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10. Starke WW / QCD I

Verfasst: 22. Mär 2009, 16:58
von tomS
10. Starke WW / QCD I

Ein wesentlicher Anwendungsfall für die Gruppentheorie, insbs. die globalen Symmetrien SU(2) und SU(3), war die Entwicklung des Quarkmodells. Dabei wurde noch keine echte dynamische Theorie entwickelt, sondern zunächst ein rein algebraischer Apparat, der es erlaubte, direkt aus Symmetriebetrachtungen gewisse Eigenschaften der stark wechselwirkenden Teilchen (Hadronen) abzuleiten.

Zunächst muss man vorausschicken, dass es in der QCD zwei SU(3) Symmetrien gibt:

Zum Einen die SU(3)-Color Symmetrie der starken Wechselwirkung. Diese SU(3) Symmetrie ist eine lokale Eichsymmetrie, die Eichbosonen sind die Gluonen. Diese Symmetrie wollen wir hier zunächst außen vor lassen.
Zum Anderen die SU(3)-Flavor Symmetrie entsprechend der Quarksorten, engl. Flavors also genannt. Um diese soll es hier im Wesentlichen gehen.

10.1 Quarkmodell und SU(3) Flavor-Symmetrie

Historisch kannte man bereits den sogenannten Isospin mit SU(2) Symmetrie für Protonen und Neutronen. Hinsichtlich der starken WW waren Proton und Neutron praktisch identisch; Unterschiede (Ladung) aufgrund der el.-mag. WW können tatsächlich häufig vernachlässigt werden, da die starke WW dominiert. Der Isospin verhält sich mathematisch identisch wie der gewöhnliche Spin; er wird durch eine SU(2) Symmetrie beschrieben. Es gibt einen Gesamt-Isospin T sowie eine z-Komponente T? (entsprechend ? und m für den gewöhnlichen Spin).
Im Zuge der Hochenergieexperimente wurden nun weitere stark wechselwirkende Teilchen entdeckt, die die Einführung einer weiteren Quantenzahl, der sogenannten Strangeness S nahelegten. Diese war notwendig, um bzgl. T[up]3[/up] identische Teilchen zu unterscheiden (die sich ja im Experiment tatsächlich auch unterschiedlich verhielten).

Man kategorisierte diese Teilchen nun nach den beiden Quantenzahlen T[up]3[/up] und S. Dabei stellte sich heraus, dass dies im Wesentlichen einer Klassifizierung nach Multipletts der SU(3) entspricht. D.h. die neue Quantenzahl S konnte aus einer SU(3) Symmetrie abgeleitet werden. (Man kann allgemein zeigen, dass in einer SU(N) immer n-1 derartige Quantenzahlen enthalten sind). Die Klassifizierung ergab
- ein Meson-Oktet (u.a. mit den Pionen)
- ein Baryon-Oktet (u.a. mit Proton und Neutron)
- ein Baryon-Dekuplet (mit angeregten Spin-3/2 Zuständen zu Proton und Neutron)
Diese Multipletts, d.h. die in ihnen enthaltenen Teilchen, wurden tatsächlich experimentell nachgewiesen; die Vorhersagen auf Basis der SU(3) Symmetrie erwiesen sich mit guter Genauigkeit als zutreffend.

Interessant war nun, dass es sich dabei um höhere Multipletts der SU(3) handelte, wobei jedoch das fundamentale Multiplett, das Triplett, fehlte! Gell-Mann und Zweig forderten nun das sogenannte Quark-Modell, demzufolge es drei Teilchen (Quarks) in dem fundamentalen Triplett geben sollte. Für diese Quarks wurden die Namen up (u), down (d) und strange (s) eingeführt. Aus diesen drei Quarks konnten nun die o.g. Multipletts und damit die Teilchen zusammengesetzt werden; die Regeln der Zusammensetzung sind ziemlich verwickelt uns sollen hier nicht im Detail diskutiert werden.

Am Beispiel des Baryon-Oktetts erhält man

S=0:
|p) = |uud)
|n) = |udd)

S=1:
|Σ-) = |dds)
|Σ°) = |uds)
|Σ+) = |uus)

|Λ°) = |uds)

S=2:
|Ξ-) = |dss)
|Ξ°) = |uss)

Häufig findet man auch eine Klassifizierung gemäß elektrischer Ladung Q und Hyperladung Y. Dabei gilt:

Y = ½S
Q = T³ + ½Y

Ausgedrückt durch den Quarkinhalt, d.h. die Anzahl n[q] der enthalten Quarksorte q gilt

