Guten Tag zusammen
der letzte Beitrag von seeker ist interessant, da er einige weiterführende Aspekte aufweist. Es ist mir eine Freude hier die Entwicklung unserer Erkenntnis mitzuerleben und mitzugestalten!
seeker hat geschrieben:
Vorbemerkung:
Es gibt zweierlei Grund-Ansprüche, die man an eine wissenschaftliche Theorie haben kann:
1. Die Theorie soll funktionieren, also möglichst dieselben Resultate wie die Natur produzieren
2. Die Theorie soll wahr sein, die Natur also so oder so ähnlich abbilden, wie sie wirklich ist
Punkt 2. impliziert dabei 1., da eine wahre Theorie automatisch auch funktionieren muss. Punkt 1. ist also die schwächere Forderung, da eine funktionierende Theorie auch völlig falsch sein kann. Allerdings ist die Forderung nach 1. auch die Variante, die uns nie 100%ig befriedigen kann, während das Erreichen von Punkt 2. prinzipiell nie 100%ig erkannt/entschieden werden kann. Das ist das/unser Dilemma.
Wie wir schon gesehen haben, funktionieren Naturwissenschaften nach dem Prinzip Induktion/Deduktion und leiten daraus Gesetzmäßigkeiten gemäß einer Theorie T ab, d.h.:
Zustand A ---(gemäß Theorie T)---> Zustand B
So funktioniert jede klassische Theorie.
Nein, eine wahre Theorie
muss nicht funktionieren, sie funktioniert. Das Attribut "
muss" impliziert nämlich, dass es auch anders sein kann.
Der zweite Satz sollte ein wenig umformuliert werden:
Eine Theorie soll stets das Bestreben haben wahr sein, damit die Chance die Natur so wahr als sinnvoll machbar abzubilden hoch ist.
Ferner müssen wir unterscheiden zwischen der Hypothese und der Theorie. Eine Hypothese ist ein Arbeitspapier mit Annahmen, welche des Beweises harren. Eine Theorie ist eine bewiesene Hypothese. Fraglich bleibt dabei, inwieweit die Beweisführung korrekt war und wie realistisch die Modellannahmen waren. Daher ist eine zur Theorie erhobene Hypothese noch lange nicht Natur-nahe oder Natur.ähnlich!
Das Funktionieren einer Theorie in der QM ist prinzipiell nicht anders zu sehen, wie in anderen wissenschaftlichen Disziplinen. Nur ist die Situation der Messung und Bobachtbarkeit hier deutlich diffiziler. Auch sind in der QM häufig Hypothesen zu sehen, welche zunächst -insbesondere für den unerfahrenen Zuhörer oder Interessenten- vollkommen unverständlich und weit ab jeder Realität zu sein scheinen. Das macht den Unterschied aus.
Ich bin mit Deiner Aussage
seeker hat geschrieben:
Bei der QM existiert ein wichtiger Unterschied dazu.
Sie produziert lediglich Aussagen der Form:
Zustand <A> ---(gemäß Theorie T)---> Zustand <B>
Mit A und B sind einzelne, konkrete, reale, messbare Zustände gemeint, während das für Quantenzustände <A> und <B> so nicht gilt; sie sind in der Natur nicht beobachtbar. [Bitte Diskussion!]
daher nicht einverstanden. Diese Aussage ist mir -zumindest bezüglich meines jetzigen Verständnisses her- deutlich zu scharf gefasst. Sie lässt keinerlei Bewegungsspielraum zu.
seeker hat geschrieben:
Dieser Umstand kann z.B. so verstanden werden, dass sie nicht das beschreiben, was IST, sondern das, was SEIN KANN. Insofern kann man sie z.B. als Wahrscheinlichkeitsaussagen verstehen. Hier kommen die Unschärferelation und das Messproblem ins Spiel.
Welche Interpretationen lässt dieser Umstand zu?
Die erste und natürlichste Interpretation war die Annahme, dass die QM nicht vollständig sein kann.
