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Platonismus am Beispiel der Viele-Welten-Theorie

Mathematische Fragestellungen
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Platonismus am Beispiel der Viele-Welten-Theorie

Beitrag von tomS » 26. Jan 2014, 11:38

Ich möchte im Folgenden anhand von Gleasons Theorem zeigen, warum viele Mathematiker und Physiker der platonistischen Position zuneigen, derzufolge mathematischen Strukturen und deren Eigenschaften eine von uns unabhängige Existenz zukommt, die wir im Zuge der mathematischen Forschung entdecken, nicht jedoch erst durch Konstruktion "erschaffen".

Einführung

Ein zentrales, bisher ungelöstes Problem der QM ist das Messproblem, das wohl teilweise (!) durch die Dekohärenztheorie erklärt wird. Ein Ansatz zur Lösung des Problems besteht in der Viele-Welten-Interpretation, derzufolge eine Messung zu einer "Verzweigung" der Realität führt, wobei die einzelnen Zweige jeweils wechselweise unbeobachtbar sind. Dies ist (anders als oft dargestellt) kein Postulat oder Teil der Interpretation, sondern eine Hypothese, die aus dem Formalismus abzuleiten ist (was heute keinesfalls als gesichert gelten darf; die Dekohärenztheorie adressiert dies nur teilweise).

Die Viele-Welten-Interpretation verzichtet auf einige bekannte Axiome der "orthodoxen QM" nach von Neumann. Insbs. verzichtet sie auf
1) den "eigenvalue-eigenvector link", demzufolge ein System nach einer Messung einer Observablen A mit Messergebnis a im Eigenzustand |a>, d.h. A|a> = a |a> ist
2) die "Bornsche Regel", derzufolge die Wahrscheinlichkeit P(a) bei einer Messung von A an einem System in einem beliebigen Zustand |ψ> den Wert a zu finden, gemäß P(a) = |<a|ψ>|[up]2[/up] berechnet wird

Zu 1) ist zu sagen, dass dies gerade dem Kollapspostulat entspricht, da die Messung offensichtlich den allgemeinen Zustand |ψ> in den Zustand |a> überführt. Der Kollaps ist aber außerphysikalisch, d.h. nicht im Formalismus begründbar sowie auch nicht selbst messbar. Der Formalismus selbst enthält lediglich eine unitäre Zeitentwicklung der Form

U(t,0) = exp(-iHt)
|ψ,t> = U(t,0)|ψ,0>

die es explizit gestattet, aus einem Zustand zum Zeitpunkt 0 den eindeutigen Zustand zum Zeitpunkt t zu berechnen. Insofern ist die QM also zunächst streng deterministisch, ihre probabilistische Natur liegt im Kollaps begründet. Eliminiert man den Kollaps, ist die gesamte Theorie nicht-probabilistisch.

Wichtig: man kann mathematisch zeigen, dass der Kollaps von |ψ> nach |a> die Vorschrift U(t,0) verletzt, d.h. dass der Kollaps mit der o.g. Zeitentwicklung unverträglich ist. Daher spreche ich von "außerphysikalisch".

Wenn die VWI also den Kollaps eliminiert, eliminiert sie insbs. auch (1), da auch nach einer Messung kein Eigenzustand |a> vorliegt, sondern ein Beobachter "im Zweig a" eben nur diesen Zweig wahrnimmt, es ihm also so erscheint, als ob ein Kollaps stattgefunden hätte und ein Eigenzustand vorliegen würde. Tatsächlich sind die anderen Komponenten des ursprünglichen Zustandes jedoch noch vorhanden, jedoch in anderen, unsichtbaren Zweigen realisiert. Aus der Froschperspektive des Beobachters sieht es also so aus "als ob ein Kollaps stattgefunden hätte", aus der Vogelperspektive des Theoretikers existiert jedoch eine "verzweigte Wirklichkeit füreinander wechselweise unsichtbarer Zweige und Beobachter".

Wichtig: dies ist keine reine Interpretation, sondern ein Forschungsprogramm, denn es gilt mathematisch nachzuweisen, dass auf das Axiom (1) verzichtet werden kann, und dass (1) in der Froschperspektive als Näherung für realistische Systeme und Beobachter folgt. Die Dekohärenztheorie leistet dazu einen wichtigen, jedoch (noch) nicht ausreichenden Beitrag.

Zu 2) ist zu sagen, dass mit dem Verzicht auf (1) zunächst keine Notwendigkeit für eine Wahrscheinlichkeit vorliegt und diese (in der Vogelperspektive) eliminiert werden muss, da hier eine ausschließlich deterministische Zeitentwicklung gemäß U(t,0) vorliegt.

Aber wir beobachten aus der Froschperspektive natürlich die o.g. Wahrscheinlichkeiten P(a) für Messungen von A mit Ergebnis a. Bzw. genauer, wir beobachten statistische Häufigkeiten, die näherungsweise den berechneten Wahrscheinlichkeiten entsprechen. Damit folgt empirisch die Notwendigkeit, eine P(a) wieder in die Theorie einzuführen, obwohl wir es formal ausgeschlossen haben.

Offensichtlich liegt wieder ein Forschungsprogramm vor, denn es gilt mathematisch nachzuweisen, dass für (1) in der Froschperspektive als Näherung für realistische Systeme eine empirische Häufigkeit entsprechend von P(a) abgeleitet werden kann.

Einschub

Die VWI ist im Sinne von Ockham's razor den Kollapsinterpretationen bzw. der orthodoxen Formulierung von Neumann's überlegen, da sie die Prämissen / Postulate / Axiome reduziert und durch (hoffentlich letztlich als Theoreme beweisbare) Hypothesen ersetzt. D.h. sie transformiert eine "Glaubenslehre" in eine Forschungsprogramm, das natürlich auch falsifiziert werden kann.

Kernprobleme

Das sind nun eigtl. zwei Probleme, nämlich ein tatsächlich mathematisches (das in gewisser Weise teilweise gelöst ist) sowie ein interpretatorisches (das m.E. nicht gelöst ist, und über das die Wissenschaftler uneins sind).

Das Problem der Interpretation liegt darin begründet, dass offensichtlich nur die Beobachtung einen Hinweis auf die Notwendigkeit der Einführung einer Wahrscheinlichkeit liefert, nicht jedoch der Formalismus selbst. Vereinfacht gesagt möchte die VWI alles aus den Axiomen und dem Formalismus ableiten, kann jedoch gerade nicht ableiten, dass sie eine Wahrscheinlichkeit zwingend benötigt. Sie kommt nicht ohne Interpretation aus (versucht jedoch, diese möglichst zu minimieren).

