte bzw. muss. Ich verstehe aber natürlich dein Unbehagen dabei sehr gut. Natürlich! Verstehe mich hier also bitte nicht falsch.
Meine Frage lautet, ob wir diese Annahme brauchen? Wozu? Warum sollten wir daran nicht zweifeln?
Außerdem sollte geklärt werden, ob Ockham an der Stelle evtl. zur Anwendung kommen könnte.
Ich lasse mich gerne davon überzeugen, dass wir sie unbedingt brauchen, aber dazu müsste mehr auf den Tisch gelegt werden als "es ist nicht widerlegt".
tomS hat geschrieben:
3. Jan 2019, 23:24
Nein, die Natur ist gerade nicht skaleninvariant.

Nukleonen, Atomkerne und Atome haben z.B. eine bestimmte Größe. Im Falle von Skaleninvarianz müssten identische Strukturen auf jeder Skala auftreten.
Klar, die Natur ist in vielen Bereichen nicht skaleninvariant, aber in den Bereichen, in denen sie komplex ist, ist sie das häufig. Und die Natur ist in weiten Bereichen komplex, eigentlich ist sie praktisch überall komplex, einfache Systeme sind selten und wir schaffen sie meist in isolierten Systemen im Labor, weil das für den reduktionistischen Zugang notwendig ist und der sehr erfolgreich war und ist.
Ob wir in der Welt das Eine oder das Andere zumeist sehen hängt von unserem Blickwinkel auf die Natur ab, mit welchen Augen wir sie sehen.
Nochmal: Skaleninvarianz und Universalität sind typische Eigenschaften komplexer Systeme. D.h., die Strukturen der Natur, die darin zu finden sind, können als fundamental für die Natur angesehen werden, obwohl das wenig mit "groß-klein" zu tun hat. Das sind völlig andersartige Strukturen, darin liegt m.E. gerade das Dramatische und Herausfordernde, gerade für unser Denken und unser Weltbild.
tomS hat geschrieben:
3. Jan 2019, 23:24
Die Chaostheorie widerspricht an keiner Stelle einer universell deterministischen (Everettschen) Quantenmechanik.
Sie ist damit verträglich bzw. kann man sie damit verträglich halten. D.h. du kannst eine deterministische Quantenmechanik deshalb natürlich auch an dieser Stelle retten (zusätzlich zu den uns erscheinenden Zufällen in der QM-Welt, gerade um das zu bereinigen, nimmst du hier ja Everett).
Das ist aber nicht meine Frage.
Meine Frage lautet: Warum solltest du das wollen? Was ist so wichtig an der vollständigen kausalen Geschlossenheit der Welt, dass man es verteidigen muss?
Verstehst du? Es geht hier um den Kern, um die Grundlagen unseres Vorgehens und Denkens.

Praktisch gesehen ist die Sache nämlich eh klar: Es geht nicht! Die Welt ist nicht exakt berechenbar, am deutlichsten kommt das in komplexen Systemem zutage: Weder sind die Anfangs- und Randbedingungen exakt messbar, noch exakt in Zahlen ausdrückbar (weil reelle Zahlen unendlich viele nichtperiodische Nachkommastellen haben), noch exakt für die Zukunft vorausberechenbar.
Warum sollten wir nicht darüber nachdenken, ob das nicht mehr als ein praktisches Problem sein könnte?
Was bedeutet es, wenn man annimmt, dass eine reale Anfangsbedingung als Zahl ausgedrückt eine irrationale Zahl ist?
Ist das überhaupt plausibel zu glauben, die Natur sei unendlich genau festgelegt? Welchen Grund haben wir für so eine extreme und unbeweisbare Annahme? Gibt es empirisch irgendeinen Hinweis darauf? Ist tatsächlich nicht der einzige Grund dafür unser Denken, also ein Paradigma?
tomS hat geschrieben:
3. Jan 2019, 23:24
Was heißt Idealisierung?
Idealisierung bedeutet hier, dass man, obwohl wir das selbst nachweislich weder praktisch-mathematisch noch empirisch tun können, von der Natur annimmt, sie könnte es aber, sie könnte sozusagen "unendlich genau rechnen" und unendlich genau festgelegt sein.
Job hat geschrieben:
3. Jan 2019, 09:41
Nein, das glaube ich nicht.
Unser Universum ist m.E. kein abgeschlossenes System. Daher kann es zum einen keine exakte Wiederholung der Entstehung des Universums geben, als auch keine exakte Wiederholung der Ausbildung unserer Welt. Das "All" (hier speziell unser Universum) m.E. ist kausal organisiert, aber nicht (vorwärts) deterministisch (Zufall) und schon gar nicht zeitumkehrbar.
ATGC hat geschrieben:
3. Jan 2019, 15:18
Nein, das halte ich für ausgeschlossen, denn der Ablauf der biologischen Evolution ist nicht durchweg determiniert.
Danke! Aber es ist eine sehr schwierige Frage, macht es euch etwas schwerer mit der Entscheidung... :)
Das, was wir umgangssprachlich "Zufall" nennen, ist meist kein wirklicher Zufall, sondern einfach Unwissen unsererseits. Ontologisch ist Zufälligkeit erst dann mit im Spiel, wenn tatsächlich nicht gilt: exakte Ursache -> exakte Wirkung.
Tom sieht das sehr aus der physikalisch-theoretischen Perspektive und hat völlig recht, wenn er sagt, dass laut Everett sich das Universum bei zwei identischen "Urknällen" völlig identisch entwickeln müsste. Voraussetzung dafür ist aber auch ein unendlich exakter Quantenzustand als Anfangsbedingung (also auch, dass es zwei identische Urknälle überhaupt geben kann) und unendlich exakte nachherige Entwicklung. Und das sind daher die eigentlichen Kernpunkte, die m.E. an der Stelle auf den Prüfstand müssen.
Grüße
seeker


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Re: Instabilität

Beitrag von tomS » 4. Jan 2019, 09:10

seeker hat geschrieben:
4. Jan 2019, 00:32
Die perfekte kausale Geschlossenheit ist eine reine Annahme, die mit nichts empirisch belegt ist, deshalb ist das diskutabel, ob man das überhaupt annehmen sollte bzw. muss.

...

Meine Frage lautet: Warum solltest du das wollen?
Weil wir Physik betreiben wollen.

Physik befasst sich im wesentlichen mit 1) mathematischen Methoden zur Formulierung von Gesetzmäßigkeiten und Vorhersagen sowie - im Wechselspiel mit (1) - mit 2) experimentellen Methoden zur Überprüfung von (1) sowie zur Erweiterung und Erforschung jenseits des mittels (1) etablierten Bereiches.

Die kausale Geschlossenheit ist im Rahmen der Physik nicht diskutabel, solange man keine Alternative präsentieren kann, die es weiterhin erlaubt, im Sinne von (1) und (2) Physik zu betreiben.

Wie sollen denn akausale jedoch zugleich physikalische = nicht-mystische Naturgesetze beschaffen sein? Warum sollten wir so etwas benötigen? Was wären denn experimentelle Hinweise im Sinne von (2), die (1) falsifizieren?
Gruß
Tom

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Re: Instabilität

Beitrag von Job » 4. Jan 2019, 17:37

tomS hat geschrieben:
3. Jan 2019, 23:02
Job hat geschrieben:
3. Jan 2019, 09:41
Unser Universum ist m.E. kein abgeschlossenes System.
Dann wäre es aber nicht das Universum. Das Universum ist per definitionem geschlossen.
Wenn man davon ausgeht, dass das, was wir heute als unser Universum bezeichnen alles ist, was es überhaupt gibt, ja. Aber das ist eine reine Behauptung und keineswegs bewiesen.
tomS hat geschrieben:
3. Jan 2019, 23:02
Job hat geschrieben:
3. Jan 2019, 09:41
Das Endresultat unseres Universums (m.E. ein Schwarzes Loch mit einer vorgegebenen Masse) ...
Das widerspricht so ziemlich allem, was wir von der Geometrie unseres Universums wissen..
Wenn Du schreiben würdest: Das widerspricht so ziemlich allem, was wir von der Geometrie unseres Universums zu wissen glauben.., stimme ich zu.
tomS hat geschrieben:
3. Jan 2019, 23:02
Job hat geschrieben:
3. Jan 2019, 09:41
... ist bis zu einem gewissen Grade deterministisch vorhersagbar. Die unendlich vielen möglichen Wege dahin sind es aber nicht, und damit auch nicht eine exakte Wiederholung unserer Welt.
Gemäß der ART ist das alles vorhersagbar.
Du kannst also tatsächlich aus der ART aus bestimmten Anfangsbedingungen (die Du im Übrigen nicht kennst) vorhersagen, dass es unsere Erde mit allem Drum und Dran geben muss, die um eine Sonne kreist, die wiederum Teil der Milchstrasse ist, etc.

Kannst Du mir diese Gleichung zeigen? Die Art ist in der Lage (auch bei meinem Ansatz), die globale (emergente oder makroskopische) Entwicklung des Universums unter einigen vereinfachenden Annahmen mit einer zufriedenstellenden mathematischen Gleichung abzubilden. Über den konkreten Weg im Inneren des Universums, also zum Beispiel die konkrete zeitliche Entwicklung unserer Erde, sagt sie gar nichts aus.
Es gibt keine einzige physikalische Theorie, die heute dazu in der Lage ist. Und eine Aussage von Lesch (und der stimme ich zu) ist u.a., dass es so eine Theorie evtl. auch gar nicht geben kann.

Ich befürchte, dass die aus meiner Sicht sehr interessante Fragestellung dieses Threads wie so oft durch unterschiedliches Verständnis von bestimmenden Worten wie Universum, Kausalität, geschlossen kausal, etc. ohne Ergebnis "ausbluten" wird. Seeker, könntest Du nicht ein ganz konkretes Beispiel bringen, an dem ganz klar ersichtlich ist, worum es in dem konkreten Fall geht (auch wenn es nur ein Teilsapekt wäre) und wo wir evtl. Missverständnisse zeitnah klären können.

Viele Grüße
Job
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Re: Instabilität

Beitrag von seeker » 4. Jan 2019, 18:09

tomS hat geschrieben:
4. Jan 2019, 09:10
Weil wir Physik betreiben wollen.
Zuallererst wollen wir die Natur rational verstehen, egal wie wir unsere Wissenschaft nun nennen oder wie sie konstituiert ist.
Physik ist kein Selbstzweck und der Bock darf nicht zum Gärtner werden a la: "Weil wir das in der Physik so wünschen und wenn wir das so als Ansatz wählen und modellieren, dann hat auch die Natur so zu sein."
Das funktioniert nicht, die Natur ist wie sie ist, wir müssen offen für alles sein.
tomS hat geschrieben:
4. Jan 2019, 09:10
Physik befasst sich im wesentlichen mit 1) mathematischen Methoden zur Formulierung von Gesetzmäßigkeiten und Vorhersagen sowie - im Wechselspiel mit (1) - mit 2) experimentellen Methoden zur Überprüfung von (1) sowie zur Erweiterung und Erforschung jenseits des mittels (1) etablierten Bereiches.
Dafür ist eine ontologisch verstandene Grundannahme "perfekte kausale Geschlossenheit" aber gar nicht notwendig, insbesondere keine, die ausschließlich "von-unten-nach- oben-Erklärungen" in Form Mikrokosmos -> Makrokosmos zulässt. Wir müssen dem Rechnung tragen, dass diese Methode bei komplexen Systemen mindestens teilweise versagt, oft sogar praktisch vollständig, dass dort eben Vorhersagen und Strukturaufklärungen nicht SO möglich sind wie gewohnt. Und es ist ja auch nicht so, dass das in der Physik nicht geschen würde, es scheint nur so zu sein, dass dennoch in vielen Köpfen die "ausschließlich von unten nach oben perfekte kausale Geschlossenheit" vorherrscht. Als Arbeitshypothese, als erster Versuch eines Grundansatzes bei der Untersuchung von System x ist das für mich OK, aber nicht als fixes ontologisch verstandenes Weltbild. Ich bin dazu nur insoweit bereit, insoweit es beim konkreten System x empirisch abgesichert ist, bis zur Nachkommastelle n in der Zeitspanne t - und nicht weiter. Mehr ist unnötig, ich muss an dem Punkt genauso auf Falsifizierung bestehen, so lange die nicht beigebracht ist, muss ich darauf hinweisen, dass es sich um eine Idealisierung handelt und dass man das im Kopf behalten sollte, bevor man wieder dem Laplaceschen Dämon zu sehr anhängt. Das wäre nämlich nicht vorurteilsfrei.
tomS hat geschrieben:
4. Jan 2019, 09:10
Die kausale Geschlossenheit ist im Rahmen der Physik nicht diskutabel, solange man keine Alternative präsentieren kann, die es weiterhin erlaubt, im Sinne von (1) und (2) Physik zu betreiben.

