Timm hat geschrieben: ↑2. Apr 2021, 21:02
Na gut, dann ist die allgemeine Auffassung, was man unter Überlichtgeschwindigkeit versteht, nach deiner Meinung falsch.
Nein, überhaupt nicht.
Ich behaupte lediglich, dass diese „allgemeine Auffassung“ hier nicht naiv angewendet werden darf, da es ein himmelweiter Unterschied ist, ob sich ein Objekt in einer Raumzeit bewegt, oder ob sich die Raumzeit selbst „bewegt“.
Timm hat geschrieben: ↑2. Apr 2021, 21:02
Weshalb sind es zwei unterschiedliche Raumzeiten? Licht und die Warp-Blase, deren Größe und die damit einhergehende lokale Verzerrung der Raumzeit im Vergleich zur Distanz vernachlässigbar ist ...
Letzteres ist irrelevant.
Mehrere Szenarien:
A) Ein massebehaftetes Objekt bewege sich durch eine flache Raumzeit. Wenn es sich - gemessen im eigenen Ruhesystem - eine Lichtsekunde
hinter einem Lichtsignal befindet, wird sich der Abstand zwischen beiden vergrößern. Wenn es sich zunächst eine Lichtsekunde
vor dem Lichtsignal befindet, wird es - gemessen in seiner Eigenzeit - nach einer Sekunde eingeholt werden; anschließend wird sich der Abstand zwischen beiden vergrößern.
B.1) Wir ersetzen das massebehaftete Objekt durch eine elektromagnetische Feldkonfiguration, also einen konzentrierten Lichtimpuls. Die „Masse“ entspräche dann nicht seiner Ruhemasse, sondern einfach seiner Energie / Lichtgeschwindigkeit zum Quadrat. Diese Feldkonfiguration bewegt sich exakt mit Lichtgeschwindigkeit.
B.2) Wir setzen ins Zentrum dieser elektromagnetischen Feldkonfiguration ein massebehaftetes Raumschiff. Offenbar gilt dann wieder (A). D.h. wir können eine Warp-Blase nicht aus elektromagnetischer Energie konstruieren, denn in diesem Fall würde die Warp-Blase dem Raumschiff einteilen.
C.1) Wir bauen die Warp-Blase aus
gewöhnlicher Energie
nicht-elektromagnetischen Ursprungs und setzen ins Zentrum wieder ein massebehaftetes Raumschiff. Offenbar gilt (A).
C.2) Wir betrachten einen kleinen Bereich im Inneren dieser Blase; dort sitze im näherungsweise flachen Raum das Raumschiff. Am selben Ort befinde sich zu einem beliebigen Zeitpunkt ein Lichtsignal. Offenbar gilt (A), d.h. das Lichtsignal entfernt sich vom Raumschiff mit Lichtgeschwindigkeit.
C.3) Wir betrachten einen kleinen Bereich dieser Blase, in dem die Energiedichte und die Krümmung sehr groß sind. Offenbar einteilt das Lichtsignal auch diesem Bereich mit Lichtgeschwindigkeit, d.h. es tritt in einen anderen Bereich der Blase ein.
D.1) Wir betrachten die selbe Blase wie in (C), d.h. aus
gewöhnlicher Energie
nicht-elektromagnetischen Ursprungs mit dem Raumschiff im Zentrum. Die Blase habe eine endliche Größe, im (näherungsweise) flachen Raum
dahinter bewege sich ein Lichtsignal zum selben Zielpunkt. Raumschiff und Lichtsignal befinden sich an zwei verschiedenen Orten, eine
lokale Geschwindigkeitsdefinition für „Relativgeschwindigkeit Raumschiff bzgl. Lichtsignal“ ist deswegen
unmöglich. Nur für
lokale Relativgeschwindigkeiten gilt jedoch v = c als strikte Grenze; für
nicht-lokale Geschwindigkeitsdefinitionen kann alles Mögliche rauskommen, ohne dass daraus irgendein Problem entstünde; Beispiele habe ich genannt.
D.2) Selbes Szenario, die Blase „enteilt“ dem Lichtsignal. Das Raumschiff bewegt sich durch eine Raumzeit mit umgebender Blase, das Lichtsignal durch eine Raumzeit ohne Blase. Genauso wie man Geschwindigkeiten an verschiedenen Orten nicht eindeutig definieren und vergleichen kann, gilt dies für verschiedenen Raumzeiten (ein frei fallender Beobachter im flachen Raum vs. ein frei fallender Beobachter am Horizont eines gigantischen Schwarzen Lochs; die Krümmung der Raumzeit am Horizont kann bei ausreichender Größe
kleiner sein als auf der Erdoberfläche; Vergleiche verschiedener Raumzeiten sind daher mit Vorsicht zu genießen).
Zusammenfassung:
1) Die Existenz der Warp-Blase führt zu einer reduzierten Reise- = Eigenzeit eines massebehafteten Beobachters im Vergleich zur flachen Raumzeit.
2) Die reduzierte Reisezeit in einer Raumzeit M*
mit Blase bedeutet keine Überlichtgeschwindigkeit im Vergleich zu einer Raumzeit M
ohne Blase.
3) Für eine strikt lokale Definition der Relativgeschwindigkeiten wird v = c immer respektiert
4) Für nicht-lokale Definitionen von Relativgeschwindigkeiten mag v > c gelten; diese sind jedoch weder eindeutig, noch gilt für diese eine Grenze v = c.
5) Eine Verletzung der Kausalität durch geschlossene zeitartige Kurven ist per Konstruktion explizit ausgeschlossen; der im Paper verwendete ADM-Formalismus impliziert mathematisch strikte Kausalität, d.h. zwingend die Abwesenheit geschlossene zeitartige Kurven. Anders formuliert: der ADM-Formalismus erlaubt prinzipbedingt keine Konstruktion von Raumzeiten, die die Kausalität verletzen (Gödel-Universen, Wurmlöcher, ...)
6) Da der Begriff „Überlichtgeschwindigkeit“ zu diversen Schlussfolgerungen führt, von denen die meisten hier nicht zutreffen, halte ich die Verwendung des Begriffs für irreführend.