Pippen hat geschrieben: ↑2. Mai 2021, 22:45
1. Es spielt für die Frage der Willensfreiheit keine Rolle, wie oder woraus unser Bewusstsein hervorgebracht wird, sondern nur dass es keine Ex-nihilo-Maschine ist. Natürlich wissen wir auch das nicht wirklich, aber die meisten würden sich wohl darüber verständigen, dass wir das als wahr annehmen.
Zunächst geht es hier darum, dass hier a priori angenommen wird, dass da überhaupt eine Maschine sei.
Diese Vorab-Perspektive und ihre Begleitumstände sind zu prüfen.
Pippen hat geschrieben: ↑2. Mai 2021, 22:45
Wo ist da ein Zirkel?
Der Zirkel in deinem Argument besteht darin, dass du in deiner Prämisse annimmst, dass Zeitreisen in die Vergangenheit möglich sind - und sei es nur gedanklich. Die Prämisse impliziert damit (im Voraus, gedanklich), dass die Welt vollständig mechanistisch-kausal sei, es also auch keinen freien Willen geben könne. Das kommt dann natürlich auch so in deiner Konklusion heraus.
D.h.: Du legst hier a priori ein vollständig mechanistisches Weltbild zugrunde und meinst dann festgestellt zu haben, dass die Welt vollständig mechanistisch ist, weil es sich so aus deinem Weltbild ergibt. Das ist ein Trug- bzw. Zirkelschluss. Das bedeutet nicht, dass du nicht dennoch Recht haben könntest, es heißt aber, dass es damit nicht bewiesen ist.
Pippen hat geschrieben: ↑2. Mai 2021, 22:45
Ich glaube, man kann einen Fatalismus leben, gut leben! Ich teile deinen Pessimismusnicht
Ich analysiere, ich habe noch gar keine Urteile gefällt.
Pippen hat geschrieben: ↑2. Mai 2021, 23:02
Dieses komplexe Ganze wird entweder durch einen determinierten Mechanismus oder durch einen undeterminierten Mechanismus (Zufall) zu seiner Entscheidung geleitet. Beides verhindert Freiheit.
Prämisse:
Jeder (-> lückenloser Allgemeinheitsanspruch und Anspruch auf eine primäre, mechanistische "Meister-Perspektive"!) Vorgang wird entweder durch einen determinierten Mechanismus oder durch einen undeterminierten Mechanismus (Zufall)
vollständig bestimmt.
Konklusion: Es gibt keinen freien Willen.
Wenn diese Prämisse zutrifft, ist das so. Nur: Es ist eine Voraus-Annahme, die sich aus einem strikt mechanistischen Weltbild ergibt.
Das ist eine bestimmte Perspektive auf die Welt, ein bestimmter Kontext, ein bestimmtes Sinnfeld.
Die Annahme ist zu prüfen, wir wissen nicht, ob sie zutrifft. Und falls ja: Ob sie so strikt zutrifft, wie viele heute denken.
Weitere Schwierigkeit:
Wenn man ein strikt mechanistisches Weltbild zugrundelegt, dann dann kann man dort auch nur über diejenigen Begriffe reden, die in diesem Sinnfeld vorkommen und definiert sind.
Daraus ergibt sich, dass man von dort aus weder sagen kann "den freien Willen gibt es", noch "den freien Willen gibt es nicht", man kann stattdessen von dort aus
überhaupt keine Aussage über einen Begriff "freier Wille" machen, weil der Begriff dort nicht existiert.
Das gilt für alle Begriffe, die dort nicht definiert sind.
Allgemein:
Man muss immer zuerst irgendein Sinnfeld (Perspektive, Kontext) zugrundelegen, erst dann sind darin gültige Begriffe definiert/ existent, mit denen man bezüglich eben dieses Sinnfeldes hantieren kann.
Man kann z.B. nicht aus dem Sinnfeld "Mathematik" heraus darüber reden, ob Erdbeeeren besser riechen als die natürlichen Zahlen, man kann von dort aus überhaupt nicht über "Geruch" reden, weil dieser Begriff in diesem Sinnfeld/Kontext schlicht nicht existiert (bzw. nicht definiert ist).
Berücksichtigt man das nicht, so begeht man leicht einen Kategorienfehler und plappert sinnloses Zeugs.
In dieses Problem können wohlgemerkt auch die Neurowissenschaftler leicht hineinlaufen, vielleicht ohne es zu bemerken, denn ihr Forschungsgegenstand bzw. ihr Sinnfeld ist ja nicht das Bewusstsein oder der Wille, sondern das physikalisch vermessene Objekt "Gehirn".
Daher kommen in deren Sinnfeld eigentlich auch keine Begriff wie "Wille" oder "Bewusstsein" vor (-> dort nicht definiert), also können sie darüber eigentlich gar nicht sinnvoll reden.
Skeltek hat geschrieben: ↑2. Mai 2021, 00:57
Und beim freien Willen ist es doch genauso. Frei wovon? Es kann ja alles deterministisch sein ohne vorherbestimmt zu sein.