Wie sollen denn akausale jedoch zugleich physikalische = nicht-mystische Naturgesetze beschaffen sein? Warum sollten wir so etwas benötigen? Was wären denn experimentelle Hinweise im Sinne von (2), die (1) falsifizieren?
Eine Möglichkeit ist die Definition, Modellierung und Untersuchung von "Agenten" in komplexen Systemen. Das ist ein von oben-nach-unten-Kausalansatz. Agenten sind Entitäten, die kausale Wirkkraft haben, auch nach weiter unten liegenden Ebenen hin, die aber erst auf den oberen Systemebenen auftauchen, ohne von den unteren vollständig abgeleitet werden zu können, also emergieren.
Unser eigener Wille ist z.B. ein solcher "Agent".
Das sind Konzepte aus Biologie, Soziologie, Wirschaftswissenschaft, Psychologie, usw.
Und sie sind in ihren Bereichen viel effizienter und erklären viel mehr als die klassischen, rein reduktiven Ansätze.

Auch deshalb könnte es nützlich sein, wenn die verschiedenen Fachbereiche noch mehr miteinander reden würden.
Job hat geschrieben:Seeker, könntest Du nicht ein ganz konkretes Beispiel bringen, an dem ganz klar ersichtlich ist, worum es in dem konkreten Fall geht (auch wenn es nur ein Teilsapekt wäre) und wo wir evtl. Missverständnisse zeitnah klären können.
Wenn mir eines einfällt mache ich das noch. Es fällt mir im Moment nur grad keines ein, sorry...
Es scheint mir im Moment eh noch um viele Aspekte zu gehen, die alle interessant sind. Lass mal laufen, wir werden sehen, wohin das führt.
Begrifflichkeiten können wir in jedem Einzelfall ohne Aufregung in Ruhe klären, wenn wir uns etwas Mühe geben. Lasst uns nur versuchen den erörternden Stil hier beizubehalten.
Grüße
seeker


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Re: Instabilität

Beitrag von tomS » 4. Jan 2019, 22:43

seeker hat geschrieben:
4. Jan 2019, 18:09
tomS hat geschrieben:
4. Jan 2019, 09:10
Weil wir Physik betreiben wollen.
"Weil wir das in der Physik so wünschen und wenn wir das so als Ansatz wählen und modellieren, dann hat auch die Natur so zu sein."
Das funktioniert nicht, die Natur ist wie sie ist, wir müssen offen für alles sein.
Das sind wir. Wir wählen einen Ansatz, verfolgen ihn solange er funktioniert, und verwerfen ihn sobald er nicht mehr funktioniert.

Du kannst einen anderen Ansatz wählen und ebenso vorgehen. Es ist jedoch zu hinterfragen, ob und wie dieser Ansatz wissenschaftlich sein kann, und ob wir ihn „physikalisch“ nennen sollen. Jedenfalls sollten wir ihn präzise definieren und von Pseudowissenschaft klar abgrenzen.
seeker hat geschrieben:
4. Jan 2019, 18:09
Wir müssen dem Rechnung tragen, dass diese Methode bei komplexen Systemen mindestens teilweise versagt, oft sogar praktisch vollständig, dass dort eben Vorhersagen und Strukturaufklärungen nicht SO möglich sind wie gewohnt.
Wo versagt diese Methode?

Nur weil wir (noch) nicht in der Lage sind, die Gleichungen zu formulieren oder zu lösen, bedeutet das nicht, dass die Methode prinzipiell versagt.

Ich kann zwar nicht die Lottozahlen vorhersagen, sehe deswegen jedoch keine Notwendigkeit, prinzipiell an der Newtonschen Mechanik zu zweifeln.
seeker hat geschrieben:
4. Jan 2019, 18:09
Und es ist ja auch nicht so, dass das in der Physik nicht geschen würde, es scheint nur so zu sein, dass dennoch in vielen Köpfen die "ausschließlich von unten nach oben perfekte kausale Geschlossenheit" vorherrscht. Als Arbeitshypothese, als erster Versuch eines Grundansatzes bei der Untersuchung von System x ist das für mich OK, aber nicht als fixes ontologisch verstandenes Weltbild.
Die Arbeitshypothese ist aber nicht widerlegt.
seeker hat geschrieben:
4. Jan 2019, 18:09
Ich bin dazu nur insoweit bereit, insoweit es beim konkreten System x empirisch abgesichert ist, bis zur Nachkommastelle n in der Zeitspanne t - und nicht weiter. Mehr ist unnötig, ich muss an dem Punkt genauso auf Falsifizierung bestehen, so lange die nicht beigebracht ist, muss ich darauf hinweisen, dass es sich um eine Idealisierung handelt und dass man das im Kopf behalten sollte, bevor man wieder dem Laplaceschen Dämon zu sehr anhängt. Das wäre nämlich nicht vorurteilsfrei.
Wenn du die Arbeitshypothese anzweifelst, solltest du eine Falsifizierung anführen.
seeker hat geschrieben:
4. Jan 2019, 18:09
tomS hat geschrieben:
4. Jan 2019, 09:10
Die kausale Geschlossenheit ist im Rahmen der Physik nicht diskutabel, solange man keine Alternative präsentieren kann, die es weiterhin erlaubt, im Sinne von (1) und (2) Physik zu betreiben.

Wie sollen denn akausale jedoch zugleich physikalische = nicht-mystische Naturgesetze beschaffen sein? Warum sollten wir so etwas benötigen? Was wären denn experimentelle Hinweise im Sinne von (2), die (1) falsifizieren?
Eine Möglichkeit ist die Definition, Modellierung und Untersuchung von "Agenten" in komplexen Systemen. Das ist ein von oben-nach-unten-Kausalansatz. Agenten sind Entitäten, die kausale Wirkkraft haben, auch nach weiter unten liegenden Ebenen hin, die aber erst auf den oberen Systemebenen auftauchen, ohne von den unteren vollständig abgeleitet werden zu können, also emergieren.
Unser eigener Wille ist z.B. ein solcher "Agent".
Siehe dazu mein voriger Beitrag: in einem rein materialistischen Weltbild handelt es sich dabei ausschließlich um ein rein physikalisches Phänomen, ein Klasse von elektrochemischen, neuronalen Mustern. Der Wille existiert, er ist nicht wegzudiskutieren, er verursacht Aktionen usw. deswegen muss man ihn nicht von seinem physikalischen Substrat ablösen.

Andere Beispiele sind Temperatur, Wetter, Klima, Wellen, ... Wald, ...

Was wäre denn der Wille deiner Meinung nach, wenn nicht dieses?
seeker hat geschrieben:
4. Jan 2019, 18:09
Das sind Konzepte aus Biologie, Soziologie, Wirschaftswissenschaft, Psychologie, usw.
Und sie sind in ihren Bereichen viel effizienter und erklären viel mehr als die klassischen, rein reduktiven Ansätze.
Das bestreite ich auch nicht.

Ein Klimamodell ist auch einfacher und effizienter als das Standardmodell der Elementarteilchenphysik, jedoch deswegen noch lange nicht autonom oder im Widerspruch zur Elementarteilchenphysik.
seeker hat geschrieben:
4. Jan 2019, 18:09
Auch deshalb könnte es nützlich sein, wenn die verschiedenen Fachbereiche noch mehr miteinander reden würden.
Auch das bestreite ich nicht.

Ganz grundsätzlich: du kritisierst eine zu enge Sichtweise eines physikalischen Weltbildes - zumindest verstehe ich dich so. Ich habe damit - als Physiker, nicht als Mensch im Allgemeinen - einige Probleme: warum genau kritisierst du dieses Weltbild? wo genau wird es falsifiziert? was stört dich daran, an dieser Sichtweise bis zur expliziten Falsifizierung festzuhalten? oder gefällt es dir nur nicht, wie es z.B. den freien Willen negiert? wie sieht dein präziser Gegenentwurf aus? wie grenzt du Alternativen von Pseudowissenschaften ab?

Ich würde dir die Lektüre von Deutsch empfehlen. Er erklärt sehr präzise, warum ein in deinem Sinne reduktionistisches Weltbild vereinbar mit emergenten Phänomen sowie kausalen Wirkungen und Erklärungen auf anderen Ebenen ist. Z.B. fußen alle Wetterphänomene ausschließlich auf bekannten, mikroskopischen Gesetzen - es gibt keinen Grund, etwas andere anzunehmen. Dennoch ist es sinnvoll, Objekte, wie Wolken, Regenfronten, Hochdruckgebiete usw. einzuführen und ihre Dynamik bzw. Wechselwirkung zu betrachten - einfach weil es praktisch ist, von diesen Strukturen zu sprechen, nicht mehr von Systemen mikroskopischer Freiheitsgrade. Eine Kausalität kann man nun auf verschiedenen Ebenen formulieren: (a) Moleküle beeinflussen sich gegenseitig durch die bekannten intermolekularen Kräfte; (b) Hochdruckgebiete und Winde beeinflussen Wolken; Hochdruckgebiete beeinflussen dabei die Wassermoleküle in den Wolken exakt im Sinne der intermolekularen Kräfte; genauso wie es unpraktisch wäre, im Wetterbericht von Wassermolekülen zu sprechen, ist es sinnlos, von Kräften zwischen Hochdruckgebieten und Wassermoleküle zu reden. Es ist dabei nicht unmöglich, ein Hochdruckgebiet oder eine Wolke mikroskopisch zu definieren; es ist mathematisch aufwändig und im Alltagsgebrauch unpraktisch, aber letztlich genau das, was Physiker (und Chemiker) immer wieder erfolgreich durchführen: Bildung höherwertiger Strukturen auf Basis fundamentaler Freiheitsgrade mathematisch zu erklären. Soweit ist das unter Physikern auch völlig unumstritten. Ich halte es jedoch für verfehlt, deswegen irgendwelche ontologischen Umbrüche zu vermuten. Der Sinn des Begriffs „Regenfront“ liegt alleine im Gedankengut des Betrachters; aber auch dieses Gedankengut kann man rein elektrochemisch auffassen - solange niemand das Gegenteil beweist. Der einzige echte ontologische Bruch zum Weltbild der Physik wäre, „Geist“, „“Bewusstsein“, „Wille“ oder Qualia wie „Schmerz“, „Freude“, ... nicht mehr ausschließlich physikalisch fundiert zu betrachten. Ich halte es jedoch für verfehlt, aus der Existenz unerklärbarer Qualia auf eine ontologisch autonome Welt der Qualia zu schließen; hier handelt es sich zunächst lediglich um eine Scheinautonomie, die im wesentlichen unsere Unfähigkeit widerspiegelt, diese Qualia und damit uns selbst zu erfassen und zu verstehen. Als Physiker und im Sinne von Ockham fällt es mir leicht, den „Geist“ als physikalisch bedingt jedoch für uns nicht vollständig erfassbar anzunehmen, als aus unserer Unfähigkeit die Notwendigkeit autonomer Entitäten zu postulieren.
Gruß
Tom

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Re: Instabilität

Beitrag von tomS » 5. Jan 2019, 10:27

seeker hat geschrieben:
31. Dez 2018, 13:26
Auch wenn die klassisch-modernen Theorien im Detail unterschiedliche Naturverständnisse nahegelegt haben, so eint sie, dass sie die Entstehung und Entwicklung von komplexen dynamischen Systemen in Natur und Technik kaum thematisieren und nicht erklären können. Selbstorganisation, Prozessualität und Zeitlichkeit bleiben thematisch randständig. Struktur- und Musterbildungen liegen nicht in ihrem Fokus. Instabilitäten werden – wenn überhaupt – zum Randbereich von Natur gezählt.
Jan Cornelius Schmidt

Das ist aus diesem Buch hier:
https://www.amazon.de/Instabilit%C3%A4t ... 3110209693
Wie gesagt, die im o.g. Zitat aufgestellte Behauptung halte ich für völlig falsch! Physiker (und Chmiker) versuchen selbstverständlich, höherwertige Strukturen auf darunterliegende Entitäten zurückzuführen und die Strukturen auf Basis dieser Entitäten zu erklären. Man kann dafür zig Beispiele anführen. Das Wesen der Zeit sowie die Entstehung des Zeitpfeils ist eine der zentralen Fragestellungen der modernen Physik und wird von sehr prominenten Wissenschaftlern diskutiert: Hawking, Penrose, Rovelli, Smolin, ...

