tomS hat geschrieben:Kommen wir nochmal auf mein Programm zurück.
(1) ist für mich klar, denn wenn dies nicht gelten würde, würde Biologie der Quantenmechanik widersprechen. (2) ist für mich praktisch nicht durchführbar, insbs. bei höherwertigen Strukturen und Prozessen. Und es scheitert sicher bei Gehirn/Geist und damit wohl auch bei Verhaltensbiologie u.ä.
Das ist aber noch nicht der essentielle Punkt, auf den ich eigentlich hinauswill. Meine Erwartungshaltung ist, dass selbst wenn (1) gesichert und (2) sehr weit fortgeschritten wäre, viele Biologen das Gefühl hätten, das die Gesamtheit der Erkenntnisse aus (1) und (2) nicht Biologie ist bzw. dass es dies der Biologie und dem Leben nicht gerecht wird.
...
Worauf ich hinauswill - und was ich nochmals betonen möchte - ist, dass (1) und (2) dazu dienen, einerseits die Reduzibilität bzgl. (1) zu sichern und bzgl. (2) zu plausibilisieren, uns andererseits jedoch mit dem Gefühl zurücklassen, dass Leben an sich eben doch irreduzibel ist, und dass auf dem Weg des Erfolges von (1) und (2) etwas essentielles verloren geht. Diese Irreduzibilität transzendiert jedoch (1) und (2), denn das, was da verloren geht, ist nicht in (1) und (2) „enthalten“.
Ja. Und ich denke, das kann ich erklären.
Es hängt damit zusammen:
ATGC hat geschrieben:seeker hat geschrieben:Der Biologe kann nicht einmal sicher sagen, ob "alles Lebendige" zwingend immer aus Materie sein muss.
Na doch, das kann man schon sagen, denn irgend etwas muss ja zunächst mal da sein, damit es lebendig sein kann.
Skeltek hat geschrieben:Da würde ich mich nicht zu weit aus dem Fenster lehnen. Klar hilft Materie,...
tomS hat geschrieben:Jede Form, jede Struktur und jeder Prozess basieren zunächst auf Materie, d.h. Atomkerne und Elektronen
Nein, nicht zwingend. Obwohl der Begriff "Leben" nicht exakt definiert ist, so ist es doch ungefähr dies:
Das Wort Leben bezeichnet zum einen die Organisations- bzw. Prozessform, die allen Lebewesen gemeinsam ist und die sie von lebloser Materie unterscheidet. Zum anderen bezeichnet es die Gesamtheit der Lebewesen in einem abgegrenzten Gebiet.
Was Leben bzw. ein Lebewesen ist, wird – in der modernen Biologie wie schon bei Aristoteles – nicht über einzelne Eigenschaften, einen bestimmten Zustand oder eine spezifische Stofflichkeit definiert, sondern über eine Menge von Aktivitäten, die zusammengenommen für Leben bzw. Lebewesen charakteristisch und spezifisch sind.[1] Als diese Aktivitäten werden üblicherweise genannt:
- Energie- und Stoffwechsel und damit Wechselwirkung mit ihrer Umwelt.
- Organisiertheit und Selbstregulation (Homöostase).
- Reizbarkeit, das heißt sie sind fähig, auf chemische oder physikalische Änderungen in ihrer Umwelt zu reagieren.
- Fortpflanzung, das heißt, sie sind zur Reproduktion fähig.
- Vererbung, das heißt, sie können Informationen (Erbgut) an ihre Nachkommen übermitteln.
- Wachstum und damit die Fähigkeit zur Entwicklung.[2]
https://de.wikipedia.org/wiki/Leben
Direkt hinzufügen möchte ich dem noch, dass Leben dadurch gekennzeichnet ist, dass es sich durch eine beidseitig durchlässige Grenze (z.B. Zellmembran) von seiner Umwelt separiert, wobei die Regeln innerhalb der Grenze andere sind als außerhalb. Leben hat mit Selbstorganisation innerhalb von selbstgeschaffenen Grenzen zu tun, Leben ist selbstbezüglich, seine Gesetze und Strukturen gelten nur innerhalb dieser Grenzen (mit Gesellschaften ist es übrigens dasselbe).
