Seite 1 von 1

Was passiert, wenn man in ein Loch springt, was komplett durch die Erde geht?

Verfasst: 9. Sep 2018, 02:50
von Pippen
Wir bohren ein Loch durch die Erde, durch deren Mittelpunkt (warum hört man über solche Projekte eigentlich NIX, während alles über Marsmissionen spricht?) Nehmen wir an, ich springe an einem Ende rein. Was passiert? Fallen dürfte ich nur etwa bis zum Mittelpunkt, aber würde mein Fall zum Mittelpunkt hin so verlangsamt, dass ich es überleben würde oder wäre ich Matsch?

Re: Was passiert, wenn man in ein Loch springt, was komplett durch die Erde geht?

Verfasst: 9. Sep 2018, 08:38
von tomS
Innerhalb der Erde hat das Gravitationspotential keinen 1/r sondern einen r² Verlauf. D.h. ein fallender Körper würde eine Schwingung wie an einem Federpendel durchführen

r(t) = R cos(ωt)

hätte am Erdmittelpunkt die größte Geschwindigkeit gem.

r(t) = -ωR sin(ωt)

und würde bis zum gegenüberliegenden Austrittspunkt des Loches pendeln; dort wäre der Umkehrpunkt. Eine vollständige Schwingung bis zum Ausgangspunkt dauert ca. 1½ Stunden.

Die gilt allerdings nur, wenn das Loch zwischen den Polen verläuft, wo kein Effekt der Erdrotation vorliegt. Ansonsten hätte der fallende Körper eine Winkelgeschwindigkeit Ω. bzw. einen ursprünglichen Bahndrehimpuls an der Erdoberfläche

L = mR²Ω°

Der Bahndrehimpuls ist erhalten, d.h. die Winkelgeschwindigkeit würde sich aufgrund des Pirouetteneffektes bei kleinerem Radius r(t) erhöhen:

Ω(t) = L / mr²(t) = Ω° R² / r²(t)

Die Winkelgeschwindigkeit der Wände des Lochs ist jedoch konstant entlang der Röhre. Die Bahnkurve des Körper würde also an die Wand des Lochs führen; dort würde er dann herunterrutschen.

Re: Was passiert, wenn man in ein Loch springt, was komplett durch die Erde geht?

Verfasst: 9. Sep 2018, 09:26
von ralfkannenberg
Pippen hat geschrieben:
9. Sep 2018, 02:50
Fallen dürfte ich nur etwa bis zum Mittelpunkt
Hallo Pippen,

warum ? Am Mittelpunkt ist zwar die auf die Testperson wirkende Schwerkraft am kleinsten, aber dafür ist ihre Geschwindigkeit am grössten. Idealerweise setzen wir an dieser Stelle noch eine homogene Masseverteilung der Erde voraus. Die am Erdmittelpunkt erreichte Geschwindigkeit reicht gerade aus, um wieder bis zum anderen Austrittspunkt des Bohrloches weiterzufliegen, falls es keine Reibung gibt. Das ist die Situation wie am idealen Pendel, von dem Tom geschrieben hat.

Pippen hat geschrieben:
9. Sep 2018, 02:50
aber würde mein Fall zum Mittelpunkt hin so verlangsamt, dass ich es überleben würde oder wäre ich Matsch?
Er wird nicht verlangsamt, sondern beschleunigt.

Allerdings ist es im Erdinneren ziemlich warm, so dass die Testperson lange ehe sie am Erdmittelpunkt ankommt verdampfen würde.


Du musst also Deine Frage dahingehend idealisieren, dass:

1. die Masseverteilung der Erde (hinreichend) homogen ist
2. die Erde nicht rotiert
3. es keine Reibungseffekte im Bohrloch gibt
4. die Temperatur im gesamten Bohrloch angenehm ist
5. ...


Freundiche Grüsse, Ralf

Re: Was passiert, wenn man in ein Loch springt, was komplett durch die Erde geht?

Verfasst: 10. Sep 2018, 06:58
von seeker
Hier noch mit Animation:

Gravitationstunnel
https://de.wikipedia.org/wiki/Gravitationstunnel

Re: Was passiert, wenn man in ein Loch springt, was komplett durch die Erde geht?

Verfasst: 10. Sep 2018, 09:41
von Pippen
Wir idealisieren die Erde dann mal, ich habe meinetwegen auch eine Atemmaske auf. Würde ich diesen Fall in das Loch überleben? Wenn ich die Wände nicht berühre, dann dürfte ich eigentlich nie irgendwo so stark abgebremst werden, dass es kritisch wird und einem Aufprall gleichkommt, oder? TomS' Schilderungen scheinen das zu bestätigen....

Nebenbei: Warum bohrt niemand (mindestens mal aus Prestige) 1000km in die Erde rein? Ist das technisch so aussichtslos oder fehlt einfach die Motivation, so einen Aufwand zu treiben?