Das ist ein Irrtum, das ist leider nicht so: Wenn vollständig determiniert, dann auch vorherbestimmt. Allein ergibt sich daraus nicht, dass die festgelegte Zukunft auch unbedingt vorhersagbar (wissbar) sein muss.
Skeltek hat geschrieben: ↑2. Mai 2021, 00:57
Ich verstehe eure Unterscheidung zwischen bewusst und unbewusst nicht. Was spielt es denn für eine Rolle, bis zu welchem Detailgrad ich mir den sensorischen Input z.B. meiner Hand merke? Ich muss mich nicht darauf konzentrieren, welche Nervenzellen wann exakt in welchem Zustand sind, um eine grobe Beurteilung der Gesamtintensität zu treffen.
Nun ja, unsere Bewusstsein ist nun einmal von besonderem Interesse für uns. Und ein "unbewusster Wille" wäre schwer zu fassen.
Aber du hast nicht Unrecht: Wenn man genau hinschaut, stellt man fest, dass
alle bewusst gewollten Handlungen ganz am Ende vom unbewussten Teil ausgeführt werden. D.h. das Bewusstsein beauftragt in diesen Fällen sozusagen das Unbewusste, dieses führt dann aus.
Beispiele:
Hebe deinen Arm oder sage irgendetwas! Wie machst du das?
Es fällt auf, dass zwar der Arm folgt, auch die Zunge und die Lippen beim Sprechen, dir aber nicht bewusst wird, wie du das machst und du das auch nicht bewusst steuern musst.
Oder wenn du Auto oder Fahrrad fährst: Da geht vieles davon auch irgendwann vollautomatisch, was du irgendwann nicht mehr bewusst beachten musst. Da sind eine Vielzahl von Automatismen unterlegt, was auch gut so ist, das macht das Leben leichter.
Und dann wär da noch die Sache mit der Aufmerksamkeit und Konzentration:
Die Aufmerksamkeit ist wie der Lichtkegel einer Taschenlampe in einem ansonsten dunklen Raum. Dorhin, wo der Lichtkegel gerade gelenkt wird, das erscheint im Bewusstsein, das andere verschwindet, ist aber durchaus noch da.
Wohin der Lichtkegel gelenkt wird, das hat etwas mit deinem Willen zu tun. Das kann man sogar üben und so verbessern.
Timm hat geschrieben: ↑1. Mai 2021, 19:53
Das sehe ich auch so. Ich habe Experimente der Gehirnforscher prominent vertreten durch Wolfgang Singer und deren Interpretation lediglich in Kurzform beschrieben - nicht mir zu eigen gemacht.
Alles klar. Ich möchte dennoch die Haltung von einigen Neurowissenschaftlern noch genauer abklopfen:
Unser Gehirn stellt ja ein komplexes Netzwerk dar, wo im Prinzip alles mit allem verbunden ist, Anregungsmuster laufen hin und her, rauf und runter, da ist nichts linear.
Wir können hier auch einmal vorläufig annehmen, dass alle bewussten Erscheinungen mit Prozessen in diesem Netzwerk korrelieren.
Was manche Neurowissenschaftler also behaupten, ist am Ende, dass alle Netzwerkmuster, die mit Bewusstsein und Wille korrelieren, sich sozusagen totlaufen, wie in einer Sackgasse, dass diese Muster also
überhaupt nicht mehr auf die restlichen Muster im Gehirn rückwirken, die mit unbewussten Vorgängen korrelieren (-> dass also ausschließlich mein erstes Schaubild zutrifft).
Ok, wenn eines Tages der empirische Nachweis erbracht werden könnte, dass dem so ist, dann ließe ich mich wohl von ihrem Standpunkt überzeugen. (Hierzu gehörte natürlich auch eine empirisch nachgewiesene klare und scharfe Abgrenzung, welche Prozesse/Anregungsmuster klar und ausschließlich mit Bewusstsein korrelieren und welche direkt daneben überhaupt nicht.)
Ich glaube allerdings nicht, dass er erbracht werden kann, eher erwarte ich, dass das Gegenteil eines Tages klar nachgewiesen werden kann (wenn es das nicht schon ist, das ist möglicherweise einfach nur eine Frage der Betrachtung bzw. Interpretation).
Von daher verstehe ich auch nicht ganz, wie Leute wie Wolf Singer zu ihrer Haltung kommen.
P.S.:
Im Versuch es noch einmal etwas anders auf den Punkt zu bringen:
Wenn ich die Sache mit der Neuroforschung halbwegs richtig verstanden habe, dann behaupten Leute wie Singer in letzter Konsequenz, dass wenn man einem Menschen alle Gehirnzellen, die mit bewusstem Willen korrelieren, herausschneiden würde oder wahlweise alle damit korrelierten Anregungsmuster unterdrücken würde, dass sich dann von außen gesehen überhaupt kein Unterschied feststellen lassen würde, dass ein solcher Mensch in allem immer noch ganz genauso wie zuvor handeln würde.
Das kommt mir dann doch recht absurd vor.
So eine Behauptung wäre schon sehr beweisbedürftig, bevor man sie m.E. auch nur halbwegs ernst nehmen kann.