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Zurück zum Urknall: Ursprung von Zeit und Raum

Verfasst: 17. Jul 2015, 13:21
von seeker
Ich bin über diesen schönen Text hier gestolpert, der m. E. einige interessante Dinge nochmals auf den Punkt bringt.
Wollte ich mit euch teilen:

Zurück zum Urknall
Auf der Suche nach dem Ursprung von Zeit und Raum

http://www.scinexx.de/dossier-636-1.html

(7 Seiten, die Links dazu sind unten auf der Startseite angegeben)

Ich zitiere einige interessante Stellen:
Die moderne Physik hat eine diametral entgegengesetzte Vorstellung vom Vakuum. Heute gehen die Physiker davon aus, dass das Vakuum komplex und ebenso materiell ist wie die Körper, die sich in ihm bewegen
http://www.scinexx.de/dossier-detail-636-4.html
...
Die heutige Sicht lässt sich so zusammenfassen: Zwischen Vakuum und Materie besteht kein grundlegender Unterschied. Es lässt sich daher ein verallgemeinerter Materiebegriff verwenden, der das Vakuum mit einschließt.
http://www.scinexx.de/dossier-detail-636-5.html

Ein starker Satz!
Raum und Zeit beschreiben Beziehungen zwischen verschiedenen Teilen der Materie. Sie sind keine vorgegebenen Strukturen, in die Materie „hineingesetzt“ wird. Weder Raum noch Zeit existieren unabhängig von Materie. In einem gewissen Sinn sind Raum und Zeit Eigenschaften des Vakuums – und diese Eigenschaften können durch die Anwesenheit von Atomen, Planeten oder Sternen beeinflusst werden.
http://www.scinexx.de/dossier-detail-636-6.html
Für Raum und Zeit spielt die Metrik eine besondere Rolle. Räumliche Abstände zwischen zwei Körpern oder zeitliche Abstände zwischen zwei Ereignissen sind durch Werte des metrischen Felds bestimmt. Ohne Metrik gibt es daher weder Raum noch Zeit. Man könnte zwei Körpern zwar noch willkürliche Koordinaten zuteilen; sie hätten aber keine physikalische Bedeutung mehr.

Erst durch die prinzipielle Messbarkeit von räumlichen und zeitlichen Abständen werden Konzepte wie Raum und Zeit, die Bahnen von Planeten oder die Frequenzen von Atomschwingungen zu einer wirkungsvollen Beschreibung der Realität. Erst dadurch wird es möglich, dass sich verschiedene Beobachter auf die gleiche Geometrie für die Raum-Zeit einigen können.
http://www.scinexx.de/dossier-detail-636-7.html
Zurück in die Nähe des Urknalls. Wenn man in die Nähe der fundamentalen Zeit- und Längen-Skala kommt, gilt die Proportionalität der Abstände nicht mehr. Nun unterscheiden sich die Geometrien verschiedener möglicher Metriken stark voneinander. Es gibt kein universelles Maß für Abstände mehr. Zwar könnte jeder Beobachter Zeit und Raum noch nach seinem Belieben definieren; deren Bedeutung aber versinkt im Unbestimmten.

Was also war vor dem Urknall? Meine Antwort auf diese Frage ist: Es gibt kein „davor“, weil es keine Zeit gibt. Genauer gesagt: Es gibt kein universelles Konzept von Zeit, das in der unmittelbaren Nähe des Urknalls gültig bleibt.
Sehr stark!
Es ist also nicht nur so, dass die Konzepte "Raum" und "Zeit" im Urknall selbst ihre Bedeutung verlieren, sondern auch danach noch für eine gewisse Ära, nach der Singularität, wo unsere Gleichungen ja noch funktionieren(!!), weil auch dort schon keine eindeutige, physikalisch sinnvoll-bevorzugte Metrik festgelegt ist!


Beste Grüße
seeker

Re: Zurück zum Urknall: Ursprung von Zeit und Raum

Verfasst: 17. Jul 2015, 16:58
von Siggi
Text von mir geändert, komplett löschen geht leider nicht mehr.

lg

Siggi

Verfasst: 17. Jul 2015, 17:36
von Siggi
text von mir geändert,

lg

Siggi

Re: Zurück zum Urknall: Ursprung von Zeit und Raum

Verfasst: 17. Jul 2015, 19:38
von gravi
seeker hat geschrieben:
Die heutige Sicht lässt sich so zusammenfassen: Zwischen Vakuum und Materie besteht kein grundlegender Unterschied. Es lässt sich daher ein verallgemeinerter Materiebegriff verwenden, der das Vakuum mit einschließt.
Toller Beitrag, hab nur gerade nicht genügend Zeit, alles zu lesen...

