Ich möchte meine Behauptung noch einmal kürzer formulieren:
Derzeit steht unserem Fortkommen gerade an den Grenzen der Physik viel stärker die Empirie als die Theorie im Wege.
Die theoretischen Möglichkeiten sind heute viel weiter fortgeschritten als die empirischen, wenn es irgendwo nicht recht weiter geht, dann liegt das primär an fehlender Empirie und erst sekundär an der speziellen Theorie mit ihren inhärenten Problemstellungen.
Dieses Problem kann
irgendein Ansatz nur dann besser lösen, wenn es gelingt aus ihm neue Messungen vorzuschlagen, die auch durchgeführt werden können und mit Hilfe derer der Ansatz
sicher (also nicht nur indizienhaft) bestätigt oder falsifiziert werden kann und von anderen Ansätzen unterschieden werden kann.
Daher:
Bei allen neuen Ansätzen ist diese Frage diejenige, die man zuallererst im Fokus haben sollte: Kann man da etwas messtechnisch nachweisen - und zwar am besten morgen und nicht erst vielleicht in 1000 Jahren?
Alles andere ist vielleicht mathematisch schön und weltanschaulich genehm aber führt heute nicht wirklich weiter.
Und deshalb:
Die entscheidende Frage ist heute nicht mehr, welche Theorien noch formuliert werden können, sondern wie weit man die Empirie noch wird vorantreiben können - und wie weit absehbar oder gar sicher nicht mehr.
Ich will meine Behauptung auch gar nicht propagieren, ich will zum Nachdenken darüber anregen.
Ganz kurz:
Mir scheint, ihr konzentriert euch gerne auf die Schranken des Denkens, ich möchte euch auf eine ganz andere Schranke hinweisen, die ebenso wichtig ist: die Schranke der praktischen Machbarkeit, der Messbarkeit.
Struktron hat geschrieben: ↑12. Dez 2018, 23:50
So, wie mittlerweile unüberschaubar viele String-Theorien zusammengefasst werden, sollte eine Kategorisierung und tabellarische Darstellung aller uns bekannten Ansätze möglich sein. Läge diese vor, könnten diesen Kategorien Lösungen der offenen Probleme der Physik
https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_ung ... der_Physik zugeordnet werden.
Löst ein Ansatz mehr wichtige Probleme und liefert bessere Zahlenwerte, ist er besser als ein anderer. So etwas könnten wir sogar hier versuchen zu diskutieren.
Könnte man versuchen. Ich glaube allerdings eher nicht, dass wir hier dazu in der Lage sind.
Die Gegenliste (die extrem viel länger ist) müsste man dann natürlich auch anschauen: Welche Probleme wurden bereits von welchem Ansatz gelöst (oder sind zumindest sicher lösbar), von welchem nicht?
Job hat geschrieben: ↑13. Dez 2018, 10:19
Ich und auch einige andere in diesem Forum (wie ich glaube) wollen einfach verstehen, was die heutigen experimentell hervorragend abgesicherten Theorien wie QM, SRT und ART eigentlich für einen physikalischen Hintergrund haben, um Fragen wie „Warum funktioniert die QM so gut? , Welchen Teil der Natur beschreibt die QM konkret? Aus welchen einfacheren Annahmen könnten sich die Postulate der QM ableiten lassen? Was ist Gravitation?, etc. zu beantworten.
Das kann ich gut verstehen. Ich will euch da auch gar nicht den Wind aus den Segeln nehmen.
Meine Behauptung besagt einfach: Es nützt alles nichts, wenn es nicht auch gelingt irgendetwas zu messen. Und DORT liegt heute das Hauptproblem.
D.h.: Ihr könnt das Problem nicht alleine lösen und ihr müsst euch genau anschauen, was die Empirie kann und nicht kann, um die Frage: "Was darf man vernünftigerweise hoffen?" beantworten zu können, ganz unabhängig von eurer verfolgten Theorie.
Job hat geschrieben: ↑13. Dez 2018, 10:19
Wenn man sich diese Fragen stellt, ist man aus heutiger Sicht in der Physik automatisch ein Außenseiter, weil es nicht viele Profis gibt, die sich (zumindest offiziell) mit solchen Fragen wirklich beschäftigen und dabei auch bereit sind, einige der heute grundlegenden Annahmen und Interpretationen in Frage zu stellen. Nicht wenige sehen das sogar als sinnlos an bzw. glauben dass es gar keine Antworten auf diese Fragen gibt bzw. geben kann. Das ist einer der Gründe aus meiner Sicht, warum es nicht wirklich weitergeht. Es denken nur sehr wenige überhaupt darüber nach.