Z.B. Albert Einstein war dieser Ansicht, die besagt, dass es verborgene Variablen (VV) geben muss (zunächst unabhängig davon, ob diese prinzipiell erkannt werden können oder nicht), die folgende Operationen zulassen:
Zustand A ---(VV)---> Zustand <A> –-(gemäß Theorie T)---> Zustand <B> ---(VV)---> Zustand B
zusammenfassend:
Zustand A –-(gemäß kombinierter Theorie T/VV)---> Zustand B
… womit eine echte, eindeutige Kausalität ohne Zufallselement hergestellt wäre.
Diese Interpretation ist in ihrer ursprünglichen Form spätestens seit den Experimenten von Alain Aspect / Verletzung der Bellschen Ungleichung nicht mehr haltbar, existiert aber in einer abgewandelten Form weiter, indem man das Prinzip der Lokalität teilweise aufgibt. Das Prinzip der Lokalität besagt, dass sich keine Wirkung schneller als mit der Vakuumlichtgeschwindigkeit c ausbreiten kann. Das ist der Preis dafür.
Im Grunde folgst Du mir doch hier -bezgl. meiner Stellungnahme "ich bin nicht einverstanden". Für die (gesamt) QM ist die Bell Ungleichung deutlich zu unscharf. Wigner hat dieses Thema weiter formuliert und ist zu einer abstrakteren Formulierung dieser Ungleichung gekommen.
Lies dazu einmal diese Dissertation:
http://www.uibk.ac.at/exphys/photonik/people/gwdiss.pdf
Daraus erkennst Du -im Grunde reicht das lesen der Einleitung- dass die QM schnell mit uneindeutigen Messergebnissen aufwartet -trotzig gesprochen: trotz der Kopenhagener Konvention. Einstein bemerkte dieses mit seinem Satz "Gott würfelt nicht".
Zitat aus der Einleitung dieser Diss: hat geschrieben: Diese quantentheoretischen Konzepte verursachen kombiniert mit klassischen Ideen über Subjekt– Objekt Beziehung und Realismus Konflikte mit Konzepten der Relativitätstheorie. Diese Konflikte sind allerdings nur konzeptioneller Natur und nicht als Verletzung von Prinzipien der Relativität oder Kausaliät zu verstehen
seeker hat geschrieben: Damit kommen wir zur ersten Klasse der QM-Interpretationen:
1. Die QM ist unvollständig, insofern sie die Vorgänge bzw. Mechanismen der Natur prinzipiell unvollständig abbildet. Das Lokalitätsprinzip gilt nur eingeschränkt auf die Übertragung von Information, nicht für verborgene Variablen.
Reale Zustände A entwickeln sich streng kausal zu Zuständen B, gemäß eines natürlichen Mechanismus M. Der Mechanismus M kann dargestellt werden durch eine Quantentheorie T + nichtlokale verborgene Variablen, wobei diese Variablen von ihrer Natur her prinzipiell unerkennbar sind.
Die De-Broglie-Bohm-Theorie ist ein Vertreter dieser Klasse.
Die Natur von QM-Zuständen der Form <A> kann auch anders aufgefasst werden, nämlich so, dass sie real sind, ja sogar die einzige vollständige Realität der Natur darstellen, während Zustände der Form A nur Teilaspekte aus einer zufälligen Perspektive davon darstellen, ähnlich wie ein 2D-Foto nur einen Teilaspekt eines realen 3D-Gegenstands darstellt, ohne dass ihm in diesem Sinne eine eigene Realität zukommt. Bei dieser Interpretation wird unsere eine, gesamte Erfahrungswelt zu einer unwirklichen Schattenwelt degradiert. Das ist ihr Preis.
Bumms! Da ist der Konflikt zur Kopenhagener Konvention (KK). Diese will (zwangsneurotisch) dass die scheinbar zufällig gewonnenen Ergebnisse als "Natur gegeben" angesehen werden. Folgt man dann der Theorie der verborgenen Variablen, so findet man darin die Aussage, dass diese nicht zufällig sind, sonder auf Lücken in der QM Theorie basieren. Und diese Lücken werden mit den verborgenen Variablen erklärt.
