Wir haben hier einen sehr schönen Diskurs.
Ich nutze solche Diskussionen um weiterzukommen, dazuzulernen, auch meine egene Position weiterzuentwickeln.
Jetzt muss ich erst einmal viel denken... und einiges schreiben.
Wo fange ich an? Vielleicht muss ich das auf mehrere Beiträge verteilen. Falls ich etwas Wichtiges vergesse zu behandeln, würde ich mich freuen darauf hingewiesen zu werden.
Erst einmal das:
ATGC hat geschrieben: ↑11. Nov 2017, 14:18
Hallo seeker,
Wenn man die Außenseite genügend gut untersucht hat und die Korrelationen zwischen Außenseite und Innenseite genügend gut erforscht hat und kennt, dann ist es prinzipiell möglich durch Kenntnis des Zustands der Innenseite korrekt auf den Zustand der physikalischen Außenseite zu schließen und umgekehrt durch Kenntnis des Zustands der Außenseite korrekt auf den Zustand der Innenseite zu schließen.
Ich bin mir nicht sicher, ob das wechselseitig so eindeutig aufgehen kann. Gerade in Bezug auf Lebensprozesse ist das exemplarisch gut nachvollziehbar. Leben lässt sich z.B. nicht auf DNA reduzieren und aus der DNA lässt sich nicht auf die Beschaffenheit eines Lebewesens schlussfolgern, da hier noch andere Prozesse hineinwirken, welche eine wechselseitige Eindeutigkeit in der Beschreibung vereiteln. Das heißt, man kann ein Lebewesen hinsichtlich seiner materiellen Bestandteile bis auf die Elementarteilchen genau analysieren, aber man kann aus dieser Beschaffenheit nicht rekonstruieren, dass und wie es lebt. Das ergibt sich erst aus der Kenntnis der Kontexte, über die die verschiedenen Bestandteile koordiniert zusammenwirken. Hier ist also ein prozessuales Verständnis vonnöten statt eines substanziellen, welches sich auf die materielle Basis konzentriert.
Dem stimme ich zu, es ist sehr schwierig, wegen der starken Kontextabhängigkeit, aber meiner Meinung nach nicht unmöglich, d.h. eine rein reduktionistisches Vorgehen halte ich nicht für ausreichend. Man muss die Verhältnisse der Untersysteme zu den Gesamtsystemen bestimmen. Dann muss man untersuchen, ob diese Verhältnisse bei verschiedenen Systemen (z.B. Menschen) dann gleich bzw. ähnlich sind, wenn die Innenerleben gleich bzw. ähnlich sind.
tomS hat geschrieben: ↑12. Nov 2017, 10:01
Außerdem würde mich deine Meinung zum sogenannten „Bieri-Trilemma“ interessieren:
https://de.wikipedia.org/wiki/Bieri-Trilemma
Dabei handelt es sich um eine bestimmte Formulierung des Leib-Seele-Problems. Das Argument bezieht sich auf das Problem der mentalen Verursachung:
1) Mentale,Phänomene sind nichtphysikalische Phänomene.
2) Mentale Phänomene sind im Bereich physikalischer Phänomene kausal wirksam.
3) Der Bereich physikalischer Phänomene ist kausal geschlossen.
Jede der drei Annahmen wirkt auf den ersten Blick plausibel:
Das Bewusstsein scheint durch seine interne Struktur – insbesondere durch das subjektive Erleben – von jedem physischen Ereignis verschieden.
Mentale Phänomene (etwa Angst) scheinen ganz offensichtlich Ursache von physischen Phänomenen (etwa Weglaufen) zu sein.
In der physischen Welt scheinen jedoch immer hinreichende, physische Ursachen auffindbar zu sein.
