Das ist es nicht unbedingt, was ich als 'Epsilontik' bezeichnen würde. Kein Mathematiker würde bei seiner Arbeit von Fehlerrechnung oder dergleichen sprechen.
Ich versuche mal, die mathematische Seite dieses Problems genau zu beleuchten und (hoffentlich) verständlich zu erklären.
Wie Tom schon geschrieben hat, ist 0,999... ein
Symbol für den Grenzwert einer Folge, das man eben suggestiv gewählt hat. Ich versuche mal zu erklären, was man unter "Grenzwert einer Folge" versteht.
Der Begriff
Folge bezeichnet in der Mathematik eine unendliche Serie von Zahlen, x[down]1[/down],x[down]2[/down],x[down]3[/down],x[down]4[/down],x[down]5[/down],... z.B.
1,2,3,4,5,6,7,...
oder
1,1,1,1,1,1,...
oder
1,1/2,1/3,1/4,1/5,...
usw.
Nun kann es bei manchen Folgen sein, dass es eine Zahl x gibt, der sich die Folgenglieder "beliebig nahe annähern". Wenn eine solche Zahl existiert, bezeichnet man diese als
Grenzwert dieser Folge. Damit ist konkret folgendes gemeint:
Eine Zahl x heißt
Grenzwert der Folge x[down]1[/down],x[down]2[/down],x[down]3[/down],x[down]4[/down],x[down]5[/down],... , wenn zu jeder vorgegebenen positiven Zahl
![](/cgi-bin/mimetex.cgi?\epsilon)
ab einem bestimmten Folgenglied, alle darauffolgenden Folgenglieder eine Differenz zu x haben, die kleiner als
![](/cgi-bin/mimetex.cgi?\epsilon)
ist.
Puh, es ist gar nicht so leicht, das so zu formulieren, dass es einfach klingt. Ich versuche es mal ein wenig zu erklären. Also angenommen, ich habe eine Zahl x und will wissen, ob sie der Grenzwert der Folge x[down]1[/down],x[down]2[/down],x[down]3[/down],x[down]4[/down],x[down]5[/down],... ist. Was muss ich tun?
Naja, der obigen Definition folgend, geben wir uns mal irgendeine positive Zahl
![](/cgi-bin/mimetex.cgi?\epsilon)
vor, z.B.
![](/cgi-bin/mimetex.cgi?\epsilon=\frac 1 2)
. Als nächstes muss ich mir die Differenzen |x-x[down]1[/down]|,|x-x[down]2[/down]|,|x-x[down]3[/down]|,|x-x[down]4[/down]|,... anschauen. Was oben gefordert ist, ist nun, dass ab einem bestimmten x[down]n[/down] diese Differenzen immer kleiner bleiben, als
![](/cgi-bin/mimetex.cgi?\frac 1 2)
.
Wie oben gefordert, muss dies aber für
alle ![](/cgi-bin/mimetex.cgi?\epsilon>0)
gelten, die man vorgeben könnte. D.h. wenn ich
![](/cgi-bin/mimetex.cgi?\epsilon=\frac 1 3)
vorgebe, muss es wieder ein x[down]n[/down] geben, so dass ab diesem die Differenzen zu x kleiner, als
![](/cgi-bin/mimetex.cgi?\frac 1 3)
werden (das wird im allgemeinen ein anderes x[down]n[/down] sein).
Beispiel:
Schauen wir mal, ob eine der drei obigen Folgen einen Grenzwert besitzt:
1. Die Folge 1,2,3,4,5,...
Diese hat offenbar keinen Grenzwert, denn wenn sie einen Grenzwert x hätte, dann müsste für ein bestimmtes n gelten: |x-x[down]i[/down]|<0,5 für alle i>n (da diese Ungleichung beispielsweise für
![](/cgi-bin/mimetex.cgi?\epsilon=0,5)
gelten muss). Das kann aber niemals sein, denn wenn |x-x[down]i[/down]|<0,5 für irgendein i gelten würde, dann wäre auf jeden Fall |x-x[down]i+1[/down]|>0,5 da alle Folgenglieder den Abstand 1 haben.
2. Die Folge 1,1,1,1,1,...
Hier ist es klar, dass es einen Grenzwert gibt, und dieser ist x=1, denn es gilt offenbar: |x-x[down]i[/down]|=|1-1|=0 für jedes beliebige i, also gilt insbesondere
![](/cgi-bin/mimetex.cgi?|x-x_i|<\epsilon)
für jedes beliebige
![](/cgi-bin/mimetex.cgi?\epsilon>0)
.