Nun, ob das so die Lösung darstellt, glaube ich selber nicht, aber wie auch immer, der Konflikt ist einfach da und salopp gesagt, besagt dieses Beispiel nur:
man weiß es halt nicht, die QM reagiert teilweise sehr indifferent. Das sage ich, denn ich bin der Überzeugung, wenn diese HVs (hidden variables) tatsächlich eingeführt werden (müssten), dann ist die Schrödinger Gleichung nicht hinreichend. In Konsequenz: dann muss etwas gefunden werden, was darüber hinaus geht.
seeker hat geschrieben:Damit kommen wir zur zweiten Klasse der QM-Interpretationen:
2. Die QM ist vollständig und in ihrer vollständigen Entwicklung auch streng kausal, insofern sie die Mechanismen der Natur vollständig abbildet.
Zufallserscheinungen sind nicht wirklich zufällig, sie erscheinen nur dem Beobachter so, weil dieser als Schatten und eine zufällige Perspektive einnehmend nur zufällige Teilaspekte der wirklichen Welt erkennen kann. Welche konkrete Teilwelt er erfährt ist und bleibt zufällig. Das akausale Element aus 3. (s.u.) wird vom Objekt (Welt) ins Subjekt (Beobachter) verschoben, aber nicht gelöst.
Die Viele-Welten-Interpretationen gehören dieser Klasse an.
Nun, dies ist sehr sehr schwer nachzuvollziehen. Deine Aussage unter der Voraussetzung einer zukünftigen QM, die alle Zustände kennt, so dass die KK dann doch wieder gültig wäre, ist dann richtig formuliert. Aber für unsere Zeit -noch sind wir Unwissende und die QM bedarf einer tiefen Reform (meine Ansicht)- gilt Deine Aussage noch lange nicht.
Damit sage ich nicht, dass Deine Aussage falsch ist, ich sage: Deine Aussage mag richtig sein, eben unter genannter Voraussetzung. Sie muss sich aber dann erst beweisen!
seeker hat geschrieben:Kommen wir zur immer noch vorherrschenden Interpretation der QM, auch wenn diese Vorherrschaft vielleicht inzwischen am Bröckeln ist:
Sie besagt folgendes:
Zustand A ------> Zustand <A> ---(gemäß Theorie T)---> Zustand <B> ------> Zustand B
Wie man bemerkt, ist hier im Pfeil „Zustand A ---> Zustand <A>“ nichts von einer Theorie oder von verborgenen Variablen eingetragen. Das hat seinen Sinn, denn es besagt, dass dort nichts ist, keine Gesetzmäßigkeit, also Zufall. Dieser Zufall muss hier als „echt“ verstanden werden, als Vorgänge, die nur in ihrer Wahrscheinlichkeit durch T bestimmt werden, damit aber im konkreten Einzelfall nicht vollständig determiniert sind. Das beutet eine Einschränkung der Kausalität für (A ---> B): Wirkungen ohne Ursache.
Ja! Zustimmung
seeker hat geschrieben:Dies ist die dritte Klasse der QM-Interpretationen:
3. Die QM ist vollständig, insofern sie die kausalen Mechanismen der Natur vollständig abbildet. Die Natur selbst ist nicht vollständig kausal aufgebaut und trägt ein zufälliges Element. Deshalb bildet die QM alles ab, was überhaupt von einer Theorie abgebildet werden kann: nur den kausalen Anteil der Natur.
Die Kopenhagener Interpretation ist ein Vertreter dieser Klasse.