Re: Was passiert, wenn man in ein Loch springt, was komplett durch die Erde geht?

Verfasst: 10. Sep 2018, 10:15
von seeker
Wir idealisieren die Erde dann mal, ich habe meinetwegen auch eine Atemmaske auf. Würde ich diesen Fall in das Loch überleben? Wenn ich die Wände nicht berühre, dann dürfte ich eigentlich nie irgendwo so stark abgebremst werden, dass es kritisch wird und einem Aufprall gleichkommt, oder?
Radio Eriwan: Im Prinzip ja, aber... :)
Pippen hat geschrieben:
10. Sep 2018, 09:41
Warum bohrt niemand (mindestens mal aus Prestige) 1000km in die Erde rein? Ist das technisch so aussichtslos oder fehlt einfach die Motivation, so einen Aufwand zu treiben?
Völlig aussichtslos, da unten wird es zu heiß und noch tiefer dann flüssig, vom Druck dort ganz zu schweigen.
Das tiefste jemals gebohrte Loch ist gerade einmal ca. 12km tief, also nicht viel mehr als die Erdkruste angekratzt:

https://de.wikipedia.org/wiki/Kola-Bohrung

Re: Was passiert, wenn man in ein Loch springt, was komplett durch die Erde geht?

Verfasst: 10. Sep 2018, 11:10
von tomS
Das Gravitationspotential im Inneren der Erde lautet

V(r) = GmM/2R³ · r²

Daraus berechnet man die kinetische Energie sowie die Geschwindigkeit v im Erdmittelpunkt beim freien Fall startend vom Erdradius R.

m/2 · v² = GmM/2R

v² = GM/R

Daraus folgen ca.

v = 7915 m/s = 28492 km/h

Bei der Geschwindigkeit möchte ich die Wände nicht berühren - auch nicht ganz leicht. Sogar die Reibungshitze aufgrund des Luftwiderstandes tödlich.

Ein Fallschirmspringer erreicht mit ausgebreiteten Armen eine Geschwindigkeit von ca. 55 m/s, bei maximaler Stromlinienform sogar ca. 139 m/s (nach http://de.wikipedia.org/wiki/Fall_mit_Luftwiderstand)

Die Differenz der kinetischen Energien muss in Wärme umgewandelt werden. Nach meiner Rechnung sind dies bei 75 kg ca. 2.3 GJ - wobei diese Energie bzw. Wärme natürlich nicht vollständig vom Körper aufgenommen sondern auch durch die Luft abtransportiert wird.

Für das Spaceshuttle finde ich in https://lexikon.astronomie.info/satelli ... ndung.html den Wert von 24200 km/h bei einer Flughöhe von 70 km; dies entspricht in etwa der maximalen Geschwindigkeit beim Fall durch den Erdmittelpunkt. Dabei werden maximale Außentemperaturen von ca. 1600°C erreicht.

Der Fall durch das Loch in der Erde wäre schneller (*), die Atmosphäre wesentlich dichter, d.h. die Temperaturen sicher nicht wesentlich kühler.

(*) Die Geschwindigkeit mit Luftreibung ist schwierig zu berechen. Normalerweise setzt man konstante Dichte und Viskosität an; die Reibung ist proportional ~ v², die maximale Geschwindigkeit folgt aus der DGL des freien Falls mit der Gleichgewichtsbedingung dv/dt = 0. Für den Fall durhc die Erde sind Dichte und Viskosität der Luft sicher nicht konstant.

Re: Was passiert, wenn man in ein Loch springt, was komplett durch die Erde geht?

Verfasst: 10. Sep 2018, 12:07
von ralfkannenberg
tomS hat geschrieben:
10. Sep 2018, 11:10
Ein Fallschirmspringer erreicht mit ausgebreiteten Armen eine Geschwindigkeit von ca. 55 m/s, bei maximaler Stromlinienform sogar ca. 139 m/s (nach http://de.wikipedia.org/wiki/Fall_mit_Luftwiderstand)
Hallo zusammen,

damit das Ganze ein bisschen anschaulicher bleibt sollte man sie noch mit einem Faktor 3.6 multiplizieren, dann sind sie wie die anderen Geschwindigkeits-Angaben in [km/h].


Freundliche Grüsse, Ralf

Re: Was passiert, wenn man in ein Loch springt, was komplett durch die Erde geht?

Verfasst: 10. Sep 2018, 13:04
von seeker
Man rechnet halt in der Physik gerne in den SI-Einheiten, also hier in Meter und Sekunde.
Zum besseren Gefühl für die Zahlen und der Anschaulichkeit wegen kann man dann am Ende der Rechnung leicht in km/h umrechnen, das ist wahr.

