tomS hat geschrieben:Ich bin keineswegs der Meinung, dass die QM hier etwas qualitatv Neues bedeutet!
Ein Planet fliegt entlang einer Bahnkurve durch den Weltraum. Und im Konfigurationsraum der Newtonschen Mechanik haben wir eine Trajektorie r(t), die genau das beschreibt. In der ART ersetzen wir den Konfigurationraum R³ durch eine 4-dim. pseudo-Riemannsche Mannigfaltigkeit, aber die Entsprechnung gilt nach wie vor.
Ja, das schon. Ich wollte auf etwas anderes hinaus:
Wenn du einen Planet berechnest, genauer seine zeitliche Entwicklung, dann hast du zunächst eine Wahl getroffen: Dich interessiert an dem Planeten nur seine äußere Bewegung. Was "Bewegung" ist, hast du auch schon zuvor definiert, d.h. du nimmst eine ganz spezifische Perspektive ein (unter vielen anderen prinzipiell möglichen Perspektiven).
Dann behandelst du ihn
vereinfachend als Massepunkt, ohne sonstige Eigenschaften, wohlwissend, dass er das bei weitem nicht ist. Wenn du nun z.B. ausrechnest, dass er in 1000 Jahren an Punkt X sein wird, dann kann das schiefgehen, z.B. dann, wenn ihn seine Bewohner 100 Jahre früher in die Luft sprengen, außerdem verliert er vielleicht etwas Atmosphäre, es gibt vulkanische Aktivität, er hat ein Magnetfeld, er rotiert, usw.
Weiterhin beachtest du vielleicht nicht seine Umgebung, die seine Bahn ja beeinflussen könnte und falls doch, so so kannst du sicher nicht alles berücksichtigen was da ist, denn dafür müsstest du den Zustand aller Teilchen, etc. innerhalb seines Lichtkegels wissen und auch modellieren können.
Du vereinfachst also. Das ist sinnvoll, denn anders können wir es ja gar nicht:
Das Modell ist qualitativ und quantitativ einfacher als der reale Planet!
Qualitativ deshalb, weil du nicht alle Eigenschaften berücksichtigst, die den Planeten ausmachen und quantitativ, weil du die Eigenschaften, die du berücksichtigst, nicht vollständig und vollständig exakt kennst.
Die Standard-Antwort darauf lautet nun: Jaaa, das ist schon so, aber
prinzipiell könnten wir das schon, wir könnten prinzipiell alles erfassen und richtig und völlig exakt berechnen, wenn wir nur alle Informationen hätten und genügend Rechenpower!
Das ist einleuchtend... Aber:
Es ist ein unbewiesenes Postulat!
Unbewiesen deshalb, weil dazu eine vollständige Messung erforderlich wäre, die in allen Punkten mit der theoretischen Vorhersage vollkommen übereinstimmt.
Alles was wir wissen ist, dass unsere Vorhersagen in den von uns gewählten und betrachteteten Punkten
ungefähr übereinstimmt, wenn wir unsere Arbeit gut gemacht haben.
Allein damit lässt sich das obige Postulat aber leider niemals als richtig beweisen.
Wir sollten das nicht vergessen und dementsprechend etwas vorsichtig sein, meine ich.
Der Unterschied, den ich zu einem mikroskopischen Objekt bzw. einem Quantenobjekt wie z.B. einem Elektron sehe ist der:
Beim Planet wissen und akzeptieren wir, dass wir nicht alle seine Eigenschaften kennen bzw. charakterisieren können, dass also unsere Theorie vom Planeten
nicht identisch mit dem realen Planeten ist, aber beim Elektron kennen wir ein paar Quantenzahlen und behaupten dort, dass damit schon absolut alles erfasst wäre, was dieses Objekt an Eigenschaft trägt. Vielleicht ist es auch so, aber können wir da wirklich absolut sicher sein? Ich glaube nicht.
Ich rate da also etwas zur Vorsicht und wollte diesen Punkt herausstellen, das ist alles, worauf ich hier hinaus will, denn dieses Postulat ist m. E. die Grundlage für weitergehende Thesen wie z.B. die Vollständigkeit der QM.
tomS hat geschrieben:Zumindest wäre es das erste Mal in der Geschichte der Physik, dass wir eine fundamentalere Theorie nicht deswegen suchen, weil uns Experimente das nahelegen, sondern weil wir eine existierende und zu 100% passende (!) Theorie nicht mögen.