Der Autor weiß dies doch alles - wogegen argumentiert er also?

Was mich außerdem stutzig macht ist der Preis des Buches sowie die fehlenden Rezensionen.

Ein neueres Buch ist

http://www.hirzel.de/sachbuch/titel/60176.html
Das Andere der Natur - Neue Wege zur Naturphilosophie
Schmidt, Jan Cornelius
Kurztext: Aktuelle Entwicklungen der Natur- und Technikwissenschaften werfen ein überraschend neues Licht auf klassische Brennpunkte der Naturphilosophie. Das Andere der Natur zeigt sich: Natur ist Natur, insofern sie zur Instabilität fähig ist. Instabilitäten gelten als Quelle des Werdens und Wachsens, ja als Hintergrund des Lebens. Angesichts dieser Erkenntnis öffnen sich neue Wege naturphilosophischen Denkens.
Vielfach kontrovers diskutierte Themen der Wissenschaften können zusammengeführt und verständlich gemacht werden: Selbstorganisation, Zeit, Zufall, Kausalität, Kosmos und Raum, Geist und Gehirn, Technik, Ästhetik, Ethik und Umwelt sowie Wissenschafts- und Technikfolgen.

Rezension z.B. hier:

http://www.pro-physik.de/details/rezens ... ophie.html
https://www.theologie-naturwissenschaft ... der-natur/

Zu letzterer:
... hier bezieht sich Schmidt vor allem auf die Arbeiten von Ilya Prigogine, öffnete den naturwissenschaftlich Forschenden die Augen für die weit verbreiteten instabilen Vorgänge der Natur
Tut er das das? Muss er das? Wissen die das wirklich nicht?
Zentral für das Anliegen von Schmidt sind insbesondere die Kapitel zur Zeit und zur Selbstorganisation. In beiden Themen gibt es scheinbar eine Kluft zwischen der klassischen Beschreibungsform der Naturwissenschaften und unserer lebensweltlichen Erfahrung: So erleben wir die Entstehung von qualitativ Neuem, nach klassisch-physikalischer Beschreibung aber sollte es nur die Rekombination von Bekanntem geben. Weiterhin erfahren wir die Zeit als eine irreversible Größe, nach klassisch-physikalischer Zeitauffassung aber sollten alle Prozesse reversibel sein.
Da hat er recht, aber das ist keineswegs neu.
Es geht wie bei anderen metaphysischen Thesen nicht nur darum, ob die Vermessung de facto gelingt, entscheidend ist auch die Annahme, die Welt sei im Prinzip vermessbar.
Für die überwiegende Mehrzahl der Physiker ist die metaphysische Frage irrelevant. Wenn es aber tatsächlich eine metaphysische Frage ist, dann entzieht sie sich der physikalischen Klärung. Damit ist sie im Rahmen der Physik nicht mehr entscheidbar, jeder ist frei, Position zu beziehen.
Wohl aber kann die Erkenntnis über die Instabilitäten in der Natur die Einsicht in die begrenzte menschliche Fähigkeit der Naturberechnung und -kontrolle befördern.
Richtig. Daraus folgt ontologisch - nichts.
Gruß
Tom

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Re: Instabilität

Beitrag von tomS » 5. Jan 2019, 11:09

ATGC hat geschrieben:
5. Jan 2019, 10:03
Dann so kurz wie möglich: Die Natur ist unberechenbar.
Wie definierst du berechenbar?

Gemäß dem mathematischen Begriff der Berechenbarkeit kann die Natur tatsächlich nicht-berechenbar sein, auch wenn sie prinzipiell vollständig mathematisierbar ist.

Aus prinzipiell vollständiger Mathematisierbarkeit bzw. Formalisierbarkeit folgt dabei noch keine vollständige Erkennbarkeit, Beweisbakeit oder Berechenbarkeit.
ATGC hat geschrieben:
5. Jan 2019, 10:03
Dabei ist absolut nichts zufällig, alles ist vollständig determiniert.
Wobei "determiniert" hier aber lediglich bedeutet, dass alle Prozesse innerhalb des Rahmens ablaufen, der durch die Naturgesetze aufgespannt ist, aber nicht, dass alle Prozesse durch das schlichte Vorhandensein der Naturgesetze zugleich auch ein für allemal bis in alle Zukunft in ihrem Ablauf festgelegt sind.
Doch.
ATGC hat geschrieben:
5. Jan 2019, 10:03
Das Wechselspiel von Mutation und Selektion, welches im Groben die biologische Evolution ausmacht, ist zwar ein Ablauf, der im Rahmen der Naturgesetze abläuft, aber durch dieselben nicht determiniert ist, also nicht in seinem Ablauf (und schon gar nicht in seinem konkreten Ablauf!) vorherbestimmt ist.
Doch, nach allem was wir physikalisch präzise sagen können wäre das insgesamt konkret vorherbestimmt.

Zunächst mal sind klassische Theorien allesamt vollständig deterministisch - ohne dadurch zwingend berechenbar zu sein. D.h. demzufolge ist auf Basis eines irgendwie gearteten Anfangszustandes alles exakt determiniert, ohne dass wir dies jedoch selbst praktisch berechnen können.

Zufälligkeiten kommen im Rahmen der Quantenmechanik im Kontext einer Messung ins Spiel. Der Begriff der Messung und die Umstände des Vorliegens einer Messung sind dabei zumeist nicht vernünftig definiert D.h. wenn man am undefinierten Begriff der Messung festhält, hat man es mit einer unvollständigen Theorie zu tun, aus der derartige Fragestellungen weder positiv noch negativ beantwortet werden können. Wenn man den Begriff der Messung dagegen im Everettschen Sinne auf eine quantenmechanische Wechselwirkung zurückführt, dann eliminiert man den bekannten Zufall und erhält eine global und objektiv vollständig deterministische Theorie, die jedoch weiterhin subjektive Zufälligkeiten zulässt.
ATGC hat geschrieben:
5. Jan 2019, 10:03
Und den Ultradeterminismus, den Du hier vertrittst, sehe ich nicht als plausibel begründet an, sondern - im Gegenteil - als höchst konstruiert und bemüht.
Er folgt aus drei simplen quantenmechanischen Axiomen und steht im Einklang mit allen bekannten experimentellen Erkenntnissen. Damit handelt es sich auch nicht um eine Weltanschauung sondern um eine präzise definierte und experimentell überprüfbare Theorie. Die Ablehung dieser Theorie ohne das Vorliegen einer Falsifizierung wäre eher eine Weltanschauung.

Die zugrundeliegende Weltanschauung wäre in Kürze: die Natur ist vollständig formalisierbar; die Antithese wäre dann: die Natur ist nicht vollständig formalisierbar. Ich sehe nicht, wieso das eine oder das andere mehr oder weniger plausibel, konstruiert oder bemüht sein sollte.
Gruß
Tom

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Re: Instabilität

Beitrag von seeker » 5. Jan 2019, 13:57

Wir haben hier verschiedene Aspekte vorliegen:

1. Die ontologische Frage, die Frage nach unserem Weltbild, von dem was tatsächlich der Fall ist:
Ist die Natur in einem starken Sinne vollständig von unten nach oben kausal durchdeterminiert (atomistische Positionen)?

2. Die erkenntnistheoretisch-beschreibende Frage:
Ist die Natur von uns wenigstens prinzipiell vollständig richtig formal beschreibbar?
Und damit -wenigstens im Prinzip- auch vollständig berechenbar und prognostizierbar?

3. Die gesellschaftliche Frage:
Welche Auswirkungen haben die gewählten Positionen in 1. und 2. auf unsere Gesellschaft, unser Handeln und unsere Zukunft?

Auch wenn die klassisch-modernen Theorien im Detail unterschiedliche Naturverständnisse nahegelegt haben, so eint sie, dass sie die Entstehung und Entwicklung von komplexen dynamischen Systemen in Natur und Technik kaum thematisieren und nicht erklären können. Selbstorganisation, Prozessualität und Zeitlichkeit bleiben thematisch randständig. Struktur- und Musterbildungen liegen nicht in ihrem Fokus. Instabilitäten werden – wenn überhaupt – zum Randbereich von Natur gezählt.
Jan Cornelius Schmidt
tomS hat geschrieben:
5. Jan 2019, 10:27
Wie gesagt, die im o.g. Zitat aufgestellte Behauptung halte ich für völlig falsch! Physiker (und Chmiker) versuchen selbstverständlich, höherwertige Strukturen auf darunterliegende Entitäten zurückzuführen und die Strukturen auf Basis dieser Entitäten zu erklären. Man kann dafür zig Beispiele anführen. Das Wesen der Zeit sowie die Entstehung des Zeitpfeils ist eine der zentralen Fragestellungen der modernen Physik und wird von sehr prominenten Wissenschaftlern diskutiert: Hawking, Penrose, Rovelli, Smolin, ...
Wenn ich dich so höre, hat er in meiner Lesart aber völlig Recht, wenn er von Randständigkeit spricht. Deshalb, weil du alle Strukturen, die in komplexen Systemen auftreten als nicht-fundamental begreifst, als Randerscheinungen, die allein auf den allein fundamentalen Teilchen aufbauen, aus denen sie bestehen.
Wie sagte Lesch in seinem Vortrag? "Aber erzähl das mal einem Physiker, der sich mit Teilchenphysik beschäftigt. Da wirst du was zu hören bekommen!" Genau das passiert gerade... wir bekommen was zu hören... :)
tomS hat geschrieben:
5. Jan 2019, 10:27
Was mich außerdem stutzig macht ist der Preis des Buches sowie die fehlenden Rezensionen.
Zu den Rezensionen kann ich nichts sagen, aber der Preis? Bitte! Das ist ein wiss. Fachbuch von einem Professor, du weißt genau, was die z.T. kosten, das ist ganz normal. Sowas leiht man sich deshalb auch aus, wenn man es lesen will und kauft es nicht... :)
Und ad hominem Argumente bringen uns eh nicht weiter.
Und ob das jetzt neu oder ein alter Hut ist, spielt auch keine wirkliche Rolle. Lass uns lieber zum Kern kommen.