Real könnte man das Experiment im Prinzip auch durchführen, indem man praktisch ruhende Neutrinos oder Dunkle-Materie-Teilchen (so die denn existieren) fallen lässt: die würden durch die Erde durchschwingen und wieder zurückkommen.

Re: Was passiert, wenn man in ein Loch springt, was komplett durch die Erde geht?

Verfasst: 10. Sep 2018, 13:57
von ralfkannenberg
seeker hat geschrieben:
10. Sep 2018, 13:04
Man rechnet halt in der Physik gerne in den SI-Einheiten, also hier in Meter und Sekunde.
Hallo seeker,

der Punkt ist der, dass im Orignalbeitrag einige Angaben in [km/h] und andere in [m/s] angegeben waren, weil sie aus zwei verschiedenen Wikipedia-Artikeln übernommen wurden.

Und das ist eine Fehlerquelle.

Grundsätzlich sollte man auf SI-Einheiten normieren. - Ich habe an dieser Stelle den umgekehrten Vorschlag nur deswegen gemacht, weil die SI-Einheiten erst im 2.Link genannt wurden und es auch einfacher ist, im Kopf mit 3.6 zu multiplizieren als im Kopf durch 3.6 zu dividieren. Dass uns die [km/h] vertrauter als die [m/s] sind, kommt dann noch zusätzlich dazu.


Allerdings spielt das bei den grossen unterschiedlichen Werten zwischen dem Durchgang am Erdmittelpunkt und dem Fallschirmspringer physikalisch wohl keine grosse Rolle mehr, ob da um einen Faktor 3.6 falsch gerechnet wurde oder nicht; das ist mehr für den Fall, dass sich jemand die Mühe macht und das konkret nachrechnen möchte und übersehen hat, dass da mit den unterschiedlichen Einheiten gerechnet wurde.

seeker hat geschrieben:
10. Sep 2018, 13:04
Real könnte man das Experiment im Prinzip auch durchführen, indem man praktisch ruhende Neutrinos
Oha ... - wo kriegst Du denn solche her ?


Freundliche Grüsse, Ralf

Re: Was passiert, wenn man in ein Loch springt, was komplett durch die Erde geht?

Verfasst: 10. Sep 2018, 14:23
von tomS
Ein Faktor 3.6 ist irrelevant, da die Abschätzung sowieso nur auf die richtige Größenordnung führen wird. Insbs. sind variabler Luftdruck und -dichte für die Reibung relevant und werden die Endgeschwindigkeit massiv beeinflussen. Die o.g. Abschätzung geht von den genannten 28492 km/h aus; diese Geschwindigkeit wäre theoretisch erreichbar, wird jedoch praktisch aufgrund der Luftreibung nicht erreicht. Die Differenz der kinetischen Energie wird als Wärme frei und teilweise vom Körper aufgenommen. Andererseits ist (28492 km/h - u)² ~ (28492 km/h)² für kleine u, und damit wieder im Bereich des Spaceshuttle, jedoch für deutlich geringere Dichte in 70 km Höhe; diese Näherung besagt, dass praktisch die gesamte Energiedifferenz als Wärme frei wird, weil die praktisch erreichbare Endgeschwindigkeit viel kleiner als die theoretisch erreichbare ist. Im Falle des Spaceshuttle wird diese Geschwindigkeit jedoch tatsächlich erreicht, wobei die genannten 1600 °auftreten; das ist aufgrund der vielen Näherungen und Abschätzungen nur ein sehr grober Richtwert, der Faktor 3.6 spielt dabei praktisch keine Rolle.

Kennt jemand einen Ansatz für eine Verallgemeinerung der barometrischen Höhenformel? Üblicherweise leitet man diese aus U(h) = mgh ab; hier benötigen wir jedoch U(r) ~ r²

Re: Was passiert, wenn man in ein Loch springt, was komplett durch die Erde geht?

Verfasst: 10. Sep 2018, 15:58
von tomS
tomS hat geschrieben:
10. Sep 2018, 14:23
Kennt jemand einen Ansatz für eine Verallgemeinerung der barometrischen Höhenformel? Üblicherweise leitet man diese aus U(h) = mgh ab; hier benötigen wir jedoch U(r) ~ r²
Muss irgendwie so lauen:

barometric.png
barometric.png (3.76 KiB) 10535 mal betrachtet

Re: Was passiert, wenn man in ein Loch springt, was komplett durch die Erde geht?

Verfasst: 10. Sep 2018, 16:40
von tomS
OK, damit ändert sich alles!

Man erhält für z = -R im Erdmittelpunkt sowas wie P = P₀ · 10¹⁶³.