Das mathematische Problem ist ebenfalls nur teilweise gelöst, denn die VWI kann heute keine eindeutige mathematische Definition eines Zweiges liefern! Das ist wohl das wesentliche mathematische Kernproblem.

Zusammenfassend geht es um die Einführung einer Wahrscheinlichkeit in eine deterministische Theorie, nicht als Axiom, sondern als Theorem, ableitbar aus dem reduzierten Axiomensystem, auf dem die VWI aufbaut, d.h. insbs. ohne (1) und (2) als Prämissen oder Axiome. Dabei liegen zwei zu unterscheidende Problembereiche vor, nämlich ein interpretatorischer und ein mathematischer. Der erste beschäftigt sich mit der Fragestellung, dass und warum eine Wahrscheinlichkeit einzuführen ist, der zweite damit, wie sie einzuführen ist.

Gleason's theorem ...

... löst die zweite Fragestellung eindeutig!

Mathematisch geht es um die Einführung eines Wahrscheinlichkeitsmaßes auf einem Hilbertraum. Ein Wahrscheinlichkeitsmaß ordnet einem Ereignis a eine Wahrscheinlichkeit P(a) zu, wobei bestimmte Kriterien erfüllt sein müssen:
- P(a) liegt zwischen Null und Eins (jeweils einschließlich)
- die Gesamtwahrscheinlichkeit ist Eins
- die Wahrscheinlichkeit disjunkter Ereignisse ist additiv (Würfel: Wsk. für "1" oder "6" ist die Summe 1/6 + 1/6)

http://de.wikipedia.org/wiki/Wahrschein ... tsma%C3%9F

Die zentrale Aussage von Gleason's theorem ist, dass auf einem Hilbertraum (wie er in der QM immer vorliegt) das Wahrscheinlichkeitsmaß eindeutig ist, und dass es der Bornschen Regel entsprechen muss. D.h. Gleason's theorem schließt explizit jedes von der Bornschen Regel abweichende Wahrscheinlichkeitsmaß aus. Im obigen Sinne bedeutet dies, dass wenn wir ein Wahrscheinlichkeitsmaß einführen wollen, dass dieses zwingend dem o.g. P(a) aus (2) entsprechen muss! In diesem Sinne ist die Frage des wie beantwortet.

Ich sollte das evtl. noch etwas genauer beschreiben.

In der modernen QM betrachtet man nicht mehr rein sogenannte projektorwertige Maße der Form |<a|ψ>|[up]2[/up] sondern allgemeine POVM (positive operator-valued measures). Insbs. betrachtet man Dichteoperatoren, um Quantenstatistik und offene Systeme beschreiben zu können. Gleason's Theorem ist in diesem Sinne universellen als die Bornsche Regel (die ein Spezialfall von Gleasons theorem für reine Zustände darstellt).

Für Interessierte siehe hier:

http://de.wikipedia.org/wiki/Dichteoperator

Die Aussage von Gleason's Theorem lautet, dass für allgemeine gemischte Zustände (die also mit einer klassischen Unsicherheit im Sinne der statistischen Mechanik behaftet sein können), das einzig zulässige Wahrscheinlichkeitsmaß bzw. der daraus resultierende Erwartungswert <A> für eine Observable A im verallgemeinerten Zustand ρ von der Form

<A> = tr(ρA)

ist. ρ ist dabei von der allgemeinen Form

ρ = Σ[down]n[/down] p[down]n[/down] |n><n|

mit tr(ρ) = 1 und p[down]n[/down] zwischen Null und Eins.

Im Spezialfall reiner Zustände wird ρ zu einem Projektor auf einen speziellen eindimensionalen Unterraum, d.h. es gilt

ρ = |ψ><ψ|

und

<A> = tr(ρA) = <ψ|A|ψ>

entsprechend der Bornschen Regel.

Also nochmal zusammenfassend: Gleason's theorem besagt, dass auf einem Hilbertraum das einzig mögliche Wahrscheinlichkeitsmaß von der Form <A> = tr(ρA) ist.

http://www.iumj.indiana.edu/IUMJ/FULLTEXT/1957/6/56050

zum Platonismus

Born hat dieses Maß (bzw. den o.g. Spezialfall) als Interpretation der Wellenfunktion ψ(x) eingeführt bzw. postuliert. Born stellte dieses Postulat in den zwanziger Jahren auf, während Gleason sein Theorem erst Jahrzehnte später fand. In den Jahren dazwischen verwendeten die Physiker die Bornsche Regel erfolgreich (und nie widerlegt) zur Vorhersage experimenteller Wahrscheinlichkeiten bzw. der Erwartungswerte von Messungen. Beides hängt auch im Rahmen der VWI eng miteinander zusammen. Insbs. entspricht die Wsk., einen Messwert a zu finden, der Wsk., nach einer Verzweigung in einem bestimmten Zweig zu existieren, wobei in diesem Zweig näherungsweise |a> realisiert ist.

Damit scheint die Konstruktion eines Maßes der Form <A> = tr(ρA) nur zufällig Gleason's allgemeinem Theorem zeitlich voranzugehen.

Betrachten wir ein mögliches der QM zugrundeliegendes Axiomensystem

Postulate 1) To each dynamical variable there corresponds a linear operator A, and the possible values of the dynamical variable are the eigenvalues a of the operator A.
Postulate 2) To each state there corresponds a unique state operator. The average value of a dynamical variable, represented by the operator A, in the ensemble of events that may result from a preparation procedure for the state, represented by the trace-class operator ρ, is tr(ρA)

(nach Ballantine) http://www-dft.ts.infn.it/~resta/fismat/ballentine.pdf

Ziel der VWI Ist (in etwa) ein reduziertes Axiomensystem der Form

Postulate 1) To each dynamical variable there corresponds a linear operator A (der Rest folgt als Theorem)
Postulate 2) To each state there corresponds a unique state operator ρ from which the average value of a dynamical variable, represented by the operator A, can be derived.

Damit ist ebensogut folgende (platonistische) Haltung denkbar: Der Hilbertraumformalismus der QM sowie insbs. der Zustandsoperator ρ repräsentiert einen strukturellen Aspekt der Realität. Die QM sagt Erwartungswerte von real durchgeführten Messungen voraus. Dabei gehen zunächst sicher keine empirischen Details ein (außer dass wir prinzipiell Messungen durchführen). D.h. der einzige blinde Fleck dieser Haltung ist, warum wir überhaupt Beobachtungen machen; das müssen wir voraussetzen. Was wir aber mathematisch eindeutig ableiten könne ist, welches Wahrscheinlichkeitsmaß wir verwenden müssen und wie die Erwartungswerte der Beobachtungen zu bilden sind. Zudem können wir auch ableiten, dass im Allgemeinen keine scharfen Werte existieren können, denn dies verstößt gegen die Regeln für die Operatoralgebra (wenn A und B nicht vertauschen) und damit gegen die Regeln für Wahrscheinlichkeitsmaße.