1. Die ontologische Frage, die Frage nach unserem Weltbild, von dem was tatsächlich der Fall ist:
Ist die Natur in einem starken Sinne vollständig von unten nach oben kausal durchdeterminiert (atomistische Positionen)?
tomS hat geschrieben:
4. Jan 2019, 22:43
Die Arbeitshypothese ist aber nicht widerlegt.
tomS hat geschrieben:
4. Jan 2019, 22:43
Wenn du die Arbeitshypothese anzweifelst, solltest du eine Falsifizierung anführen.
Ich habe das noch einmal durchdacht...
Diese Forderung ist bezüglich 1. Unsinn! Deshalb, weil deine Position überhaupt nicht falsifizierbar ist: Es kann aus prinzipiellen Gründen empirisch überhaupt kein Befund beigebracht werden, gegen den du dich nicht leicht immunisieren kannst. Für Gegenpositionen gilt genau dasselbe.
Es handelt sich hier also bezüglich 1. nicht um eine naturwissenschaftliche Frage, sondern um eine philosophisch-weltanschauliche Frage.
An dem Punkt darf dann selbstverständlich jeder seine eigene Position haben, die ihm niemand nehmen kann und darf. Dennoch kann man auch hier das Für und Wieder ertragreich untersuchen, erörtern. Das wollen wir hier tun.

Hier sollten hauptsächlich zwei konträre Grundpositionen genannt werden:

a) Atomismus (https://de.wikipedia.org/wiki/Atomismus): Alle Dinge bestehen aus ihren Teilen
b) Holismus (https://de.wikipedia.org/wiki/Holismus): Alle Dinge bestehen aus ihren Strukturbeziehungen
tomS hat geschrieben:
4. Jan 2019, 22:43
Es ist jedoch zu hinterfragen, ob und wie dieser Ansatz wissenschaftlich sein kann, und ob wir ihn „physikalisch“ nennen sollen. Jedenfalls sollten wir ihn präzise definieren und von Pseudowissenschaft klar abgrenzen.
Richtig. Und an der Stelle zu fragen, ob holistische Ansätze wissenschaftlich sein können ist auch legitim, aber der Antwort darauf trete ich dann doch sehr zuversichtlich entgegen. Wir sollten hier auch akzeptieren, dass zwar keine Notwendigkeit besteht deine Position abzulehnen, aber umgekehrt auch keine Notwendigkeit besteht konträre Positionen abzulehnen. Und dass das die reale wissenschaftliche und physikalische Arbeit auch überhaupt nicht tangiert: Ich kann ganz unabhängig von meiner konkreten Position 1. vernünftig Physik betreiben.

Daher...
tomS hat geschrieben:
4. Jan 2019, 22:43
Ich würde dir die Lektüre von Deutsch empfehlen. Er erklärt sehr präzise, warum ein in deinem Sinne reduktionistisches Weltbild vereinbar mit emergenten Phänomen sowie kausalen Wirkungen und Erklärungen auf anderen Ebenen ist. Z.B. fußen alle Wetterphänomene ausschließlich auf bekannten, mikroskopischen Gesetzen - es gibt keinen Grund, etwas andere anzunehmen.
Das ist mir klar. Ich würde nur ein Wort in deinem Text ändern wollen: "- es gibt keinen Zwang, etwas anderes anzunehmen."
Es gibt aber auch keinen Zwang eben das anzunehmen. Und du musst eben auch schon zugeben, dass auch in deinem Weltbild nicht gerade wenige Grundannahmen notwendig sind, damit das zusammenhält. Ich glaube, ich brauche weniger, was mir vorteilhaft erscheint, aber das können wir evtl. später noch untersuchen.
tomS hat geschrieben:
4. Jan 2019, 22:43
Ganz grundsätzlich: du kritisierst eine zu enge Sichtweise eines physikalischen Weltbildes - zumindest verstehe ich dich so. Ich habe damit - als Physiker, nicht als Mensch im Allgemeinen - einige Probleme: warum genau kritisierst du dieses Weltbild? wo genau wird es falsifiziert? was stört dich daran, an dieser Sichtweise bis zur expliziten Falsifizierung festzuhalten? oder gefällt es dir nur nicht, wie es z.B. den freien Willen negiert? wie sieht dein präziser Gegenentwurf aus? wie grenzt du Alternativen von Pseudowissenschaften ab?
Ja, ich kritisiere eine mir zu eng erscheinende Sichtweise, gerade in der Physik, weniger in den anderen Naturwissenschaften. Da diese Sichtweise aber nicht falsifizierbar ist, besteht Wahlmöglichkeit unsererseits. Und ich kritisiere, dass die Physik nicht selten immer noch glaubt, sie wäre die "Krone aller Wissenschaften" und alle anderen Wissenschaften wären im Grunde nichts anderes als sekundäre, abgeleitete, angewandte Physik.
Etwas mehr Vorsicht und Bescheidenheit täte hier gut...
Und ja, dass holistische Sichtweisen oder eine Sichtweise "alles ist mit allem letztlich unentwirrbar verflochten" einen neuen Raum der Möglichkeiten eröffnen, ein weniger kaltes, sehr viel mehr organisches Universum möglich machen. Das hat zumindest Charme. Aber das ist es nicht, ich versuche mich nicht von dem in die Irre führen zu lassen, was ich gerne hätte. Ich versuche für alles offen zu bleiben.

Nochmal meine ganz grundsätzliche Gegenfrage an dich zurück (auf die du immer noch keine Antwort gegeben hast):

Wenn wir nicht dazu gezwungen sind einen "Ultradeterminismus" anzunehmen, warum sollten wir das dann trotzdem tun?
Du scheinst zu glauben, dass man das als "anständiger, vernünftiger Physiker" tun muss. Und da behaupte ich: Da gehst du fehl! Nein, das muss man nicht.


2. Die erkenntnistheoretisch-beschreibende Frage:
Ist die Natur von uns wenigstens prinzipiell vollständig richtig formal beschreibbar?
Und damit -wenigstens im Prinzip- auch vollständig berechenbar und prognostizierbar?
Hier scheint mir die Sache völlig klar und wir sollten leicht Einigkeit erreichen: Es geht nicht!
Weder geht es in der QM-Welt noch geht es bei komplexen Systemen, weder messtechnisch noch rechnerisch.
Völlig exakte Beschreibungen und Vorhersagen sind eh unmöglich, ungefähre Vorhersagen sind über längere Zeiträume nur bei einfachen Systemen möglich. Genau dasselbe, wenn man den Blick rückwärts in die Zeit richtet.

Das ist zunächst einmal ein Befund, der so ist, wie er ist. Je nach dem wie man ihn bewertet und wie ernst man ihn nimmt, kommt man zu verschiedenen Positionen bei 1.


3. Die gesellschaftliche Frage:
Welche Auswirkungen haben die gewählten Positionen in 1. und 2. auf unsere Gesellschaft, unser Handeln und unsere Zukunft?
Der Übergang von interessanter Physik zu relevanter Physik...

Dieser Punkt treibt mich auch sehr um, wenn ich sehe, was in der Welt so geschieht.
Vielleicht täusche ich mich, mag sein, aber ich habe den Eindruck, dass dieses "vollkausale, vollberechenbare Weltbild", das aus der Physik herkommend in die Köpfe der Menschen dringt, eine gesellschaftlich schädliche Wirkung hat. Man muss das nicht unbedingt der Physik vorwerfen, ja. Aber das spielt im Grunde auch keine Rolle. Wichtig ist, was da wirkt: Wenn du den Leuten sagst, dass sie nur Automaten seien, dass ihr Wille eine Illusion sei, dass also auch ihr Handeln nicht frei sei, dann hat das negative Auswirkungen auf ihr Handeln; wenn so getan wird, als ob die Welt vollständig beherrschbar und prognostizierbar wäre, wenn man sie nur genügend untersucht, dann ist das schlecht. Das geht nämlich gerne in die Hose (Beispiel: Klima, Ökosysteme).
Und wenn so getan wird, als sei das wichtigste in der Physik herauszufinden was die Welt im Innersten zusammnhält, dann ist das auch nicht gut. Denn gesellschaftlich bringt uns das in Anbetracht unserer derzeitigen Probleme keinen Schritt weiter. Viel wichtiger ist die Physik, die das tut, die uns dabei weiterhilft uns gesellschaftlich weiterzuentwickeln, mit uns und unserer Umwelt gedeihlich und nachhaltig klarzukommen.

Und wenn man schon die Wahl hat und auch als Physiker in der Weise über den Tellerrand schaut, warum sollte man dieses Weltbild dann noch vertreten, wenn man doch nicht muss?

Das nur als Einstieg, man kann auch diesen Punkt 3. sicher sehr weit ausbreiten.
Grüße
seeker


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Re: Instabilität

Beitrag von Skeltek » 5. Jan 2019, 16:02

@seeker: Soweit ich das beurteilen kann, ist die Welt kausal von oben nach unten durchdeterminiert. Im Ursprungszustand waren alle Grundkräfte in einer Art Superposition vereinigt. Zufall, minimale Fluktuationen und der Schmetterlingseffekt sorgten dann dafür, dass die anderen Grundkräfte usw daraus in bestimmten Verhältnissen herausflockten (unvorhersehbar emergierend) und die heutig sichtbaren Teilchen in ihren Ausprägungen bildeten. Möglicherweise lässt es sich mit dem blind einen Holzquader in zwei Teile zerteilend vergleichen.

Zuerst war sozusagen die 'Summe' da, später erst emergierten die 'Summanden' daraus, welche dann die Grundlage für später Strukturen bildeten. Schließlich ist alles was wir heute sehen eine Agglomeration an regelmäßigen Fluktuationen innerhalb des großen Ganzen.

Ich würde mal behaupten, dass während dem Urknall noch nicht einmal wirklich voraussehbar war, was für Teilchengrößen usw sich wenig später daraus bilden würden. Aus demseben Grund, weshalb auch emergente Phänomene nicht wirklich vorausseh- oder berechenbar sind. Wegen einer von vielen möglichen Ursachen, kippt das Gesamtsystem in eine von vielen möglichen Richtungen.

Es ist denke ich leicht, hier die kausale Richtung zu verwechseln. Wir können in der Regel von der Gegenwart auf eine Verallgemeinerung der Vergangenheit schließen. Wir können von Teilchen auf die verallgemeinerte Gesamtmasse schließen, aber nicht von der Gesamtmasse auf die Art der Teilchen.
Klar besteht das Große aus kleineren Bestandteilen, trotzdem ist die kausale Richtung nicht unbedingt diese. Zuerst war wohl die Masse da... das fraktalsmäßige Splitten dieser in kleinere Bausteine kam später. Dass diese sich clustermäßig zu größeren Strukturen zusammenballen hat ja im Bezug zur kausalen Richtung nichts mit dem vorangegangenen Prozess zu tun.

Ist das jetzt Atomismus? Holismus? Denke eher, dass man den Atomismus umdrehen sollte, da er sich lediglich auf das Betrachten der späteren Clusterbildung beschränkt. Die vorausgegangene Kausalität für die Emergenz der Teilchen wird hier völlig außer Acht gelassen. Möglicherweise ist es uns aber wegen unserer Evolution nicht wirklich gelegen, uns vom Pfad des 'Bottom-Up'-Prinzips zu lösen.
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  • Widersprüchlich - Dieser Satz ist falsch.

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Re: Instabilität

Beitrag von tomS » 5. Jan 2019, 16:21

seeker hat geschrieben:
5. Jan 2019, 13:57
Wir haben hier verschiedene Aspekte vorliegen:

1. Die ontologische Frage, die Frage nach unserem Weltbild, von dem was tatsächlich der Fall ist:
Ist die Natur in einem starken Sinne vollständig von unten nach oben kausal durchdeterminiert (atomistische Positionen)?

2. Die erkenntnistheoretisch-beschreibende Frage:
Ist die Natur von uns wenigstens prinzipiell vollständig richtig formal beschreibbar?
Und damit -wenigstens im Prinzip- auch vollständig berechenbar und prognostizierbar?
Ich bin mir nicht sicher, ob das die richtigen Fragestellungen sind.