Mag sein. Aber ich behaupte: Es ist nicht der Hauptgrund, lange nicht!
Job hat geschrieben: ↑13. Dez 2018, 10:19
Wenn man sich die Zeit nimmt, zu versuchen, obige Fragen zu beantworten, kommt man früher oder später zu der Schlussfolgerung, dass es ohne die Einführung heute noch nicht bekannter, untergelagerter Mikrostrukturen nicht möglich ist, obige Fragen zu beantworten.
Die entscheidende Frage ist: Kann man sie messen?
Danke! Mach ich bei Gelegenheit.
Job hat geschrieben: ↑13. Dez 2018, 10:19
seeker hat geschrieben: ↑
Kurz: Wir brauchen heute vornehmlich keine neuen theoretischen Ideen und Ansätze mehr, sondern bessere empirische Fakten. Und da es zunehmend schwieriger wird diese zu beschaffen, werden wir absehbar bald sehr viel Geduld brauchen, vielleicht Jahrhunderte Geduld oder länger, völlig egal wie sich die Theoretiker noch anstrengen mögen.
Da bin ich anderer Meinung. Ich stimme aber mit Dir überein, dass wir keine neuen theoretischen Ideen und Ansätze mehr brauchen, die im Grunde die heutigen grundlegenden Ansichten unangetastet lassen.
Es geht primär nicht darum, neue mathematische Theorien aufzustellen, sondern die bisher bewährten erstmal richtig zu verstehen.
Gretchenfrage: Kann man sie richtig verstehen und dabei auch wissen,
dass man sie dann richtig verstanden hat, ohne ein erhebliches Mehr an empirischen Befunden, insbesondere in den Hochenergiebereichen? Ist es vernünftig das zu hoffen?
Job hat geschrieben: ↑13. Dez 2018, 10:19
seeker hat geschrieben:Wir sind schon sehr nahe an den Grenzen dessen, was ein kleiner Nacktaffe auf einem verlorenen Planeten prinzipiell überhaupt mit akzeptabler Gewissheit herausfinden kann. Kleine Schritte und in der Zukunft dann immer noch kleinere Schritte nach vorne sind noch möglich, aber noch ganz große Schritte wie in der Vergangenheit? Nein, sehr unwahrscheinlich, dafür sind wir schon viel zu weit fortgeschritten.
So ähnlich haben die meisten Physiker Ende des 19. Jahrhunderts wohl auch gedacht. Wir wissen alle, was daraus geworden ist.
Ich weiß: Sag niemals nie! Aber ich glaube die Situation ist heute eine andere. Es geht mir um die messtechnischen Grenzen. Die lassen sich m. E. recht gut einschätzen. Wir dürfen noch auf die Gravitationswellenastronomie und vielleicht Neutrinoastronomie hoffen und auf weitere Verfeinerungen dessen, was wir eh schon machen. Aber sonst? Die Energiebereiche, die wir gerne vermessen würden, wenn wir uns was wünschen dürften, sind von der Technik her dermaßen weit entfernt, dass es heute unvorstellar ist, wie man dort jemals hingelangen soll, auf absehbare Zeit ist es unmöglich. Und andere Dinge wie das, was außerhalb unseres Universums ist oder wie es insgesamt hinter dem kosm. Horizont aussieht sind ganz außer Reichweite.
Und das trifft eben JEDE Theorie, ganz gleich welche.
Job hat geschrieben: ↑13. Dez 2018, 10:19
Solange wir nicht verstanden haben, was die zentralen Begriffe der Physik, wie Masse, Raum, Zeit, Entropie, Information, Energie, Gravitation, Elektronen, Photonen, etc. wirklich sind, können wir dann wirklich sagen, dass wir fast fertig sind? Ich denke nein.
Können wir das erreichen, ohne ganz neue Empirie, die uns eben nicht zur Verfügung steht?