Wir haben also eine platonistische Position eingenommen und dadurch sowohl die Annahmen in den Axiomen reduziert, als auch die Vorhersagekraft gestärkt (die Regeln für das Wahrscheinlichkeitsmaß folgt als Theorem). In diesem Sinne kann man die Entdeckung von Gleason's theorem als Entdeckung einer zuvor verborgenen Struktur der Realität (eines Zustandes im Hilbertraum) ansehen; insbs. da wir nicht eine (von vielen) möglichen Strukturen entdeckt haben, sondern die einzig mögliche Struktur. In diesem Sinne ist platonistische Position sehr stark, denn aufgrund der Eindeutigkeit ist zunächst gar keine Konstruktion des Wahrscheinlichkeitsmaßes notwendig (wobei der Beweis durchaus konstruktiv ist, d.h. er beweist nicht nur die Existenz, sondern er zeigt auch, wie das Maß aussehen muss).

Zusammenfassend: nicht Born hat ein empirisches Modell für Beobachtungen konstruiert, sondern Gleason hat eine existierende (und eindeutige) mathematische Struktur der Realität gefunden.

Natürlich muss man das nicht so interpretieren, d.h. die o.g. Schlussfolgerung ist keinesfalls logisch zwingend. Aber sie ist m.E. recht überzeugend, d.h. sie zeigt exemplarisch, warum Mathematiker und Physiker oft einer platonistischen Haltung zuneigen.
Gruß
Tom

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Re: Platonismus am Beispiel der Viele-Welten-Theorie

Beitrag von tomS » 26. Jan 2014, 14:31

Über konstruktive Kritik würde ich mich freuen ..
Gruß
Tom

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Re: Platonismus am Beispiel der Viele-Welten-Theorie

Beitrag von Hawkwind » 26. Jan 2014, 16:43

Hi Tom,

bei Lesen deines Beitrags stelle ich fest, dass ich eigentlich nichts von der VWI weiss - deshalb ein paar - möglicherweise dumme - Fragen.
tomS hat geschrieben: ...
Die Viele-Welten-Interpretation verzichtet auf einige bekannte Axiome der "orthodoxen QM" nach von Neumann. Insbs. verzichtet sie auf
1) den "eigenvalue-eigenvector link", demzufolge ein System nach einer Messung einer Observablen A mit Messergebnis a im Eigenzustand |a>, d.h. A|a> = a |a> ist
Wirklich?
Nach meinem Verständnis (das sich extrem in Grenzen hält) verzweigt unsere Welt in der VWI mit jeder Messung in n Welten, von denen jede einen möglichen Eigenwert der gemessenen Observablen realisiert. Unter "realisiert" verstehe ich, dass ein Eigenzustand zu dem in dieser Welt gemessenen Wert vorliegt.

tomS hat geschrieben: 2) die "Bornsche Regel", derzufolge die Wahrscheinlichkeit P(a) bei einer Messung von A an einem System in einem beliebigen Zustand |ψ> den Wert a zu finden, gemäß P(a) = |<a|ψ>|[up]2[/up] berechnet wird
Die Bornsche Regel ist nach meinem Verständnis Teil des interpretationsunabhängigen Kerns der Quantenmechanik; sie erlaubt es uns erst, quantitative Vorhersagen in Form von Wahrscheinlichkeitsverteilungen zu machen. Braucht man in der VWI doch m.E. genauso, denn die Vorhersagen der QM haben doch nun einmal probabilistischen Charakter oder nicht?
Ist die VWI wirklich deterministisch?
Dann braucht man die Bornsche Regel zumindest, um die Wichtung, mit der eine Verzweigung erzeugt wird, zu bestimmen.

Gruß,
Hawkwind

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Re: Platonismus am Beispiel der Viele-Welten-Theorie

Beitrag von tomS » 26. Jan 2014, 17:12

Hawkwind hat geschrieben:
tomS hat geschrieben: Die Viele-Welten-Interpretation verzichtet auf einige bekannte Axiome der "orthodoxen QM" nach von Neumann. Insbs. verzichtet sie auf
1) den "eigenvalue-eigenvector link", demzufolge ein System nach einer Messung einer Observablen A mit Messergebnis a im Eigenzustand |a>, d.h. A|a> = a |a> ist
Wirklich?
Nach meinem Verständnis (das sich extrem in Grenzen hält) verzweigt unsere Welt in der VWI mit jeder Messung in n Welten, von denen jede einen möglichen Eigenwert der gemessenen Observablen realisiert.
Nun, nehmen wir an, wir haben ein System im Zustand |ψ> messen eine Observable A. Danach beobachten wir den Zeiger unseres Messgerätes mit Zeigerposition "a", so dass wir auf einen Zustand a des Quantensystems schließen. Außerdem liegen noch weitere Umgebungsfreiheitsgrade "U" vor, die gemäß der Dekohärenz überhaupt erst zu einer Zeigerbasis führen und die die "dynamische stabile wechselweise Unsichtbarkeit" verschiedener Zweige sicherstellen. Ich verzichte im Folgenden auf die Unterscheidung von a, "a" und "U" und führe eine recht schlampige Notation ein, die jedoch die wesentliche Idee rüberbringt: durch die Wechselwirkung des Quantensystems mit dem Messgerät erfolgt der Übergang von |ψ> nach

|ψ'> = Σ[down]B[/down] ψ[down]B[/down] |B>

wobei B die Zweige repräsentiert. Könnte man nun einen Zweig B mit dem Messergebnis a identifizieren (es ist komplizierter wegen der Umgebungsfreiheitsgrade), so entspräche dieser Zustand einer Überlagerung

|ψ'> = Σ[down]a[/down] ψ[down]a[/down] |a>

d.h. die Überlagerung der Messergebnisse entspricht gerade den weiterexistierenden Zweige. Offensichtlich liegt kein Eigenzustand vor (allerdings erscheint es uns aus der Froschperspektive eines Zweiges, als ob dem so wäre)

Hawkwind hat geschrieben:
tomS hat geschrieben: 2) die "Bornsche Regel", derzufolge die Wahrscheinlichkeit P(a) bei einer Messung von A an einem System in einem beliebigen Zustand |ψ> den Wert a zu finden, gemäß P(a) = |<a|ψ>|[up]2[/up] berechnet wird
Die Bornsche Regel ist nach meinem Verständnis Teil des interpretationsunabhängigen Kerns der Quantenmechanik; sie erlaubt es uns erst, quantitative Vorhersagen in Form von Wahrscheinlichkeitsverteilungen zu machen. Braucht man in der VWI doch m.E. genauso, denn die Vorhersagen der QM haben doch nun einmal probabilistischen Charakter oder nicht?
Ist die VWI wirklich deterministisch?
Die Bornsche Regel erscheint in der VWI als Theorem, nicht als Postulat. Ja, man benötigt in der VWI eine Wahrscheinlichkeitsaussage bezogen auf die Zweige. Ja, bezogen auf die Gesamtheit aller Zweige ist die VWI deterministisch.