Du argumentierst zunächst mal gegen meine Sichtweise, die empirisch nicht angreifbar ist - zumindest tust du das nicht explizit. Bevor wir philosophische Fragestellungen diskutieren, sollten wir uns erst mal über die im engeren Sinne physikalischen Probleme Klarheit verschaffen. Nichts ist schlimmer als philosophische Diskussionen über an sich präzise definierbare Fakten ohne Kenntnis oder Einigkeit bzgl. dieser Fakten.

seeker hat geschrieben:
5. Jan 2019, 13:57
Auch wenn die klassisch-modernen Theorien im Detail unterschiedliche Naturverständnisse nahegelegt haben, so eint sie, dass sie die Entstehung und Entwicklung von komplexen dynamischen Systemen in Natur und Technik kaum thematisieren und nicht erklären können. Selbstorganisation, Prozessualität und Zeitlichkeit bleiben thematisch randständig. Struktur- und Musterbildungen liegen nicht in ihrem Fokus. Instabilitäten werden – wenn überhaupt – zum Randbereich von Natur gezählt.
Jan Cornelius Schmidt
tomS hat geschrieben:
5. Jan 2019, 10:27
Wie gesagt, die im o.g. Zitat aufgestellte Behauptung halte ich für völlig falsch! Physiker (und Chmiker) versuchen selbstverständlich, höherwertige Strukturen auf darunterliegende Entitäten zurückzuführen und die Strukturen auf Basis dieser Entitäten zu erklären. Man kann dafür zig Beispiele anführen. Das Wesen der Zeit sowie die Entstehung des Zeitpfeils ist eine der zentralen Fragestellungen der modernen Physik und wird von sehr prominenten Wissenschaftlern diskutiert: Hawking, Penrose, Rovelli, Smolin, ...
Wenn ich dich so höre, hat er in meiner Lesart aber völlig Recht, wenn er von Randständigkeit spricht. Deshalb, weil du alle Strukturen, die in komplexen Systemen auftreten als nicht-fundamental begreifst, als Randerscheinungen, die allein auf den allein fundamentalen Teilchen aufbauen, aus denen sie bestehen.
Du ignorierst die zweite Hälfte des Satzes „... und die Strukturen auf Basis dieser Entitäten zu erklären“. Das hat nun wirklich nichts mit Randständigkeit zu tun.

Ich denke, das Problem liegt möglicherweise in dem Begriff „fundamental“, den du möglicherweise missverstehst. Es ist doch ganz einfach: Wolken bestehen aus Wassermolekülen. Wassermoleküle bewegen sich nach den Gesetzen der kinetischen Gastheorie und interagieren nach den Gesetzen der zugrundeliegenden Quantenmechanik. Wolken folgen Modellen der kinetischen Gastheorie, der Nichtgleichgewichtsthermodynamik und anderen Gesetzen der Atmosphärenphysik. Die Physik versucht, beide Ebenen in Zusammenhang zu bringen, und sie ist darin recht erfolgreich. Wo ist das Problem?
seeker hat geschrieben:
5. Jan 2019, 13:57
tomS hat geschrieben:
4. Jan 2019, 22:43
Wenn du die Arbeitshypothese anzweifelst, solltest du eine Falsifizierung anführen.
Ich habe das noch einmal durchdacht...
Diese Forderung ist bezüglich 1. Unsinn! Deshalb, weil deine Position überhaupt nicht falsifizierbar ist: Es kann aus prinzipiellen Gründen empirisch überhaupt kein Befund beigebracht werden, gegen den du dich nicht leicht immunisieren kannst. Für Gegenpositionen gilt genau dasselbe.
Es handelt sich hier also bezüglich 1. nicht um eine naturwissenschaftliche Frage, sondern um eine philosophisch-weltanschauliche Frage.
An dem Punkt darf dann selbstverständlich jeder seine eigene Position haben, die ihm niemand nehmen kann und darf.
Ich werbe nochmal dafür, zunächst die physikalische Fragestellung zu klären, bevor man mit der Diskussion über die philosophische Sichtweise auf die physikalische Fragestellung beginnt.

Und ich denke, auch du betreibst eine Immunisierungsstrategie, wenn du der Frage nach der Falsifizierung der Arbeitshypothese ausweichst. Wenn du eine Falsifizierung anbringen kannst - gut, Punkt für dich. Wenn nicht - auch gut, Punkt für mich - insofern als meine Arbeitshypothese den naturwissenschaftlichen Test besteht und damit im Kern für die Naturwissenschaft weiterhin tragfähig ist. Alles weitere wäre dann tatsächlich Metaphysik.

Jedenfalls müsstest du Farbe bekennen, warum du meine Arbeitshypothese ablehnst, obwohl sie diesen Test besteht.
seeker hat geschrieben:
5. Jan 2019, 13:57
Dennoch kann man auch hier das Für und Wieder ertragreich untersuchen, erörtern. Das wollen wir hier tun.
Wie immer - gerne.

Ich habe absolut nichts gegen philosophische Diskurse im Umfeld der Naturwissenschaften, ich möchte nur gerne sicherstellen, dass wir beide im selben Rahmen diskutieren.
seeker hat geschrieben:
5. Jan 2019, 13:57
tomS hat geschrieben:
4. Jan 2019, 22:43
Ich würde dir die Lektüre von Deutsch empfehlen. Er erklärt sehr präzise, warum ein in deinem Sinne reduktionistisches Weltbild vereinbar mit emergenten Phänomen sowie kausalen Wirkungen und Erklärungen auf anderen Ebenen ist. Z.B. fußen alle Wetterphänomene ausschließlich auf bekannten, mikroskopischen Gesetzen - es gibt keinen Grund, etwas andere anzunehmen.
Das ist mir klar. Ich würde nur ein Wort in deinem Text ändern wollen: "- es gibt keinen Zwang, etwas anderes anzunehmen."
Es gibt aber auch keinen Zwang eben das anzunehmen. Und du musst eben auch schon zugeben, dass auch in deinem Weltbild nicht gerade wenige Grundannahmen notwendig sind, damit das zusammenhält. Ich glaube, ich brauche weniger, was mir vorteilhaft erscheint, aber das können wir evtl. später noch untersuchen.
Im Sinne von Ockham sollten wir das nicht aufschieben.
seeker hat geschrieben:
5. Jan 2019, 13:57
tomS hat geschrieben:
4. Jan 2019, 22:43
Ganz grundsätzlich: du kritisierst eine zu enge Sichtweise eines physikalischen Weltbildes - zumindest verstehe ich dich so. Ich habe damit - als Physiker, nicht als Mensch im Allgemeinen - einige Probleme: warum genau kritisierst du dieses Weltbild? wo genau wird es falsifiziert? was stört dich daran, an dieser Sichtweise bis zur expliziten Falsifizierung festzuhalten? oder gefällt es dir nur nicht, wie es z.B. den freien Willen negiert? wie sieht dein präziser Gegenentwurf aus? wie grenzt du Alternativen von Pseudowissenschaften ab?
Ja, ich kritisiere eine mir zu eng erscheinende Sichtweise, gerade in der Physik, weniger in den anderen Naturwissenschaften. Da diese Sichtweise aber nicht falsifizierbar ist, besteht Wahlmöglichkeit unsererseits. Und ich kritisiere, dass die Physik nicht selten immer noch glaubt, sie wäre die "Krone aller Wissenschaften" und alle anderen Wissenschaften wären im Grunde nichts anderes als sekundäre, abgeleitete, angewandte Physik.
Nochmal: warum genau kritisierst du dieses Weltbild? wo genau wird es falsifiziert? was stört dich daran, an dieser Sichtweise bis zur expliziten Falsifizierung festzuhalten? oder gefällt es dir nur nicht, wie es z.B. den freien Willen negiert? wie sieht dein präziser Gegenentwurf aus?

Ich habe verstanden, dass du eine dir zu eng erscheinende Sichtweise kritisierst. Ich habe nicht verstanden, warum du das tust. Was genau stört dich - außer deinem Bauchgefühl?

Zur Physik als Krone aller Wissenschaften: das sehe ich nicht so.

Es gibt aber bzgl. top-down und bottom-up auch ein paar harte Fakten:
a) die Quantenmechanik erklärt die Chemie der Zelle und des Stoffwechsels, letzteres erklärt einige relevante Phänomene im Gehirn, und diese spielen in der Verhaltenspsychologie eine gewisse Rolle
b) umgekehrt erklärt die Verhaltenspsychologie nicht die Quantenmechanik - nicht mal ansatzweise
Von einer vollständigen Erklärung im Sinn von (a) sind wir meilenweit entfernt - wenn es überhaupt vollständig gelingen kann - aber die Wissenschaftler arbeiten daran. Sie erheben nicht nur den theoretischen Anspruch sondern unternehmen auch konkrete Forschungsvorhaben.

Mich stört dabei keineswegs, dass jede Wissenschaft auf ihrer Ebene die geeigneten Mittel hat, um Phänomene effizient zu beschreiben.

Mich stört jedoch, dass man der Physik unentwegt einen Reduktionismus vorwirft, obwohl sie neben der Untersuchung unterlagerter Strukturen immer auch die höherwertigen Strukturen und die Beziehungen im Blick hat, während andere Wissenschaften genau diesen Brückenschlag über verschiedene Ebenen doch oft ebenfalls nicht in den Blick nehmen. Der Kernphysiker versucht nicht nur, den Atomkern in Protonen und Neutronen aufzulösen, sondern er versucht immer auch, die Eigenschaften des Kerns auf Basis der Protonen und Neutronen zu rekonstruieren. Das ist übrigens der bei weitem schwierigere Teil der Arbeit, und daran arbeiten in zig Teilbereichen zig Physiker ... Falls dies nicht gelingt, gilt eine Erklärung nur wenig. Die QCD wird zum Beispiel gerade deswegen ernst genommen, weil sie nicht nur die Physik der Quarks und Gluonen erklärt, sondern weil es mittlerweile möglich ist, auch die Physik leichter Atomkerne so zu berechnen. Es handelt sich immer um Auf- und Abstieg, beides geht Hand in Hand.
seeker hat geschrieben:
5. Jan 2019, 13:57
Und ja, dass holistische Sichtweisen oder eine Sichtweise "alles ist mit allem letztlich unentwirrbar verflochten" einen neuen Raum der Möglichkeiten eröffnen, ein weniger kaltes, sehr viel mehr organisches Universum möglich machen. Das hat zumindest Charme. Aber das ist es nicht, ich versuche mich nicht von dem in die Irre führen zu lassen, was ich gerne hätte. Ich versuche für alles offen zu bleiben.
Gut und schön, das kannst du so sehen.

Warum aber kritisierst du die Physik für die Festlegung auf eine - nachweislich funktionierende - Methode, während die „holistische Sichtweise ...“ keine Methode vorzuweisen hat? Was ist denn genau die holistische Methode, der Gegenentwurf und das Ergebnis? Wenn die Physik auf diesem Auge blind ist, dann können es doch auch andere leisten. Was hindert sie daran, es zu tun?

Ich fühle mich ein bisschen so wie ein Bayern-Fan, dem man unentwegt vorwirft, dass seine Mannschaft erfolgreich Fußball spielt. Niemand hindert andere Vereine daran, es den Bayern gleich zu tun - oder andere Menschen, stattdessen Künstler zu werden.
seeker hat geschrieben:
5. Jan 2019, 13:57
Nochmal meine ganz grundsätzliche Gegenfrage an dich zurück (auf die du immer noch keine Antwort gegeben hast):

Wenn wir nicht dazu gezwungen sind einen "Ultradeterminismus" anzunehmen, warum sollten wir das dann trotzdem tun?
Du scheinst zu glauben, dass man das als "anständiger, vernünftiger Physiker" tun muss. Und da behaupte ich: Da gehst du fehl! Nein, das muss man nicht.
Muss man natürlich nicht.

Es handelt sich jedoch um eine streng logische, axiomatisch einfache und vollständige Sichtweise, die man seit Jahrzehnten zig-Fach experimentell überprüfen jedoch bisher nie falsifizieren konnte - und die eine enorme Vorhersagekraft hat. Falls du das anders siehst, würde mich deine Widerlegung interessieren; das sollten wir jedoch in einem eigenen Thread diskutieren.