3. Die Folge 1,1/2,1/3,1/4,...
Diese ist interessanter, da sie einen Grenzwert hat, diesen aber nie annimmt. Ich behaupte, diese Folge hat den Grenzwert 0.
Beweis: Wir müssen zeigen, dass zu jedem vorgegebenen
![](/cgi-bin/mimetex.cgi?\epsilon>0)
gilt:
![](/cgi-bin/mimetex.cgi?|0-x_i|<\epsilon)
ab einem bestimmten i.
Sei irgendein
![](/cgi-bin/mimetex.cgi?\epsilon>0)
vorgegeben. Dann gibt es ein n, sodass
![](/cgi-bin/mimetex.cgi?\frac 1 n < \epsilon)
(nämlich jedes
![](/cgi-bin/mimetex.cgi?n>1/\epsilon)
). Offenbar gilt dann auch
![](/cgi-bin/mimetex.cgi?\frac 1 i < \epsilon)
für alle i>n, was zu zeigen war.
Folgen, die einen Grenzwert besitzen, nennt man
konvergent. Die Mathematiker formulieren den Begriff "Grenzwert" meist etwas puristischer. Die gägnige Definition lautet:
Eine Zahl x heißt Grenzwert einer Folge x[down]1[/down],x[down]2[/down],x[down]3[/down],... , wenn es zu jedem
eine natürliche Zahl n gibt, sodass
für alle i>n.
Das ist genau das, was wir oben schon formuliert und diskutiert haben. Man kann die Grenzwertdefinition umformulieren, zu:
Eine Folge x[down]1[/down],x[down]2[/down],x[down]3[/down],... hat genau dann den Grenzwert x, wenn die Folge |x-x[down]1[/down]|,|x-x[down]2[/down]|,|x-x[down]3[/down]|,... den Grenzwert 0 hat.
Davon werden wir nun Gebrauch machen.
Es folgt ein letztes Beispiel:
Betrachten wir nun die Folge 0.9, 0.99, 0.999, 0.9999, ...
Hat diese einen Grenzwert? Und wenn ja, welchen?
Behauptung: Die obige Folge hat den Grenzwert 1.
Beweis: Sei irgendein
![](/cgi-bin/mimetex.cgi?\epsilon>0)
vorgegeben. Wir betrachten die Folge |x-x[down]1[/down]|,|x-x[down]2[/down]|,|x-x[down]3[/down]|,...
Diese ist offenbar gegeben durch 0.1,0.01,0.001,0.0001,... . Es muss also gezeigt werden, dass diese Folgenglieder irgendwann kleiner werden (und bleiben), als
![](/cgi-bin/mimetex.cgi?\epsilon)
. Um dies lückenlos zu beweisen, schreiben wir die Folge kurzerhand um zu 10[up]-1[/up],10[up]-2[/up],10[up]-3[/up],... . Dann lautet die Forderung:
Finde ein n, sodass
![](/cgi-bin/mimetex.cgi?10^{-i}<\epsilon)
für alle i>n. Dies wird von jedem
![](/cgi-bin/mimetex.cgi?n>\frac{\ln\epsilon}{\ln10})
erfüllt (kann man nachrechnen).
Damit ist aber die Aussage bewiesen, und es gilt:
Die Folge 0.9, 0.99, 0.999, 0.9999, ... hat einen Grenzwert, und dieser hat den Wert 1.
1 ist also die Zahl, für die die Differenzen zu den Folgengliedern 0.9, 0.99, 0.999, 0.9999, ... für große n verschwindend klein werden. Nicht mehr und nicht weniger.
Wenn man nun noch nicht wüsste, welchen Wert der Grenzwert der Folge hat, könnte man sich sagen: "Diese Folge hat irgendeinen Grenzwert, den wir mit 0,999999... bezeichnen" und anschließend zeigen, dass dieser Grenzwert eigentlich 1 ist. Deshalb ist es übrigens absolut
kein Problem, dass am Ende von 0,999999... die drei Punkte stehen, da es nur eine Schreibweise ist. Ich hätte den Grenzwert hier auch wieder mit x anstelle von 0,999999... bezeichnen können, das wäre genau so exakt, bzw. unexakt.
In diesem Sinne gilt 0,999999... = 1.
Hoffe, das hat irgendwie weitergebracht.