Aber (siehe Zitat): Wen wundert diese Aussage? Sieh dir doch mal den Aufbau eines Atons an. In der Hauptsache Vakuum, mit ein paar wellenartigen Wahrscheinlichkeiten, die manchmal auch als Korpuskel auftreten.

Gruß
gravi

Re: Zurück zum Urknall: Ursprung von Zeit und Raum

Verfasst: 25. Jul 2015, 11:32
von Siggi
@Seeker,
ich habe meine vorangegangenen Beiträge mal selber deletet, weil es dann doch am Thema und der Selbsterkenntnis etwas vorbei geht. Wobei ich den Eingangsbeitrag von Dir nicht infrage stellen möchte. Ich habe auch nicht alles gelesen, ist auch sehr sehr umfangreich und du weisst sicher selber ja auch, dass alles sehr schnell-lebig ist.(3x l( meinte damit schnelllebig :lol: )).
Wir geraten dabei sehr schnell in den Bereich der Metaphysik wie auch schon anfangs in Deinen Links gesagt. Ist vlt. auch ein wenig "Wasser auf meine Mühlen" und es wird schwierig und kompliziert um nicht von einem Aspekt auf den nächsten zu geraten. Vlt. geht es hierbei auch um Glauben um eine neue Theorie vorzustellen oder um Philosophie. Das scheitert leider auch an den Pragmatikern.
Ich habe mal einen interessanten Beitrag von Lesch auf YT ausgegraben, er geht gute 20 Minuten lang, wobei zum Thema nur die ersten 10 Minuten relevant sein dürften. Wer mag sollte es mal anschauen.
Hier der Link: https://www.youtube.com/watch?v=9CsUEfYFVI8

lg

Siggi

Re: Zurück zum Urknall: Ursprung von Zeit und Raum

Verfasst: 25. Jul 2015, 17:34
von breaker
seeker hat geschrieben: Es ist also nicht nur so, dass die Konzepte "Raum" und "Zeit" im Urknall selbst ihre Bedeutung verlieren, sondern auch danach noch für eine gewisse Ära, nach der Singularität, wo unsere Gleichungen ja noch funktionieren(!!), weil auch dort schon keine eindeutige, physikalisch sinnvoll-bevorzugte Metrik festgelegt ist!
Ich bestreite aufs Schärfste, dass diese Ansicht Konsens unter Physikern ist.
Man vermutet zwar, dass die ART in einer Umgebung des Urknalls nicht mehr gilt, aber meines Wissens gibt es keine anerkannte Theorie, die besagt, dass es in einer Umgebung des Urknalls keine sinnvolle Metrik mehr gibt.

Re: Zurück zum Urknall: Ursprung von Zeit und Raum

Verfasst: 26. Jul 2015, 07:22
von tomS
Wenn man sich Ansätze zur QG ansieht, dann dürfte daraus folgen, dass der Begriff "Metrik" bzw. allgemein "4-dim. glatte Mannigfaltigkeit" als semi-klassischer Grenzfall in den Bereich nicht mehr anwendbar ist.

Re: Zurück zum Urknall: Ursprung von Zeit und Raum

Verfasst: 26. Jul 2015, 12:36
von seeker
breaker hat geschrieben:Ich bestreite aufs Schärfste, dass diese Ansicht Konsens unter Physikern ist.
Man vermutet zwar, dass die ART in einer Umgebung des Urknalls nicht mehr gilt, aber meines Wissens gibt es keine anerkannte Theorie, die besagt, dass es in einer Umgebung des Urknalls keine sinnvolle Metrik mehr gibt.
Die Argumentation ist ja folgende:
Pfannkuchen statt Kugel
Mit diesen Modellen der Quantengravitation lässt sich gut veranschaulichen, dass Zeit, Raum und Geometrie Eigenschaften der Materie sind. Sie ermöglichen es uns, Fragen nach der Bedeutung von Zeit und Raum bei extrem kleinen Abständen mathematisch konsistent zu behandeln.

