Das verunsichernde bei diesem Beispiel ist, dass wir (ich auch) intuitiv und durchaus auch mit guten Argumenten davon ausgehen, dass die "Wahrscheinlichkeit", eine bestimmte Zahl zu ziehen, 0 ist. Leider können wir diese Aussage aber nicht mathematisch sauber formulieren. Es ist nicht möglich, einen diskreten Wahrscheinlichkeitsraum zu definieren, der als Ereignisse (messbare Mengen) die einzelnen Zahlen enthält und ein Wahrscheinlichkeitsmaß, dass diesen eine Wahrscheinlichkeit 0 zuweist. Die Axiome verbieten das.seeker hat geschrieben:
Es ist nicht so, dass bei einer angenommenen Gleichverteilung keine bestimmte Zahl gezogen werden könnte, sondern, dass wir dafür keine Wahrscheinlichkeit angeben können.
Die eigentliche Frage ist nun, ob der Umstand, dass wir keine Wahrscheinlichkeit angeben können, beweist dass keine Gleichverteilung vorliegen kann?
Ich denke nicht, denn es ist ja dennoch so, dass trotzdem irgendeine Zahl gezogen werden kann - und zwar mit der Wahrscheinlichkeit 1.
Erstaunlicherweise geht dies aber, wenn wir überabzählbare Ergebnismengen haben. Auf dem Invervall von 0 - 1 der reellen Zahlen zum Beispiel können wir einen W-Raum definieren, der einer Gleichverteilung entspricht.
Dieser sieht so aus:
1. Die Ergebnismenge O ist das Intervall von 0 bis 1
2. Die Ereignismenge S ist eine borelsche Sigma-Algebra
3. Das Wahrscheinlichkeitsmaß ist das Lebesguemaß
Das hört sich erstmal ziemlich kompliziert an, ist aber in diesem Fall ganz einfach. Die borelsche
Sigma-Algebra ist so definiert, dass sie die kleinste Sigma-Algebra ist, die alle offenen Mengen eines topologischen Raumes enthält. In unserem Beispiel sind das die offenen Teilintervalle. Der Ereignisraum S enthält dann zum Beispiel alle offenen, halb offenen, geschlossenen Intervalle, aber auch jede einzelne reelle Zahl. Das Lebesguemaß ist in diesem Fall eine Verallgemeinerung des Riemann Intergrals. Dieses Verfahren, einen Ereignisraum S über topologische Eigenschaften der Ergebnismenge O zu definieren, ist für viele überabzählbare Mengen sehr weit verbreitet.
Für unseren Fall ergibt sich dann folgendes:
1. Die Wahrscheinlichkeit, eine bestimme reelle Zahl x innerhalb des Intervall von 0 bis 1 zu "ziehen" ist für alle x gleich 0. Also eigentlich genau das, was wir im diskreten Fall auch vermuten.
2. Die Wahrscheinlichkeit eines Teilintervalls ist einfach die Länge des Intervalls. Dies ist intuitiv mit einer Gleichverteilung identisch
3. Die Wahrscheinlichkeit eine rationale Zahl zu ziehen ist 0.
Übrigens ist auch die Cantor Menge nach Konstruktion eine Borelmenge. Sie ist überabzählbar und die Wahrscheinlichkeit, eine Zahl aus der Cantormenge zu "ziehen" ist in unserem Fall 0!
Ja, so kann man das sehen, wobei das "Versagen" durchaus seinen Grund hat.seeker hat geschrieben: Wenn es bei der Ziehung also um ein natürliches Ereignis gehen soll (und das ist hier so), dann versagt sozusagen nicht die Natur, sondern unsere mathematische Beschreibung.
Nein, das könnte man aus meiner Sicht nicht daraus schliessen.seeker hat geschrieben:Die einzige andere mögliche logische Schlussfolgerung wäre, dass dieses Szenario kein natürliches Ereignis sein kann, mit den schon beschriebenen Folgen.
Nein, dass kann man aus meiner Sicht nicht so sehen. Wenn wir nicht wissen, wie wir den W-Raum definieren können, können wir auch keinerlei mathematischen Schlussfolgerungen ziehen. Und solange wir so gut wie nichts über die Art der Unendlichkeit wissen und auch nicht in der Lage sind, das Problem mathematisch exakt zu formulieren, können wir im Grunde nur spekulieren. Dies kann man auf zwei Arten tun. "Wilde" Spekulation: Man behauptet einfach irgendetwas. " oder fundierte Spekulationen: Man postuliert zum Beispiel bestimmte Eigenschaften wie : Das Universum ist lokal endlich, aber insgesamt unendlich, etc. und versucht dann ein Modell daraus zu machen, dass dann auch gesicherte Schlussfolgerungen gewährleistet. Das ist legitim und auch sinnvoll, um ein Gefühl für die verschiedenen Möglichkeiten zu bekommen. Tom hat dazu ein Beispiel gebracht.seeker hat geschrieben:Keine "völlige Exaktheit" würde aber immer noch bedeuten, dass unter der Voraussetzung eines unendlich ausgedehnten, isotropen und homogenen Universums irgendwo jemand existieren muss, der auf einen genau gleich aussehenden nächtlichen Sternenhimmel blickt, auf einer praktisch gleich aussehenden Erde lebt und sich von mir vielleicht nur durch ein einziges zusätzliches Atom unterscheidet oder auch nur in den Quantenzuständen der Materieteilchen, aus der er besteht - und das ist auch keine Spekulation, sondern die logisch zwingende Schlussfolgerung aus den gegebenen Prämissen.
Und auch diese schwächere Schlussfolgerung (anstatt der stärkeren Annahme einer völligen Gleichheit) ist doch auch schon ein dicker Hund?
Allerdings ist dabei das Postulat, dass P(E) > 0 halt ein Postulat. Ob dies stimmt, wissen wir nicht. Ich selbst glaube, dass P(E) = 0 ist. Wie wir in dem obigen Beispiel mit der Gleichverteilung bei den reellen Zahlen gesehen haben, schliesst dies aber nicht aus, dass wir tatsächlich existieren .TomS hat geschrieben:Die Argumentation bzgl. Multiversen, Infinite Monkey etc. lautet ja etwas anders: gegeben sei eine (möglicherweise unendliche) Ergebnismenge M und daraus ein spezifisches Ergebnis E mit Wahrscheinlichkeit p(E) > 0. E könnte z.B. das Auftreten der Erde im Universum oder das Erscheinen von Hamlet sein. Beachte, dass wir die Wahrscheinlichkeitsverteilung p(E) gar nicht kennen müssen, und dass wir insbs. keine Gleichverteilung annehmen. Alles was wir wissen ist, dass die Wahrscheinlichkeit p(E) für das spezielle Ereignis E nicht Null ist. Damit schließen wir, dass bei unendlich häufigem Ziehen das Ergebnis E unendlich oft auftritt.
Ach ja, es ist nicht gerade Pseudowissenschaft, aber es ist auch nicht gerade sehr exakte Wissenschaft
Viele Grüße
Job