Hallo Seeker,
seeker hat geschrieben:(Ich versuche gemeinsam etwas tiefgündiger zu denken.)
ja tiefgründig könnte es tatsächlich werden. So tiefgründig, dass wir den Boden wohl nicht zu sehen bekommen
Trotzdem ein interessantes Thema. Bin gespannt auf Deine Version, die Du wohl sicher im Hinterkopf hast. Den Hammer von Mark Twain kenne ich übrigens in vielen Varianten. Da ist viel wahres dran. Das Dumme ist nur, dass man es in der Regel nur bei anderen und nicht bei sich selbst erkennt.
seeker hat geschrieben:Na ja, du bist doch Mathematiker. Da müsstest du doch wissen mit welchem "Stoff" sich die Mathematik beschäftigt, aus welchem Stoff sie gemacht ist?
Tja, wenn es so einfach wäre
Eine wirklich gute Antwort darauf kenne ich nicht. Vielleicht reichen aber die nachfolgenden Bemerkungen zunächst aus.
Für Mathematik gibt es keine allgemein anerkannte Definition; heute wird sie üblicherweise als eine Wissenschaft beschrieben, die durch logischeDefinitionen selbstgeschaffene abstrakte Strukturen mittels der Logik auf ihre Eigenschaften und Muster untersucht.
Diese Beschreibung aus Wikipedia finde ich persönlich sehr gut und kann uns als Ausgangspunkt dienen. Es tauchen hier drei zentrale Begriffe auf.
Logik, abstrakte Strukturen und Muster.
Was die Mathematik sicher auszeichnet, ist das stringente Bemühen, auf einer Basis aufzusetzen, die in sich widerspruchsfrei ist und auch gewährleistet, dass die Ergebnisse, die dann erzielt werden, widerspruchsfrei sind. So ein Prozess kann manchmal viele Jahre in Anspruch nehmen, bis er so formuliert werden kann, dass dies gewährleistet ist. Als Beispiel kann man hier die Axiome der Wahrscheinlichkeitstheorie anführen. Die Benutzung der Logik sorgt dafür, dass die einzelnen Ergebnisse nicht mehr beliebig sein können, sondern bestimmten Pfaden folgen müssen, die bestimmte Ergebnisse zulassen und andere nicht. Nicht alles, was man denken kann, ist damit mit Hilfe der Mathematik formulierbar. Diese logische Basis führt dann u.a. zu Ergebnissen, die hervorragend für die Abbildung der Natur geeignet zu sein scheinen. Man könnte daraus schliessen, dass auch in der Natur ein ähnliches Konzept vorhanden ist und die Natur damit einer gewissen Logik folgt, die beliebige Konstrukte ausschliesst und bestimmte andere favorisiert.
Das zweite Prinzip der Muster findet sich auch in der Natur wieder. Wir finden zum Beispiel viele Kopien des Musters "Elektron" vor (also identische Kopien eines bestimmten Musters) oder überall verschiedene Formen nach einem Muster wie bei Sternen, Galaxien oder fraktale Selbstähnlichkeit in unserer Natur.
Betrachten wir die mathematischen Gruppen als Beispiel für abstrakte Strukturen. Ist der Umstand, dass sich die endlichen einfachen Gruppen vollständig klassifizieren lassen, etwas, das in der Natur "verankert" ist oder hat das damit überhaupt nichts zu tun? "Entdecken" wir Gruppen eher, weil sie in der Natur implizit bereits verankert sind oder sind sie eine reine Erfindung unserer Gedanken. Ist der Umstand, dass wir Unendlichkeiten in verschiedensten Varianten in der Mathematik vorfinden ein Indiz dafür, dass die Natur unendlich ist?
Bleiben noch die beiden Unvollständigkeitssätze von Gödel, die zum einen den Beweis der eigenen Widerspruchsfreiheit eines Systems nicht immer erlauben und zum anderen, dass es Behauptungen geben kann, die man weder beweisen noch widerlegen kann. Dies zeigt uns die Grenzen dessen, was wir mit der Mathematik und damit auch der Physik erreichen können. Dies bedeutet auch, dass der Glaube weiterhin seinen Platz haben wird und dass wir evtl. nicht alle Geheimnisse der Natur ergründen und wissenschaftlich beweisen können.
Die Logik verbindet die Mathematik ein Stück mit der Philosophie, die sich ja auch mit diesem Thema beschäftigt. Und ich finde es verblüffend, was man hier zum Teil rein mit Logik alles ableiten kann. Ich denke dabei z.B. an die Ausführungen von Helmut Hansen in diesem Forum zum kleinsten und zum Größten, einen Aspekt, den auch Positronium in bestimmter Weise als eine Grundlage seiner Überlegungen benutzt. Positronium, ich hoffe, das habe ich so richtig interpretiert.
Aus all dem könnte man schliessen, dass der Logik die eigentliche fundamentale Bedeutung zukommt. In ihr könnte das Konstruktionsprinzip der Natur irgendwie verborgen sein. Ich kann dies aber nicht fundierter begründen und kenne mich da im Detail auch nicht gut genug aus.
seeker hat geschrieben: Wenn du nun z.B. so ein Kugelfraktal hast, woraus besteht dieses dann?
