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Quantenschaum könnte Raumzeit stabilisieren

Verfasst: 3. Okt 2019, 11:52
von Frank
Einen ähnlichen Gedanken hatte bereits die Physikerlegende John Wheeler in den 1950er Jahren entwickelt. Nun gebe es jedoch bessere theoretische Werkzeuge, um das Konzept eingehender zu erforschen, meint Carlip. Ob die Idee wirklich den Durchbruch bringen wird, muss sich allerdings noch zeigen: Experten haben bereits eine Reihe von Hürden aufgezeigt, die Carlips Ansatz noch nehmen muss.
https://www.spektrum.de/news/quantensch ... en/1677656

Um welche Hürden geht es hier?

Re: Quantenschaum könnte Raumzeit stabilisieren

Verfasst: 3. Okt 2019, 17:54
von Skeltek
Vermutlich um dieselben wie beim Äther? Es ersetzt Probleme der Standardphysik die universeller Art sind durch Einführung einer lokalen Anomalie, welche die Einführung eines bevorzugtes Inertialsystemes ermöglicht. Meiner Meinung nach erledigt das bereits die Hintergrundstrahlung, aber wenn man es sich einfach machen will.
Das soll nicht heißen, dass ich vom Lösungsansatz nichts halte, sondern dass ich denke, dass man Rückschlüsse auf die Motivation ziehen kann, die hinter den Bemühungen der Forscher steckt.

Re: Quantenschaum könnte Raumzeit stabilisieren

Verfasst: 4. Okt 2019, 11:38
von tomS
Frank hat geschrieben:
3. Okt 2019, 11:52
Um welche Hürden geht es hier?
Zunächst muss man das Problem verstanden haben, dann den Ansatz von Carlip, und zuletzt kann man die Hürden diskutieren.

Zu Ersterem:

Das Problem besteht letztlich darin dass wir einerseits eine beschleunigte Expansion des Kosmos beobachten, die auf eine kosmologische Konstante – allgemein: dunkle Energie – zurückgeführt werden kann, und dass wir andererseits einen theoretischen Ansatz zur Berechnung dieser kosmologische Konstante im Rahmen der Quantenfeldtheorie haben – dieser jedoch auf einen um 120 Größenordnungen falschen Wert führt! Darüber hinaus gehen wir davon aus, dass das Vakuum der Quantenfeldtheorie im Rahmen des Standard Models noch nicht ausreichend verstanden ist; insbesondere gibt es theoretische Hinweise, dass sich die Masse des Higgsteilchen in einem Bereich befindet, der zu einer Instabilität des Vakuums führen könnte. Dies ist nicht unbedingt ein Hinweis auf eine tatsächlich vorliegende in Stabilität sondern vielmehr ein Hinweis auf ein noch unzureichendes theoretisches Verständnis; konkret: die Renormierungsgruppe einschließlich der Effekte des Higgsfeldes erscheint problematisch.

Ein bekannter Lösungsansatz für dieses und andere Probleme ist die Einführung supersymmetrischer Partnerteilchen; deren Felder führen im Zuge der Renormierung zu einer Auslöschung der problematischen Terme. Allerdings wissen wir heute, dass die einfachsten und naheliegendsten supersymmetrischen Erweiterungen des Standard Models experimentell auszuschließen sind; kompliziertere Modelle führen zu einer Vielzahl zusätzlicher Felder und Wechselwirkungen sowie Kopplungskonstanten, erscheinen künstlich und benötigen zudem so genanntes Finetuning, d.h. dass auch sie nur in einem bestimmten Parameterbereich stabil sind. Sie lösen die Probleme also nicht wirklich.

Zu den Lösungsansätzen:

Die Idee geht letztlich auf John Wheeler zurück, der damals den Begriff des so genannten Quantenschaums der Raumzeit geprägt hat. Darunter versteht man im weitesten Sinne, dass die Raumzeit bei kleinen Skalen, sobald Effekte der Quantengravitation relevant werden, wohl nicht mehr „glatt“ sein kann. Eine quantitative Betrachtung erfordert offenbar konkrete Modelle zur Quantengravitation. Von diesen erwartet man eine Modifikation der Quantenfeldtheorien bei extrem kleinen Skalen, wodurch unter anderem Unendlichkeiten eliminieret und die Renormierungsgruppengleichungen modifiziert werden sollten.

