Pippen hat geschrieben: ↑20. Jul 2019, 23:14
Mich interessiert schon länger, ob unsere menschliche Wissenskurve konvergiert oder divergiert, d.h. ob wir uns langsam einer Konvergenzgrenze annähern, an der wir nur noch infinitesimal wirklich Neues lernen werden oder ob es immer so weitergeht, dass "wir unsere Vorfahren von vor 1.000 Jahren ob ihrer Dummheit auslachen".
Was ich sehe ist folgendes:
Der Wissenszuwachs der Menschheit ging in der Vergangenheit, gerade in der näheren Vergangenheit der letzten ca. 200 Jahre konform mit der wirtschaftlichen Entwicklung und auch der Bevölkerungsentwicklung: mehr ausgebildete und gebildete Menschen auf dem Planeten, die sich mit solchen Dingen beschäftigen können, incl. der notwendigen Mittel -> mehr Wissenszuwachs
D.h.:
Die Wissenschaft ist an die allgemeine Entwicklung der Menschheit gekoppelt!
Die "einfachen Erkenntnisse", vor allen Dingen die, die von Einzelpersonen gemacht werden konnten, scheinen alle schon gemacht zu sein.
Heute geht der wiss. Fortschritt nur noch im Team, nein, nur noch mit der weltweiten Community und gerade in den Grundlagen meist nur noch mit erheblichem auch technischen und finanziellen Aufwand voran.
(Und ich glaube auch, dass es sehr wichtig ist sich selbst zu bescheiden und das zu begreifen, dass ein Einzelner heute nichts mehr ausrichten kann und dass das viele noch nicht begriffen haben: Es ist Wahnsinn zu glauben man könne heute noch, allein im stillen Kämmerlein, ein neuer Einstein werden, so schön und anziehend dieses Narrativ auch sein mag. Maximal möglich ist auf diesem Weg nur ein neues Staubkörnchen der Erkenntnis auffindbar.)
NW Erkenntnisse sind heute auch nicht mehr ohne die Hilfe von Computern, nein Großrechnern handhabbar oder überblickbar, menschliche Gehirne allein, auch alle menschlichen Gehirne der Erde zusammen, mit ihrer doch langsamen und ineffizienten Kommunikation untereinander, wären damit längst überfordert.
Außerdem werden die NW gerade in den Grundlagen immer statistischer und damit indirekter und damit unsicherer.
Dennoch scheinen wir bei aller weltweiten Anstrengung, mit aller moderner Wirtschaftskraft, moderner Technik und der Manpower von bald 10 Mrd Menschen langsam auch hier an Grenzen zu stoßen.
Hinzu kommen biologische Grenzen der Leistungsfähigkeit der menschlichen Denkapparate.
Und nicht zuletzt gibt es technische Grenzen des Machbaren, des Erforschbaren.
Und es gibt auch ein Problem einmal gewonnenes Wissen auch über längere Zeit zu konservieren. Wissen und Know-how kann der Menschheit auch wieder verlorengehen (das ist schon oft geschehen und geschieht eigentlich ständig), auch dann, wenn die Daten selbst konserviert wären, aber irgendwann nicht mehr genügend Leute da wären, die damit etwas anfangen könnten oder wollten.
Grenzen überall...
Besonders die o.g. Kopplung des Wissens an die allg. Entwicklung unserer Spezies auf globaler Ebene scheint mir momentan wichtig.
Ich denke nicht, dass davon auszugehen ist, dass sich die Wissenschaften noch viel höher werden entwickeln können, falls wir demnächst einen globalen Abschwung erleben würden, hervorgerufen von z.B. Klimawandel, Überbevölkerung, Ressourcenerschöpfung, Kriegen, usw.
Und es spielt hier nicht nur das Können eine Rolle, sondern auch das Wollen. Das Wollen hängt auch von der kulturellen Entwicklung ab: In Gesellschaften, in denen Wissenschaft kein hohes Gut ist, die sich im Allgemeinen lieber anderen Dingen, wie z.B. Religion oder "zurück zur Natur" oder "Konsum und Annehmlichkeiten total" oder "Postfaktischem", etc. zuwenden, wird in der Richtung auch nicht mehr viel passieren.
Aber selbst wenn wir das alles umschiffen können, bleiben die Grenzen der Technik und der Ressourcen und unseres Gehirns. Und an diesen Grenzen sind wir heute schon sehr nahe dran, wie mir scheint.
Vielleicht werden auch irgendwann KI-Systeme übernehmen und noch ein Stückchen weiterkommen, das wird dann aber nicht mehr
unser Wissen sein, für uns wären solche KIs dann eher wie Orakel oder Götter.
Pippen hat geschrieben: ↑20. Jul 2019, 23:14
Leider können wir darüber nur wild spekulieren bzw. jede Generation dachte wohl daran, dass sie die Spitze (oder nah dran) wären von dem, was wir wissen können, nur um bisher immer noch widerlegt worden zu sein.