Wichig ist hier der blau markierte Satz:
Der Begriff "Leben" ist grundsätzlich weiter gefasst als rein materielle Begriffe: Der Begriff "Materie" kommt in der obigen Definition überhaupt nicht vor. Leben braucht zwar immer ein Substrat, als Bühne, auf dem es sozusagen abläuft, aber
was dieses Substrat ist, ist prinzipiell egal und austauschbar, so lange die dadurch bereitgestellte Bühne gewisse notwendige Grundeigenschaften zur Verfügung stellt. Prinzipiell könnte Leben auch auf ganz andersartiger Materie in anderen Universen ablaufen, wo gar keine quantenmechanischen Gesetze herrschen oder auf noch ganz andersartigen Substraten, die wir uns gar nicht vorstellen können.
Aus diesem Grund ist es unmöglich "Leben" in seiner universellen Form vollständig auf unsere Physik zurückzuführen: Die Kategorie "Leben" ist nicht vollständig in der Kategorie "Physik" enthalten, es gibt nur eine gewisse Schnittmenge.
Schon prinzipiell ist es daher nur maximal möglich, das Leben in seiner speziellen Form, "so wie wir es bisher kennen" auf die uns bekannte, bei uns gültige Physik zurückzuführen.
Und aus diesem Grund könnte man umgekehrt auch argumentieren, dass "Leben" ein Epiphänomen sei, ähnlich wie beim Körper-Geist-Problem.
tomS hat geschrieben:Deswegen folgt aus den Axiomen der Quantenmechanik rein logisch entweder, dass dies alles ausschließlich und vollständig quantenmechanisch determiniert ist, oder dass die Quantenmechanik unvollständig ist. Für letzteres kenne ich keine Hinweise, und ich kenne keine Stimme aus den Naturwissenschaften, dies dies im Umfeld der Biologie vermuten würde.
Ja, das ist so. Einschränken muss man aber hier, dass es auch keine Hinweise gibt, dass diese Prämissen in ihrer scharfen Form gültig sind.
(Das glaubt auch keiner, wenn man ehrlich ist; wir erwarten, dass noch tieferliegende Strukturen gegeben sind, manche erwarten dabei, dass es immer kausal bleiben wird, aber es ist nur eine Erwartung, kein Wissen, das ist wichtig.)
Man muss auch klarstellen, wo man da ist:
1) Wenn wir sagen, dass die Natur in der Genauigkeit, die wir bisher empirisch prüfen konnten und in den Systemen, die wir damit bisher erfasst haben, sich mit zufriedenstellender Genauigkeit so verhält, wie es die QM beschreibt, dann ist das unsere geliebte, harte Naturwissenschaft "Physik".
2) Wenn wir sagen, dass sich die Natur immer und überall und unendlich genau so verhält, wie es die QM beschreibt, dann ist das Spekulation.
3) Und wenn wir sagen, dass aus vernünftigen Gesichtspunkten heraus sicher nur 2) der Fall sein kann und alles andere Blödsinn sein muss, dann ist das Ideologie.
Wir sind hier in der Diskussion mindestens auf Ebene 2). Ich habe da überhaupt nichts dagegen, muss aber darauf bestehen, dass wir uns im spekulativen Bereich aufhalten, im Bereich: "Das wissen wir nicht sicher, im Sinne von empirisch konsolidiert."
Wir können dem dennoch folgen, und wenn wir dann Toms Programm genau anschauen, so werden wir feststellen, dass jede genaue und vollständige materielle Axiomatisierung des Lebens selbst auf der Ebene "Leben, so wie wir es kennen" scheitert, weil selbst in dem Bereich das Leben schon zu vielfältig und unterschiedlich ist, als dass solches in jedem Lebewesen überall genau gleich aufgefunden werden könnte, d.h.: manche Kriterien sind durch andere austauschbar, die Anzahl der Kriterien ist nicht konstant, "Leben als Gesamtheit" ist in der Hinsicht an sich schon
unscharf, nicht nur begrifflich,
sondern ganz real.
D.h.: Mit Toms Programm wäre es maximal denkbar ein einzelnes konkretes Lebewesen abzubilden, nicht aber die Universalie "Lebewesen".
Man könnte dann natürlich anschließend zwar alle Einzellebewesen abbilden, aber die Universalie würde dadurch dennoch nicht sicher und genau abgebildet.
D.h.:
Toms "(1)" (die ontologische Ebene) ist ungeklärt, nicht sicher wissbar. Aus physikalischer Sicht steht zu
vermuten, dass es so ist, wie Tom meint. Aus anderen Sichtweisen heraus ergibt sich das nicht unbedigt.
Toms "(2)" (die beschreibende Ebene) ist sicher nicht möglich. Und nicht deshalb, weil unsere Fähigkeiten dafür unzureichend sind, sondern weil es wegen den Begrifflichkeiten prinzipiell nicht geht.