Nehmen wir dazu den Menger-Schwamm, weil er etwas einfacher zu handhaben ist. Hier definiere ich eine Konstruktionsvorschrift und schaue mir an, was ich erhalte, wenn ich das gegen unendlich laufen lasse, wenn also das Volumen der einzelnen Würfel unendlich klein wird. Und das Endergebnis ist erstaunlicherweise nicht "nichts". Vorstellen kann ich mir dies nicht. Es widerspricht unserer Intuition, dass etwas, was kein (euklidisches) Volumen hat, trotzdem "Eigenschaften" besitzen soll und damit eigentlich "existieren" müsste. Nun kann man das als mathematische Spielerei betrachten und dies wäre es vielleicht auch, wenn das Universum endlich wäre. Wenn aber nicht, dann könnten Varianten solcher Konstrukte auch in der Natur vorkommen.
Woraus sie dann bestehen? Die Mathematik würde im Fall des Menger-Schwammes sagen: Aus überabzählbar unendlich vielen Punkten, die in einer bestimmten Art und Weise angeordnet bzw. strukturiert sind. Der "Stoff" der Mathematik sind dann die Punkte. Die Struktur kann mit verschiedensten Methoden (zum Beispiel aus der Topologie und der Maßtheorie) beschrieben werden, allerdings zum Teil sehr abstrakt.
seeker hat geschrieben:Ich meine, wir sind uns doch wahrscheinlich einig, dass dieses Fraktal existiert, spätestens sobald es konstruiert wurde.
Was meinst Du mit existiert? Existiert eine reelle Zahl ? Wir können sie nicht explizit angeben, sondern bestenfalls konstruieren. Sie ist genauso wie das "Endprodukt" des Menger-Schwammes das (fiktive?) Ergebnis eines unendlichen Prozesses. Sie könnte also nur dann existieren, wenn diese Unendlichkeit in der Natur möglich und realisiert ist. Ist es das? Ich weiß es nicht, bin aber persönlich der Meinung, dass Unendlichkeiten für das ganz tiefe Verständnis der Natur unabdingbar sind. Diese Unendlichkeiten in Form von aktual Unendlichkeiten und vor allem ihre Implikationen bei komplexeren unendlich fraktalen Strukturen, haben wir bisher nicht umfangreich untersucht. Es gibt im 3-dimensionalen soweit ich das beurteilen kann lediglich ein paar Beispiele wie den Menger-Schwamm oder die Arbeiten von Herrmann, die aber bereits aufzeigen, welche faszinierende Welt sich dahinter verbergen könnte. Leider ist das "sau-kompliziert" und unsere Computer helfen uns da auch nur sehr bedingt, weil sie endlich sind. Könnte man sagen, dass die Konstruktion an sich schon das Fraktal "ist"?. Ich meine nein, denn der Konstruktion sieht man die späteren Eigenschaften des "Endproduktes" noch nicht unbedingt an. Die bekomme ich erst, nachdem ich es unendlich oft ausgeführt habe. Wir verlassen dann unsere bekannte Welt (wegen Volumen 0, Oberfläche unendlich) und betreten eine neue.
seeker hat geschrieben:Wenn es existiert, muss es dann nicht auch einen Stoff geben, aus dem es gemacht ist? Was ist dieser Stoff?
Diese Frage zu beantworten, wenn sie denn physikalisch gemeint ist, ist nicht Gegenstand der Mathematik. Ihr "Stoff" wäre in diesem konkreten Fall ein Punkt. Da hört sie auf. Eine physikalische Antwort könnten wir nur dann geben, wenn diese Punkte nicht nur rein abstrakte Definitionen der Mathematik wären, sondern tatsächlich eine physikalische Bedeutung im reinen Sinne des Wortes hätten. Erste Voraussetzung dafür wäre, dass der Raum kontinuierlich ist. Bei der physikalischen Antwort auf diese Frage, wenn sie denn überhaupt existiert, bin ich mir nicht sicher, ob wir die finden und auch noch "begreifen" könnten.
seeker hat geschrieben:Würdest du sagen, es besteht im Wesenskern aus Struktur oder aus Regeln? Oder was würdest du sagen?
Auch in der Mathematik fallen Struktur und Regeln meistens nicht vom Himmel, sondern können nur dann überhaupt sinnvoll definiert werden, wenn sie sich z.B. auf die Elemente einer Menge beziehen. Eine Gruppe braucht Elemente, ein Wahrscheinlichkeitsraum Ergebnisse, usw. Das sind sozusagen die Teilchen der Mathematik. Der Unterschied zwischen der Mathematik und der Physik besteht meiner Meinung nach darin, dass ich mir in der Mathematik diese Elemente, Strukturen und Regeln einfach ausdenken kann, ohne jeden Bezug auf irgendetwas, solange es den Basisregeln entspricht. In der Physik sollten die Elemente jedoch in durchaus sehr erweitertem Sinn etwas physikalisches beschreiben, und die Regeln und Strukturen experimentell nachprüfbar sein.
Fazit: Mehr Fragen als Antworten.
Aber vielleicht ist der Hintergrund Deiner Fragen ja auch ein anderer?
Viele Grüße
Job