Das Trilemma besteht nach Bieri darin, dass die Sätze paarweise, aber nicht alle zugleich wahr sein können. Wenn mentale Phänomene auf die physikalische Welt einwirken können (1 und 2), so ist sie nicht geschlossen (Widerspruch zu 3). Wenn dagegen das Mentale von der physischen Welt unabhängig ist und sie physische Welt kausal geschlossen (Satz 1 und Satz 3) so kann es keine Wirkung mentaler Phänomene auf die physikalische Welt geben (Widerspruch zu 2). Wenn mentale Phänomene physische Vorgänge verursachen und die physische Welt kausal geschlossen ist (2 und 3), so muss das Mentale auf die physische Welt reduzierbar sein (Reduktionismus, Widerspruch zu 1).
Ja, da geht es um die kausale Geschlossenheit der physikalischen Welt.
Das ist m.M.n. bei meiner Position gelöst. 2) ist in dieser Formulierung falsch.
Wir haben bei meinem Eigenschaftsdualismus nur eine Substanz vorliegen, deren Verhalten auch richtig von der Physik beschrieben wird - aus ihrer Sicht.
Die Lösung liegt in der Perspektivabhängigkeit: Physik ist Perspektive! Das Erscheinen der Innenwelt ist Perspektive!
D.h.: Die Physik beschreibt nicht die Welt direkt, sondern die Welt, so wie sie aus Perspektive der Physik
erscheint. Zur Perspektive gehören Begriffe und Methoden. Diese Begriffe und Methoden bilden die Perspektive der Physik, man könnte auch Kontext dazu sagen. Nur innerhalb dieser Perspektive machen Begriffe wie "kasual geschlossen" überhaupt Sinn, genauer muss es auch heißen "physikalisch kausal geschlossen".
Das Mentale wirkt daher auch nicht auf das Physikalische ein, auch nicht umgekehrt, wie könnte eine Perspektive auf eine andere kausal einwirken?
Stattdessen korreliert beides miteinander (wenn das Mentale in einem System anwesend ist): Das was IST stellt sich einerseits als physikalischer Prozess dar und andererseits als
mentales Geschehen und aus noch anderen Perspektiven könnte es sich prinzipiell noch einmal anders darstellen.
Und wenn man über Perspektiven nachdenkt, dann erkennt man auch, dass eine Perpektive es einerseits überhaupt erst einmal ermöglicht etwas betrachten bzw. beschreiben zu können (d.h. sie ist notwendig) und aber andererseits auch eine Einschränkung darstellt: Man kann das zu Betrachtende nicht gleichzeitig in jeder möglichen Weise betrachten, die prinzipiell möglich wäre. Eben das ist Perspektive: Die Dinge auf eine
einzige und bestimmte Weise zu betrachten, will man sie auf eine andere Weise betrachten, muss man die Perpektive wechseln.
Ich denke, das sollten die meisten akzeptieren können, das könnte eine Basis für einen Konsens sein.
Weitere Dinge kommen dann erst später, wie z.B. die Frage nach dem Willen, Abwärtsverursachung, Reduktionismus, usw.
tomS hat geschrieben: ↑12. Nov 2017, 10:01
Ich frage hier nicht, was IST, ich frage: Was können wir wissen? bzw. Was wissen wir - und was können wir wie sicher wissen?
Das ist ein ganz anderer Zugang. Und ausgehend von dieser Frage kann Wissenschaft betrieben werden.
Die Ontologie kann man zunächst noch offen lassen, sie ist nicht der Ausgangspunkt.
Ich möchte beispielsweise folgende Frage beantworten:
„Hat dieser Computer jetzt das Gefühl, stolz zu sein“.
Können wir das wissen? Können wir wissen, ob es sich für den Computer genauso anfühlt wie für mich, stolz zu sein?
Können wir das deiner Meinung nach ausgehend von deiner Introspektion bzgl. deiner mentalen Zustände für den Computer und dessen Gefühle beantworten?
Das zu beantworten wird äußerst schwer sein, aber prinzipiell ja, nicht mit absoluter Sicherheit, aber mit ausreichender Sicherheit.
Allerdings geht auch das - wie immer - nur innerhalb eines Kontextes/Systems, dem gewisse Axiome/ akzeptierte Grundannahmen zugrunde liegen.
Man sollte sich dabei auch nicht weiter von der "klassischen Physik" entfernen als nötig.
Eine Grundannahme der Physik lautet z.B.: "Wie hier so überall, wie jetzt so immer!"
