#17 Schleifenquantengravitation für Einsteiger!
Verfasst: 3. Mai 2009, 11:44
Hallo zusammen,
nach längerer Zeit des Stillschweigens wollte ich zu meinem alten Steckenpferd - der Schleifenquantengravitation bzw. englisch Loop Quantum Gravity, kurz LQG - mal wieder eine Übersicht präsentieren und auf neuere Entwicklungen eingehen.
Ich hoffe, dass dieser Text aus 2009 für Einsteiger ohne Vorkenntnisse geeignet ist.
Ich versuche dabei mittels einiger anschaulicher Bilder die wesentlichen Ideen zu vermitteln, ich möchte jedoch auch gleichzeitig warnen, diese Bilder zu wörtlich zu nehmen! Es handelt sich um den Versuch, mathematische Modelle in die Alltagssprache zu übersetzen. Das bedeutet nicht, das die Natur dann so „ist“, wie es diese Bilder suggerieren, sondern lediglich, dass hier eine grobe, oft unvollkommene Analogie existiert (so wie wenn sich Blinde über Farbe unterhalten).
In der LQG ist das Bild einer klassischen Raumzeit zunächst vollständig verschwunden. Es gibt keine glatte Mannigfaltigkeit mehr, auf der sich die physikalischen Prozesse abspielen bzw. die sich im Rahmen dieser Prozesse krümmt und somit die Gravitation vermittelt. Stattdessen gibt es lediglich ein „Spinnetzwerk“, wobei die Spins an den Knoten des Netzes sitzen und die Verbindungslinien des Netzes mit Zahlenwerten versehen sind, die durch eine bestimmte mathematische Struktur definiert sind. Dieses Netz „lebt“ nicht in der Raumzeit, sondern es „ist“ das quantenmechanische Analogon zur Raumzeit.
Man vergleiche das mit dem mikroskopischen Bild einer Wasseroberfläche unter Einbeziehung der Atomphysik. Es gibt dann keine glatte Wasseroberfläche mehr, sondern lediglich wechselwirkende Atome, aus denen erst makroskopisch wieder das Bild einer Wasseroberfläche entsteht. Die Wasseroberfläche (bzw. das gesamte Wasser mit allen seine Eigenschaften wie Oberflächenspannung, Wellen, Dichte usw.) ist ein sekundäres Phänomen, fundamental sind lediglich die Atome. Damit soll nicht die Existenz der Wasseroberfläche wegdiskutiert werden, sondern es soll lediglich argumentiert werden, dass auf einem fundamentaleren Niveau die Natur eben durch Atome beschrieben werden muss.
Ebenso verhält es sich mit der Raumzeit in der LQG. Fundamental sind die Spinnetzwerke, d.h. die Spins an den Knoten, die Verbindungslinien zwischen den Knoten, sowie gewisse mathematische Regeln, die die Dynamik des Spinnetzwerkes beschreiben. Diese Dynamik besteht im Wesentlichen darin, dass innerhalb dieses Netzes neue Knoten entstehen können, die wiederum mit existierenden Knoten durch neue Verbindungslinien verknüpft sind. Das Entstehen dieser Knoten ist durch die mathematische Struktur SU(2) sowie ein Objekt namens Hamiltonoperator bestimmt.
Anmerkung: Ein Spin ist dabei zunächst ein mathematisches Gebilde, das eine bestimmte Art von Eigendrehimpuls beschreibt (bekannt aus der Atomphysik). Dabei treten z.B. nur quantisierte Drehimpulse auf. In unserem Fall handelt es sich nicht um echte Drehimpulse von irgendetwas, lediglich die mathematischen Formeln sind ähnlich zum Formalismus der Drehimpulse. Es gibt da also nichts, was sich irgendwie dreht!
