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15. Elektro-schwache WW II

Übersichtsartikel zur Elementarteilchenphysik und zur Quantenfeldtheorie
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tomS
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15. Elektro-schwache WW II

Beitrag von tomS » 29. Sep 2009, 23:27

[anker]15[/anker]15. Elektro-schwache WW II

Nach der theoretischen Betrachtung der el.-schw. Theorie sollen nun die physikalischen Phänomene im Vordergrund stehen. Zunächst benötigen wir eine Übersicht über alle beteiligten Teilchen:

Vektormesonen:
- Neutrales, masseloses Photon
- Neutrales, massives Z-Boson („schweres“ Photon)
- Geladenes, massives W-Boson

Fermionen (sortiert nach Generationen)

1. Generation:
- down- und up-Quark
- Elektron und Elektron-Neutrino

2. Generation:
- strange- und charm-Quark
- Myon und Myon-Neutrino

3. Generation:
- bottom- und top-Quark
- Tau und Tau-Neutrino

Die Fermionen kann man dabei nochmals bzgl. ihrer Helizität unterscheiden. Die linkshändigen Teilchen kann man sich dabei in Dubletts geordnet denken; diese sind oben genauso dargestellt, d.h. z.B. bilden das down- und das up-Quark ein Dublett, genauso wie das Elektron und das Elektron-Neutrino. Die rechtshändigen Teilchen sind jeweils Singuletts, d.h. haben keinen zugehörigen Partner. Außerdem gibt es in diesen Singuletts keinen Platz für die rechtshändigen Neutrinos, d.h. dass die el.-schw. WW die Paritäts-Symmetrie (Raumspiegelungen) explizit bricht.

Wo sind denn nun die rechtshändigen Neutrinos (genauer: Neutrinos mit R-Helizität; zu unterscheiden von R-Chiralität!) Entweder existieren sie schlichtweg nicht, oder sie koppeln nicht an andere Teilchen des Standardmodells, d.h. sie könnten existieren, ohne jedoch beobachtbar zu sein (wobei dann ihre Erzeugung ein Rätsel wäre, da ja auch zu ihrer Erzeugung eine Kopplung an andere Teilchen notwendig wäre).

Die el.-schw. WW kann diese Struktur, d.h. sowohl die drei Generationen als auch die Existenz der linkshändigen Dubletts bzw. der rechtshändigen Singuletts (bzw. die Abwesendheit der rechtshändigen Neutrinos) nicht erklären.

[anker]15-1[/anker]15.1 Wechselwirkungen und Zerfälle

Die el.-schw. WW führt zu Zerfällen von ansonsten stabilen Teilchen. Die elektromagnetische Wechselwirkung könnte z.B. nicht den Zerfall des Myons erklären, die starke WW nicht den Zerfall von Quarks. Die oben aufgelisteten Fermionen sind bzgl. aller anderen WWs stabil.

Die schw. WW führt nun zu zwei verschiedenen Zerfällen,nämlich zum einen zum Zerfall über ein W-Boson (ein sogenannter geladener schwacher Strom), zum anderen über ein Z-Boson (ein sogenannter neutraler, schwacher Strom). Das Photon repräsentiert den neutralen, el.-mag. Strom (dabei darf dieser Begriff nicht mit dem gewöhnlichen Strom verwechselt werden, der ja durch Elektronen vermittelt wird!)

Diese Zerfälle finden sowohl zwischen den Generationen (Bsp.: ein Teilchen der zweiten Generation zerfällt in ein leichteres der ersten Generation) sowie innerhalb einer Generationen (Bsp.: ein Teilchen der ersten Generation zerfällt in ein anderes Teilchen der ersten Generation) statt. Wie wir später sehen werden, sind diese zwei Arten von Zerfällen grundsätzlich verschieden (Stichwort: CKM-Matrix).

Z.B. zerfällt ein Myon in ein Myon-Neutrino sowie ein negatives W-Boson, letzteres wieder ein Elektron und ein Elektron-Antineutrino. Einen analogen Zerfall erhält man für die Quarks, indem man gemäß der o.g. Dubletts die Ersetzungen Myon -› strange-Quark und Myon-Neutrino -› charm-Quark durchführt; d.h. ein strange-Quark zerfällt in ein charm-Quark sowie ein negatives W-Boson. Vertauscht man nun die Rollen von Myon- und Myon-Neutrino bzw. von strange- und charm-Quark, so erhält man ebenfalls wieder erlaubte Zerfälle, nur dass in diesem Fall statt eines positiven ein negatives W-Boson beteiligt ist.

Da die W-Bosonen selbst keiner Generation angehören, sind also die Zerfälle von Teilchen einer Generation in das W-Boson einerseits sowie der Zerfall des W-Bosons in Teilchen derselben oder einer anderen Generation andererseits unabhängig kombinierbar. D.h. dem o.g. Zerfall des strange-Quarks entspricht innerhalb der ersten Generation der Zerfall des down-Quarks, innerhalb der dritten Generation dem Zerfall des botton-Quarks. In all diesen Fällen kann sich das W-Boson quasi wieder aussuchen, zu welcher Generation seine Zerfallsprodukte gehören sollen.

Damit haben wir folgende Regel:

X -› x + W und
W -› Y + y

X und x sind Fermionen der selben Generation und des selben Dubletts
Y und y sind Fermionen der selben Generation und des selben Dubletts
X und Y müssen nicht innerhalb der selben Generation liegen (siehe CKM-Matrix)
Die Ladung des W entspricht der Ladungsdifferenz von x und X, d.h. +1 oder -1

Sind nun alle nach dieser Regel konstruierbaren Zerfälle physikalisch möglich? Nein! Das liegt aber nicht an der el.-schw. WW, sondern ausschließlich an der Masse der beteiligten Teilchen. So ist z.B. ein Zerfall, wobei im Eingangskanal ein leichtes Fermion der ersten Generation enthalten ist, im Ausgangskanal dagegen ein schweres Fermion der dritten Generation, energetisch verboten (d.h. die Erhaltungssätze für Energie und Impuls verbieten diesen Zerfall). Ebenso ist der Zerfall eines leichtere Fermions einer Generation ein schwereres der selben Generation verboten; der jeweils umgekehrte Zerfall ist dabei erlaubt.