Zum Rest später ...
Gruß
Tom

Der Wert eines Dialogs hängt vor allem von der Vielfalt der konkurrierenden Meinungen ab.
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Re: Instabilität

Beitrag von seeker » 5. Jan 2019, 17:42

Hallo Tom,

ich habe nun mehrfach geschrieben, dass ich deine Position für sicher nicht falsifizierbar halte. Bitte ignoriere das nicht, indem du weiterhin die Forderung nach Falsifikation ins Feld führst.

Aber vielleicht sollte ich allgemein etwas konkreterer werden, vielleicht wird dann besser verständlich worum es mir geht:

Nehmen wir irgendein System, das ich verstehen und daher untersuchen möchte.
Wie gehe ich vor?
Zunächst einmal betrachte ich das System als Ganzes und in was es eingebettet ist. (Was ist es? Wo ist es? Woher kommt es? Was ist drum herum? ...)
Dann fange ich natürlich an das System zu zerlegen und schaue mir die Einzelteile an und bilde auch ein Modell der Teile und rekonstruiere danach aus den Einzelteilen das Gesamtsystem, d.h. ich gehe natürlich zuerst reduktionistisch vor.
Warum? Aus ganz pramatischen Gründen: So geht es am am Einfachsten.
Danach bewerte ich: Ist das was ich so herausgefunden habe zufriedenstellend? Habe ich das System bezüglich meiner Fragen genügend gut verstanden?
Falls ja: Wunderbar! Dann bin ich schon fertig.

Falls nein: Da hab ich dann ein Problem. Entweder gebe ich auf und sage "besser geht es halt nicht" oder ich leugne, dass diese noch ungeklärten Fragen überhaupt sinnvoll oder relevant sind oder ich gehe ganz andere Wege, indem ich nun das Gesamtsystem unter Zuhilfenahme dessen, was ich schon reduktionistisch herausgefunden habe noch einmal im Gesamten betrachte und sein Verhalten und seine Eigenschaften auf dieser Ebene studiere.
Ich entscheide mich für das letztere, weil mir alles andere unbefriedigend scheint. Ich tue das bei allen komplexen Systemen (weil ich es muss) und finde so noch ganz andere, neue spannende Sachen heraus, die ich ebenfalls modellieren kann. Ich finde dabei sogar Universalkonstanten wie die Feigenbaum-Konstante und immer wieder dieselben Struktur-Phänomene, wie Attraktoren, Intermittenzen, usw.
Problem dabei: Jetzt habe ich u.U. zwei Modelle, ein mikroskopisches und ein makroskopisches, beide aussagekräftig und nützlich, die ich vielleicht sogar teilweise - aber nicht ganz zu einem zusammenbekomme, aber damit muss ich dann halt leben oder hoffen, dass das irgendwann doch noch gelingt.

Ich denke doch, so oder so ähnlich würdest du auch vorgehen - oder stört dich etwas daran?
Was ich aber nicht tun muss, ist einen metaphysischen Unterbau als fixes Weltbild zu haben, um so vorgehen zu können. Richtig?
Und ich muss meine beiden Modelle auch nicht zwingend so bewerten, dass eines davon das wichtigere oder fundamentalere sei - oder?

Vielleicht wird nun zumindest klarer, dass es mir bei 1. nicht um das konkrete Vorgehen der Physik geht, sondern um den philosphischen Unterbau.

Später mehr...

ATGC hat geschrieben:
5. Jan 2019, 15:16
Der letzte Fall ist besonders interessant, weil es sich hierbei um Quantenprozesse handelt, die nicht exakt vorherbestimmbar sind - weder ob sie sich ereignen, noch wo sie sich ereignen, noch wie hinterher das Resultat aussieht.
Dieses Problem lässt sich im "Ultradterminismus" umschiffen, indem man Everetts viele Welten Interpretation der Quantenmechanik als wahr annimmt, denn dann gibt es de facto keinen QM-Zufall, es geschieht dann einfach alles was geschehen kann sozusagen parallel in verschiedenen sich zeigenden Welten.

Was ich hier aber als m.E. stärkeres Argument noch anführen möchte ist dies:
Diese Art des Determinismus funktioniert auch in den vielen Welten nur unter bestimmten Grundvoraussetzungen:

a) Die Naturgesetze müssen stets und unendlich genau gelten
b) Die Anfangsbedingungen müssen unendlich genau real vorgelegen haben
c) Im geschichtlichen Verlauf des VWI-Multiversums darf keine einzige echte Instabilität vorkommen!

Eine echte Instabilität wäre ein Kipppunkt, der unendlich genau erreicht wird, sodass das System keine andere Wahl mehr hat als echt-zufällig zu reagieren (gleich einer unendlich spitzen und symmetrischen Nadel, die völlig exakt auf der Spitze steht: fällt sie nach rechts oder nach links?)
Die Annahmen a), b) mit c) zusammen halte ich nun aber für höchst problematisch, denn in a) und b) wird unendliche Exaktheit für die real existierende Natur angenommen, während in c) verneint werden muss, dass sie in der späteren Entwicklung einen unendlich genauen instabilen Punkt erreichen kann. Ich halte das für nicht stringent.
Grüße
seeker


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Re: Instabilität

Beitrag von tomS » 5. Jan 2019, 17:51

seeker hat geschrieben:
5. Jan 2019, 13:57
2. Die erkenntnistheoretisch-beschreibende Frage:
Ist die Natur von uns wenigstens prinzipiell vollständig richtig formal beschreibbar?
Und damit -wenigstens im Prinzip- auch vollständig berechenbar und prognostizierbar?
Hier scheint mir die Sache völlig klar und wir sollten leicht Einigkeit erreichen: Es geht nicht!
Weder geht es in der QM-Welt noch geht es bei komplexen Systemen, weder messtechnisch noch rechnerisch.
Völlig exakte Beschreibungen und Vorhersagen sind eh unmöglich, ungefähre Vorhersagen sind über längere Zeiträume nur bei einfachen Systemen möglich. Genau dasselbe, wenn man den Blick rückwärts in die Zeit richtet.
Sorry, aber das stimmt so nicht. Ich hatte das oben in einer Antwort geschrieben.

Die Natur kann durchaus vollständig formalisierbar sein, ohne dass sie dadurch automatisch berechenbar und prognostizierbar sein müsste.

Z.B. könnte das heutige Universum eine universelle Turingmaschine sein, die auf Daten arbeitet, die einen bestimmten Algorithmus sowie bestimmte Anfangsbedingungen kodieren. Eine universelle Turingmaschine können wir problemlos konstruieren, ebenso wie sämtliche zulässige Algorithmen bis zu einer festen, jedoch beliebigen Länge. Damit ist das Universum von dieser Turingmaschine berechenbar - Schritt für Schritt, jedoch nicht mehr. Insbs. existiert für geeignete Algorithmen keine „Abkürzung“, d.h. man kann sicher nicht vorhersagen, wie sich das Universum verhalten wird; Universum ist selbst der effizienteste Algorithmus zur Berechnung seiner selbst. Darüberhinaus ist das Universum mittels Beobachtung innerhalb desselben nicht vollständig erkennbar, denn dazu wäre die vollständige Kenntnis aller Daten notwendig, die jedoch nicht als Teilmenge in den Daten enthalten sein kann. Dennoch könnte der grundlegende Mechanismus, nämlich dass überhaupt eine Turingmaschine vorliegt, geschlussfolgert werden.

Damit haben wir das Modell eines universellen, logisch in sich geschlossenen, vollständig formalisierten und vollständig deterministischen Universums, mit einer präzise definierten Struktur und Mikrokausalität, das wir als solches prinzipbedingt nicht erkennen können.

Ich bin keineswegs davon überzeugt, dass dieses Modell zutrifft, aber ich halte es gerade wegen all dieser Eigenschaften und seiner logischen Einfachheit für viel interessanter als irgendwelche nebulösen Konstrukte. Es ist nämlich einerseits präzise definiert, erscheint jedoch andererseits dennoch undurchschaubar und rätselhaft - ohne dass man letzteres noch dazudichten müsste - mehr Emergenz geht kaum:
seeker hat geschrieben:
5. Jan 2019, 13:57
3. Die gesellschaftliche Frage:
Welche Auswirkungen haben die gewählten Positionen in 1. und 2. auf unsere Gesellschaft, unser Handeln und unsere Zukunft?
Dieser Punkt treibt mich auch sehr um, wenn ich sehe, was in der Welt so geschieht.
Vielleicht täusche ich mich, mag sein, aber ich habe den Eindruck, dass dieses "vollkausale, vollberechenbare Weltbild", das aus der Physik herkommend in die Köpfe der Menschen dringt, eine gesellschaftlich schädliche Wirkung hat.
Das kann so sein, muss aber nicht.

Ich bin mir nicht mehr sicher, ich denke, die folgende Argumentation stammt aus

http://www.schmidt-salomon.de/jvgub/home1.htm
Jenseits von Gut und Böse - Warum wir ohne Moral die besseren Menschen sind

In einem rein physikalischen Weltbild sind sämtliche gesellschaftliche Einflüsse letztlich auf physikalische Prozesse zurückführbar. Prägung ist einerseits durch Genetik, anderseits durch Erziehung bedingt. Letzteres sind physikalische Einflussgrößen, die unsere Gehirnstruktur bestimmen. Dies spricht den Straftäter oder Terroristen zunächst von Schuld frei und verbietet jegliche Strafe im Sinne der Rache. Allerdings erfordert dieses Weltbild unmittelbar die Herstellung von positiven Einflussfaktoren sowohl präventiv in der Erziehung als auch rehabilitierend und wiedereingliedernd z.B. während des Strafvollzugs.

Natürlich erscheint das eine Zumutung zu sein - man denke an die Verbrechen der Nationalsozialisten oder des ISIS, für die man sich ganz spontan eine Strafe im Sinne von Rache wünscht. Andererseits könnte es schlichtweg wahr sein, und muss deswegen - egal welcher Philosophie oder Religion man anhängt - aus moralischen Gründen betrachtet werden, schon um auszuschließen, dass man einem unschuldigen Mörder (!) kein Unrecht antut. Das Leugnen eines derartigen materialistischen Weltbildes seitens diverser Richtungen der Philosophie ist unverzeihlich, vorurteilsbeladen und letztlich dumm:

Es ist sicher schwer, für dieses Weltbild Akzeptanz zu erhalten, es muss damit jedoch keine negativen Folgen haben, denn es fordert positive Anreize ja unmittelbar ein. Betrachtet man die Praxis, so verschiebt sich der Fokus automatisch auf das, was auch Ethiker, Juristen u.a. immer wieder fordern. Und es ist auch nicht negativer als ein Weltbild, in dem Gut und Böse moralische Qualia sind - die dann zu 9/11, Irak-Kriegen, Massakern des ISIS im Namen Gottes, zu Abu Ghraib, Guantanamo usw. führen.
Gruß
Tom

Der Wert eines Dialogs hängt vor allem von der Vielfalt der konkurrierenden Meinungen ab.
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Re: Instabilität

Beitrag von tomS » 5. Jan 2019, 18:43

seeker hat geschrieben:
5. Jan 2019, 17:42
ich habe nun mehrfach geschrieben, dass ich deine Position für sicher nicht falsifizierbar halte. Bitte ignoriere das nicht, indem du weiterhin die Forderung nach Falsifikation ins Feld führst.
Sorry, evtl. war ich da zu penetrant.
seeker hat geschrieben:
5. Jan 2019, 17:42
Problem dabei: Jetzt habe ich u.U. zwei Modelle, ein mikroskopisches und ein makroskopisches, beide aussagekräftig und nützlich, die ich vielleicht sogar teilweise - aber nicht ganz zu einem zusammenbekomme, aber damit muss ich dann halt leben oder hoffen, dass das irgendwann doch noch gelingt.