Das Bild der uns bekannten Raumzeit entsteht nun ähnlich wie oben das Bild der Wasseroberfläche bzw. wie bei Schaum. Ein Knoten entspricht einer Zelle des Schaumes, d.h. er repräsentiert ein elementares Volumen. Benachbarte Volumina sind durch Grenzflächen getrennt; diese Grenzflächen werden durch eine Verbindungslinie zwischen den Knoten repräsentiert. Man bezeichnet dieses Bild als dual zu dem Bild des Schaumes. Es ist jedoch tatsächlich allgemeiner als das Bild des Schaumes, da z.B. auch Verbindungslinien zwischen „weit auseinander liegenden“ Knoten erlaubt sind, während im Schaum eben nur Grenzflächen zwischen direkt benachbarten Volumina auftreten.
Wichtig: man darf sich das Spinnetzwerk nicht „im Raum“ vorstellen, sondern es „ist“ der Raum selbst. Eliminiert man alle Spins, d.h. alle Knoten, so bleibt kein leerer Raum mehr übrig, sondern der Raum ist vollständig verschwunden! (zeichnet man ein derartiges Netzwerk auf ein Blatt Papier, so ist das Papier lediglich eine Hilfskonstruktion, keine reale physikalische Entität). Das Vakuum in der LQG ist also nicht „leerer Raum“, sondern tatsächlich „kein Raum“.
Über die Knoten und Verbindungslinien entstehen elementare Quanten des Raumes. Es gibt keine unendlich kleine Fläche bzw. kein unendlich kleines Volumen, sondern ein einzelner Knoten repräsentiert das minimal erlaubte Volumen. Das Volumen ist also diskret (kein Raum = Volumen Null, ein Knoten = minimales Volumenquant). Ähnlich verhält es sich mit Flächen, eine Verbindungslinie repräsentiert ein minimales Flächenquant. Für Längen gilt dies analog, allerdings ist die Beschreibung der Länge in der LQG wesentlich komplizierter.
So wie in der Atomphysik bzw. Quantenmechanik diskrete Energieniveaus auftreten, so treten in der LQG diskrete Volumina und Flächen auf. Diese Diskretheit ist auch der Grund, warum in der LQG Objekte wie schwarze Löcher und der Urknall keine unphysikalischen Singularitäten entwickeln können. Stattdessen entstehen fundamental diskrete Strukturen, die jedoch mathematisch wohldefiniert bleiben. Auch hier hilft wieder ein Vergleich mit der Atomphysik: betrachtet man ein Atom klassisch, so würde man erwarten, dass das Elektron in das „unendlich tiefe Coulomb-Potential“ fallen kann, wobei es unendlich negative Energie annehmen würde. Quanteneffekte sorgen nun dafür, dass es ein niedrigstes Energieniveau gibt, unterhalb dessen ein Elektron im Coulomb-Potential einfach nicht existieren kann. Ähnliche Mechanismen treten auch in der LQG auf.
Wie entsteht nun die makroskopische Raumzeit? Dies ist noch Gegenstand aktueller Forschung, da hier noch nicht alle mathematischen Probleme abschließend gelöst sind. Im Wesentlichen hat man dabei das Bild eines extrem großen Spinnetzwerkes vor Augen, das für größere Entfernungen in das Bild der klassischen Raumzeit übergeht (so wie man makroskopisch auch nur die Wasseroberfläche und nicht die einzelne Atome wahrnimmt). Wichtig ist dabei, dass diese so aus der LQG hervorgehende Raumzeit wieder die uns bekannten Eigenschaften aufweist (ART, Newtonsches Gravitationsgesetz als Näherung, …).
Die Rolle der Zeit in der LQG (bzw. generell in allen Theorien der Gravitation) ist dabei ebenfalls noch Gegenstand der Forschung. Denn im Bild der Spinnetzwerke gibt es keine kontinuierlich verlaufende Zeit. Stattdessen gibt es nur „Ticks“ einer elementaren Uhr, ein Tick entspricht dabei z.B. dem Entstehen eines neuen Knotens im Spinnetzwerk. Ein makroskopischer Begriff von Zeit entsteht ebenfalls erst als abgeleitete Größe.
nach längerer Zeit des Stillschweigens wollte ich zu meinem alten Steckenpferd - der Schleifenquantengravitation bzw. englisch Loop Quantum Gravity, kurz LQG - mal wieder eine Übersicht präsentieren und auf neuere Entwicklungen eingehen.