Ein konkretes und vergleichsweise einfaches Modell – das jedoch nicht dem von Carlip diskutierten entspricht – entstammt der Idee der asymptotischen Sicherheit nach Weinberg. Die Idee besteht grob gesprochen in einer Quantisierung der allgemeinen Relativitätstheorie unter Berücksichtigung anderer Quantenfeldtheorien. Der wesentliche. Dieses Programms besteht darin, bei der Quantisierung nicht mehr von einer wechselwirkungsfreien Theorie auszugehen, da man im Falle der Gravitation weiß, dass dies zu Inkonsistenzen führt: die Gravitation ist in diesem Sinne nicht renormierbar. Stattdessen geht man davon aus, dass die Gravitation auch für extrem kleine Abstände asymptotisch sicher ist, d.h. dass sämtliche physikalischen Parameter und Wechselwirkungen endlich bleiben; es handelt sich im wesentlichen um eine Verallgemeinerung des Begriffs der asymptotischen Freiheit aus der QCD. Die Formulierung dieses Ansatzes bleibt notwendigerweise unvollständig, da man grundsätzlich davon ausgehen muss, dass die Renormierungsgruppengleichungen eine unendliche Anzahl neuer Wechselwirkungsterme produzieren – dies ist der Hinweis auf nicht-Renormierbarkeit – von denen jedoch alle bis auf endlich viele exakt null sind, d.h. unter Anwendung der Renormierungsgruppe für beliebige Energieskalen null bleiben. Analytische und numerische Berechnungen zeigen, dass dies bei einer Beschränkung auf endlich viele Terme und einer vollständigen Vernachlässigung aller weiteren Terme tatsächlich zutrifft; dies ist ein starkes Indiz, jedoch kein mathematischer Beweis. Interessanterweise kann aus der Forderung nach Stabilität des Vakuums der erlaubte Bereich der Masse des Higgsteilchens – in Übereinstimmung mit dem Experiment – vernünftig abgeschätzt werden (die dazu notwendigen Berechnungen waren allerdings erst zu einem Zeitraum möglich, als dieser Bereich bereits experimentell sehr gut eingegrenzt war)

Zu Carlip ...

... muss ich erst nachlesen

Re: Quantenschaum könnte Raumzeit stabilisieren

Verfasst: 4. Okt 2019, 11:45
von tomS
https://journals.aps.org/prl/abstract/1 ... 123.131302
Hiding the Cosmological Constant
S. Carlip
Phys. Rev. Lett. 123, 131302 – Published 27 September 2019
ABSTRACT
Perhaps standard effective field theory arguments are right, and vacuum fluctuations really do generate a huge cosmological constant. I show that if one does not assume homogeneity and an arrow of time at the Planck scale, a very large class of general relativistic initial data exhibit expansions, shears, and curvatures that are enormous at small scales, but quickly average to zero macroscopically. Subsequent evolution is more complex, but I argue that quantum fluctuations may preserve these properties. The resulting picture is a version of Wheeler’s “spacetime foam,” in which the cosmological constant produces high curvature at the Planck scale but is nearly invisible at observable scales.

Re: Quantenschaum könnte Raumzeit stabilisieren

Verfasst: 4. Okt 2019, 13:25
von Frank
Vielen Dank TomS .
Da habe ich ja einiges abzuarbeiten...... 8) :D

Re: Quantenschaum könnte Raumzeit stabilisieren

Verfasst: 4. Okt 2019, 13:35
von tomS
Kommentare zum Artikel kommen noch. Der sogar ziemlich verständlich, aber eben nur eine erste Idee.

Re: Quantenschaum könnte Raumzeit stabilisieren

Verfasst: 4. Okt 2019, 14:43
von tomS
Zum Ansatz von Carlip:

C. diskutiert kein explizites Modell der Quantengravitation, sondern lediglich eine semiklassische Näherung, die für eine große Klasse von Modellen zutreffen sollte. Er nimmt an, dass in dieser Näherung ein Quantenschaum existiert, der den Raum konstituiert. Letzterer wird als Riemannsche 3-Mannigfaltigkeit aufgefasst, die aus einfachen Prim-Mannigfaltigkeiten zusammengesetzt d.h. „zusammengeklebt“ ist.

09B88769-80F9-4577-820C-481A4CBDDD32.png
Connected Sum
09B88769-80F9-4577-820C-481A4CBDDD32.png (9.01 KiB) 5720 mal betrachtet
Nach Thurston und Perelman wissen wir heute, dass jede 3-Mannigfaltigkeit auf diese Weise konstruiert bzw. zerlegt werden kann.

Bis hierher ist es einfach: wenn die Raumzeit makroskopisch mittels einer differenzierbaren Mannigfaltigkeit beschrieben werden kann, dann muss diese in einer geeigneten semiklassischen Näherung aus einer zugrundeliegenden - noch unbekannten - fundamentalen Theorie der Quantengravitation hervorgehen. In dieser semiklassischen Näherung wird nun ein allgemeiner Quantenschaum, d.h. eine extrem komplexe Mannigfaltigkeit angesetzt, die für genügend große Abstände eine bekannte makroskopische Raumzeit wie z.B. die flache Minkowski- oder die Schwarzschildgeometrie liefert.

Nun wird‘s heikel: Carlip argumentiert, dass es vernünftig ist anzunehmen, dass einerseits auf Ebene der Prim-Mannigfaltigkeiten eine kosmologische Konstante mit sehr großem Absolutbetrag existieren kann, dass diese andererseits bei Integation über genügend viele Prim-Mannigfaltigkeiten im Mittel verschwindet.

Carlip akzeptiert also die Möglichkeit, dass die Quantenfeldtheorie mikroskopisch extrem große Absolutwerte für die kosmologische Konstante vorhersagt, konstruiert jedoch einen Mechanismus, so dass sich diese im Mittel bzw. makroskopisch nahezu perfekt auslöschen.

to be continued...