Ich denke doch, so oder so ähnlich würdest du auch vorgehen - oder stört dich etwas daran?
Zustimmung.
seeker hat geschrieben:
5. Jan 2019, 17:42
Was ich aber nicht tun muss, ist einen metaphysischen Unterbau als fixes Weltbild zu haben, um so vorgehen zu können. Richtig?
Zustimmung.

Ich sprach auch von Arbeitshypothese.
seeker hat geschrieben:
5. Jan 2019, 17:42
Und ich muss meine beiden Modelle auch nicht zwingend so bewerten, dass eines davon das wichtigere oder fundamentalere sei - oder?
Zustimmung.

Ich stelle jedoch fest, dass Wissenschaften verschiedene Ebenen unterschiedlich stark verknüpfen. Naturwissenschaften sind sehr stark an fundamentalen Entitäten interessiert - das trifft im jeweiligen Kontext auch für Chemie, Biologie und Medizin zu - während z.B. in Kunst und Literatur eine derartige Analyse höchstens sekundär ist. Gesellschaftswissenschaften, Politik, Soziologie usw. nehmen häufig Strukturen in den Blick und vereinfachen entsprechend, betrachten jedoch ebenfalls sowohl Individuen als auch Ausnahmen, irrationales Verhalten usw.

Die Naturwissenschaft hat jedoch insofern ein Alleinstellungsmerkmal, als sie einerseits eine derartige Analyse bzgl. fundamentaler Entitäten vornimmt und andererseits eine multidirektionale kausale Wirkung zwischen beliebigen Entitäten und Ebenen beschreibt, ohne dafür prinzipbedingt eine Grenze anzusetzen. Natürlich kann man das Einwirken eines Hochdruckgebietes auf Wolken und deren Wassermoleküle physikalisch sinnvoll beschreiben, auch wenn letzteres für die Wetterprognose irrelevant ist. Und möglicherweise trifft dies auch auf Neurobiologie und damit Psychologie sowie Verhalten, evtl. sogar Kunst und Ästhetik zu:

Der Begriff „fundamental“ besagt doch lediglich, dass ich im Kontext der Naturwissenschaften in der Lage bin, höherwertige Phänomene auf sie mikroskopisch konstituierende Entitäten zurückführen kann. Der Physiker bewertet das als wichtiger als der Biologe - jedoch auch immer nur in einem bestimmten Kontext. Dem Festkörperphysiker ist z.B. die QCD herzlich egal.

Was in unserer letzten Diskussion untergegangen ist:
Mich stört jedoch, dass man der Physik unentwegt einen Reduktionismus vorwirft, obwohl sie neben der Untersuchung unterlagerter Strukturen immer auch die höherwertigen Strukturen und die Beziehungen im Blick hat, während andere Wissenschaften genau diesen Brückenschlag über verschiedene Ebenen oft nicht in den Blick nehmen. Der Kernphysiker versucht nicht nur, den Atomkern in Protonen und Neutronen aufzulösen, sondern er versucht immer auch, die Eigenschaften des Kerns auf Basis der Protonen und Neutronen zu rekonstruieren. Das ist übrigens der bei weitem schwierigere Teil der Arbeit, und daran arbeiten in zig Teilbereichen zig Physiker ... Falls dies nicht gelingt, gilt eine Erklärung nur wenig. Die QCD wird zum Beispiel gerade deswegen ernst genommen, weil sie nicht nur die Physik der Quarks und Gluonen erklärt, sondern weil es mittlerweile möglich ist, auch die Physik leichter Atomkerne so zu berechnen.
Mir ist immer noch nicht klar, welche Betrachtungsweise dir konkret fehlt.
Warum aber kritisierst du die Physik für die Festlegung auf eine - nachweislich funktionierende - Methode, während die „holistische Sichtweise ...“ keine Methode vorzuweisen hat? Was ist denn genau die holistische Methode, der Gegenentwurf und das Ergebnis? Wenn die Physik auf diesem Auge blind ist, dann können es doch auch andere leisten. Was hindert sie daran, es zu tun?
Darüberhinaus sehe ich nicht, welche konkrete holistische Sichtweise und welche konkrete holistische Methode du als Alternative oder Ergänzungen vorschlage möchtest:

___

Das folgende halte ich für einen Nebenkriegsschauplatz, der besser in einem separaten Thread diskutiert werden sollte.
seeker hat geschrieben:
5. Jan 2019, 17:42
a) Die Naturgesetze müssen stets und unendlich genau gelten
b) Die Anfangsbedingungen müssen unendlich genau real vorgelegen haben
c) Im geschichtlichen Verlauf des VWI-Multiversums darf keine einzige echte Instabilität vorkommen!
zu a) ja
zu b) trivialerweise ja, das ist das selbe wie (a)
zu c) trivialerweise ja, das ist das selbe wie (a)
seeker hat geschrieben:
5. Jan 2019, 17:42
Eine echte Instabilität wäre ein Kipppunkt, der unendlich genau erreicht wird, sodass das System keine andere Wahl mehr hat als echt-zufällig zu reagieren (gleich einer unendlich spitzen und symmetrischen Nadel, die völlig exakt auf der Spitze steht: fällt sie nach rechts oder nach links?)
Die Annahmen a), b) mit c) zusammen halte ich nun aber für höchst problematisch, denn in a) und b) wird unendliche Exaktheit für die real existierende Natur angenommen, während in c) verneint werden muss, dass sie in der späteren Entwicklung einen unendlich genauen instabilen Punkt erreichen kann. Ich halte das für nicht stringent.
Mathematisch ist (a - c) für die Everettsche QM realisiert, und zwar recht einfach und schlüssig - in etwa so wie lineare Algebra.
Gruß
Tom

Der Wert eines Dialogs hängt vor allem von der Vielfalt der konkurrierenden Meinungen ab.
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Re: Instabilität

Beitrag von seeker » 6. Jan 2019, 13:23

tomS hat geschrieben:
5. Jan 2019, 17:51
Sorry, aber das stimmt so nicht. Ich hatte das oben in einer Antwort geschrieben.

Die Natur kann durchaus vollständig formalisierbar sein, ohne dass sie dadurch automatisch berechenbar und prognostizierbar sein müsste.
Akzeptiert. Ich war mit der Formulierung von 2. eh auch noch nicht ganz glücklich; würde ich an meinen Texten nochmal doppelt so lange sitzen, dann würden sie von Anfang an wasserdichter werden. :) Ist aber nicht nötig, wir sind hier in einem Forum.
Dann 2., unter diesen Einschränkungen neu formuliert:
2. Die Berechenbarkeitsfrage:
Ist die Welt -wenigstens im Prinzip- vollständig berechenbar und prognostizierbar?


Hier scheint mir die Sache völlig klar und wir sollten leicht Einigkeit erreichen: Es geht nicht!
Weder geht es in der QM-Welt noch geht es bei komplexen Systemen, weder messtechnisch noch rechnerisch.
Völlig exakte Beschreibungen und Vorhersagen sind eh unmöglich, ungefähre Vorhersagen sind über längere Zeiträume nur bei einfachen Systemen möglich. Genau dasselbe, wenn man den Blick rückwärts in die Zeit richtet.
Wichtig scheint mir hier auch zu sein, dass man erst dann mit höchster Gewissheit sicher sein kann, dass man etwas vollständig richtig formalisiert hat, wenn auch die konkrete Berechenbarkeit und Messbarkeit gegeben ist - und zwar exakt, Näherungen und Messungenauigkeiten schwächen das schon ab (z.B. kann man so weit ich weiß ja noch nicht einmal das Heliumatom analytisch-exakt berechnen).
D.h.: Die Welt ist möglicherweise vollständig formalisierbar, aber wir können nicht (sicher) wissen, ob sie das ist.
tomS hat geschrieben:
5. Jan 2019, 17:51
Z.B. könnte das heutige Universum eine universelle Turingmaschine sein ...
Ja. Nur rate ich hier von Anfang an zur Vorsicht, auch im Sprachgebrauch: Das Universum könnte nicht eine universelle Turingmaschine sein. Das geht zu weit. Stattdessen: "Das Universum könnte sein WIE etwas, das wir konzeptuell als eine "universelle Turingmaschine" formuliert haben."
Ich sag auch ganz und gar nicht, dass das keinen Charme hätte, ich sag nur, dass auch das ein Konstrukt ist, dessen Richtigkeit wir nicht wissen bzw. feststellen können. Also Vorsicht!
tomS hat geschrieben:
5. Jan 2019, 17:51
Ich bin keineswegs davon überzeugt, dass dieses Modell zutrifft, aber ich halte es gerade wegen all dieser Eigenschaften und seiner logischen Einfachheit für viel interessanter als irgendwelche nebulösen Konstrukte.
Falls das so ist, dann zunächst ja. Es ist aber keineswegs klar, ob diese anderen Möglichkeiten wirklich alle so "nebulös" sind und selbst falls, ob man sie dann in Zukunft nicht noch im Zuge des Fortschritts, der Weiterentwicklung davon befreien können wird. Also einfach Augen offen halten, würde ich sagen. Und es gibt eben auch viele Systeme, denen wir reduktiv nur ganz wenig beikommen und wo auch nicht in Aussicht steht, dass sich das in Zukunft ändern wird. Also haben wir bei denen gar keine andere Wahl, als so vorzugehen und diesen Weg dann immer mehr zu verfeinern und verbessern.
tomS hat geschrieben:
5. Jan 2019, 17:51
3. Die gesellschaftliche Frage:
Welche Auswirkungen haben die gewählten Positionen in 1. und 2. auf unsere Gesellschaft, unser Handeln und unsere Zukunft?

Dieser Punkt treibt mich auch sehr um, wenn ich sehe, was in der Welt so geschieht.
Vielleicht täusche ich mich, mag sein, aber ich habe den Eindruck, dass dieses "vollkausale, vollberechenbare Weltbild", das aus der Physik herkommend in die Köpfe der Menschen dringt, eine gesellschaftlich schädliche Wirkung hat.
Das kann so sein, muss aber nicht.

Ich bin mir nicht mehr sicher, ich denke, die folgende Argumentation stammt aus

http://www.schmidt-salomon.de/jvgub/home1.htm
Jenseits von Gut und Böse - Warum wir ohne Moral die besseren Menschen sind