Die energetisch verbotenen Zerfälle (z.B. der o.g. Zerfall eines strange-Quarks in ein charm-Quark) sind nicht beobachtbar, können jedoch über virtuelle Teilchen tatsächlich zu physikalischen Prozessen beitragen. D.h. dass z.B. ein virtuelles strange-Quark tatsächlich in ein virtuelles charm-Quark plus W-Boson zerfallen kann, allerdings werden die virtuellen Teilchen auch wieder rekombinieren, so dass das schwerere charm-Quark nie in einem Endzustand sichtbar wird.

Außerdem sind auch die Wahrscheinlichkeit für unterschiedliche Zerfälle nicht ausschließlich durch Kopplungen der schw. WW bestimmt, sondern durch die sogenannte CKM-Matrix (siehe dazu ein späteres Kapitel).

Ein bekannter Zerfall ist der β-Zerfall

Neutron -› Proton + Elektron + Elektron-Antineutrino

der durch die fundamentale el.-schw. WW auf den Zerfall eines down-Quarks

down-Quark -› up-Quark + W-Plus

sowie den anschließenden Zerfall des W-Bosons

W-Plus -› Elektron + Elektron-Antineutrino

zurückgeführt werden kann:

down-Quark -› up-Quark + Elektron + Elektron-Antineutrino

Der umgekehrte Zerfall des up-Quarks in das (etwas schwerere) down-Quarks ist wie oben erläutert energetisch verboten, kann jedoch im inneren von Kernen tatsächlich vorkommen (da hier die notwendige zusätzliche Energie aus dem gesamten Kern stammen kann). Diese beiden Zerfälle sind als β-Zerfall sowie inverser β-Zerfall auch in der Kernphysik und aus der Theorie der Radioaktivität bekannt; sie wurden hier auf die elementaren Prozesse der el.-schw. WW zurückgeführt.

Die geladenen Ströme finden ausschließlich innerhalb der linkshändigen Dubletts statt, d.h. dass der o.g. β-Zerfall für rechtshändige Quarks verboten ist. Insofern verletzt die el.-schw. WW die Parität maximal, da der spiegelsymmetrische Prozess (Zerfall eines rechtshändigen d-Quarks) nicht existiert.

Bisher haben wir ausschließlich Wechselwirkungen über geladene Ströme betrachtet. Es gibt nun aber auch die WW über neutrale, schwache Ströme, d.h. über das Z-Boson. Dabei spielt das Z-Boson eine Rolle analog dem Photon, d.h. die Sorten der dabei beteiligten Teilchen ändern sich nicht. Innerhalb einer Generation kann kein Zerfall stattfinden, da dabei immer Ladung ausgetauscht werden müsste (das W-Boson trägt diese Ladung), aber auch zwischen den Generationen finden keine Zerfälle statt. Jeder durch ein Photon vermittelte Prozess kann auch durch ein Z-Boson vermittelt werden (wobei dies erst bei genügend hohen Energien möglich ist, da ja die notwendige Energie für die Erzeugung des schweren Z aufgebracht werden muss), es gibt aber Prozesse, die ausschließlich über das Z-Boson vermittelt werden, nämlich die Streuung von Neutrinos (die ja elektrisch neutral sind und deswegen nicht an Photonen koppeln) z.B. an Elektronen.

Zusammenfassung
Die el.-schw. WW macht also drei wesentliche Vorhersagen:
1) die geladenen schwachen Ströme, die wir oben am Beispiel der W-Bosonen betrachtet haben
2) die neutralen, schwachen Ströme, d.h. die Streuung von Neutrinos an Elektronen oder an Quarks
3) die Abwesendheit von sogenannten flavor-changing neutralen Strömen, d.h. z.B. das Verbot der Umwandlung eines charm-Quark unter Aussendung eines Z-Bosons in ein up-Quark.

Insbs. der Nachweis von 2) war extrem schwierig, da die Kopplung des Neutrinos extrem schwach ist. Die Abwesendheit von 3) kann ebenfalls nur bis zu einer gewissen Genauigkeit durchgeführt werden, darf heute aber als gesichert gelten.

[anker]15-2[/anker]15.2 Teilchenmischungen und CKM-Matrix

Dies ist ein extrem komplexes Thema, da es sich vollständig unserer Anschauung entzieht. Wir betrachten dabei die o.g. Zerfälle von Fermionen einer Generation in die einer anderen Generation. Zunächst erwartet man, dass die W-Bosonen (ebenso wie die Z-Bosonen) ausschließlich Zerfälle innerhalb einer Generation, also z.B.

down-Quark -› up-Quark + W-Plus

bewirken.

Nun habe ich oben dargestellt, dass für ein Zerfall über das W-Boson auch ein Wechsel der Generationen möglich ist (während dies für das Z-Boson explizit verboten ist). Woher kommt das?

Man stellt sich zunächst die beteiligten Quarks als sogenannte Eigenzustände des starken Wechselwirkung vor, an der sie ja teilnehmen. Diese respektiert ihren Flavor, d.h. die starke WW ändert nie die Sorte eines Quarks (z.B. von charm nach up). Offensichtlich können sich nun die starke und die schwache WW „nicht über die Sorten der Quarks einigen“, d.h. die schwache WW respektiert nicht die Eigenzustände der starken WW. Man betrachte einen dreidimensionalen Raum mit einem Koordinatensystem. Die drei Achsen entsprechen den Richtungen für drei Flavors, d.h. in diesem Raum sitzen an den Koordinaten (1,0,0), (0,1,0) und (0,0,1) die drei Flavors down, strange und bottom.

Nun führt man ein zweites Koordinatensystem ein, so dass die neuen Koordinatenachsen gegenüber den alten geringfügig verdreht sind. Die drei neuen Achsen entsprechen den Richtungen für drei neue Flavors, d.h. in diesem Raum sitzen an den Koordinaten (1-a,b,c), usw. die drei neuen Flavors down’, strange’ und bottom’. a,b,c sind dabei kleine Parameter die die Verdrehung der Achsen beschreiben. Für die beiden restlichen neuen Flavors gilt dies es natürlich entsprechend.

Dies bedeutet nun, dass man statt dem ursprünglichen Flavor |f) einen neuen Flavor |f’) betrachten muss, wobei dieser neben dem ursprünglichen Flavor |f) eine geringfügige Beimischung der beiden anderen Flavors enthält. Man schreibt dies als

|f’) = M |f)

wobei man die Quarkmischungsmatrix M entsprechend der Entdecker dieses Mechanismus als Cabibbo–Kobayashi–Maskawa Matrix (kurz CKM Matrix) bezeichnet (Nobelpreis 2008).