Das vielleicht wichtigste Resultat dieser Untersuchungen ist: Es gibt nicht nur eine mögliche Metrik, sondern beliebig viele. Verschiedenen Beobachtern steht es prinzipiell frei, eine jeweils eigene Metrik zu wählen, um Abstände zu messen. Mit anderen Worten: Jeder kann seine eigene Geometrie zur Beschreibung des Universums wählen – was für den einen eine Kugel ist, ist für den anderen ein Pfannkuchen.

Ganz so extrem ist es dann doch nicht: Bei Abständen, die verglichen mit einer winzigen fundamentalen Längenskala wie der Planck-Länge groß sind, stellt sich Folgendes heraus: Abstände, die mit verschiedenen möglichen Metriken gemessen werden, sind proportional zueinander, zumindest bis auf winzige Korrekturen. Damit unterscheiden sich nur die Einheiten, in denen Abstände ausgedrückt werden. Es ist zwar nicht immer praktisch, wenn der eine Wissenschaftler Längen in Zentimetern misst, der zweite in Inches und der Dritte in Ellen. Aber man kann sich auf eine Umrechnung einigen – und jeder Beobachter erhält die gleiche Geometrie. Intelligente Wesen auf einem fernen Planeten finden daher dieselbe Geometrie des Universums heraus wie wir.
http://www.scinexx.de/dossier-detail-636-8.html (mit farblichen Hervorhebungen)

Das ist die Situation weit weg vom Urknall...
Nahe beim Urknall ist es laut Text dann so:
Wenn man in die Nähe der fundamentalen Zeit- und Längen-Skala kommt, gilt die Proportionalität der Abstände nicht mehr. Nun unterscheiden sich die Geometrien verschiedener möglicher Metriken stark voneinander. Es gibt kein universelles Maß für Abstände mehr. Zwar könnte jeder Beobachter Zeit und Raum noch nach seinem Belieben definieren; deren Bedeutung aber versinkt im Unbestimmten.
http://www.scinexx.de/dossier-detail-636-9.html (mit farblichen Hervorhebungen)
Christoph Wetterich, Institut für Theoretische Physik der Universität Heidelberg / Ruperto Carola
Stand 07.06.2013

...und zwar schon in der Nähe zum Urknall, nicht erst in der Singularität (oder was auch immer) selbst.

Einwände dagegen?

Grüße
seeker

Re: Zurück zum Urknall: Ursprung von Zeit und Raum

Verfasst: 26. Jul 2015, 14:31
von tomS
Keine grundsätzlichen, nur dass Wetterichs Ansatz jetzt nicht gerade der am weitesten verbreitete ist ...

Re: Zurück zum Urknall: Ursprung von Zeit und Raum

Verfasst: 26. Jul 2015, 19:21
von seeker
Du meinst diese Quintessenz-Geschichte?
Sicher. Nur, das hat doch mit den hier genannten Aussagen nix zu tun - oder?

Grüße
seeker

Re: Zurück zum Urknall: Ursprung von Zeit und Raum

Verfasst: 27. Jul 2015, 00:57
von breaker
Oh, ich wusste gar nicht, dass der Text von Wetterich ist.
Dann dazu erstmal folgendes: Wetterich ist mehr oder weniger der Vater der ganzen Renormierungsgruppen-Geschichten und Asymptotic Safety. Das macht ihn so ein bisschen zu einem Superstar. Ich denke auch, dass er ein sehr guter Physiker ist (wenn auch kein begnadeter Dozent...) und dass das, was er behauptet Hand und Fuß hat.
Andererseits wird er auch von vielen Seiten heftig kritisiert (z.B. von den Heidelberger String-Theoretikern).
Du meinst diese Quintessenz-Geschichte?
Sicher. Nur, das hat doch mit den hier genannten Aussagen nix zu tun - oder?
Irgendwie hat es schon etwas damit zu tun. Man muss seine Aussagen ja aus irgendeiner Theorie folgern. Wenn man behauptet, dass es kurz nach dem Urknall keine sinnvolle Metrik mehr gibt, dann sollte das die Vorhersage irgendeiner Theorie sein, sonst ist es ja nur eine willkürliche Behauptung.
Ich vermute, dass Wetterich hierfür seine eigene Quantengravitationstheorie zugrunde gelegt hat (und ich traue ihm auch zu, dass er das nicht so klar dazugesagt hat). Wenn er aber seine eigene Theorie zugrunde legt, dann sagt das noch nichts darüber aus, ob andere gängige Theorien das selbe vorhersagen und ob andere Physiker ihm zustimmen würden.
Wenn Tom aber sagt, dass das bei allen Modellen rauskommt, glaube ich das gerne.