In einem rein physikalischen Weltbild sind sämtliche gesellschaftliche Einflüsse letztlich auf physikalische Prozesse zurückführbar. Prägung ist einerseits durch Genetik, anderseits durch Erziehung bedingt. Letzteres sind physikalische Einflussgrößen, die unsere Gehirnstruktur bestimmen. Dies spricht den Straftäter oder Terroristen zunächst von Schuld frei und verbietet jegliche Strafe im Sinne der Rache. Allerdings erfordert dieses Weltbild unmittelbar die Herstellung von positiven Einflussfaktoren sowohl präventiv in der Erziehung als auch rehabilitierend und wiedereingliedernd z.B. während des Strafvollzugs.
Ein solcher Ansatz kann interessant sein, keine Frage. Es gibt viele theoretische Ansätze dazu.
Nur: Hier handelt es sich nicht um ein theoretisches Problem, sondern um ein reales Problem in der wirklichen Welt.
So einfach dürfen wir 3. deshalb nicht abhandeln. Wir müssen stattdessen schauen, ob meine These zutrifft oder nicht.
tomS hat geschrieben:
5. Jan 2019, 18:43
Zustimmung.
tomS hat geschrieben:
5. Jan 2019, 18:43
Zustimmung.
tomS hat geschrieben:
5. Jan 2019, 18:43
Ich sprach auch von Arbeitshypothese.
Wie ich sehe sind wir uns im Konkreten einig, das habe ich auch erwartet.
Ich habe ja auch schon teilweise von Arbeitshypothese gesprochen und mit einer solchen habe ich auch kein Problem.
Unwohl wird mir auch noch nicht, wenn einer mehr als eine Arbeitshypothese darin sieht, das ist völlig i.O.; jeder hat das Recht auf sein eigenes Weltbild. Unwohl wird mir erst dann, wenn dieses Weltbild dann als "naturwissenschaftlich belegt" in die Köpfe der Welt getragen wird. Denn das ist es nicht, es ist nicht belegbar, es ist eine a priori-Annahme. Unwohl wird mir, wenn missioniert wird: "Nur wenn du das so siehst, bist du ein vernünftiger Mensch." Das hat die Naturwissenschaft zu unterlassen, das riecht sonst nach Ideologie. Physiker haben mir -als Physiker- nicht zu erklären, ob die Welt vollkausal ist oder nicht, denn das ist nicht ihr Fachbereich. Und auch Neurobiologen haben mir nicht zu erklären, ob der Mensch ein Bewusstsein und einen Willen hat oder nicht, das ist nicht ihre Aufgabe, nicht so lange sie als Neurobiologen sprechen.
Das kritisiere ich. Diese Geschichte hat allerdings dann auch mit den Medien zu tun.
tomS hat geschrieben:
5. Jan 2019, 18:43
Ich stelle jedoch fest, dass Wissenschaften verschiedene Ebenen unterschiedlich stark verknüpfen. Naturwissenschaften sind sehr stark an fundamentalen Entitäten interessiert - das trifft im jeweiligen Kontext auch für Chemie, Biologie und Medizin zu - während z.B. in Kunst und Literatur eine derartige Analyse höchstens sekundär ist. Gesellschaftswissenschaften, Politik, Soziologie usw. nehmen häufig Strukturen in den Blick und vereinfachen entsprechend, betrachten jedoch ebenfalls sowohl Individuen als auch Ausnahmen, irrationales Verhalten usw.
Zustimmung. Das ist auch i.O. so.
tomS hat geschrieben:
5. Jan 2019, 18:43
Der Begriff „fundamental“ besagt doch lediglich, dass ich im Kontext der Naturwissenschaften in der Lage bin, höherwertige Phänomene auf sie mikroskopisch konstituierende Entitäten zurückführen kann.
Das ist meine ich eine interessante Frage, ob "fundamental" tatsächlich und notwendig immer nur im Rahmen "klein-groß" bzw. "Teile-> das Ganze" gesehen werden muss.
Gleiches gilt für den Begriff "Entität". Wenn man die Begrifflichkeiten hier etwas anders fasst, so könnte das neue Erkenntnismöglichkeiten versprechen. Das Denken in "klein-groß" ist ein Denken, nicht etwas, das notwendigerweise so in der Natur vollständig der Fall sein muss. Das sollten wir nicht vergessen. In diesem Sinne sind nämlich in komplexen Systemen auch "Fundamentalstrukturen" und Entitäten identifizierbar, die qualitativ andersartig sind, die mit reduktionistischem klein-groß-Denken nichts zu tun haben, die stattdessen "aus der Bewegung heraus" in die Existenz treten. Und auch in der Mathematik gibt es fundamentale Entitäten, z.B. kann man Pi als "fundamental" ansehen. Ich würde diese Begriffe daher gerne nicht zu eng fassen.
tomS hat geschrieben:
5. Jan 2019, 18:43
Mich stört jedoch, dass man der Physik unentwegt einen Reduktionismus vorwirft, obwohl sie neben der Untersuchung unterlagerter Strukturen immer auch die höherwertigen Strukturen und die Beziehungen im Blick hat, während andere Wissenschaften genau diesen Brückenschlag über verschiedene Ebenen oft nicht in den Blick nehmen. Der Kernphysiker versucht nicht nur, den Atomkern in Protonen und Neutronen aufzulösen, sondern er versucht immer auch, die Eigenschaften des Kerns auf Basis der Protonen und Neutronen zu rekonstruieren. Das ist übrigens der bei weitem schwierigere Teil der Arbeit, und daran arbeiten in zig Teilbereichen zig Physiker ... Falls dies nicht gelingt, gilt eine Erklärung nur wenig. Die QCD wird zum Beispiel gerade deswegen ernst genommen, weil sie nicht nur die Physik der Quarks und Gluonen erklärt, sondern weil es mittlerweile möglich ist, auch die Physik leichter Atomkerne so zu berechnen.

Mir ist immer noch nicht klar, welche Betrachtungsweise dir konkret fehlt.
Dass dich der besagte Vorwurf -als Vorwurf verstanden- stört verstehe ich und gebe dir dabei Recht.
Das konkrete Vorgehen wiederum haben wir ja nun schon explizit dargelegt (s.o.) und sind uns einig. Das kritisiert auch keiner von uns.
Es geht um folgendes:
seeker hat geschrieben:
5. Jan 2019, 17:42
Falls nein: Da hab ich dann ein Problem. Entweder gebe ich auf und sage "besser geht es halt nicht" oder ich leugne, dass diese noch ungeklärten Fragen überhaupt sinnvoll oder relevant sind oder ich gehe ganz andere Wege, indem ich nun das Gesamtsystem unter Zuhilfenahme dessen, was ich schon reduktionistisch herausgefunden habe noch einmal im Gesamten betrachte und sein Verhalten und seine Eigenschaften auf dieser Ebene studiere.
Ich entscheide mich für das letztere, weil mir alles andere unbefriedigend scheint.
...
Mir geht es darum, dass man sich für das letztere entscheiden soll. An dem Punkt werden wir uns wahrscheinlich auch einig sein.
Mir geht es dann noch darum, dass das, was ab dem Punkt auf Systemebene noch herausgefunden wird, ebenso ernst genommen werden soll wie das andere, es soll nicht von vornherein als sekundär abgewertet werden, nur weil es erst auf Systemebene erscheint.

Ansonsten, ja: Die QM und ihre Interpretationen fangen wir hier in diesem Thread besser nicht an.

Zum Schluss:
Ich denke 1. schließen wir lieber ab, falls wir uns einig werden können, dass das keine naturwissenschaftliche Frage ist und dass es deshalb dort die verschiedensten vernünftigen Meinungen/Weltbilder geben kann und dass man sich als Pragmatiker sogar darum gar nicht scheren muss, wenn man nicht möchte. Falls aber stattdessen jemand der Meinung ist, dass es dort nur eine vernünftige Meinung gibt, dann geht's weiter... :)

Punkt 2. und vor allen Dingen 3. wären vielleicht ertragreicher, die näher zu beleuchten. Liege ich mit 3. eurer Meinung nach richtig oder ist das Quatsch?
Grüße
seeker


Wissenschaft ... ist die Methode, kühne Hypothesen aufstellen und sie der schärfsten Kritik auszusetzen, um herauszufinden, wo wir uns geirrt haben.
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Re: Instabilität

Beitrag von seeker » 6. Jan 2019, 13:51

ATGC hat geschrieben:
5. Jan 2019, 21:00
Na gut, das nehme ich zwar zur Kenntnis, aber es unterstreicht einmal mehr das Konstruierte dieser Interpretation, die meinen Eindruck der Absurdität in die Vielfalt der dafür nötigen Welten zerstreut, ohne ihn jedoch damit zu eliminieren ...
Da verstehe ich dich, das kann man so sehen... :)
ATGC hat geschrieben:
5. Jan 2019, 21:00
Aber gut, wenn man es so betrachtet, ist es zumindest formal nicht falsch, aber in meinen Augen dennoch extrem strange ...
Irgendwo schon. Ein Wegweiser kann hier sein zu unterschieden, was wir als Wissen bewerten dürfen und was wir stattdessen nur vermuten können, so oder anders oder nochmal anders.
ATGC hat geschrieben:
6. Jan 2019, 13:28
Ich möchte nicht bestreiten, dass diese Interpretation im Rahmen der Teilchenphysik einen bestimmten praktischen Nutzen hat. Es hat ja offensichtlich ein Bedürfnis gegeben, diese Interpretation zu entwerfen und auszuarbeiten. Was ich bezweifle, ist, dass diese Interpretation über den Kontext der Teilchenphysik hinaus sinnvoll anwendbar ist, denn sie erklärt nichts anders als wenn ich den lieben Gott als Erklärungsgrund für makroskopische Prozesse heranziehe: Mal sehen, was der liebe Gott als nächstes weißes Kaninchen aus seinem Zylinder hervorzaubert, denn im Vorfeld kann ich das nicht wissen und im Nachhinein bin ich immer schlauer als zuvor. Und da Gottes Wege unerforschlich sind, kann das alles gut und gern auch Gottes Wille sein, der sich da als Natur Bahn bricht und unsere Sinne affiziert. Na gut, und da bleibe ich dann doch lieber bei der Emergenztheorie, statt mich in mathematischen Formeln zu verlieren, die zwar alles beschreiben und abdecken, aber nichts berechenbar werden lassen, was relevant für meinen täglichen Ablauf sein könnte.
Ja. Das ist ein wichtiger Punkt. Hier geht es um Extrapolationen, einmal um Extrapolation dessen, was gemessen werden kann, auf das, was man nicht messen kann, einmal um Extrapolation von dem was berechnet werden kann, auf das, was nicht berechnet werden kann, einmal von dem was nur ungenau gemessen werden kann, auf exaktes 'So-Sein', einmal von Extrapolation dessen, was nicht vollständig isoliert vermessen werden kann, auf ein gedachtes, aber in der Natur niemals vorkommendes vollständig isoliertes System und einmal um Extrapolationen von einem Fachbereich auf die ganze restliche Welt. Bei allem ist Vorsicht geboten, denn Extrapolationen sind nie ganz sicher und je weiter ihre Reichweite sein soll, desto unsicherer werden sie.
Grüße
seeker


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Re: Instabilität

Beitrag von tomS » 7. Jan 2019, 07:18

seeker hat geschrieben:
6. Jan 2019, 13:51
[Bei der Everettschen Quantenmechanik] geht es um Extrapolationen, einmal um Extrapolation dessen, was gemessen werden kann, auf das, was man nicht messen kann, einmal um Extrapolation von dem was berechnet werden kann, auf das, was nicht berechnet werden kann, einmal von dem was nur ungenau gemessen werden kann, auf exaktes 'So-Sein', einmal von Extrapolation dessen, was nicht vollständig isoliert vermessen werden kann, auf ein gedachtes, aber in der Natur niemals vorkommendes vollständig isoliertes System und einmal um Extrapolationen von einem Fachbereich auf die ganze restliche Welt. Bei allem ist Vorsicht geboten, denn Extrapolationen sind nie ganz sicher und je weiter ihre Reichweite sein soll, desto unsicherer werden sie.
Das unterschreibe ich so nicht.

Zum einen besteht das Wesen der Physik gerade in diesen Extrapolationen - besser: Vorhersagen - die dann experimentell überprüft werden. Nicht viel anders verhält es sich hier, der Bereich der experimentell zugänglichen Quantenphänomene wird weiterhin sukzessive erweitert - siehe z.B. Nobelpreis 2012.

Eine Extrapolation auf Dinge, die nicht berechnet werden können, sehe ich im Rahmen der Everettschen Quantenmechanik nicht.

Eine Extrapolation von ungenauer Messung oder mathematischer Näherung auf exaktes „So-Sein“ war ebenfalls immer das Wesen der Physik - bis zu Niels Bohr. Man war natürlich nur gezwungen, mathematische Modelle als exakte Repräsentanten der Realität aufzufassen, konnte sie jedoch immer als hinreichend genau Repräsentanten auffassen. Bohr wischte das vom Tisch - sehr voreilig, wie Everett et al. zeigen.

Das vollständig isolierte System ist in der Natur durch das Universum selbst gegeben und damit keine Idealisierung. Jede Interpretation der Quantenmechanik, die einen irgendwie „externen“ Beobachtungsprozess einführt, geht prinzipiell fehl bzw. greift zu kurz. Everett ist nunciature das Maß aller Dinge, jedoch so ziemlich der einzige, der auch nur ansatzweise eine Antwort darauf hat.
Gruß
Tom

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