Man beachte, dass die Flavors down, strange und bottom untereinander mischen, dass sie aber keine Beimischung der anderen Flavors enthalten dürfen, da diese ja andere Eigenschaften (insbs. abweichende elektrische Ladung) haben.

Aus dieser Mischung der Quarkflavors folgt nun, dass dem Zerfall

charm-Quark -› strange-Quark

ein kleiner Anteil

charm-Quark -› down-Quark

beigemischt wird. Man kann dies so interpretieren, dass das ursprüngliche charm-Quark eben kein reines charm-Quark war, sondern dass geringfügige Beimischung eines up-Quarks enthalten hat. D.h. die Beimischung ist eigentlich nicht eine Eigenschaft des Zerfall sondern bereits Ausgangszustands.

Wie sieht diese CKM-Matrix M nun genau aus? Es handelt sich dabei um eine unitäre 3*3 Matrix, d.h. sie rotiert dreidimensionale, komplexe Vektoren |f). I.A. betrachtet man 2N Flavors, wobei beide Gruppen zu je N Flavors von der selben Matrix gedreht werden. In unserem Fall haben wir 2N=6 Flavors, also N=3 und damit eine 3*3 Matrix. Für eine unitäre N*N Matrix (mit i.A. komplexen Einträgen) werden N² Parameter benötigt. Von diesen sind allerdings nicht alle physikalisch beobachtbar (z.B. eine globale Rotation die alle Flavors identisch rotiert). Es verbleiben letztlich (N-1)² physikalische Parameter. Davon sind N(N-1)/2 tatsächlich Drehungen d.h. Quarkmischungen, die restlichen (N-1)(N-2)/2 sind komplexe Phasen, die für CP-Verletzungen verantwortlich sind (s.u.)

D.h. die allgemeine Parametrierung der 3*3 CKM Matrix führt auf drei Quarkmischungswinkel und eine CP-verletzende Phase. Letztere erhält man erst mit insgs. sechs Flavors. Solange die letzten beiden Flavors bottom und top noch unbekannt waren (N=2), sprach von einem einzigen Mischungswinkel, dem sog. Cabibbo-Winkel, allerdings gab es damals bereits Erkenntnisse bzgl. der CP-Verletzung (1964).

[anker]15-3[/anker]15.3 CP-Verletzung

Zunächst einige grundsätzliche Anmerkungen zu Symmetrien der Raumzeit. Sämtliche uns bekannten Theorien erfüllen die sogenannte TCP-Symmetrie, d.h. dass einem physikalischen Prozess ein jeweils zweiter Prozess zugeordnet werden kann, der T=Time) rückwärts in der Zeit abläuft, der P=Parity) gespiegelt abläuft und in dem C=Charge) alle Teilchen durch ihre Antiteilchen mit jeweils entgegengesetzten Ladungen ersetzt wurden (CPT-Theorem).

Wir oben bemerkt existieren Neutrinos nur in einer Händigkeit, d.h. dass die schw. WW die P-Symmetrie explizit bricht. Dies wurde für den radioaktiven β-Zerfall vorhergesagt (Lee und Yang 1956, Nobelpreis 1957) und experimentell nachgewiesen (Wu, ebenfalls 1956).

Man nahm nun aber an, dass die erweiterte CP-Symmetrie immer gültig ist. Aus der universellen Gültigkeit der CPT-Symmetrie folgt, dass die CP-Symmetrie der T-Symmetrie entspricht. D.h. aber dass die hier zu diskutierende CP-Verletzung anschaulich bedeutet, dass Prozesse vorwärts in der Zeit von denen rückwärts in der Zeit experimentell überprüfbar abweichen können. Diese wurde an den sogenannten neutralen Kaonen experimentell nachgewiesen (Christenson, Fitch und Turlay 1964, Nobelpreis 1980). Man misst dazu im wesentlichen Zerfall von Kaonen und Anti-Kaonen (s.u.)

Zunächst betrachtet man die Kaon- und Anti-Kaon-Zustände bzgl. der starken WW

|K°) = |d, -s)
|-K°) = |-d, s)

Nun sind aber s und d genau die Quarks, die unter der CKM-Matrix mischen können. Betrachtet man die möglichen Wechselwirkungen der beteiligten Quarks, so stellt man fest, dass sich ein |K°) in sein eigenes Antiteilchen, das |-K°) umwandeln kann:

1) Dabei zerfällt das strange-Quark in einen virtuellen Zwischenzustand mit einem W-Boson und weiteren Quarks, das anti-down-Quark in einen virtuellen Zwischenzustand ebenfalls mit einem W-Boson und weiteren Antiquarks; letztere entsprechen exakt den Quarks, d.h. dass diese Quarks und Antiquarks in Summe wegfallen.
2) Somit hat sich das |K°) in ein Paar aus W-Bosonen verwandelt.
3) Jedes dieser W-Bosonen zerfällt nun über den exakt gespiegelten Prozess (besser: CP-transformiert) in die jeweils entgegengesetzten Quarks, d.h. aus dem W-Boson des strange-Quarks entsteht ein down-Quark, aus dem W-Boson des anti-down-Quarks entsteht ein anti-strange-Quark. Wiederum verschwinden in Summe die weiteren Quarks und Antiquarks des Zwischenzustandes.

===Feynman-Diagramm

Statt der beiden Eigenzustände |K°) und |-K°) der starken WW sind auch die Eigenzustände der schwachen WW Kandidaten für die physikalischen d.h. experimentell beobachtbaren Kaonzustände. Die Kaon-Antikaon-Fluktuationen bedeuten, dass beide in den jeweils physikalischen Zuständen gemischt auftreten. Demzufolge ergeben sich für die Eigenzustände der schw. WW und unter Annahme von CP-Symmetrie

|K°¹) = |K°) + |-K°)
|K°²) = |K°) - |-K°)

Diese beiden Zustände sind nun Eigenzustände der CP-Symmetrie, wobei sie sich gerade (+1) bzw. ungerade (-1) transformieren:

CP|K°¹) = +|K°1)
CP|K°²) = -|K°²)

Betrachtet man nun die Zerfälle der beiden Kaonen |K°¹) und |K°²) so findet man

|K°¹) -› 2|π)
|K°²) -› 3|π)

===Feynman-Diagramm

d.h. sie zerfallen in zwei bzw. drei Pionen, wobei die Lebensdauern sich aufgrund der unterschiedlichen Zerfallskanäle deutlich unterscheiden. Das |K°²) lebt ca. 600 mal länger als das |K°¹). Nun liegt es nahe, aufgrund der o.g. CP-Symmetrie die beiden Zustände |K°¹) und |K°²) mit den beiden physikalischen Zuständen |K°S) und |K°L) zu identifizieren, wobei S und L für Long bzw. Short - jeweils bezogen auf die Lebensdauer - steht.