3Q = 2n – n[d] - 1n
3Y = n + n[d] – 2n

Dieses naive Modell konnte einige ganz erstaunliche Vorhersagen treffen, insbs. wurden die in einigen Multipletts noch fehlenden (= noch nicht experimentell bestätigten) Teilchen einschließlich ihrer Masse vorhergesagt. Gell-Mann und Okubo konnten aus einigen elementaren Annahmen sowie Berechnungen im Rahmen der SU(3) Algebra folgende Massenformel herleiten:

2 m(N) + 2 m(Ξ) = 3 m(Λ) + m(Σ)

Bei bekannten Massen für N, Ξ und Σ konnte die Masse des Λ° zu 1110 MeV vorhergesagt werden, experimentell wurde das Λ° bei 1115 MeV nachgewiesen!


Neben den Baryonen |qqq) aus drei Quarks gibt es noch Mesonen |q, -q) bestehend aus einem Quark und einem Anti-Quark.

Hier sind die beiden ersten Multipletts das Oktett mit den pseudoskalaren Mesonen

|π+) = |u, -d)
|π-) = |-u, d)
|π°) = |u, -u) - |d, -d)

|K+) =|u, -s)
|K-) = |-u, s)

|K°) = |d, -s)
|K’°) = |-d, s)

|η) = |u, -u) + |d, -d) – 2|s, -s)

sowie das Singulett

|η’) = |u, -u) + |d, -d) + |s, -s)




Die Mischungskoeffizienten ergeben sich dabei sämtlich aus der Struktur der SU(3).

Die beiden Zustände |K°) und |K’°) könnten auch anders kombiniert werden:

|K°) + |K’°) = |d, -s) + |-d, s)
|K°) - |K’°) = |d, -s) - |-d, s)

Diese beiden Zustände spielen im Zusammenhang mit der schwachen Wechselwirkung und der Verletzung der CP-Invarianz noch eine bedeutende Rolle.

Die acht Mesonen der Multipletts treten als sogenannte Goldstone-Bosonen der chiralen Symmetriebrechung auf (auf die Goldstone-Bosonen werden ich beim Higgs-Effekt noch genauer eingehen). Wären die Quarks nicht leichte, sondern exakt masselose Teilchen, müssten diese Mesonen ebenfalls exakt masselos sein; dies folgt aus Symmetrieüberlegungen bzgl. der SU(3), ohne dass weitere Details zur Dynamik der QCD berücksichtigt werden müssten.

Tatsächlich sind die Massen der Mesonen verglichen mit denen der Baryonen relativ leicht. Das neutrale Pion |π°) hat z.B. eine Masse von 135 MeV. Würde man daraus die Quarkmasse zu

m(q) = m(π°)/2 = 65-70 MeV


abschätzen, so findet man, dass die Masse z.B. des Neutrons unerklärlich hoch ist, denn die wäre dann ja

m(N) = 3*m(q) = 200-210 MeV

Tatsächlich beträgt sie jedoch 940 MeV. Umgekehrt würde die Abschätzung der Quarkmasse zu

m(q) = m(N)/3

einen viel zu hohen Wert liefern, um die leichten Mesonen erklären zu können.

Die vergleichsweise geringe Mesonmasse ist das Ergebnis der chiralen Symmetriebrechung, die trotz nicht exakt masseloser Quarks hier noch ihre Spuren hinterlässt.

Das |η’) tanzt aus der Reihe, denn es ist als Meson deutlich zu schwer. Für den Fall exakt masseloser Quarks ist die chirale Symmetrie nicht die SU(3) sondern die U(3) = U(1)*SU(3). Das |η’) wäre dass das neunte Goldstone-Boson zu diesem U(1) Faktor. Interessanterweise ist diese U(1) Symmetrie jedoch über einen anderen Mechanismus gebrochen, nämlich über die axiale Anomalie, so dass hier kein Goldstone-Boson existiert (auch darauf werde ich später noch genauer eingehen)

Die neutralen Kaonen |K°) haben eine Masse von knapp 498 MeV, das ebenfalls neutrale |η) ca. 547 MeV. Die im Vergleich zu den Pionen höheren Massen lassen sich mit einer höheren Masse des s-Quarks erklären. Das |η’) hat eine Masse von 959 MeV, d.h. sie ist vergleichbar mit der Nukleonmasse, obwohl das |η’) aus zwei, das Nukleon dagegen aus drei Quarks besteht. Auch die höhere Masse des s-Quarks hilft als Erklärung nicht weiter.

Es gibt weitere Multipletts in der QCD, so z.B. das Dekuplett der Spin-3/2 Baryonen (angeregte Zustände zu den Baryonen aus dem Spin-1/2 Oktett) und das Oktett der Spin-1 Mesonen (angeregte Zustände zu den Mesonen aus dem Spin-0 Oktett). Insgs. wurden über die Jahrzehnte derartig viele stark wechselwirkende Teilchen entdeckt, dass man von einem Teilchenzoo sprach.