Das Gleasonsche Theorem ist eine notwendige Bedingung für die Bornsche Regel, jedoch keine hinreichende. Die Fragestellung, warum wir den Formalismus probabilistisch interpretieren sollen (da er ja deterministisch ist), wird von diesem Theorem nicht beantwortet. Es ist aber klar, dass wenn wir den Formalismus probabilistisch interpretieren wollen, dass wir das mittels der Bornschen Regel tun müssen; andere Wahrscheinlichkeitsmaße sind ausgeschlossen.
Gruß
Tom

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Re: Platonismus am Beispiel der Viele-Welten-Theorie

Beitrag von breaker » 26. Jan 2014, 17:28

Ich weißnicht, ob das gerade gut zum Thema passt, oder vielleicht zu weit weg führt, aber mich würde der Zusammenhang zwischen klassischer Statistik und Quantenstatistik interessieren.
Wenn wir einen (makroskopischen) Würfel werfen, stellen wir uns nicht vor, dass dadurch sechs verschiedene Welten entstehen, in denen der Wurf jeweils einen anderen Wert ergibt. Warum ist die Viele-Welten-Theorie in der Quantenmechanik sinnvoll, aber in der makroskopischen Welt nicht? Dafür gibt es bestimmt interessante Gründe.

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Re: Platonismus am Beispiel der Viele-Welten-Theorie

Beitrag von Hawkwind » 26. Jan 2014, 17:32

Erst einmal auf die Schnelle (um auf deinen Post einzugehen, brauche ich ein Weilchen): vielleicht interessant in diesem Zusammenhang:
Measurement Outcomes and Probability in Everettian Quantum Mechanics

Die Implementation von Wahrscheinlichkeiten in der deterministischen VWI scheint ja nicht so ganz trivial zu sein.
The Everett or many-worlds interpretation of quantum mechanics has long suffered from a
problem about probability. It is all very well to say that the wavefunction never collapses
and the linear dynamical laws always apply, leading to a branching universe in which every
possible outcome of each measurement is actual. But how are we then to explain the fact that
we are justified in treating some measurement outcomes as more likely than others? Quantum
mechanics is an empirically successful theory only because it combines the linear dynamics
with a rule for determining the probabilities of possible outcomes from the amplitude of the
wavefunction. This is the Born rule. If they are to explain this success, Everett’s adherents
must explain how this explicitly probabilistic rule enters into a theory that they interpret as
deterministic.
Der Autor meint wohl (siehe auch Abstract des Papers), einen Zirkelschluss nachgewiesen zu haben, was die "Implementation von Wahrscheinlichkeiten" in der VWI angeht.

Gruss, Hawkwind

PS. Ich persönlich bevorzuge die Kopenhagener Deutung auch, weil sie schlicht einfacher und überschaubarer ist - ganz zu schweigen von den unzähligen, prinzipiell unbeobachtbaren Verzweigungen, die bei jeder Messung erzeugt werden (unsere eigene Verzweigung ausgenommen).

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Re: Platonismus am Beispiel der Viele-Welten-Theorie

Beitrag von Hawkwind » 26. Jan 2014, 18:04

breaker hat geschrieben:Ich weißnicht, ob das gerade gut zum Thema passt, oder vielleicht zu weit weg führt, aber mich würde der Zusammenhang zwischen klassischer Statistik und Quantenstatistik interessieren.
Wenn wir einen (makroskopischen) Würfel werfen, stellen wir uns nicht vor, dass dadurch sechs verschiedene Welten entstehen, in denen der Wurf jeweils einen anderen Wert ergibt. Warum ist die Viele-Welten-Theorie in der Quantenmechanik sinnvoll, aber in der makroskopischen Welt nicht? Dafür gibt es bestimmt interessante Gründe.
Es besteht einfach keine Notwendigkeit, solch interpretatorische Klimmzüge zu vollziehen. Es gibt ja keine Bewegungsgleichung, deren Lösung ergibt, wie sich eine Superposition über alle möglichen Würfelergebnisse zeitlich entwickelt. :)

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Re: Platonismus am Beispiel der Viele-Welten-Theorie

Beitrag von tomS » 26. Jan 2014, 18:25

Hawkwind hat geschrieben:Die Implementation von Wahrscheinlichkeiten in der deterministischen VWI scheint ja nicht so ganz trivial zu sein.
The Everett or many-worlds interpretation of quantum mechanics has long suffered from a
problem about probability. It is all very well to say that the wavefunction never collapses
and the linear dynamical laws always apply, leading to a branching universe in which every
possible outcome of each measurement is actual. But how are we then to explain the fact that
we are justified in treating some measurement outcomes as more likely than others? Quantum
mechanics is an empirically successful theory only because it combines the linear dynamics
with a rule for determining the probabilities of possible outcomes from the amplitude of the
wavefunction. This is the Born rule. If they are to explain this success, Everett’s adherents
must explain how this explicitly probabilistic rule enters into a theory that they interpret as
deterministic.
Ja, das ist der Punkt. Selbst wenn aus der Dekohärenz eine Ableitung der Vorfaktoren der Zweige möglich ist und wenn mittels Gleasons Theorem das mögliche Wahrscheinlichkeitsmaß eindeutig folgt, bleibt unklar, warum überhaupt Wahrscheinlichkejten auftreten sollen.
Gruß
Tom

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Re: Platonismus am Beispiel der Viele-Welten-Theorie

Beitrag von tomS » 26. Jan 2014, 18:27

Aber eigtl. wollte ich in diesem Thread etwas anderes diskutieren ...
Gruß
Tom

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Re: Platonismus am Beispiel der Viele-Welten-Theorie

Beitrag von Fuzzlix » 27. Jan 2014, 15:24

tomS hat geschrieben:Ich möchte im Folgenden anhand von Gleasons Theorem zeigen, warum viele Mathematiker und Physiker der platonistischen Position zuneigen, derzufolge mathematischen Strukturen und deren Eigenschaften eine von uns unabhängige Existenz zukommt, die wir im Zuge der mathematischen Forschung entdecken, nicht jedoch erst durch Konstruktion "erschaffen".
Ich möchte diesem Standpunkt insofern zustimmen, als die Strukturen und Beziehungen, welche ich mit der Sprache der Mathematik beschreiben kann, unabhängig von unserer Existenz existieren ... und wir können sie natürlich entdecken.
Bleibt die Frage offen, ob und warum ich in der Natur Strukturen entdecken kann, die ich zuvor in der Sprache der Mathematik konstruiert und beschrieben habe?
In welcher Relation stehen die Bildungsregeln der Mathematik zu den Bildungsregeln der Natur?

viele Grüße.
Fuzzlix.

p.s.: @Tom: Hoffentlich geht das jetzt nicht auch an dem eigentlichen Thema vorbei. Falls ja, dann schubse uns einfach noch einmal in die Richtung in die Du willst.
Sagt das eine Nichts zum anderen "Ich bin nicht du."