Der experimentelle Nachweis der CP-Verletzung wurde nun dadurch geführt, dass man beim Zerfall des |K°S) in zwei Pionen eine kleine Beimischung (ca. eins in tausend) von Zerfällen in drei Pionen fand, d.h. dass in einem von tausend Fällen das |K°S) anders zerfiel als oben behauptet! Wiederum erklärt man dies durch die Mischung in den Ausgangszuständen, d.h. man führt einen kleinen Mischungsparameter ε ein und definiert

|K°S) = |K°¹) + ε|K°²)
|K°L) = |K°²) - ε|K°¹)

Dies sind letztlich die physikalischen und experimentell beobachteten Eigenzustände der Kaonen; allerdings handelt es sich dabei nicht mehr um Eigenzustände des CP-Operators, wie man leicht sieht:

CP|K°S) = CP|K°¹) + ε CP|K°²) = |K°¹) - ε|K°²)

Zusammenfassung
Der CKM-Mechanismus führt über die Mischung von Teilchen und Antiteilchen zu einer experimentell beobachtbaren CP-Verletzung. Man stellt fest, dass die experimentell beobachteten Eigenzustände der Kaonen keine Eigenzustände des CP-Operators sind. Der Nachweis wird darüber geführt, dass ein Kaon |K°L) mit (theoretisch!) CP-Eigenwert +1 in einen Endzustand mit 3 Pionen zerfallen kann, der jedoch CP-Eigenwert -1 hat. D.h. die CP-Quantenzahl ist im Kaonsystem keine Erhaltungsgröße, sie kann sich in physikalischen Prozessen ändern.

[anker]15-4[/anker]15.4 Neutrinos

Über Neutrinos, die bisher rätselhaftesten Elementarteilchen im Standardmodell, könnte man sicher ein ganzes Buch schreiben. Ich möchte einige der durchaus merkwürdigen Eigenschaften und Phänomene hier kurz diskutieren.

Zunächst zur Geschichte: Im oben beschrieben β-Zerfall eines Neutrons oder eines Atomkerns trägt das Neutrinos eine gewisse Bewegungsenergie (die deutlich größer sein kann als seine Ruheenergie). Diese fehlende Energie war der erste Hinweis auf die Neutrinos, der β-Zerfall schien den Energieerhaltungssatz zu verletzen. Um den Energieerhaltungssatz zu retten postulierte Wolfgang Pauli daraufhin die Existenz eines (nahezu masselosen) extrem schwach wechselwirkenden, elektrisch neutralen Teilchens (ca. 1930). Der Nachweis gelang über 20 Jahre später (Cowan und Reines, 1956) und wurde wiederum ca. 40 Jahre später mit dem Nobelpreis gewürdigt (1995).

Viele Jahrzehnte war unklar, ob die Neutrinos tatsächlich eine von Null verschiedene Ruhemasse haben. Zum einen war ihre Wechselwirkung mit gewöhnlicher Materie zu schwach, um exakte Experimente durchzuführen, zum anderen wäre ihre Ruhemasse sicher so klein, dass sie sich kaum statistisch signifikant von Null unterscheiden würde.

Ggw. weisen einige Experimente auf eine von Null verschiedene Masse des leichtesten, d.h. des Elektron-Neutrinos hin. Diese könnte in der Größenordnung von einigen 0.1 eV bis hin zu einigen eV liegen (zum Vergleich: das Elektron hat eine Ruhemasse von 511 keV, Proton und Neutron von knapp 1 GeV).

Die Definition der oben diskutierte Händigkeit der Neutrinos ist im Falle einer von Null verschiedenen Ruhemasse ein Problem. Denn dann muss man zwischen zwei Begriffen, der sogenannten Helizität sowie der Chiralität (der Lorentz-invarianten Verallgemeinerung der Helizität) unterscheiden. Letztere ist allerdings i.A. keine Erhaltungsgröße; außerdem gibt es für Helizität und Chiralität keine gemeinsamen Eigenzustände. Neutrinos aus Prozessen der schwachen WW haben eine definierte Chiralität, liegen allerdings als Mischung zweier Helizitäten vor, wobei die Beimischung der jeweils „anderen“ Helizität von der Größenordnung m/E ist. Bei einer Neutrinomasse im Bereich einiger eV und Neutrinoquellen im Bereich einiger 100 keV und mehr ist dies praktisch vernachlässigbar, so dass diese Beimischungen nicht als experimentelle Signale für eine nicht-verschwindende Neutrinomasse benutzt werden können.

Eine interessante Möglichkeit im Falle von nicht-verschwindenden Neutrinomassen sind sogenannte Neutrino-Oszillationen. Dabei wandeln sich Neutrinos verschiedener Sorten ineinander um. Wiederum resultiert dies aus einer Unterscheidung zwischen physikalischen Neutrino-Eigenzuständen und den Flavor-Eigenzuständen. Es existiert dann ein der CKM-Matrix analoger Mechanismus, der Neutrinos aus verschiedenen Generationen mischt.

Der Mechanismus kann im Wesentlichen durch einen Ansatz mittels ebener Wellen veranschaulicht werden. Nehmen wir an, wir hätten zwei verschiedene Flavor-Eigenzustände |ν1) und |ν2) mit unterschiedlichen Massen m1 und m2. Nehmen wir weiter an, ein physikalischbeobachtbarer Zustand wäre gegeben durch eine Mischung

|ν) = a¹ |ν¹) + a²|ν²)

Betrachten wir nun die Zeitentwicklung dieser Zustände; sie lautet für ebene Wellen

|ν(t)) = a¹ exp(-i(E¹t-p¹x)) |ν¹) + a² exp(-i(E²t-p²x)) |ν²)

Dabei ist

E² = p² + m²

D.h. in die Frequenz der ebenen Welle (in E und p) geht die Ruhemasse m der beiden Neutrinosorten ein. Die Überlagerung ergibt für den Zustand |ν(t)) eine Schwebung, aus der man die Wahrscheinlichkeit einer Oszillation ablesen kann:

W(1 -› 2) = sin²2θ sin²η

Dabei ist θ ein Winkel, der die Mischung der beiden Neutrinozustände beschreibt, und η ein Winkel, der die räumliche Form der Schwebung beschreibt. Man erhält

η = Δm² L/E

mit

Δm² = (m¹)² - )m²)²

gleich der Differenz der Massenquadrate, L gleich der zurückgelegten Strecke und E der Energie des Mischungszustandes. Man sieht, dass die Differenz zweier ohnehin kleiner Massen quadratisch eingeht. Man beachte außerdem, dass Neutrinooszillationen bereits möglich sind, wenn nur eine Sorte eine von Null verschiedene Masse aufweist. (die Formeln werden wesentlich komplizierter, sobald man die Mischung von drei Neutrinosorten zu betrachten hat)

Die experimentellen Werte deuten auf Massendifferenzen hin, die allenfalls im Bereich von Bruchteilen eines eV liegen!

