tomS hat geschrieben: ↑15. Jun 2017, 11:51
Dass Schrödingers Katze tatsächlich realisiert ist, kann empirisch nicht ausgeschlossen werden; ausgeschlossen werden kann lediglich die Sichtbarkeit der Superposition. Die Extrapolation des mathematischen Kerns der QM führt jedoch zwanglos zur Existenz der Katze in einer makroskopischen Superposition sowie zur Unsichtbarkeit derselben; im Kern ist die Superposition der Katze qualitativ nicht verschieden von der Superposition eines Atoms. Damit gibt es kein zwingendes Gegenargument gegen deren Existenz, lediglich mögliche Realitätsbegriffe, die dies entweder zulassen (ontisch, insbs. nach Everett) oder ignorieren (epistemisch, instrumentalistisch, Ensemble-Interpretation, ...).
Tatsache ist, dass die Eliminierung der Superposition aus der Theorie immer nur künstlich ist, da ohne die Verwendung der Superposition für Berechnungen bestimmte Beobachtungen nicht erklärt werden können. Künstlich bedeutet, dies entweder für makroskopische Objekte oder im Rahmen des Messprozesses auszuschließen, ohne erklären zu können, was nun genau ein makroskopisches Objekt von einem mikroskopischen oder den Messprozess von einer gewöhnlichen Wechselwirkung unterscheidet.
Ich sehe es so.
Das Problem ist im Grunde nicht die Katze in Schrödingers Beispiel, die das Problem lediglich sehr offensichtlich macht, sondern bereits die Interpretation der Zustände der radioaktiven Substanz. Wenn wir Superpositionen betrachten, können wir meiner Meinung nach mehrere Fälle unterscheiden. Diejenigen Superpositionen, die tatsächlich auch etwas mit der Realität zu tun haben und diejenigen Superpositionen, die nur eine mathematische Möglichkeit darstellen, indirekt Wahrscheinlichkeiten abzubilden, die aber selbst keinen direkten physikalischen Bezug zur Realität haben. Nicht alles, was mathematisch möglich ist, muss auch in der Natur realisiert sein.
Superpositionen mit einem Bezug zur Realität finden wir z.B. im Doppelspalt Experiment. Die Interferenzen, die sich hier widerspiegeln, haben ein physikalisches Pendant in den Vakuumwellen, die ein Photon oder ein Elektron auslösen und die sich durch teilweise Reflektionen an den am Experiment beteiligten Geräten überlagern und so „echte“ Wellenberge und Täler entstehen, die dann wiederum die Bahn des Photons oder Elektrons beeinflussen.
Das Photon und das Elektron selbst sind oszillierende Teilchenkonglomerate aus Vakuumteilchen. Es sind damit keine „echten“ Wellen, die sich überlagern können, sondern Oszillatoren, deren Amplituden und Impulse einer Wahrscheinlichkeitsverteilung unterliegen. Diese Oszillationen samt ihrem Umfeld können über Superpositionen von noch elementareren Oszillatoren (Vakuumteilchen) abgebildet werden und daher hätten auch diese Superpositionen einen direkten Bezug zur Realität. Den wahren Impuls oder Ort eines Elektrons können wir aufgrund der zufälligen Oszillationen nicht wirklich wissen. Er ändert sich ca. 10
20 mal in der Sekunde und die Amplituden bzw. Impulse unterliegen einer Wahrscheinlichkeitsverteilung. Das Elektron hat diese verschiedenen Amplituden oder Impulse aber nicht gleichzeitig, sondern zeitlich getaktet (Frequenz) und folgt damit einem realen aber zufälligen, nicht deterministischen Pfad. Obwohl das Elektron ein (komplexes) Teilchen ist, hat es also keinen scharfen Ort oder Impuls, den wir vor der Messung wissen könnten. Die Messung registriert (im Rahmen der Messmöglichkeiten) dann, wo es sich zufällig gerade zu diesem Zeitpunkt aufgehalten hat oder welchen Impuls es da gerade hatte. Sie schafft damit keine Realität, sondern stellt sie lediglich in einer Momentaufnahme fest.