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Re: Platonismus am Beispiel der Viele-Welten-Theorie

Beitrag von tomS » 27. Jan 2014, 17:17

nein, das passt schon gut zu meiner Intention.

Man muss sich einfach davon lösen, dass die zeitliche Reihenfolge von Entdeckungen, Berweisen etc. eine Rolle spielt. Gleasons Theorem macht eine Existenz- und Eindeutigkeitsaussage. Dazu ist keine Konstruktion erforderlich, denn es kann eben nur ganz genau so sein, wie es im Theorem bewiesen wurde. Damit spielt der Aspekt der Konstruktion keine Rolle mehr.

Anders formuliert: als sich die Physiker ab Mitte der zwanziger Jahre entschieden haben, die QM mittels Hilberträumen zu formulieren, galt für sie zwingend das Gleasonsche Theorem - unabhängig davon, dass Gleason es Jahrzehnte später gefunden hat. Und es hätte ausgereicht, dass Born eine Wahrscheinlichkeitsinterpretation gefordert hätte; er hätte gar nicht sagen müssen, wie sie denn mathematisch funtkionieren soll, denn da hatte er gar keine Wahfreiheit mehr.

Ich sehe hierin ein sehr starkes Argument, dass die Mathematik teilweise eindeutige Vorhersagen bzugl. bestimmter Strukturen und Interpretationen machen kann (obwohl das i.A. so nicht wahrgenommen wird und dem ganzen eine gewisse Beliebigkeit oder gar Hokuspokus anhaftet)
Gruß
Tom

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Re: Platonismus am Beispiel der Viele-Welten-Theorie

Beitrag von FKM » 28. Jan 2014, 23:42

Dieser Thread und Toms Beiträge erinnern mich an einen Artikel "Paralleluniversen" von Max Tegmark in Spektrum der Wissenschaft 5/2005.(bzw. 8/2003), in dem diese Gedanken populärwissenschaftlich dargestellt wurden. Da ging es um Paralleluniversen der Ebene 1, 2, 3 und 4. Ebene 3 entspricht der Viele-Welten-Theorie mit variablen Anfangsbedingungen und Naturkonstanten, Ebene 4 wäre die Menge aller Paralleluniversen mit allen mathematisch möglichen Naturgesetzen.

Nach diesem Gedanken ist ein Ebene-3 oder Ebene-4-Mutliversum, also die Menge aller Möglichkeiten, die "(platonische) Realität", während das was man normalerweise als Realität betrachtet, nur eine Illusion der "Froschperspektive" sei. Leider kann ich mit meinen mathematischen und physikalischen Kenntnissen nicht ernsthaft mit diskutieren, aber ich hatte schon viele Jahre den Eindruck, dass in der Viele-Welten-Theorie oder wenn von der Illusion der Zeit, dem freien Willen usw, die Rede ist, für eine elegante Theorie die schwierigen und bis heute unverstandenen Aspekte einfach ausgeklammert und ignoriert werden.
TomS hat geschrieben:Zusammenfassend: nicht Born hat ein empirisches Modell für Beobachtungen konstruiert, sondern Gleason hat eine existierende (und eindeutige) mathematische Struktur der Realität gefunden.
Dem stimme ich (intuitiv) zu.

Joachim

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Re: Platonismus am Beispiel der Viele-Welten-Theorie

Beitrag von tomS » 29. Jan 2014, 01:25

FKM hat geschrieben:Nach diesem Gedanken ist ein Ebene-3 oder Ebene-4-Mutliversum, also die Menge aller Möglichkeiten, die "(platonische) Realität", während das was man normalerweise als Realität betrachtet, nur eine Illusion der "Froschperspektive" sei.
Genau.
FKM hat geschrieben:... aber ich hatte schon viele Jahre den Eindruck, dass in der Viele-Welten-Theorie oder wenn von der Illusion der Zeit, dem freien Willen usw, die Rede ist, für eine elegante Theorie die schwierigen und bis heute unverstandenen Aspekte einfach ausgeklammert und ignoriert werden.
Zeit und freier Wille werden in keiner wird auch immer gearteten Interpretation der QM adressiert - leider. Das sollte man also sauber trennen.

Die VWI nimmt einfach das, was der Formalismus der QM besagt, vollständig ernst. Die Kollapsinterpretation sagt dagegen "bis hierher und nicht weiter! ab hier mag ich die Implikationen nicht mehr, ich führe einen Kollaps ein, den ich zwar nicht erklären kann, aber dafür muss ich die verschiedenen Zweige nicht mehr erklären".

Die Kollapsinterpretation muss ich glauben, die VWI kann ich (mathematisch) falsifizieren. Statt sie also nicht zu mögen, sollte man sie mathematisch widerlegen ;-)
FKM hat geschrieben:
TomS hat geschrieben:Zusammenfassend: nicht Born hat ein empirisches Modell für Beobachtungen konstruiert, sondern Gleason hat eine existierende (und eindeutige) mathematische Struktur der Realität gefunden.
Dem stimme ich (intuitiv) zu.
Und damit sind wir wieder bei der eigentlichen Idee des Threads ;-)
Gruß
Tom

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Re: Platonismus am Beispiel der Viele-Welten-Theorie

Beitrag von tomS » 29. Jan 2014, 01:30

nochmal zur Darstellung von Tegmark: ja, es geht ja darum, die VWI verständlich darzustellen; wenn das konsistent gelingt, ist schon viel gewonnen; da geistern viele Halbwahrheiten und Missverständnisse herum, leider auch unter Fachleuten
Gruß
Tom

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Re: Platonismus am Beispiel der Viele-Welten-Theorie

Beitrag von seeker » 29. Jan 2014, 08:43

Ich möchte zunächst ein Frage stellen, Tom:

Gesetzt den Fall Ideale existieren tatsächlich/wirklich "da draußen":

Glaubst du, dass man diese Ideale mit Mathematik tatsächlich einfangen kann?
"Einfangen" im Sinne von:
"Das Ideal IST genau so und nicht anders, wie der mathematische Formalismus, den ich auf mein Blatt Papier hier niedergeschrieben habe!
Kurz: Das Ideal ist mit der niedergeschriebenen Mathematik identisch!"