Das Oktett der Spin-1 Mesonen enthält Teilchen mit identischem Quarkinhalt wie das o.g. Oktett der pseudoskalaren Mesonen mit Spin 0; der einzige Unterschied liegt darin, dass die Quarks nun parallelen Spin ½ haben und somit zu ½ + ½ = 1 koppeln, anstatt wie bei antiparallelem Spin zu ½ - ½ = 0.

Bei dem Dekuplett der Spin-3/2Baryonen verhält es sich ähnlich; alle Spins sind parallel orientiert und koppeln insgs. zu 3/2. Der Quarkinhalt ist zunächst ebenfalls identisch zu den o.g. Oktett-Baryonen, allerdings gibt es Ausnahmen.

So sind die beiden Zustände, die dem |Σ°) = |uds) sowie dem |Λ°) = |uds) entsprechen, nun identisch, der Zustand wird mit |Σ*°) bezeichnet. Grund für das Wegfallen eines Zustandes sind Symmetrieüberlegungen bzgl. Ortsraum, Spin und Flavor. Außerdem existieren die drei neuen Zustände

|Δ++) = |uuu)
|Δ-) = |ddd)
|Ω-) = |sss)


Insgs. erhält man also 8 – 1 + 3 = 10 Zustände in diesem Multiplett.

Die drei neuen Zustände wären gemäß dem Pauliprinzip eigentlich verboten; erst die Einführung einer neuen Quantenzahl, der Farbladung im Rahmen der QCD, erlaubt ihre Existenz, aus Symmetriegründen jedoch nur für den Spin-3/2 Zustand; die Spin-1/2 Zustände bleiben weiterhin verboten.

Das |Ω-) wurde übrigens aufgrund der Symmetrieüberlegungen vorhergesagt und dann auch experimentell nachgewiesen.

10.2 Zusammenfassung der Eigenschaften der Quarks

Erste Generation
„Up“: m = 1.5 – 3.3 MeV; q = 2/3
„Down“: m = 3.5 – 6.0 MeV; q = -1/3

Zweite Generation
„Strange“: m = 104 MeV; q = -1/3
„Charnme“: m = 1270 MeV; q = 2/3

Dritte Generation
„Bottom“: m = 4.2 GeV; q = -1/3
„Top“: m = 170.9 GeV; q = 2/3

Die Festlegung der Quarkmassen ist nicht eindeutig. Man unterscheidet Konstituentenquarks („effektive“ Quarks in Hadronen; deren Masse wir oben versucht haben abzuschätzen) und Stromquarks („nackte“ Quarks; die hier angegeben sind). Im Rahmen der QCD stellt sich heraus, dass ein wesentlicher Beitrag zur Masse der Baryonen und Mesonen nicht direkt von den Quarkmassen sondern von der Dynamik der QCD herstammt. D.h. dass „nackte“ Quarks noch wesentlich leichter sind, als es die o.g. Abschätzungen vermuten lassen.

Aufgrund des häufigen Auftretens der Zahl acht in den Oktetts nannte Gell-Mann dieses Schema Eightfold Way (achtfachen Weg im Buddhismus). Der Name Quark stammt aus dem Satz „Three quarks for Muster Mark” aus James Joyce’s „Finnegans Wake“.

10.3 Probleme des naiven Quarkmodells

Man bemerkte relativ schnell, dass das naive Quark-Modell ein zentrales Problem hatte. Man betrachte die Δ++ Resonanz

|Δ++) = |uuu)

mit Ladung Q=2 und Spin 3/2.

Das Spin-Statistik-Theorem besagt, dass Fermionen (Spin 1/2, 3/2, …) insgs. antisymmetrische Zustände bzw. Wellenfunktionen haben müssen, d.h. also bei Vertauschung zweier Teilchen (hier: der Quarks) ein Minuszeichen erhalten; das Pauli-Prinzip besagt, dass zwei Fermionen sich nie im selben Quantenzustand befinden dürfen.

Die Wellenfunktion des Δ++ hat Anteile im Ortsraum, im Spinraum und im Flavorraum. Die Ortsraumwellenfunktion des Δ++ ist symmetrisch, da die drei Quarks ununterscheidbar im selben Zustand sind; die Spinwellenfunktion ist ebenfalls symmetrisch, da alle Quarks Spin +1/2 tragen; der Flavor-Inhalt ist ebenfalls symmetrisch (alle Quarks haben Flavor „up“; Argumentation identisch zum Spin). Damit wäre der so zusammengesetzte |Δ++) Zustand vollständig symmetrisch, was gemäß des Spin-Statistik-Theorems nicht erlaubt ist. D.h. außerdem, dass alle Quarks im selben Quantenzustand sitzen müssten, was wiederum gemäß des Pauli-Prinzips verboten ist! Analog kann man für |Δ-) = |ddd) und |Ω-) = |sss) argumentieren.