Das bezieht sich auf die Naturgesetzmäßigkeiten, die die Physik erforscht und formuliert und beruht auf dem Prinzip der Verallgemeinerung.
Dieses Prinzip der Verallgemeinerung lässt sich auch hier anwenden:
Wenn ich als System ein bestimmtes Innenerleben habe, mit dem ein bestimmter physikalischer Zustand bzw. Prozess einhergeht, dann wird ein anderes System mit identischem physikalischem Zustand bzw. Prozess dasselbe Innenerleben haben, mit ähnlichem Zustand bzw. Prozess ähnliches Innenerleben haben. Abweichungen können sich ergeben, wenn sich verschiedene Systeme in verschiedenen Kontexten befinden, die Geschichte ist daher teilweise irreduzibel.
(Diese Kontextgeschichte stelle ich immer wieder heraus, um dem Argument Rechnung zu tragen, wo argumentiert wird, dass ein-und-derselbe physikalische Zustand mit verschiedenen Mentalen Zuständen insbes. in seinem Bedeutungsinhalt korrelieren könne. Das Argument ist gut, es funktioniert aber nur dann, wenn die Kontexte verschieden sind.)
Ein solches Vorgehen der Verallgemeinerung ist also physikalisches Standardhandwerk, ich sehe keinen Grund das nicht auch hier anzuwenden, so man denn nicht auch gleichzeitig das Vorgehen der Physik in Frage stellen wollte.
Zum Computer:
Das Problem ist wie gesagt hart, aber mein Arbeitsprogramm dazu sähe wie folgt aus:
Zuerst müssen die Korrelationen beim Menschen erforscht werden, also bei vielen Menschen, dann vergleicht man das.
Dabei muss auch die exakte Kenntnis des Gesamtsystems Mensch berücksichtigt werden und auch soweit als möglich die Kontexte um ihn herum, also seine Kultur, seine Vorgeschichte, usw.
Daraus ist danach zu suchen, ob sich bestimmbare Muster in den Verhälnissen finden lassen.
Wenn das erfolgreich abgeschlossen werden kann, dann ist das als nächstes auf den Computer anzuwenden.
Wohlgemerkt! Man darf beim Computer nicht nach denselben Mustern suchen, die man direkt im Gehirn findet (neuronale Aktivitätsmuster), man muss stattdessen nach ähnlichen Verhältnismustern suchen (beim Menschen das Verhältnis zwischen Aktivitätsmustern und Gesamtgehirn, usw.).
Falls im Computer ähnliche Verhältnismuster gefunden werden können, können wir mit akzeptabel hoher Sicherheit davon ausgehen, dass auch er ein Innenerleben hat.
Eine absolute Sicherheit ist nicht erreichbar, aber das ist wie schon gesagt in der Standardphysik nicht anders.
tomS hat geschrieben: ↑12. Nov 2017, 10:01
Das muss ich hier nicht beantworten. In der Physik habe ich dasselbe Problem, auch sie dringt nicht "zum Wesen selbst" vor, das ist nicht ihr Gegenstand, das ist Gegenstand der Philosophie.
Es geht nicht darum, was Qualia sind, sondern wie sie sind, was wir darüber wissen können, wie sie sind und was wir darüber sagen können und wie wir das ordnen können und welche Zusammenhäng zum materiellen Substrat gefunden werden können.
Ja, es geht darum, was wir über sie wissen können.
Und du kannst mittels deiner Methode der Introspektion nichts über meine Qualia in Erfahrung bringen; und mittels der Anwendung der physikalischen Methode eben auch nicht. Meine Qualia bleiben dir verschlossen. Ob und wie sie existieren wird für dich immer ein ungelöstes Rätsel bleiben.
Es ist auch nicht ausreichend, Erkenntnisse über Qualia zu sammeln, die nichts damit zu tun haben, wie sich etwas anfühlt. Dass und wie unser beider Bewusstsein strukturiert ist hilft mir nicht weiter, um zu erkennen, wie es sich für dich anfühlt, stolz zu sein (oder für den Computer)
(und bzgl. der Physik habe ich nie etwas anderes behauptet)
Sicherlich müssen wir hier mit Begrenzungen leben, es kann nicht alles herausgefunden werden, aber einiges schon, wie viel wird die Zukunft zeigen.