Oder glaubst du, dass mithilfe der Mathematik diese Ideale mehr oder weniger unvollkommen beschrieben werden?
"Beschrieben" im Sinne von:
"Das Ideal lässt sich auf die Weise, wie ich es hier niedergeschrieben habe, gut darstellen. "Gut" im Sinne von "gut funktionierend, für mich sinnvoll".
Ich kann (muss nicht!) in einem gewissen Sinne und unter gewissen Unsicherheiten und Voraussetzungen vermuten, dass es so ähnlich ist wie mein aufgeschriebener Formalismus."

Wir stoßen bei dieser Frage nicht zufällig(!) auf Ähnlichkeiten zu einem ganz anderen Problembereich:
Das chinesische Zimmer und das Qualiaproblem bzw. das Problem, dass -wie es scheint- ein und dieselbe Qualia von ganz unterschiedlichen Gehirnzuständen repräsentiert werden kann.
Kann man ausschließen oder prinzipiell ablehnen, dass ein und dasselbe Ideal von ganz unterschiedlichen, aufgeschriebenen mathematischen Strukturen/Formalismen repräsentiert werden kann?

Wie stehst du dazu?


Zweite Frage:
Direkt bei der Festlegung der Regeln des Schachspiels war die sizilianische Verteidigung noch nicht bekannt. Diese wurde erst später gefunden bzw. entwickelt.
Wenn wir nun die Regeln des Schachspiels wieder vergessen würden, würde dann die sizilianische Verteidigung weiterhin existieren, als Ideal?
Was wurde mit der Entdeckung der sizilianischen Verteidigung 'entdeckt'? Wurde ein unabhängig von uns Existierendes entdeckt oder wurde nur etwas entdeckt, das bei der Festlegung der Regeln des Schachspiels schon als implizite, verborgene Möglichkeit mitkonstruiert worden war?


Grüße
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Re: Platonismus am Beispiel der Viele-Welten-Theorie

Beitrag von tomS » 30. Jan 2014, 01:07

Meinst du mit Ideal die Idee Platons?

Ich neige zu der Ansicht, dass wir an diesen teilhaben, und dass die Mathematik daran einen erheblichen Anteil haben (denn warum sollte sie sonst so gut funktionieren und in der Naturbeschreibung anwendbar sein?) Ich denke aber, dass die Welt der Ideen sozusagen nur verschleiert erscheint und wir nur einen Zipfel davon erfassen.

Die formalen Regeln der sizilianischen Verteidigung im Sinne einer Zugfolge existieren ewig, nicht jedoch ihre Bedeutung als Eröffnung im Schach. So wie das chinesische Zimmer kein Chinesisch kann (bzw. versteht)
Gruß
Tom

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Re: Platonismus am Beispiel der Viele-Welten-Theorie

Beitrag von Timm » 30. Jan 2014, 10:57

Hi seeker,
seeker hat geschrieben:Was wurde mit der Entdeckung der sizilianischen Verteidigung 'entdeckt'? Wurde ein unabhängig von uns Existierendes entdeckt oder wurde nur etwas entdeckt, das bei der Festlegung der Regeln des Schachspiels schon als implizite, verborgene Möglichkeit mitkonstruiert worden war?
mit der Erschaffung der Regeln ist das Potential aller erlaubten Spielabfolgen im Schachraum repräsentiert, weshalb ich für Deinen zweiten Vorschlag optiere. Der Schachraum existiert völlig unabhängig davon, ob die sizilianische Verteidigung durch die Realisierung potentieller Möglichkeiten' entdeckt' wird, also Bewußtsein beteiligt ist. Und natürlich auch unabhängig davon, ob sie unbewußt 'generiert' wird.

Gruß, Timm

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Re: Platonismus am Beispiel der Viele-Welten-Theorie

Beitrag von Hawkwind » 30. Jan 2014, 13:08

Klar, die Zugfolge 1. e4 c5 ist legal; sie kann also vorkommen, "existiert", Regeln des Schachspiels vorausgesetzt.
Unter der "Theorie des Schachs" versteht man aber doch eher die Bewertung von Varianten als die pure Zugfolge. Diese Bewertungen werden aber von Menschen vorgenommen und ändern sich auch häufig im Laufe der Zeit.

Werden in der Physik Theorien erfunden oder entdeckt?
Ich tendiere zu ersterem - eine Theorie entspringt der Kreativität und Intuition des Menschen. Es gibt wohl auch nicht nur die eine richtige Theorie: alternative Theorien können oft zu denselben Vorhersagen kommen.

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Re: Platonismus am Beispiel der Viele-Welten-Theorie

Beitrag von seeker » 30. Jan 2014, 19:35

Ja, ich meinte Platons Ideen, die ja ideal sind.
tomS hat geschrieben:Man muss sich einfach davon lösen, dass die zeitliche Reihenfolge von Entdeckungen, Berweisen etc. eine Rolle spielt. Gleasons Theorem macht eine Existenz- und Eindeutigkeitsaussage. Dazu ist keine Konstruktion erforderlich, denn es kann eben nur ganz genau so sein, wie es im Theorem bewiesen wurde. Damit spielt der Aspekt der Konstruktion keine Rolle mehr.
Zeitliche Reihenfolgen von Entdeckungen sind irrelevant, da stimme ich zu. Relevant sind jedoch logische Reihenfolgen.
Jedoch: War nicht Gleasons Theorem schon eine Konstruktion und damit implizit auch alles, was darauf aufbaut?
Und worauf baut dieses Theorem auf? War DAS vielleicht nicht doch Konstruktion? Kommt man zu einem Ende?
tomS hat geschrieben:Ich neige zu der Ansicht, dass wir an diesen teilhaben, und dass die Mathematik daran einen erheblichen Anteil haben (...) Ich denke aber, dass die Welt der Ideen sozusagen nur verschleiert erscheint und wir nur einen Zipfel davon erfassen.
OK. Was heißt das dann? Heißt es nicht, dass auch reine Mathematik (nur) Beschreibung, Näherung ist, wenn sie sich anschickt ewige Ideen einfangen zu wollen?

(...):
tomS hat geschrieben:denn warum sollte sie sonst so gut funktionieren und in der Naturbeschreibung anwendbar sein?
Hintergund dieser Annahme ist natürlich, dass wir heute leicht dem Gefühl bzw. Glauben verfallen können, wir hätten schon fast alles herausgefunden, was es herauszufinden gibt:
"Schon heute können wir fast alles gut beschreiben/erklären. Nur noch einen letzten Schritt, nur noch die ToE, dann wissen wir praktisch alles..."