Der Ursprung der Neutrinomassen ist ebenfalls nicht ganz einfach zu erklären. Zunächst geht man im Standardmodell von masselosen Neutrinos aus. Das bedeutet, dass Neutrinos nicht an das Higgs koppeln (das allen Fermionen seine Masse verleiht). Eine Kopplung an das Higgs würde symmetrisch sowohl für rechts- als auch für linkshändige Neutrinos zu einer Masse führen; wir haben aber oben diskutiert, dass nur eine Sorte tatsächlich beobachtet wird. D.h. eine derartige Kopplung würde einem Teilchen eine Masse verleihen, das so gar nicht existiert.

Einen Ausweg bildet der sogenannte See-Saw Mechanismus. Dieser setzt jedoch voraus, dass Neutrinos sogenannte Majorana-Teilchen sind, d.h. ihre eigenen Antiteilchen. Man kennt dies von Photonen, dem Z°, den Gluonen, aber eben nicht von Fermionen. Fermionen sind Dirac-Teilchen mit Spin ½ und verhalten sich diesbezüglich deutlich anders.

Wie funktioniert der See-Saw Mechanismus? Man führt dazu ein Neutrino-Dublett aus links- und rechtshändigen Neutrinos ein. Nun bekommt das (nicht beobachtete !) rechtshändige Neutrino eine sehr große Masse, so dass es unbeobachtbar, da mit normalen Energien nicht erzeugbar, wird. Dies induziert für das linkshändige Neutrino eine extrem kleine Masse, die im Wesentlichen umgekehrt proportional zu der des rechtshändigen Neutrinos ist. Je schwerer das eine, desto leichter das andere; daher auch der Name See-Saw.

Das ganze folgt aus ein bisschen Akrobatik bei der Diagonalisierung von 2*2 Matrizen, wobei man für diese eine spezielle Form wählen, so dass für ihre Eigenwerte m und M gilt:

m*M = -C²

Diese 2*2 Matrix wird einigermaßen erklärbar im Rahmen vereinheitlichter Theorien, die das Standardmodell enthalten.

[anker]15-5[/anker]15.5 Fermion-Generationen und Anomalienfreiheit

Anomalien möchte ich eigentlich in einem späteren Abschnitt ausführlich behandeln; hier ist allerdings ein kurzer Ausblick notwendig, um eine Aspekt der drei Generationen zu diskutieren. Während die el.-schw. WW die Gesamtzahl der Generationen (drei) nicht erklären kann, fordert sie doch, dass jede Generation bzgl. der Fermionen vollständig sein muss. D.h. die o.g. Dubletts und Singuletts müssen exakt so aussehen: es gibt immer ein Elektron-artiges, ein Neutrino-artiges und zwei Quark-artige Fermion; die schwache Ladung (sichtbar in der Dublettstruktur) sowie die elektrische Ladung ist festgelegt (besser: gewisse Summen und Differenzen der Ladungen sind festgelegt).

Warum?

Dazu muss man kurz die Symmetrien der QED betrachten: neben der lokalen U(1) Eichsymmetrie gibt es (unter der Voraussetzung masseloser Elektronen) noch eine weiter globale U(1) Symmetrie,die sogenannte axiale oder chirale Symmetrie. Bei letzterer handelt es sich nicht um eine Eichsymmetrie, entsprechend gibt es dazu auch kein Eichboson. Die beiden U(1) Symmetrien gemeinsam bedeuten, dass man rechts- und linkshändige Elektronen unabhängig voneinander transformieren darf; dies wiederum bedeutet, dass die elektrische Ladung der rechts- und linkshändigen Quarks separat erhalten sind.

Führt man nun jedoch die Quantisierung der QED durch, so stellt man fest, dass die quantenfeldtheoretischen Gleichungen bzw. die Feynmandiagramme, die diese Ladungserhaltung beschreiben, Divergenzen entwickeln und regularisiert werden müssen. Ohne diese Regularisierung sind die beiden Ladungen nicht definiert. Dabei stellt sich nun heraus, dass man eine Wahlfreiheit bei der Durchführung der Regularisierung hat, so dass entweder die Summe oder die Differenz der rechts- und linkshändigen Ladungen erhalten ist.

Da die U(1) Eichsymmetrie zwingend für die mathematische Konsistenz der QED ist, wählt man die Regularisierung so, dass die gewöhnliche elektrische Gesamtladung erhalten bleibt (alles andere wäre eine Katastrophe und würde das Scheitern der Theorie bedeuten), dass jedoch die Differenz aus rechts- und linkshändigen Ladung (die sogenannte axiale Ladung) keine Erhaltungsgröße mehr ist. Dies bedeutet, dass sich in physikalischen Prozessen rechts- in linkshändige Teilchen umwandeln können u.u.

Exkurs
Zusammengefasst gilt, dass die sogenannten Ward-Identitäten (dabei handelt es sich um quantenmechanische Gleichungen, die in der quantisierten Theorien an die Stelle der Kontinuitätsgleichung = dem Erhaltungssatz für eine Ladung treten) nicht mehr gültig sind.

Eine alternative Herleitung der axialen Anomalie nach Fujikawa zeigt eine enge Verbindung mit dem Atiyah-Singer Index Theorem, das die Struktur des fermionischen Diracoperators mit gewissen topologischen Eigenschaften des vierdimensionalen Raumes in Verbindung setzt.

Technisch erhält man dabei die Anomalie aus der Tatsache, dass zwar die Wirkung, nicht jedoch das Maß des Pfadintegrals invariant unter der globalen U(1) Symmetrie ist.

