Job hat geschrieben:Der zweite Aspekt ist wie ich finde aber viel interessanter, nämlich die Frage, welche dieser Unendlichkeiten und Konstrukte in der Natur (wenn überhaupt) in welcher Form realisiert sind. Man kann auch äquivalent fragen: Beschäftigt sich die Mathematik in diesem Bereich nur mit künstlich konstruierten Dingen, oder nicht.
Ganz genau! Das ist die Frage, die auch ich im Hinterkopf habe, wenn ich mich hier mit solchen Dingen beschäftige.
Ich möchte sie in Bezug auf das Folgende noch etwas anders stellen:
Job hat geschrieben:Wenn man einmal annimmt, dass die Fundamente der Mathematik und hier insbesondere die Logik, mit dem Konstruktionsprinzip des „Alls“ (ich habe hier bewusst nicht Universum benutzt) übereinstimmen und die Mathematik aus diesem Grunde so erfolgreich in der Lage ist, physikalische Phänomene zu beschreiben, könnten auch Unendlichkeiten in einer bestimmten Form tatsächlich in der Natur realisiert sein.
Was aber, wenn sie es
nicht wären (und zwar beide Unendlichkeiten: das unendlich Kleine, das Kontinuum und das unendlich Große)?
Was wäre in diesem Fall?
Müsste in dem Fall eine Beschreibung der Natur durch eine Mathematik, die so konstruiert ist, dass sie Kontinua und Unendlichkeiten enthält, dann nicht irgendwann an natürliche Grenzen stoßen, eben deshalb, weil sie dann schon in ihrem Kern ganz anders konstruiert wäre als die Natur?
Dieselbe Frage stelle ich mir in Bezug auf das "Nichts".
Unsere Mathematik scheint mir konsequent auf das Nichts aufgebaut zu sein: Man fängt mit der leeren Menge an, sagt dann, dies wäre kein Nichts, sondern schon ein Etwas, eben eine Menge, konstruiert daraus die Null, dann die Eins als Menge der Menge der leeren Menge, usw.
Was wenn es in der Natur gar kein Nichts gibt? Ist unsere Mathematik dann überhaupt beliebig gut kompatibel zur Natur?
Man soll sich ja auch nicht täuschen lassen: Der scheinbar unglaubliche Erfolg unserer heutigen Mathematik als Werkzeug der Physik zur Beschreibung der Natur könnte auch genauso gut gar nichts bedeuten. Es könnte genauso gut sein, dass wir von dem, was da draußen existiert, noch so gut wie gar nichts begriffen haben, dass das, was wir bisher physikalisch beschreiben können, ein unbedeutender Schatten ist, von dem was tatsächlich existiert.
Der scheinbare Erfolg der heutigen Physik könnte genauso gut eine anthropozentrische Selbsttäuschung sein.
Zu den Unendlichkeiten:
Ich bin bei ihnen im Zwiespalt. Es scheint mir zwei Wege zu ihnen zu geben:
1. Der "normale", aufbauende Weg: Man geht vom Nichts aus, konstruiert daraus das Endliche und nimmt dem Endlichen dann die Eigenschaft "endlich" weg und sagt, das wäre dann das Unendliche.
Mathematisch mag das so ohne direkte Widersprüche gehen, aber irgendwie schmeckt es mir nicht, wie das dort gemacht wird, irgendetwas sträubt sich da in mir. Und ich zweifle daran, dass es die Natur so gemacht haben kann (falls sie Unendlichkeiten überhaupt kennt), denn es fällt mir kein natürlicher Weg ein, wie man von etwas Endlichem zu etwas Unendlichem kommen kann.
2. Der umgekehrte, abbauende Weg: Man geht von der vollständigen Regellosigkeit aus (das ist sozusagen das "andere Nichts": es existiert dann zunächst alles, was nicht durch eine Regel verboten ist, also zunächst schlichtweg ALLES) und fügt dieser Regellosigkeit dann (einschränkende) Regeln hinzu.
Je mehr Regeln man hinzufügt, desto weniger bleibt übrig, bis man erst ganz am Schluss zur Eins und dann zur Null und dann (nur als Grenzfall, bei Anwesenheit von unendlich vielen Regeln) zum (gewöhnlichen) Nichts kommt.
Das schöne an 2. ist für mich:
Die Natur
muss (falls sie es so tut) auf diesem Weg sogar tatsächlich Unendlichkeiten beinhalten, denn die "totale Unendlichkeit, das Alles", welches mit dem völligen Fehlen von Regeln einhergeht, wäre in diesem Fall ihr Grundzustand. Ein unendliches Objekt, wie z.B. ein unendlicher Raum, wäre etwas natürliches, sogar einfacheres als ein endlicher Raum, denn es wäre ein Raum, der mit einer Regel weniger auskommt als ein endlicher, nämlich eben der Regel, dass er endlich zu sein habe.
Mit dem Kontinuum dasselbe: Ein kontinuierlicher Raum wäre einfacher und natürlicher als ein diskreter Raum, weil er weniger eingrenzende Regeln braucht.
Was es aber wohl selten oder gar nicht in der Natur gäbe, wären tatsächlich völlig diskrete Objekte, eben wegen der vielen zusätzlichen Regeln, die solche Objekte benötigen. Objekte wären dann auch meistens unscharf und nicht vollständig durch Regeln determiniert.
Es gäbe dann verschiedene Welten mit einer mehr oder minder großen Ordnung (die direkt abhängig von der Anzahl der dort eingrenzend-wirkenden Regeln wäre), die Welten mit geringer Ordnung, also die chaotischen Welten wären viel häufiger anzutreffen, aber sie würden wohl kein Leben ermöglichen. Welten mit sehr hoher Ordnung wären selten, aber sie würden Leben, also Beobachter ermöglichen. Welten mit totaler Ordnung, also mit extrem vielen Regeln, wären extrem selten, ob sie Leben ermöglichen würden ist ungewiss.
Ich überlege immer noch, ob es nicht doch grundsätzlich möglich sein könnte solch eine "umgekehrte Mathematik" nach 2. zu konstruieren und ob das vielleicht nützlich für die physikalische Beschreibung der Natur sein könnte und uns neue Einblicke gewähren könnte?
Ist es möglich eine Mathematik zu konstruieren, die nicht von Objekten ausgeht, von einem Objekt "Nichts" bzw. "leere Menge" bzw. "die Abwesenheit von Elementen" ausgeht, sondern umgekehrt von Regeln, von einem Konzept ohne Regeln bzw. "die Abwesenheit von Regeln", dem dann eine erste einschränkende Regel hinzugefügt wird, dann eine zweite, usw.?
Hintergrund: Mathematik scheint mir im Prinzip und im Kern aus zweierlei zu bestehen: 1. Objekte, 2. Regeln
Ich glaube man sollte als zusätzliche Perspektive die Dinge nicht nur in Hinsicht auf Anwesenheit/Abwesenheit von Objekten betrachten, sondern zusätzlich auch in Hinsicht auf Ordnung/Chaos, im Sinne von Anwesenheit/Abwesenheit von Regeln.
Kann das Sinn machen?
P.S.: Sorry Job, falls ich hier zu wenig auf deine Gedanken eingegangen bin und evtl. wieder einmal weit abschweife. Ich hole das gerne nach. Stoß mich auch gerne nochmals auf die dir wichtigsten Punkte.
Grüße
seeker