Bei näherer Betrachtung stellt sich m.E. jedoch heraus, dass diese Annahme keine Grundlage hat, denn es könnte ja auch sein, dass alles was uns bekannt oder sogar denkbar ist, was wir also überhaupt in unseren Theorien zu beschreiben vermögen nur einen verschwindenden Teil dessen ausmacht, was tatsächlich in unsagbaren Existenzen, Multiversen da sein könnte, sodass selbst unsere ToE nur einen winzigen Zipfel davon beschreiben würde.

Ich halte diese Frage daher für irreführend, denn:
Was heißt denn "gut funktionieren"? Gemessen woran? Funktionieren sie wirklich gut?
"Der Mensch ist das Maß aller Dinge" ...und diese Frage kann daher nur gemessen an menschlichem Horizont, Wissen und Beurteilung beantwortet werden - und damit nicht objektiv... nicht von uns!
Timm hat geschrieben:mit der Erschaffung der Regeln ist das Potential aller erlaubten Spielabfolgen im Schachraum repräsentiert, weshalb ich für Deinen zweiten Vorschlag optiere.
Ich tendiere auch zu dieser Ansicht. Hier kommen wir zu einer arg schwierigen Frage: Ist das Potentielle etwas, das existiert? Ja, schon! Aber irgendwie auch weniger als das tatsächlich Realisierte, eben nur potentiell, nicht wirklich...
Und du darfst nicht vergessen, dass das Bewusstsein bzw. der 'Agent' (wir) eben doch mit dabei war: Bei der Festlegung der Regeln des Spiels.

tomS hat geschrieben:Die formalen Regeln der sizilianischen Verteidigung im Sinne einer Zugfolge existieren ewig, nicht jedoch ihre Bedeutung als Eröffnung im Schach.
Du unterscheidest zwischen formalen Regeln und Bedeutung. Das ist interessant und wichtig!
Hawkwind hat geschrieben:Werden in der Physik Theorien erfunden oder entdeckt?
Ich tendiere zu ersterem - eine Theorie entspringt der Kreativität und Intuition des Menschen. Es gibt wohl auch nicht nur die eine richtige Theorie: alternative Theorien können oft zu denselben Vorhersagen kommen.
Auch das ist eine starke Position, die man vertreten kann.

Ich selbst neige inzwischen einer Zwischenposition zu:

Ich glaube, ja!, wir konstruieren, aber wir "entdecken" auch etwas! Aber was ist das, was wir entdecken?
Ist es die Natur, ewige Gesetze außerhalb von uns, über die wir auch noch Aussagen treffen, sinnvoll sprechen können?
Nein, das ist ausgeschlossen, wegen meinem Hauptargument:
Es ist sinnlos über eine "Realität" für uns hinter den Erscheinungen ohne uns zu sprechen, weil das Sprechen/Aussagen an sich schon notwendig immer mit uns/in uns geschehen muss.
Das hieße mit uns und ohne uns gleichzeitig haben zu wollen, was ein Widerspruch bzw. eine Unmöglichkeit ist: Ohne Aussagenden existiert auch keine Aussage.
Daher komme ich zu folgendem Schluss:

Wir entdecken nicht die Natur, sondern unsere Aussagen und damit auch unsere Ausagefähigkeit über die Natur – und somit entdecken wir uns letztlich immer „nur“ selber.
Gleiches gilt für die Mathematik. Das „nur“ ist nicht abwertend gemeint – im Gegenteil! Es ist die zentrale Erkenntnis: Es führt kein Weg aus deinem Kopf heraus! Nur: Auch dein Kopf IST Natur.


D.h.:
Die Erkenntnis des Universums ist Selbsterkenntnis, die Erkenntnis der Mathematik ist Selbsterkenntnis.
Konstruktion und Entdeckung sind dasselbe!


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Re: Platonismus am Beispiel der Viele-Welten-Theorie

Beitrag von seeker » 1. Feb 2014, 10:45

???
Keine Reaktion? Hat's euch die Sprache verschlagen?
Wisst ihr nicht, was man dazu noch sagen soll?
Hab ich was falsch gemacht?

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Re: Platonismus am Beispiel der Viele-Welten-Theorie

Beitrag von Fuzzlix » 1. Feb 2014, 13:57

seeker hat geschrieben:???
Keine Reaktion? Hat's euch die Sprache verschlagen?
Wisst ihr nicht, was man dazu noch sagen soll?
Hab ich was falsch gemacht?
1.) nein. ich finde nur nichts wo ich Dir widersprechen müsste ;)
2.) ich stelle fest, dass diese Diskussion mit einem Wortschatz argumentiert, dessen ich nicht voll vertraut bin.
3.) ja mit Sicherheit - Ich weiss nur nicht was. Aber mach Dir nichts draus - wir machen alle ständig Fehler :mrgreen:

weiter so!.
Fuzzlix.
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Re: Platonismus am Beispiel der Viele-Welten-Theorie

Beitrag von tomS » 1. Feb 2014, 16:21

Zunächst besagt Gleason's Theorem, dass WENN auf einem Hilbertraum ein Wahrscheinlichkeitsmaß konstruiert wird, dass dieses zwingend und eindeutig von der Form

<A> = tr(ρA)

ist. Speziell für die Wahrscheinlichkeit p, das System in einem Unterraum mit Projektor P zu finden, gilt

p(P) = <P> = tr(ρP)
seeker hat geschrieben:Relevant sind jedoch logische Reihenfolgen.

War nicht Gleasons Theorem schon eine Konstruktion und damit implizit auch alles, was darauf aufbaut?
Und worauf baut dieses Theorem auf?
Voraussetzungen für Gleason's Theorem sind
- du verwendest einen (separablen) Hilbertraum (dessen Definition vorausgesetzt wird)
- du möchtest Unterräumen Wahrscheinlichkeiten zuweisen (deren formale Eigenschaften vorausgesetzt werden; sigma-Algebren etc.)

Folgerungen aus Gleason's Theorem
- das o.g. eindeutige Wahrscheinlichkeitsmaß
seeker hat geschrieben:Du unterscheidest zwischen formalen Regeln und Bedeutung. Das ist interessant und wichtig!
Ja, denn dass du einen Wahrscheinlichkeitsbegriff einführst ist nicht zwingend; das hängt ja damit zusammen, wie du die QM interpretieren möchtest, welche Bedeutung du dem ρ und dem = tr(ρP) zuweist.