Anstelle der klassisch gültigen Gleichung

djª = 0

für die Erhaltung des axialen Stromes jª

tritt die Gleichung

djª = c F *F

wobei F und *F der el.-mag. Feldstärkentensor bzw. dessen dualer Tensor (in dem el. und mag. Feld vertauscht wurden) sind.

Der Term F *F ist dabei proportional zu einem topologischen Strom K gemäß

F *F = dK
K = CS[A]

Wobei CS für die sogenannte Chern-Simons-Dichte steht.

In der QED ist diese globale axiale (oder auch chirale) Anomalie (oder nach ihren Entdecker Adler-Bell-Jackiw-Anomalie) für den (chiralitätsverletzenden) Zerfall des neutralen Pions in zwei Photonen verantwortlich:

π° -› 2γ

In der schwachen WW ist eine derartige Anomalie katastrophal, da die zugehörige Symmetrie eine lokale und damit eine Eichsymmetrie ist. Ursache dafür ist die oben diskutierte chirale Struktur, d.h. die Tatsache, dass bestimmte Fermionen nur in einer Händigkeit vorkommen. Wir erinnern uns: die normale bzw. die axiale Ladung war die Summe bzw. die Differenz aus links- und rechtshändiger Ladung. Wenn nun aber eine der beiden Händigkeiten wegfällt, entfällt auch die zugehörige Ladung; d.h. dass normale Ladung und axiale Ladung (für bestimmte Fermionen) identifiziert werden müssen. Es handelt sich dabei übrigens nicht um die gewöhnliche elektrische Ladung sondern um die sogenannte schwache Ladung, aber das ist für die Argumentation irrelevant.

Mit einer derartigen Eichanomalie wird die Theorie mathematisch inkonsistent.

Womit wir wieder beim eigentlichen Thema wären: Wie vermeidet die el.-schw. WW denn nun diese zweifellos vorhandene Anomalie der schwachen Ladung? Zunächst einmal gar nicht! Jede Fermion-Sorte trägt zu der Anomalie bei. Allerdings sind die schwachen Ladungen der Fermionen je Generation gerade so angelegt, dass die Summe der Terme für alle Fermionen einer Generation exakt Null ergeben!

D.h. dass aus der Forderung nach Renormierbarkeit und Anomalienfreiheit der el.-schw. WW folgt, dass jede Fermion-Generation vollständig sein muss. Dies erklärt auch die Suche nach dem top-Quark, das als letztes Quark aus der dritten Generation in den 90igern gefunden wurde (gefunden werden musste!)

[anker]15-6[/anker]15.6 Jenseits des Standardmodells

Insgs. dürfte klar geworden sein, dass im Neutrino-Sektor des Standardmodells am ehesten Überraschungen zu erwarten sind, die evtl. auf Physik jenseits des Standardmodells hinweisen könnten. Dies betrifft insbs, die Frage der Neutrinomasse, ihres möglichen Ursprungs sowie der daraus folgenden Konsequenzen. Von Null verschiedene Neutrinomassen würden bereits eine Modifizierung des Standardmodells erfordern.

Für den Fall dass Neutrinos tatsächlich ihre eigenen Antiteilchen (sogenannte Majorana-Teilchen) wären, würde man den sogenannten Neutrino-losen doppelten β-Zerfall erwarten. Beides ist im Standardmodell verboten.

Ein weiterer neuer Effekt wären die (oben erwähnten und ausgeschlossenen) flavor-changing neutral currents. Diese treten im Standardmodell nicht (bzw. nur unterdrückt in zweiter Ordnung Störungstheorie) auf. In bestimmten Erweiterungen des Standardmodells würden sie durch neue Kopplungen von neutralen Z°-Bosonen oder vergleichbaren Teilchen induziert.

Auf einige rätselhafte Punkte im el.-schw. Sektor (neben dem Higgs-Teilchen und seinen Kopplungen) sei hier explizit hingewiesen:
Die sogenannte Vereinheitlichung der elektromagnetischen und der schwachen WW ist eigentlich keine echte Vereinigung. Es handelt sich um das Zusammenstückeln und Verdrehen zweier Symmetrien, der U(1) und der SU(2), ohne dass deren gemeinsamer Ursprung geklärt würde.
Die schwache WW beschäftigt sich explizit mit der WW der Fermionen aus verschiedenen Generationen, ohne jedoch überhaupt ansatzweise erklären zu können, woher diese drei Generationen stammen, warum es gerade drei sind, und wie die über die CKM-Matrix induzierten Mischungen zu begründen wären.

Zuletzt sei noch darauf hingewiesen, dass sowohl die Existenz als auch die eventuelle Nichtexistenz des Higgs-Bosons gewisse Fragen aufwirft. Ggw. Experimente schränken den erlaubten Massenbereich des Higgs-Bosons auf 115 bis 180 GeV ein. Das Higgs trägt in virtuellen Zwischenzuständen zu physikalischen Prozessen bei, so dass daraus indirekt dieser Massenbereich abgeleitet werden kann. Kleinere Higgs-Massen sind experimentell ausgeschlossen, größere Massen sind verboten, da sie zu Inkonsistenzen bei der Renormierung der Theorie führen würden. D.h. dass nicht nur die Nichtexistenz des Higgs sondern auch ein zu schweres Higgs auf neue Physik hindeuten würde.

Es wurde tatsächlich bereits über Theorien nachgedacht, die ohne ein Higgsteilchen auskomemn und trotzdem die spontane Symmetriebrechung der el.-schw. Theorie erklären können. Die natürlichste Idee scheint das sogenannte top-Quark Kondensat zu sein. Dabei geht man davon aus, dass sich durch eine starke WW zwischen top und anti-top ein sogenanntes Kondensat ausbildet, d.h. eine nichtverschwindende top - anti-top Paardichte im Vakuum. An dieses Kondenstat würden alle anderen Teilchen koppeln und so ihre Masse erhalten. Die Idee ist bestechend, da sie sehr stark bestimmten Effekten in Festkörpern ähnelt (so kann z.B. die Supraleitung auf ein Kondensat von Elektron-Paaren zurückgeführt werden). Auch in diesem Fall spricht man von einer spontanen Symmetriebrechung; der Ordnungsparameter, der den Übergang zwischen der Phase mit Symmetrie bzw. mit gebrochener Symmetrie beschreibt, ist genau das Kondensat (im Standardmodell wäre dies der Vakuumerwartungswert des Higgsfeldes). In der Festkörperphysik lassen sich viele Quasiteilchen-Effekte auf die Bindung bzw. Kondensation fundamentaler Teilchen zurückführen. Insofern ist es naheliegend, auch das Higgsfeld als effektives oder Quasiteilchen-Feld aufzufassen und es auf elementare Bestandteile, eben die top- und anti-top-Quarks zurückzuführen.
Gruß
Tom

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Re: 15. Elektro-schwache WW II

Beitrag von Hawkwind » 11. Mai 2012, 11:46

Hallo zusammen,
tomS hat geschrieben: Außerdem gibt es in diesen Singuletts keinen Platz für die rechtshändigen Neutrinos, ... .
... was dann allerdings seit Entdeckung der Neutrinooszillationen in einer gewissen Diskrepanz zu den Beobachtungen steht, oder nicht?