Job hat geschrieben: ↑13. Dez 2018, 10:19
Meine Prognose ist, dass die Suche nach Antworten darauf und die ersten Ergebnisse ähnlich viel Umdenken erfordern werden, wie das damals mit den neuen Sichtweisen auf Raum und Zeit und dem stochastischen Verhalten von Elementarteilchen der Fall war. Newton ist dadurch nicht vom Sockel gestossen worden, aber unser Weltbild hat sich trotzdem grundlegend geändert. Auch die QM müssten wir nicht verwerfen, sondern wir werden sie unter einem ganz neuen Blickwinkel (vor allem ohne Mystik) sehen und dann auch begreifen und verstehen, was sie denn beschreibt und warum sie als effektive Theorie einer untergelagerten Mikrowelt so gut funktioniert.
Meine Prognose ist, dass auf diesem Weg noch kleine Fortschritte möglich sein können. Aber ohne die dazugehörigen Messergebnisse wirst du da ganz genau in dieselbe Misere geraten wie die Stringtheorien und wie sie alle heißen. Alles andere würde ich momentan als tollkühn optimistisch empfinden.
Job hat geschrieben: ↑13. Dez 2018, 10:19
Wenn wir die Existenz so einer untergelagerten Mikrowelt von vornherein als grundlegende Annahme negieren
Das sollten wir nicht tun - und tun wir glaube ich auch nicht. Aber es hilft am Ende nur eines: Der empirische Nachweis! Wie geht der?
Skeltek hat geschrieben: ↑13. Dez 2018, 18:01
Ich glaube die beobachtete Diskrepanz zwischen berechneter und tatsächlicher Orbitalgeschwindigkeit von Spiralarmen usw sind nicht 'indirekter Natur', sondern ziemlich wesentlich.
Das ist nicht das Problem. Das Problem ist auch nicht sich irgendwelche Erklärungen dafür auszudenken und die mathematisch zu formulieren.
Das Problem ist der empirische Nachweis, dass es so ist wie gedacht. Haben wir die DM nachgewiesen, in dem Sinne, dass wir herausgefunden haben was das ist? Ist das ein theoretisches Problem?
Haben wir DE nachgewiesen, in dem Sinne, dass wir herausgefunden haben was das ist? Ist das ein theoretisches Problem?
Nö - oder? Nicht primär.
Skeltek hat geschrieben: ↑13. Dez 2018, 18:01
Derzeit wird versucht alles auf Naturkonstanten zurückzuführen. Würde man das Formelgerüst umstellen, könnte man teils anfangen zumindest die theoretische Möglichkeit der Variabilität einiger Konstanten zu überprüfen. Wir lassen uns derzeit teils zu sehr von unseren eigenen Weltvorstellungen leiten und sind zu wenig formalistisch.
Alternative Ansätze sind oft zu kompliziert um sie auf das gesamte Formelgerüst zu übertragen und bräuchten viele Jahrzehnte Arbeit. Würde man z.B. die Gravitation auf die Zeit zurückführen anstatt sie rein räumlich zu betrachten, würde alles recht schnell unübersichtlich, schwer überprüfbar und zunächst kaum zu irgendeinem praktischen Nutzen führen. (Ja, Körper beschleunigen gravitativ in der Regel dorthin, wo die Zeit langsamer vergeht - eine der vielen Äquivalenzbetrachtungen die es nicht groß ins öffentliche Augenmerk geschafft haben).
Was ich sagen will ist, dass die unser Denken leitenden Modelle viele Alternativen von Vorne herein unbeliebt und unbequem machen (auch für die diese erdenkenden Menschen selbst). Das ist glaube ich eine der hauptursachen, weshalb wir bei vielem nicht weiter kommen. Man kommt eben viel schneller und viel weiter, wenn man sich auf ein oder wenige ähnliche Ansätze und Modelle beschränkt.
Darin mag eine Problematik liegen, ja. Aber es ist nicht das Hauptproblem. Selbst wenn du das alles besser machst und dennoch das Entscheidende nicht messen kannst, bist du hinterher 'so klug als wie zuvor'.
Stellt euch auch einmal vor, wir hätten in Zukunft nicht nur ein Standardmodell sondern zehn verschiedene ausformuliert, alle nicht ineinander überführbar und alle im Großen und Ganzen gleichwertig, das Eine an der Stelle besser, das Andere an jener Stelle.
Wären wir dann weiter als heute?
In gewisser Weise vielleicht ja, in anderer Weise vielleicht nein. Aber eines kann ich euch sicher sagen: Die Verwirrung wäre größer als heute, die Zufriedenheit geringer. Es sei denn wir würden die liebgewonnene Idee der "Einen Wahren Beschreibung" aufgeben.