Demzufolge muss, um das Pauli-Prinzip zu erfüllen, noch eine Quantenzahl eingeführt werden, bzgl. der dann antisymmetrisiert werden kann, so dass das Δ++ in Summe ein antisymmetrischer Zustand ist. Diese fehlende Quantenzahl ist die später eingeführte sogenannte Farbladung, die die Zustände „rot“, „grün“ und „blau“ annehmen kann. Man fordert nun, dass die Wellenfunktion der Quarks im Farbraum antisymmetrisch ist, wobei die Quarks zu einem farbneutralen „weißen“ Zustand koppeln, so dass das Pauli-Prinzip erfüllt ist.

In den folgenden Jahren wurden weitere Quarks (c, b und t) entdeckt, wobei deren Ruhemasse deutlich höher lag, so dass die entsprechenden Flavor-Symmetrien bis hin zur SU(6) stark gebrochen und somit wenig hilfreich sind. Zwar funktioniert nach wie vor eine Klassifizierung gemäß der SU(6) Multipletts, allerdings sind Massenformeln o.ä. nur noch schlecht (bei SU(4)) bzw. gar nicht mehr anwendbar.

Das naive Quarkmodell liefert außerdem keine Erklärung für die extrem starke Bindung der Quarks in den Hadronen sowie für die Tatsache, dass keine freien Quarks existieren bzw. dass isolierte Farbladungen experimentell nicht nachweisbar sind (darauf komme ich im Abschnitt über das Color-Confinement noch ausführlich zu sprechen). Außerdem wird nicht erklärt, warum gerade Zustände der Form |Baryon) = |qqq) und |Meson) = |q, -q) realisiert sind, nicht jedoch Zustände der Form |qq) oder |qqqq).

10.4 Einführung der SU(3) Color-Symmetrie

Teilweise gelöst wurden diese Probleme durch die Einführung der SU(3) Color-Symmetrie. Diese ist an sich mathematisch identisch zur SU(3) Flavor.

Man fordert die Existenz einer weiteren Ladung (Farbladung), ebenfalls in der Fundamentaldarstellung der SU(3), und ordnet jedem Quark neben dem Flavor noch eine Color = Farbe zu. Dann fordert man, dass alle beobachtbaren Hadronen ausschließlich Color-Singuletts sind, d.h. dass z.B. das Proton |p) = |uud) ein Element aus dem SU(3) Flavor-Oktett und zugleich aus dem SU(3) Color-Singulett ist. Damit sind auch gleichzeitig Zustände der Form |qq) oder |qqqq) ausgeschlossen, da sich diese gemäß SU(3) nie zu Color-Singuletts koppeln lassen.

Die Einführung der Farbe und die Forderung der Singulett-Zustände ist ein algebraischer Kunstgriff. Er sorgt dafür, dass man genau die Teilchen beobachtet, die man beobachtet, allerdings kann die Erklärung des Color-Confinements (bzw. der Color-Neutrality) nur aus der Dynamik der QCD einschließlich der lokalen Eichinvarianz abgeleitet werden.

Re: 10. Starke WW / QCD I

Verfasst: 22. Mär 2009, 17:30
von gravi
Habe gerade Deinen neuen Artikel gelesen, er ist mal wieder gut gelungen :well:

Doch eine Frage:
Man bemerkte relativ schnell, dass das naive Quark-Modell ein zentrales Problem hatte. Man betrachte die ?++ Resonanz

|?++) = |uuu)
Kannst Du diese ?++ Resonanz ein wenig näher erläutern? Mir sagt sie leider nichts...

Gruß
gravi

Re: 10. Starke WW / QCD I

Verfasst: 22. Mär 2009, 20:22
von tomS
Ich habe zwei Erläuterungen in meine Beitrag eingefügt.

Re: 10. Starke WW / QCD I

Verfasst: 23. Mär 2009, 18:50
von gravi
Vielen Dank für die Erläuterungen, nun ist das viel verständlicher! :D

Und Danke für Deine ausgezeichnete Arbeit! :well:

Gruß
gravi

Re: 10. Starke WW / QCD I

Verfasst: 23. Mär 2009, 20:45
von tomS
gern geschehen - macht Spaß :-)