Nach meinem Verständnis erfordert die Entdeckung der Massivität der Neutrinos unmittelbar eine simple Erweiterung des Standardmodells, nämlich seine Ergänzung um rechtshändige Neutrinos. Neutrinos wären dann völlig analog zu den anderen Fermionen im SM "implementiert". Diese würden dann aber laut SM gar nicht wechselwirken (also nur gravitativ)?
Andererseits haben massive Neutrinos (vom Dirac-Typ) aber im SM durchaus ein magnetisches Moment, siehe z.B.
http://prl.aps.org/abstract/PRL/v45/i12/p963_1

das wohl in höheren Ordnungen Störungstheorie begründet ist. Durch Wechselwirkung desselben mit elm. Feldern könnte der Spin eines Neutrino flippen und aus einem schwach wechselwirkenden linkshändigen ein exotisches, praktisch gar nicht mehr wechselwirkendes, rechtshändiges werden. Ist das korrekt.

Sie werden immer verwirrender, diese Neutrinos; aber zumindest sind sie anscheinend doch nicht überlichtschnell. :)

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PS. vielen Dank auch für die tolle Zusammenfassung!

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Re: 15. Elektro-schwache WW II

Beitrag von gravi » 11. Mai 2012, 18:48

Hallo Hawkwind,

ich sage einfach mal willkommen hier im Forum!

Die Antwort auf Dein posting übernimmt aber sicherlich Tom, schließlich ist er selbst schuld, solche Artikel zu schreiben, weshalb er auch dafür gerade stehen muss :wink:

Netten Gruß
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Re: 15. Elektro-schwache WW II

Beitrag von Hawkwind » 12. Mai 2012, 15:18

Hi gravi,

danke für die freundliche Begrüßung.

Ich finde, die Neutrinophysik ist eines der faszinierendsten und verwirrendsten Themen. :)

Selbst die wissenschaftliche Literatur ist nicht immer ganz "sauber", z.B.
http://wwwa1.kph.uni-mainz.de/Vorlesung ... nar/N1.pdf
Seite 2. Dort wird getan, als können man per Messung den einzelnen Neutrino-Flavors (e, myon, tauon) eine Masse zuordnen bzw. diese eingrenzen.
Tatsächlich bedeutet Neutrinomischung aber, dass das Elektron-Neutrino gar kein "scharfe" Masse hat; es ist kein Masseneigenzustand sondern eine Superposition von Massen-Eigenzuständen. Ansonsten wäre auch die Frage sehr verwirrend, mit welcher Geschwindigkeit sich ein Neutrino durch den Raum bewegt: wenn sich doch zyklisch als Folge der Oszillation zwischen den Flavors seine Masse dauernd ändert, seine kinetische Energie aber erhalten bleibt, dann müsste es auf Grund der Energieerhaltung ja ständig abbremesen und wieder beschleunigen - je nach aktueller Masse. Ist natürlich nicht so: tatsächlich breiten sich aber die Masseneigenzustände aus und es oszilliert die Flavor, aber nicht die Masse.

Gruß,
Hawkwind

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Re: 15. Elektro-schwache WW II

Beitrag von Timm » 12. Mai 2012, 17:32

Hi Hawkwind,

auch von meiner Seite ein herzliches Willkommen!
Hawkwind hat geschrieben: Tatsächlich bedeutet Neutrinomischung aber, dass das Elektron-Neutrino gar kein "scharfe" Masse hat; es ist kein Masseneigenzustand sondern eine Superposition von Massen-Eigenzuständen.
Bedeutet das, daß man eine etwaige Rechtshändigkeit nicht einem Neutrino selbst, also einem individuellem Teilchen, sondern einer Superposition von Massen-Eigenzuständen zuordnen müßte?
Wenn ich bei Rechtshändigkeit nachlese, steht da in der Regel sinngemäß, Vorraussetzung sei ein massebehaftetes Teilchen.
Bisher hat man trotz intensiver Suche kein rechtshändiges Neutrino dingfest gemacht. Bietet die Theorie ein Schlupfloch für dessen Nicht-Existenz?
Obwohl sich die Massen-Eigenzustände mit v < c ausbreiten und somit "überholbar" sein sollten?

Gruß, Timm

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Re: 15. Elektro-schwache WW II

Beitrag von Hawkwind » 14. Mai 2012, 11:42

Timm hat geschrieben:Hi Hawkwind,

auch von meiner Seite ein herzliches Willkommen!
Hawkwind hat geschrieben: Tatsächlich bedeutet Neutrinomischung aber, dass das Elektron-Neutrino gar kein "scharfe" Masse hat; es ist kein Masseneigenzustand sondern eine Superposition von Massen-Eigenzuständen.
Bedeutet das, daß man eine etwaige Rechtshändigkeit nicht einem Neutrino selbst, also einem individuellem Teilchen, sondern einer Superposition von Massen-Eigenzuständen zuordnen müßte?
Ich denke, es macht keinen Unterschied: ein linkshändiger Flavor-Eigenzustand wird eine Superposition von ausschließlich linkshändigen Masse-Eigenzuständen sein.