Wie oben argumentiert würde ich eben auch hier das Prinzip der Verallgemeinerung anwenden.
Und zum Vergleichen von Qualia ist mir gerade folgendes einfaches Beispiel eingefallen:
Schauen wir die Farb-Qualia an, die wir haben. Ich habe zwar Schwierigkeiten dir zu erklären was "blau" für mich ist und wie es sich anfühlt blau zu empfinden, aber Ich stelle bei mir fest, das ich "blau" als dunkler empfinde wie z.B. "gelb".
Das kann ich dir mitteilen. Bei dir ist es vielleicht genauso, jedoch gibt es auch Menschen, wo das nicht so ist, wo blau heller als gelb erscheint (manche Menschen mit einer Schwäche bei der Farbwahrnehmung). Mit solchen Befunden können wir als nächstes das materielle Korrelat untersuchen und herausfinden ob sich da ein Unterschied finden lässt, den finden wir auch und haben Erkenntnis gewonnen. So kann man viele kleine Schritte tun und kommt so immer weiter.
tomS hat geschrieben: ↑12. Nov 2017, 10:01
Folgende Aussage würde ich eher mittragen: „Die Versuche, Begriffe wie Bewusstsein, Geist usw. auf physikalische Begriffe zu reduzieren ist wohl nicht möglich, weil der Physik dafür die Begrifflichkeiten fehlen. “
Einverstanden, als Minimalkonsens.
tomS hat geschrieben: ↑12. Nov 2017, 10:01
Da ich - im Gegensatz zu dir - der Introspektion und der geistigen Welt weit weniger Gewicht beimesse, komme ich zu der - für mich als Physiker vernünftigen - Ansicht, dass es sich bei Bewusstsein um rein physikalische Prozesse handelt, dass also geistige und materielle Welt identisch sind, und dass letztere im Sinne eines Reduktionismus primär ist.
Wenn du das tust, dann ignorierst du, wo dein Wissen sitzt, ebenso ignorierst du die Perspektivabhängigkeit deiner Methode "Physik".
Dass geistige und materielle Prozesse letztlich identisch sind glaube ich auch, das heißt aber nicht, dass es sich bei Bewusstsein um rein physikalische Prozesse handelt, im Sinne von Bewusstsein IST physikalischer Prozess, stattdessen
erscheint derselbe Prozess je nach Perspektive auf unterschiedliche Weise. Es heißt auch insbesondere nicht, dass du das eine auf das andere reduzieren kannst (man kann diametral entgegengesetzte Perspektiven nicht aufeinander reduzieren, das macht keinen Sinn) oder dass eines davon 'an sich' primär sei. Keines von beiden ist
an sich primär, Erscheinungen sind
an sich immer sekundär, nur ist es so, dass das Mentale
für dich primär ist und das Physikalische
für die Physik primär ist.
Verstehst du was ich meine?
tomS hat geschrieben: ↑12. Nov 2017, 10:05
Die geistige Welt ist emergent und damit sekundär.
Diese Schlussfolgerung ist nicht zwingend. Sie ist auch nicht nötig um Physik betreiben zu können.
tomS hat geschrieben: ↑12. Nov 2017, 10:01
Der Prozess dieser Emergenz und die Gesamtheit der damit verbundenen Phänomene in Bezug auf meine Introspektion entzieht sich dabei der Methode der Physik
... aber nicht vollständig der Methode der Wissenschaft. Man muss insbesondere nicht alles rein reduktiv angehen.
tomS hat geschrieben: ↑12. Nov 2017, 10:01
Die Einführung einer Substanz „Geist“ ist damit nicht notwendig.
Richtig. Notwendig ist nur die Einführung eines Phänomens "Geist". Und vernünftig ist es dabei die Eigenschaften dieses Phänomens und seine Korrelation zum materiellen Substrat -so weit als möglich- zu erforschen.