Damit läge sicher kein Gas mehr vor, sondern eine Flüssigkeit, später sogar ein Feststoff. D.h. die Berechnung bricht relativ früh zusammen und die o.g. Abschätzung wird vollständig falsch. Die Geschwindigkeit nimmt aufgrund der größeren Reibung nur deutlich schwächer zu; damit wird aber auch die (näherungsweise) konstante und sehr niedrige Sinkgeschwindigkeit früher erreicht und die o.g. Erhitzung findet so nicht statt. Natürlich liegt dann auch keine Pendelbewegung vor.

Re: Was passiert, wenn man in ein Loch springt, was komplett durch die Erde geht?

Verfasst: 10. Sep 2018, 17:59
von ralfkannenberg
tomS hat geschrieben:
10. Sep 2018, 11:10
Das Gravitationspotential im Inneren der Erde lautet

V(r) = GmM/2R³ · r²

Daraus berechnet man die kinetische Energie sowie die Geschwindigkeit v im Erdmittelpunkt beim freien Fall startend vom Erdradius R.
Hallo Tom,

irgendwie sehe ich nicht das Birkhoff-Theorem in Deiner Formel, wobei in diesem Falle ja nicht-relativistisch gerechnet werden kann.


Freundliche Grüsse, Ralf

Re: Was passiert, wenn man in ein Loch springt, was komplett durch die Erde geht?

Verfasst: 10. Sep 2018, 20:59
von seeker
tomS hat geschrieben:
10. Sep 2018, 16:40
OK, damit ändert sich alles!

Man erhält für z = -R im Erdmittelpunkt sowas wie P = P₀ · 10¹⁶³.

Damit läge sicher kein Gas mehr vor, sondern eine Flüssigkeit, später sogar ein Feststoff.
...
Tom, vergiss nicht die ganzen anderen Idealisierungen, die du auch noch gemacht hast, um dein Loch überhaupt mit Luft füllen zu können... :)
ralfkannenberg hat geschrieben:
10. Sep 2018, 13:57
seeker hat geschrieben: ↑
10. Sep 2018, 12:04
Real könnte man das Experiment im Prinzip auch durchführen, indem man praktisch ruhende Neutrinos

Oha ... - wo kriegst Du denn solche her ?
Gute Frage: Wie langsam können Neutrinos sein?
Anscheinend beliebig langsam, da sie Masse haben und durch Streuung gebremst werden können.
Die langsamen Neutrinos... ich frag mal die KATRIN-Leute, bei mir in der Nähe... :mrgreen:

Re: Was passiert, wenn man in ein Loch springt, was komplett durch die Erde geht?

Verfasst: 10. Sep 2018, 22:37
von ralfkannenberg
seeker hat geschrieben:
10. Sep 2018, 20:59
Gute Frage: Wie langsam können Neutrinos sein?
Anscheinend beliebig langsam, da sie Masse haben und durch Streuung gebremst werden können.
Die langsamen Neutrinos... ich frag mal die KATRIN-Leute, bei mir in der Nähe... :mrgreen:
Hallo seeker,

Prof.Lene Hau ist es gelungen, Licht auf 17 m/s abzubremsen:

Light speed reduction to 17 metres per second in an ultracold atomic gas (Lene Hau, S. E. Harris, Zachary Dutton & Cyrus H. Behroozi)

Aber von Neutrinos habe ich noch nicht gehört, dass etwas Vergleichbares gelungen sei ... - die durchdringen ja auch so ziemlich alles !


Freundliche Grüsse, Ralf

Re: Was passiert, wenn man in ein Loch springt, was komplett durch die Erde geht?

Verfasst: 11. Sep 2018, 07:34
von seeker
Soweit ich informiert bin:
Die streuen nicht oft, da WW nur über die schwache Kernkraft und die Gravitation - und je langsamer, desto kleiner ist ihr sKK-Wirkungsquerschnitt, richtig. Aber sie streuen, können also langsamer werden, wenn auch gewöhnlich extrem selten, da nur sehr selten WW stattfindet.

Der andere Weg einige langsame Neutrinos zu erhalten ist beim Betazerfall, z.B. der von Tritium. Dabei tragen die entstehenden Teilchen einen Teil der Energie als Bewegungsenergie weg. Wie viel Energie dabei welches Teilchen erwischt ist aber stochastisch, d.h. in sehr seltenen Fällen kann das entstehende Elektron praktisch die gesamte Bewegungsenergie abbekommen und das Neutrino fast nichts, sehr selten gar nichts, die untere Grenze für die Neutrino-Bewegungsenergie ist Null, also entstehen in extrem seltenen Fällen auch praktisch ruhende Neutrinos. Genau diese Elektronen interessieren im Katrin-Experiment, weil vereinfacht gesagt die dann noch fehlende Energie die Ruhemasse der Neutrinos sein muss. Man kann hier also aus der Vermessung der Bewegungsenergie der entstehenden schnellsten Elektronen auf die Ruhemasse der mitenstandenen Neutrinos schließen.