Nun ja, mir fällt nicht eine einzige Interpretation der QM ein, die wir wirklich mögen: Sie sind doch irgendwo alle abscheulich!
Und suchen tun wir doch immer. Und den mathematischen Formalismus verwenden wir ja gerne.
tomS hat geschrieben:Warum können wir nicht einfach die "vielen Welten" als eine Vorhersage der QM akzeptieren und dies als Forschungsprojekt mit theoretischen und praktischen Aspekten auffassen, anstatt genau diese Vorhersage wegzupostulieren? Das ist doch ein Armutszeugnis. Ich persönlich möchte gerne wissen, ob diese Vorhersage ganz oder teilweise zutrifft. Und wenn sie nicht zutrifft, möchte ich wissen, warum, bzw. wo genau sie fehl geht. Denn nur anhand des Scheiterns einer Theorie bzw. anhand von falschen Vorhersagen hat man in der Vergangenheit neue bzw. umfassendere Theorien entwickelt. Man hat nie einfach eine Theorie einfach so aus dem Hut gezogen - so wie das Kollapspostulat.
Historisch war es natürlich eher da, aber man sollte sich nicht zu sehr von der Historie leiten lassen. Stell dir einfach mal vor, die Dekohärenz sowie die VWI wären zeitlich vor der Bornschen Regel entwickelt worden. Stell' dir vor, man hätte sich bereits 1925 rein pragmatisch auf experimentelle Vorhersagen (Spektren, Wirkungsquerschnitte, ...) gestürzt, und eine Einstein-Bohr-Debatte sowie die Solvay-Konferenz hätte es nie gegeben ...
Leider folgen viele Gegenargumente zur VWI einer positivistischen Grundhaltung mit dioversen Denkverboten und sind eher destruktiv als konstruktiv. Das ist das, was mich am meisten stört.
Ich verstehe deinen Ärger darüber, falls du dahingehende Erfahrungen gemacht hast. Die Leute sind vielleicht dann oft doch sehr konservativ.
Ich finde auch, dass zumindest wissenschaftlich denkende Menschen stets versuchen sollten alle Gefühle und Vorlieben hintenanzustellen und die Dinge möglichst objektiv betrachten sollten - klar!
Die Vorzüge der VWI liegen auch klar auf der Hand, insbesondere ihre Einfachheit scheint mir ihr Haupt-Pluspunkt zu sein.
(Und sie ist ja auch in der Community auf dem aufsteigenden Ast, das sollte man nicht verkennen.)
Aber -nur mal so als Gedanke- genau darin könnte auch ihr Fehler liegen: Die Geschichte hat uns immer wieder gelehrt, dass unsere Theorien zu Anfang oftmals zu einfach waren, dass die Natur dann doch komplizierter war und wir dann Zusatzterme in unsere Theorien einfügen mussten oder gar ein ganz neues Konzept benötigten, etc.
Klar, dieser Punkt ist beim heutigen Kenntnisstand in der QM noch nicht zwingend erreicht. Ich rate also auch hier nur zur Vorsicht.
Wobei, eigentlich: Vielleicht ist auch ein dynamischer Kollaps oder sonstwas ein vielversprechender Lösungsansatz... Warum nicht mit Zusätzen herumspielen?
Ich bin jedenfalls viel zu sehr Agnostiker um mich hier wirklich festzulegen. Gib mir experimentelle Befunde, dann glaube ich, vorher nicht!
Bis dahin sollte man
alle Ansätze, die uns einfallen, weiterverfolgen.
Und bis dahin ist es m. E. auch recht wurscht, wer nun was glaubt, so lange nichts unterdrückt wird.
tomS hat geschrieben: seeker hat geschrieben:Weiterhin müsste man darüber nachdenken, was denn eine "physikalische Eigenschaft" eines Systems sei, solange sie weder beobachtet worden ist noch laut Theorie konkret ist, als EIN konkreter Wert für jede Eigenschaft des Systems. Und man muss sich hier wohl auch entscheiden, ob solche "QM-Eigenschaften" überhaupt "existierend" genannt werden sollen (und falls ja: inwiefern?), denn sie sind prinzipiell nicht beobachtbar.