Die Konstrukteure von HiFi-Anlagen verwenden für ihre elektronischen Bauteile die Fourieranalyse (und damit letztlich eine zugrundeliegende Hilbertraumstruktur), wahrscheinlich oft ohne dass sie es wissen ;-) Und ein Wahrscheinlichkeitsmaß brauchen sie nun wirklich nicht. D.h. es sind alle mathematisch notwendigen Voraussetzungen für das Gleasonsche Theorem vorhanden, nicht jedoch der Wunsch oder die Notwendigkeit einer entsprechenden Interpretation. Und daher wäre der formale Beweis des Theorems zwar möglich, aber das Theorem bliebe wohl bedeutungslos.
Gruß
Tom

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Re: Platonismus am Beispiel der Viele-Welten-Theorie

Beitrag von seeker » 2. Feb 2014, 15:08

@Fuzzlix: Danke!

Irgendwie bin ich auch ehrlich gesagt recht glücklich damit:
Im Moment schient mir das eine sehr gute philosophische Basis der maximal möglichen Gewissheit zu sein, eine Art "cogito ergo sum".
Ich bin damit quasi fertig mit meiner Philosophie bzw.dem Fundament davon! :D

Ich glaube, ich kann (muss nicht!) das sogar zu einem Platonismus erweitern, wenn ich möchte:
Dazu scheint nur noch eine Zusatzannahme nötig: "Das innere Gesetz und das äußere Gesetz sind identisch!", womit die Trennung Subjekt/Objekt quasi transzendiert/aufgehoben wäre und womit gesicherte Erkenntnisse über unsere Aussagen/Aussagefähigkeit gleichzusetzen wären mit Erkenntnissen über die Welt "da draußen".
Begründet werden kann das damit, dass ja beides (Innenwelt und Außenwelt) im Kern dieselbe Natur sein muss.

@Tom:
Ich verstehe noch nicht ganz warum diese Darlegung als Argument für den Platonismus gesehen werden kann.
Ist es nicht im übertragenen Sinne so, dass Born et.al. quasi angefangen haben Schach zu spielen, und dafür auch ein Spielbrett mit Spielfeldern konstruiert haben, was gut funktioniert hat.
Nun hat Gleason quasi gezeigt, dass jedes Schachspiel (gleich mit welchen Regeln) ein Spielbrett mit Spielfeldern benötigt.
Warum lässt das vermuten, dass der Platonismus richtig sei? Was zeigt das? Dass Born nicht konstruiert hat?

Ich habe auch den Verdacht, dass ein Schluss daraus "Der Platonismus ist vermutlich richtig" ein Zirkelschluss ist (was zuvor schon vorausgesetzt wurde, wird bestätigt) und ich habe auch den Verdacht, dass der Platonismus hier eine Grenzüberschreitung vollführt (gerade am Beispiel hier mit der VWI), indem er im Grunde fordert, dass diese Beschreibung mehr sein soll als nur eine Beschreibung der Natur, nämlich tatsächlich gegebene Existenz, genau so wie in der Theorie, also tatsächlich identisch mit der Theorie sein soll.

Wir sagen doch aber unentwegt Physik sei nur eine Beschreibung der Natur... Was jetzt? Will man diese Grenze tatsächlich überschreiten? Kann man? Ist so etwas sinnvoll?

Grüße
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Re: Platonismus am Beispiel der Viele-Welten-Theorie

Beitrag von tomS » 2. Feb 2014, 18:10

Nun, zunächst hatten wir die Heisenbergsche Matrizenmechanik, dann die Schrödingersche Wellenfunktion und seine berühmte Gleichung. Nachdem diese Ansätze gefunden waren, wurde ihre Äquivalenz bewiesen.

Dann hat Born die Wellenfunktion als Wahrscheinlichkeitsamplitude interpretiert, und von Neumann hat den Dichteoperatorformalismus eingeführt. Jahrzehnte später wurde dann bewiesen, dass diese Konstruktion eindeutig ist.

Das legt die Idee nahe, dass Born eine prä-existente Wahrscheinlichkeit in der QM entdeckt hat; und dass Gleason entdeckt hat, was schon immer richtig war, nämlich deren Eindeutigkeit. Es handelt sich dabei um eine Ansicht, eine Überzeugung, eine Weltabschauung.
Gruß
Tom

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Re: Platonismus am Beispiel der Viele-Welten-Theorie

Beitrag von seeker » 3. Feb 2014, 08:36

Gut, etwas klarer.
tomS hat geschrieben:Das legt die Idee nahe, dass Born eine prä-existente Wahrscheinlichkeit in der QM entdeckt hat; und dass Gleason entdeckt hat, was schon immer richtig war, nämlich deren Eindeutigkeit.
Der Konstruktivist würde dann wohl sagen, dass es nur nahe legt, dass Born gut konstruiert ("geraten") hat?
Wäre Gleason zuerst gewesen, wäre es eh klar gewesen, dass man nur so vorgehen kann.

Ich würde sagen, dass es auf jeden Fall nahe legt, dass Born einen als MÖGLICHKEIT prä-existenten, widerspruchsfreien Strukturzusammenhang in der QM als (menschliche) BESCHREIBUNG (der Natur) entdeckt hat.
Prä-existent war er, seit wir uns entschieden hatten die QM so und so einzuführen.

Mit den Möglichkeiten sehe ich es so:

Möglich ist zunächst schlichtweg alles!
Dann kommen wir mit unseren Beschreibungen, die Forderungen enthalten:
"Es soll logisch sein!", "Es soll so und so zusammenhängen!", "Es soll das und das gut abbilden!", "Es soll widerspruchsfrei sein!", "Wir wollen Wahrscheinlichkeiten einführen!", usw.
Die wenigsten dieser Forderungen ergeben sich zwingend direkt aus der Mathematik selbst heraus, sondern kommen von außerhalb, nämlich von uns und unserer physikalischen Intuition und unseren Zielen.

All diese Forderungen bedeuten jedesmal eine Einschränkung des zuvor gegebenen Möglichkeitsraumes "Alles ist möglich!", bis -wenn es gut klappt- nur noch genau eine Möglichkeit übrigbleibt. Das steht aber immer erst am Ende der Entwicklung (siehe auch die derzeitige Situation der Stringtheorie).
Am Anfang haben wir nur wenige Forderungen an unsere Theorien exakt formuliert und -vor allen Dingen- auch untersucht.
Daher gibt es eine Phase, wo in unseren Beschreibungen eine Vielzahl von Möglichkeiten offen scheinen. Tatsächlich mag es manchmal nur noch eine geben (im Beispiel hier, bevor Gleasons Theorem gefunden war) - wir wissen das nur noch nicht, obwohl es in der Grunstruktur der Theorie und durch die Kombination mehrerer unserer Forderungen schon gegeben ist.
Insofern hieße hier "entdeckt", dass das, was zuvor verborgen gegeben war nun offensichtlich geworden ist. Das hat etwas mit unserem Wissen zu tun - und zwar mit unserem Wissen über unsere Theorien - nur möglicherweise, aber nicht notwendigerweise auch mit der Natur "an sich".

Grüße
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