Timm hat geschrieben: Wenn ich bei Rechtshändigkeit nachlese, steht da in der Regel sinngemäß, Vorraussetzung sei ein massebehaftetes Teilchen.
Hier muss man besonders genau formulieren. Es gibt da 2 sehr ähnliche Begriffe, die in der Literatur verwendet werden: Helizität ("helicity" auch "Händigkeit" genannt) und Spiralität ("chirality"). Für masselose Dirac-Fermionen macht beides keinen Unterschied, bei massiven aber schon.
Helizität ist die Projektion des Spins auf die Bewegungsrichtung, der "Schraubensinn" des Teilchens. Die Bewegungsrichtung eines massiven Teilchens kann sich um 180 Grad drehen, wenn der Beobachter in ein Bezugssystem wechselt, das "schneller ist" als das Teilchen. Die "Händigkeit" eines massiven Neutrinos bezieht sich auf dessen Helizität, ist also nicht in allen Bezugssystemen gleich. Von daher lässt sich jedes linkshändige massive Neutrino in ein rechtshändiges verwandeln, einfach indem ich mein Bezugssystem wechsel. Es lohnt nicht, danach zu suchen; es ist evident, dass es diese gibt.

Die Spiralität dagegen ist weniger anschaulich und zeichnet sich durch Transformation unter der Paritäts-Operation aus.
Timm hat geschrieben: Bisher hat man trotz intensiver Suche kein rechtshändiges Neutrino dingfest gemacht. Bietet die Theorie ein Schlupfloch für dessen Nicht-Existenz?
Du scheinst hier "rechtshändig" auf die Spiralität anstatt auf die Helizität zu beziehen. So wie ich es in Erinnerung habe, bezieht sich die Händigkeit ("Schraubensinn" kommt ja von Drehung/Spin) aber immer auf die Helizität. Wie gesagt, es ist evident, dass es rechtshändige Neutrinos gibt, wenn sie massiv sind.

Die schwache Wechselwirkung koppelt an den Zustand mit wohldefinierter Spiralität ("V-A"); massive Neutrinos mit entsprechend "falscher Spiralität" wechselwirken im Standardmodell gar nicht, sondern ausschließlich gravitativ (falls sie überhaupt existieren). Sie dürften sowieso kaum nachweisbar sein, sind ja noch geisterhafter als ihre Partner mit korrekter "Spiralität".

Gruß,
Hawkwind

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Re: 15. Elektro-schwache WW II

Beitrag von Timm » 14. Mai 2012, 18:48

Hawkwind hat geschrieben: Ich denke, es macht keinen Unterschied: ein linkshändiger Flavor-Eigenzustand wird eine Superposition von ausschließlich linkshändigen Masse-Eigenzuständen sein.
Ok, danke.
Hawkwind hat geschrieben:
Timm hat geschrieben: Bisher hat man trotz intensiver Suche kein rechtshändiges Neutrino dingfest gemacht. Bietet die Theorie ein Schlupfloch für dessen Nicht-Existenz?
Du scheinst hier "rechtshändig" auf die Spiralität anstatt auf die Helizität zu beziehen. So wie ich es in Erinnerung habe, bezieht sich die Händigkeit ("Schraubensinn" kommt ja von Drehung/Spin) aber immer auf die Helizität. Wie gesagt, es ist evident, dass es rechtshändige Neutrinos gibt, wenn sie massiv sind.
Ich hatte schon die Helizität im Sinn aber die Sache mit dem "Schlupfloch" falsch im Gedächtnis und deshalb nochmal hier, S.3 nachgelesen. Offenbar entzieht sich im Majorana-Modell das rechtshändige Neutrino dem experimentellen Nachweis, vermutlich weil es - seine Existenz vorausgesetzt - zu schwer ist.
Im Gegensatz zur von der Massivität abgeleiteten Rechtshändigkeit ist die Frage nach dem Majorana-Neurino von der Theorie her aber offen, ist das so richtig?
Hawkwind hat geschrieben:Die schwache Wechselwirkung koppelt an den Zustand mit wohldefinierter Spiralität ("V-A"); massive Neutrinos mit entsprechend "falscher Spiralität" wechselwirken im Standardmodell gar nicht, sondern ausschließlich gravitativ (falls sie überhaupt existieren). Sie dürften sowieso kaum nachweisbar sein, sind ja noch geisterhafter als ihre Partner mit korrekter "Spiralität".
Das klingt so, als könnten sie Kandidaten für die Dunkle Materie sein, sofern ihre Masse groß genug ist.

Gruß, Timm

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Re: 15. Elektro-schwache WW II

Beitrag von Timm » 14. Mai 2012, 18:59

gravi hat geschrieben:Die Antwort auf Dein posting übernimmt aber sicherlich Tom, schließlich ist er selbst schuld, solche Artikel zu schreiben, weshalb er auch dafür gerade stehen muss :wink:
Die Schuldfrage sehe ich auch so, gravi. Zumal es ja sein Thread und er der Fachmann ist. Ich finde Hawkwinds Fragestellungen interessant und schon deshalb der Beachtung wert, nicht nur weil er hier ein Neuankömmling ist.

Gruß, Timm

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Re: 15. Elektro-schwache WW II

Beitrag von tomS » 14. Mai 2012, 19:28

puh, Leute, z.Zt. ist echt Stress; in dem QM-Thread bin ich auch hintendran; lasst mir ein bisschen Zeit
Gruß
Tom

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Re: 15. Elektro-schwache WW II

Beitrag von Hawkwind » 14. Mai 2012, 19:36

Timm hat geschrieben: Ich hatte schon die Helizität im Sinn aber die Sache mit dem "Schlupfloch" falsch im Gedächtnis und deshalb nochmal hier, S.3 nachgelesen. Offenbar entzieht sich im Majorana-Modell das rechtshändige Neutrino dem experimentellen Nachweis, vermutlich weil es - seine Existenz vorausgesetzt - zu schwer ist.
Ich glaube nicht, dass so etwas automatisch bereits aus der Majorana-Natur folgt. Schätze, das ist eher ein Feature des Seesaw-Modells (in dem von dir verlinkten Papier); diese Idee kommt meines Wissens aus der Grand Unification.
Timm hat geschrieben: Im Gegensatz zur von der Massivität abgeleiteten Rechtshändigkeit ist die Frage nach dem Majorana-Neurino von der Theorie her aber offen, ist das so richtig?
Das SM nimmt sie zwar als Dirac-Fermionen an; die Möglichkeit von Majorana-Neutrinos ist aber meines Wissens keineswegs ausgeschlossen. Der neutrinolose Doppelbetazerfall wäre ein starker Hinweis auf Majorananatur.
Timm hat geschrieben: Das klingt so, als könnten sie Kandidaten für die Dunkle Materie sein, sofern ihre Masse groß genug ist.
Im Prinzip ja.

Gruß,
Hawkwind

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