Nun, da kann man Einstein folgen, der genau dazu Heisenberg widersprochen hat: die Theorie selbst entscheidet, was beobachtbar ist; die Theorie enthält jedoch immer auch nicht-beobachtbare Elemente. Z.B. wissen wir, dass in der ART invariante Größen und insbs. Dirac-Observable konstruiert werden müssen. Wir wissen auch, dass dies extreme kompliziert ist (die ganze LQG dreht sich u.a. um diese Problematik). Das bedeutet jedoch nicht, dass die ART nicht unbeobachtbare Elemente als Träger von Eigenschaften enthält. Niemand würde heute auf die Idee kommen, die Mannigfaltigkeit oder meinetwegen das Tangentialraumfaserbündel aus der Theorie zu eliminieren, nur weil es nicht direkt beobachtbar ist.
"Eigenschaft" ist in der QM etwas weiter zu fassen. Es gibt recht klare Theoreme, was keine Eigenschaften sein können (Bell, Kochen-Specker). Andereseits existiert eine mathematische Struktur (Hilbertraum) sowie ein "Träger von Eigenschaften" (Zustandsvektor). All dies entpricht m.E. der Situation in ART, außer dass die QM unanschaulicher ist. Das ist jedoch kein wissenschaftliches Kriterium.
Sie hatten beide Recht: Die Theorie entscheidet was beobachtbar ist und die Beobachtungen entscheiden wie die Theorie wird. Das ist aus meiner Sicht eher ein Zirkel.
Theorien enthalten sehr oft auch Elemente, die wir übereinstimmend als "unphysikalisch" bewerten und einfach unter den Tisch fallen lassen.
Und man darf sich m. E. nicht immer mit Unanschaulichkeit herausreden, wenn es zur Sache geht. Es ist absolut notwendig die Dinge die in den Formeln stehen zu etwas real in der Welt existierendem in Beziehung zu setzten. Ansonsten würden die Formeln ja gar keinen Sinn machen, wären inhaltsleer, sinnlos.
Du weißt sehr gut, dass die Worte "Eigenschaft" und "Zustand" in der QM etwas völlig anderes meinen als in der klassischen Physik. Und dieser Punkt muss gedeutet werden, ganz besonders dann, wenn sich die Wellenfunktion nicht auf rein stochastische Zusammenhänge sondern auf etwas ontologisch real Existierendes beziehen soll.
Daher muss ich auf meiner Frage beharren: Was IST dann ein Quantenzustand? Welche prinzipiellen Eigenschaften hat er dann? Das gilt es klar zu formulieren, in Worten!
Noch eine Verständnisfrage:
Wenn es keinen Kollaps gäbe, woher kommt dann unsere konkrete Welt?
Soweit ich sehe bietet mir die VWI + Dekohärenz hier nur eine quasi-konkrete Welt an, also etwas
fast-scharfes. Eine "1" auf meinem Digitalinstrument scheint mir aber
völlig scharf zu sein, da ist keine "2", nicht mal ein bisschen. Wie bekommt man das zusammen?
Und wenn die "2" dann für mich unsichtbar in der anderen Welt ist, wann genau haben sie sich soweit getrennt, dass hier bei mir genau die "1" erscheint und dort die "2"?
Diese Frage erscheint mir immer noch einigermaßen analog zu der Frage (an die KI gerichtet), wann und wo der Kollaps denn genau stattfände?
Und noch etwas, über das ich gerade intensiv nachdenken muss:
Wenn ich ein einzelnes Elektron durch einen unbeobachteten Doppelspalt schicke, was sagt mir dann die QM, wo es auf dem dahinterliegenden Schirm auftreffen wird?
Ich nehme ein zweites Elektron, schicke es durch denselben Spalt und beobachte dabei Spalt A. Was sagt mir die QM dann?
Meine derzeitge Antwort:
Gar nichts!
Die QM sagt mir erst dann etwas, wenn ich viele Elektronen durch den Spalt schicke.
Das ist für mich grad ein schwerwiegendes Problem.
Gibt es auch experiementelle Beispiele, wo man tatsächlich bei einem einzelnen Q-Objekt und bei einer einzigen Messung per QM etwas vorhersagen kann?
Das würde mich wirklich interessieren. Mir fällt da grad nix ein.
Beste Grüße
seeker