Re: Zurück zum Urknall: Ursprung von Zeit und Raum

Verfasst: 27. Jul 2015, 07:39
von tomS
Ich sage nicht, dass das bei allen Modellen rauskommt.

Dass Wetterich im Umfeld der Aymptotic Safety arbeitet, wusste ich nicht. Ich finde auch keine Artikel dazu (arxiv). In diesem Ansatz ist üblicherweise die Metrik der fundamentale Freiheitsgrad. Allerdings treten im Pfadintegral natürlich Superpositionen auf, so dass keine eindeutige Metrik mehr existiert. Im klassischen Regime erwartet man, dass eine eindeutige Metrik existiert und Quantenfluktuationen unterdrückt sind (so wie ein klassisches Teilchen genau einen definierten Ort besitzt, ein quantenmechanischen dagegen nicht).

In der LQG hat man überhaupt keine Metrik als fundamentale Variable, nicht einmal mehr eine Mannigfaltigkeit. Man kann diese jedoch näherungsweise aus den Spin-Netzwerken zurückgewinnen (wobei hier noch nicht alle offenen Punkte geklärt sind). Allerdings sind Quantenzustände wiederum Superpositionen verschiedener Spin-Netzwerke.

In der kausalen dynamischen Triangulation sind die dynamischen Variablen eine Art diskretisiere Metrik. Aus diesen gewinnt man tatsächlich im klassischen Regime eine Metrik zurück, im Planck-Regime findet man u.a. einen Phasenübergang zu einer effektiv zwei-dim. (!) Raumzeit.

In verallgemeinerten Ansätzen vergleichbar zur LQG sind die Spin-Netzwerke nicht mehr zwingend zu einer Triangulation der Mannigfaltigkeit dual. Man kann das leicht wie folgt einsehen: nehmt ein Blatt Papier und bedeckt es mit Dreiecken (Triangulation); nehmt genau einen Punkt aus dem Inneren eines Dreiecks und verbindet alle Punkte (dualer Graph, funktioniert auch in höheren Dimensionen); nun nehmt andererseits einen beliebigen Graph, d.h. lasst auch Überschneidungen der Verbindungen zu: dieser Graph ist nicht mehr dual zu irgendeiner Triangulierung und definiert keine Mannigfaltigkeit. Das letzte Wort über diese Ansätze ist noch nicht gesprochen, da die Quantisierung im Rahmen der LQG an diesen Stellen nicht abschließend verstanden ist.

...

Ich finde, Wetterich müsste klarer formulieren, worauf er hinauswill.

Re: Zurück zum Urknall: Ursprung von Zeit und Raum

Verfasst: 27. Jul 2015, 11:54
von breaker
TomS hat geschrieben:Dass Wetterich im Umfeld der Aymptotic Safety arbeitet, wusste ich nicht. Ich finde auch keine Artikel dazu (arxiv).
Ob er auf dem Gebiet arbeitet, weiß ich nicht, aber er hat mit der Wetterich-Gleichung jedenfalls den Grundstein dafür gelegt (und er ist Teil der Forschungsgruppe "Functional Renormalization in Quantum Field Theory and Statistical Physics" in Heidelberg).
Siehe auch hier:
https://en.wikipedia.org/wiki/Functiona ... tion_group
Wikipedia hat geschrieben: Application of FRG to gravity provided solid arguments in favor of nonperturbative renormalizability of quantum gravity in four spacetime dimensions, known as the asymptotic safety scenario.

Re: Zurück zum Urknall: Ursprung von Zeit und Raum

Verfasst: 27. Jul 2015, 13:58
von tomS
OK, das war schon 1993 - 1996; ich denke, in letzter Zeit hat er da nicht mehr dran gearbeitet, kennt aber wohl die Themen der Kollegen (Reuter?) sehr genau

Re: Zurück zum Urknall: Ursprung von Zeit und Raum

Verfasst: 27. Jul 2015, 13:58
von tomS
anyway - meine o.g. Zusammenfassung sollte einigermaßen klarstellen, um was es gehen könnte

Re: Zurück zum Urknall: Ursprung von Zeit und Raum

Verfasst: 27. Jul 2015, 22:34
von Skeltek