Hallo Anja, auch von mir ein Willkommen!
Reisende20 hat geschrieben:Mich würde nun interessieren, wie Ihr dieses Experiment versteht.
Ja, schwierige Sache...
Bei dem Gedankenexperiment geht es ja darum etwas herauszuarbeiten und auf den Punkt zu bringen, was da so in der Quantenwelt ein Problem (für unser Verständnis) sein könnte.
Was haben wir?
Wir haben zunächst Messwerte und Beobachtungen, z.T. sehr seltsame Beobachtungen, wie dass z.B. scheinbar ein Teilchen an mehreren Orten gleichzeitig sein kann, dass es ein Teilchen irgendwie zu merken scheint, ob es beobachtet wird oder nicht und dass es sich dann je nach dem anders verhält, sogar noch sozusagen rückwirkend in der Zeit bzw. unter Missachtung der Lichtgeschwindigkeit als Maximalgeschwindigkeit (siehe die Experimente mit verzögerter Entscheidung). Dann haben wir auch direkt einsichtige Beobachtungen, wie z.B. die Tatsache, dass die Atome aus denen wir bestehen offensichtlich stabil sind (das dürfte klassich gesehen nicht sein: beschleunigte Elektronen, also Ladungen, die um eine andere Ladung, also Atomkerne herumfliegen, müssen laut Elektrodynamik Synchrotronstrahlung abgeben und dabei ständig Bewegungsenergie verlieren, wodurch sie unweigerlich in den Atomkern stürzen müssten).
Dann haben wir eine Theorie gefunden, die diese Welt extrem gut beschreibt, millionenfach überprüft, bisher keine Abweichung gefunden, bis auf die x-te Nachkommastelle nicht: Die Quantentheorie.
Problem bei der: Sie beschreibt gar nicht
eine konkrete Welt wie sie uns vertraut ist, sondern eine Welt der Wahrscheinlichkeiten bzw. Möglichkeiten.
Jetzt geht es im Kern eigentlich "nur" um folgende Fragen:
1. Ist "Wahrscheinlichkeit" an sich schon etwas real Existierendes oder nicht, inwiefern?
Falls ja, dann kann ein Elektron (genauer: die Wahrscheinlichkeit davon) tatsächlich an vielen Orten gleichzeitig sein, dann kann auch eine Katze gleichzeitig lebendig und tot sein (wenngleich nur für sehr kurze Zeit, die sog. "Dekohärenzzeit" zumindest inderselben "einheitlichen Welt"), usw.
Zur ersten Frage direkt zugehörig:
2. Ist die Quantentheorie vollständig?
Hier geht es darum, ob unsere Welt vollständig deterministisch ist oder nicht, ob also die Beschreibung per Wahrscheinlichkeit ein vollständiges Abbild der Welt darstellt.
Das ist nicht ganz einfach: Stell dir einen Würfel vor, der oftmals gewürfelt wird. Nun habe ich eine Theorie, die mir die Wahrscheinlichkeit für jedes Würfelergebnis (mit den Beobachtungen exakt übereinstimmend) mitteilt: Sie sagt mir, dass die Wahrscheinlichkeit eine Zahl 1,2,3,4,5,6 zu würfeln jeweils exakt 1/6 ist. Mehr habe ich nicht...
Frage: Ist das zufriedenstellend? Immerhin sagt mir die Theorie ja
nicht, was beim nächsten Wurf herauskommen wird. Ich weiß auch schon, dass ich das gar nicht wissen kann, dass gar keine Theorie gefunden werden kann, die mir dies vorhersagt (das kann heute als bewiesen gelten).
Wie ist das zu interpretieren?
Antwort:
Entweder wird A) das konkrete nächste Würfelergebnis echt-zufällig gewählt (d.h. dass das konkrete Ergebnis
absolut keine Ursache hat!, Kopenhagener Interpretation) oder es gibt B) unsichtbare Einflüsse (= verborgene Variablen, De-Broglie-Bohm), die unter exakter Einhaltung der gegebenen Wahrscheinlichkeit "1/6" (und unter Überschreitung der Lichtgeschwindigkeit als Obergrenze für Informationsübertragung) dafür sorgen, dass als nächstes genau z.B. die Zahl "5" erscheint (d.h. es gibt zwar eine Ursache, diese ist für uns nur
prinzipiell unerkennbar) oder C) bei jedem Wurf erscheinen
immer alle Ergebnisse 1,2,3,4,5,6! Es ist dann nur so, dass wir aus prinzipiellen Gründen immer nur eines dieser Ergebnisse beobachten können, weil wir uns indemselben Moment in ebensoviele Beobachter aufspalten (Viele Welten Interpretation).
Es gibt noch ein paar weitere, kompliziertere Varianten das zu erklären, aber A-C sind m.E. die Hauptvarianten.
Tja, was soll es sein?
Am Ende müssen wir zugeben, dass wir das beim jetzigen Wissenstand nicht entscheiden können. Somit sind diese Interpretationen bis auf Weiteres eher Philosophie und damit auch ein wenig Geschmacks- und Glaubensfrage. Möglicherweise (das halte ich für wahrscheinlich) werden wir diese Frage nach der "richtigen" Interpretation nie sicher entscheiden können.
Was wir aber wissen ist, dass die Theorie trotzdem hervorragend funktioniert, deshalb auch das bekannte "Shut up and calculate!" von Richard Feynman (was aber einfach für viele von uns unbefriedigend bleibt).
Beste Grüße
seeker