Ich denke eben, dass wir bis auf Weiteres vornehmlich nur einen Planeten haben werden. Und der begrenzt unser Wachstum, auch in den Wissenschaften, mindestens die Wachstumsgeschwindigkeit der letzten 200 Jahre wird bald abnehmen (falls nicht schon geschehen) und dann für sehr lange Zeit einzigartig bleiben. D.h., es kann durchaus immer noch aufwärts gehen, aber sicher nicht mehr so schnell. Und es geht schon heute viel mehr in die Breite als in die Tiefe, wie mir scheint. Und alles überblicken kann schon lange niemand mehr: Es gibt schon seit mindestens 100 Jahren keine Universalgelehrten mehr.
Und noch eine Anekdote:
Wir hatten einmal eine Besprechung mit Kunden, wo es um die Lösung bzw. Verbesserung eines techn. Problems bzw. verbesserungswürdigen Unzulänglichkeit in einer Produktionsprozesskette ging.
Wir entwickelten im Gespräch viele Ideen, wie man das lösen bzw. besser machen könnte.
Irgendwann sprach einer der Kunden: "Wissen sie, an Ideen mangelt es uns selbst nicht, es mangelt uns an der Umsetzung und dem Herausfinden bzw. Nachweis, welches tatsächlich die beste Idee ist!"
Das habe ich mir gemerkt. Das ist tatsächlich ein wichtiger Punkt.
Ich denke, es passt auch teilweise darauf, was du schreibst, Skeltek.
Job hat geschrieben: ↑23. Jul 2019, 11:34
Wir werden erst wieder einen Schritt weiter kommen und die Fenster und Türen hin zu einer neuen Sichtweise öffnen können, wenn wir inne halten und wieder Antworten auf so einfache Fragen wie "Was ist ...?“ und „Warum? ...“ suchen.
Vielleicht, vielleicht auch nicht. Es besteht dort Hoffnung, aber mehr auch nicht. Auch darauf passt die Anekdote.
Job hat geschrieben: ↑23. Jul 2019, 11:34
Wir müssen uns von einigem Ballast befreien (sonst geht es nicht) und wieder versuchen, das Einfache und Begreifbare zu suchen und zu finden. Das bedeutet nicht, dass die Natur insgesamt einfach ist. Das ist sie offensichtlich nicht. Dies trifft aber nur auf die Dynamik und die unzähligen potenziellen Emergenzen zu. Das sind die Wirkungen, die für uns messbar sind und mit denen sich die Physik heute vornehmlich beschäftigt. Sie machen die heutige Physik (unvermeidbar) so komplex. Die eigentlichen Grundbausteine und Grundprinzipien (die Ursachen der Wirkungen), die wir heute noch nicht kennen und erst noch finden müssen, sind dagegen einfach und begreifbar. Wir betrachten heute Elektronen, Quarks, Photonen, ... als elementare Grundbausteine. Das sind sie aber nicht. Sie bestehen wiederum aus den eigentlichen Grundbausteinen. Diese gilt es zu finden. Sie sind allerdings so klein, dass wir sie einzeln nicht mehr nachweisen können. Wir können also nur mit Modellen davon arbeiten, ohne jemals sicher zu sein, ob das Modell, so gut es dann auch sein möge, tatsächlich auch diese untergelagerte Realität 1 zu 1 widerspiegelt. Hier befinden sich die Grenzen, die wir nicht mehr überschreiten können.
Man soll so einfach wie möglich modellieren - aber nicht einfacher!
Das Einfache und Begreifbare und Anschauliche soll man suchen, es ist aber ein langer Weg herauszufinden, ob man damit zum Erfolg gelangt.
Ich befürworte das und ich denke das geschieht auch. Dass man die Anschaulichkeit dabei aber im Allgemeinen letztlich hintenangestellt hat, geschah nicht leichtfertig, denn wichtiger als alles andere ist die Funktion, wenn man ehrlich ist:
Funktioniert die Theorie
unseren Forderungen entsprechend gut oder tut sie das nicht? Eine gut funktionierende Theorie ist immer besser als eine anschaulichere und einfachere und begreifbarere aber weniger gut funktionierende Theorie.
Und von der Forderung nach "Wahrheit" bzw. einer "wahren naturwiss. Theorie" sollte man sich wirklich verabschieden, so weh das auch tun mag. Den Realitäten muss man sich stellen: Eine wahre naturwiss. Theorie ist schon wissenschaftstheoretisch unmöglich von uns erreichbar, wenn wir gleichzeitig die Forderung stellen, auch zu wissen, dass sie wahr ist. Wir können ganz prinzipiell von keiner NW Theorie wissen, dass bzw. ob sie wahr ist.