Beim radioaktiven Zerfall wie bei Schrödingers Beispiel wird nun ebenfalls eine Superposition aus den Zuständen „Atomkern zerfallen“ und „Atomkern nicht zerfallen“ benutzt. Damit kann man die Wahrscheinlichkeiten modellieren, nach denen ein Zerfall stattfindet. Dagegen ist zunächst nichts einzuwenden. Das Problem entsteht nun erst dadurch, dass wir annehmen, dass diese Superposition selbst wiederum einen direkten Bezug zur Realität hat, dass es also tatsächlich so etwas wie verschmierte Zustände dieser speziellen Art gibt und der Atomkern sich in einem Schwebezustand zwischen zerfallen und nicht zerfallen befinden soll. Dazu zwingt uns aber keiner, schon gar nicht die Mathematik. Ihr ist es egal, wie wir dies interpretieren.
Mit dieser Interpretation der mathematischen Superposition haben wir das Problem erst entstehen lassen, wie denn nun aus diesem (vermeintlich) verschmierten Zustand plötzlich ein scharfer Zustand wird. In der Realität gibt es diesen speziellen Schwebezustand nicht. Hier ist der Atomkern entweder noch nicht zerfallen oder bereits zerfallen und hat damit in dieser Hinsicht immer einen eindeutigen Zustand. Der Zerfallsprozess ist zudem irreversibel und „ein bisschen zerfallen“ gibt es genauso wenig wie ein bisschen schwanger. Der Zerfall selber wird durch bestimmte Trefferlagen der Vakuumteilchen ausgelöst, die zufällig sind und je nach Größe der Bindungsenergien innerhalb der verschiedenen radioaktiven Atomkerne mehr oder weniger wahrscheinlich. Wir haben damit in diesem Fall kein Messproblem, da unsere Messungen genau das registrieren, was physikalisch gerade passiert ist, nämlich, dass ein Atomkern gerade so eine Treffersequenz erfahren musste, dass er zerfällt und wir z.B. als Indiz ein Alpha-Teilchen als Messung feststellen. Solange wir keine Alpha-Teilchen registrieren, hat auch kein Zerfall stattgefunden und alle Teilchen der Substanz befinden sich im Zustand nicht zerfallen.
Das Problem, das wir heute haben, wäre somit mehr oder weniger hausgemacht, weil wir das Superpositionsprinzip für alle möglichen (auch in der Natur nicht vorkommenden) Zustände als Beschreibung der Realität interpretieren und es damit manchmal überinterpretieren. Oft hat es direkt etwas mit der Natur zu tun, aber manchmal ist es auch nur ein reiner Formalismus, um Wahrscheinlichkeiten abzubilden.
Es gibt im Grunde nur zwei Möglichkeiten. Entweder man geht wie heute weiter davon aus, dass es keine weiteren noch unbekannten Mikrostrukturen (im Vakuum) gibt. Dann wird man das Messproblem (und einige andere Mysterien) nicht vollständig lösen können und muss sie letztendlich hinnehmen. Oder man akzeptiert die Existenz untergelagerter Mikrostrukturen (und deren Konglomerate). Dann löst sich das Messproblem in der Regel in Wohlgefallen auf.
Man kann nun einwenden, dass das Postulat weiterer untergelagerter Ebenen die Sache ja zunächst scheinbar noch komplexer macht. Dass ist aber nur auf den ersten Blick so. Denn im Grunde sind diese unteren Ebenen bereits in Form des Hilbertraumes implizit in der mathematischen Beschreibung der QM enthalten. Wir brauchen mathematisch nichts neues einzuführen. Wir müssen es nur anders interpretieren und bestimmten abstrakten mathematischen Basis-Konstrukten tatsächlich auch eine reale Existenz zubilligen. Das ist eigentlich fast alles. Aber dies scheint für die meisten wohl zur Zeit noch undenkbar zu sein, obwohl es eigentlich nur ein kleiner Schritt ist. Wir brauchen zur Lösung bestimmter Probleme nicht immer noch komplexere mathematische Modelle zu suchen, sondern es reicht manchmal aus, das bisher Bewährte erstmal besser zu verstehen. Wir sind da in diesem Fall schon viel weiter als wir glauben.
Viele Grüße
Job