Puuhhh, das ist wieder so eine spekulative Annahme. Deine Aussage, dass die Natur selbst ist nicht vollständig kausal ist, kann ich nicht nachvollziehen. Die Natur reagiert meines Erachtens nach schon kausal, nur wir haben sie noch lange nicht verstanden. Beispiel: Wetter. Können wir nicht vorhersagen, da die Menge an Parametern zu groß und die Anzahl der Messtationen demzufolge deutlich zu wenig und die Messungen auch in allen Raumrichtungen mit unvorstellbarer Präzision und Messdichte durchgeführt werden müssten. Das täte jede real durchgeführte Messung auch auf sehr sehr sehr lange Sicht unmöglich machen. Schau Dir nur die lokale Wolkenbildung bei einem Spaziergang an oder die Nebelbildung über einem kleinen Wäldchen. All diese hat Einfluss. So auch in der QM. Daher sage ich, auch die QM ist deterministisch und kausal, nur wir -wir als messende und modellbildende Menschen- vermögen das auf Grund der Datendichte nicht so zu sehen.
Dies kann auch nicht anders sein, denn was tun wir? Wir suchen nach Verständnis, können aber kein exaktes Abbild der Natur finden, sondern formulieren ein Modell mit dem Anspruch so naturnahe als sinnvoll machbar zu werden. Das bedarf gewisser Einschränkungen.
Beispiel: Versuch Galton Brett. Würden wir alle Parameter kennen, dann wird ein Modell des Galton Versuchs ein exaktes Ergebnis liefern.
Beispiel: Wahlen. Würden wir alle Bürger befragen und würden alle Bürger uns wahrheitsgemäß antworten, wird eine Wahlergebnis zu 100% Treffsicherheit eintreten. Tut es aber nicht, weil beide Forderungen nicht erfüllbar sind. Ist damit eine Wahl ein akausaler Zusammenhang?
seeker hat geschrieben:Eine weitere Klasse von Ansätzen hat als Grundidee, dass die QM nicht das beschreibt was IST, sondern das, was WIR (davon) wissen können.
Das führt zu folgender Aussage:
4. Die QM ist weder vollständig noch unvollständig bezüglich ihrer Beschreibung der Vorgänge in der Natur, da sie nicht die Natur beschreibt, sondern nur die Erscheinungen die wir von der Natur haben können.
Die Frage nach der Wahrheit „da draußen“ bleibt hier unbeantwortet. Im Grunde wird hier die objektive Beschreibung einer objektiven Welt zu einer objektiven Beschreibung der subjektiv erlebbaren Phänomene.
Auch hier bleibt das Messproblem ungelöst.
Dieser Ansatz löst die ontologischen Probleme nicht, er lehnt sie ab und schweigt dazu.
Eben! Das fluchtet mit meiner letzten Stellungnahme.
seeker hat geschrieben:Instrumentalistische Ansätze gehören in diese Klasse
Zusammenfassung
Bei der Realität von Quantenobjekten gibt es folgende Möglichkeiten:
- Quantenobjekte sind vollständig real, unsere erfahrbare Welt ist halb-real (Viele Welten)
- Quantenobjekte sind halb-real, unsere erfahrbare Welt ist vollständig-real (Kopenhagener Deutung)
- Quantenobjekte und erfahrbare Welt sind real, halb-real sind allerdings die verborgenen Vorgänge in der Natur (Bohm)
- Quantenobjekte sind nur in uns (als geistige Konstrukte real), also nicht-real, dasselbe gilt für die Welt, weitere Aussagen sind nicht möglich (Instrumentalismus)
Außerdem sind noch Zwischenpositionen möglich.
Beste Grüße
seeker
Gut, das kann ich so akzeptieren. Meine Zusatzbemerkung -die habe ich auch weiter oben (nicht ganz so präzis) formuliert- ist:
Der heutige Kenntnisstand über eine vollständige und kausal aufgebaute Quantenmechanik ist unvollständig und kann auf Grund der dazu notwendigen ungeheuer großen Anzahl an zu kennenden und zu messenden Variablen niemals exakt kausal modelliert werden.
Aber: wir benötigen eine Reform der QM, welche deutlich präziser das wirkliche Funktionieren der Natur aufzeigt und welche sich durch ihr Vermögen alle Kräfte gemeinschaftlich und durchgängig beschreibt und Wechselwirkungen aller Felder korrekt und ohne trickreiche Sonderkonstruktionen darstellt.
Mit nettem Gruß
Wilfried