Ich hoffe, dass dieser Text aus 2009 für Einsteiger ohne Vorkenntnisse geeignet ist.
Ich versuche dabei mittels einiger anschaulicher Bilder die wesentlichen Ideen zu vermitteln, ich möchte jedoch auch gleichzeitig warnen, diese Bilder zu wörtlich zu nehmen! Es handelt sich um den Versuch, mathematische Modelle in die Alltagssprache zu übersetzen. Das bedeutet nicht, das die Natur dann so „ist“, wie es diese Bilder suggerieren, sondern lediglich, dass hier eine grobe, oft unvollkommene Analogie existiert (so wie wenn sich Blinde über Farbe unterhalten).
In der LQG ist das Bild einer klassischen Raumzeit zunächst vollständig verschwunden. Es gibt keine glatte Mannigfaltigkeit mehr, auf der sich die physikalischen Prozesse abspielen bzw. die sich im Rahmen dieser Prozesse krümmt und somit die Gravitation vermittelt. Stattdessen gibt es lediglich ein „Spinnetzwerk“, wobei die Spins an den Knoten des Netzes sitzen und die Verbindungslinien des Netzes mit Zahlenwerten versehen sind, die durch eine bestimmte mathematische Struktur definiert sind. Dieses Netz „lebt“ nicht in der Raumzeit, sondern es „ist“ das quantenmechanische Analogon zur Raumzeit.
Man vergleiche das mit dem mikroskopischen Bild einer Wasseroberfläche unter Einbeziehung der Atomphysik. Es gibt dann keine glatte Wasseroberfläche mehr, sondern lediglich wechselwirkende Atome, aus denen erst makroskopisch wieder das Bild einer Wasseroberfläche entsteht. Die Wasseroberfläche (bzw. das gesamte Wasser mit allen seine Eigenschaften wie Oberflächenspannung, Wellen, Dichte usw.) ist ein sekundäres Phänomen, fundamental sind lediglich die Atome. Damit soll nicht die Existenz der Wasseroberfläche wegdiskutiert werden, sondern es soll lediglich argumentiert werden, dass auf einem fundamentaleren Niveau die Natur eben durch Atome beschrieben werden muss.
Ebenso verhält es sich mit der Raumzeit in der LQG. Fundamental sind die Spinnetzwerke, d.h. die Spins an den Knoten, die Verbindungslinien zwischen den Knoten, sowie gewisse mathematische Regeln, die die Dynamik des Spinnetzwerkes beschreiben. Diese Dynamik besteht im Wesentlichen darin, dass innerhalb dieses Netzes neue Knoten entstehen können, die wiederum mit existierenden Knoten durch neue Verbindungslinien verknüpft sind. Das Entstehen dieser Knoten ist durch die mathematische Struktur SU(2) sowie ein Objekt namens Hamiltonoperator bestimmt.
Anmerkung: Ein Spin ist dabei zunächst ein mathematisches Gebilde, das eine bestimmte Art von Eigendrehimpuls beschreibt (bekannt aus der Atomphysik). Dabei treten z.B. nur quantisierte Drehimpulse auf. In unserem Fall handelt es sich nicht um echte Drehimpulse von irgendetwas, lediglich die mathematischen Formeln sind ähnlich zum Formalismus der Drehimpulse. Es gibt da also nichts, was sich irgendwie dreht!
Das Bild der uns bekannten Raumzeit entsteht nun ähnlich wie oben das Bild der Wasseroberfläche bzw. wie bei Schaum. Ein Knoten entspricht einer Zelle des Schaumes, d.h. er repräsentiert ein elementares Volumen. Benachbarte Volumina sind durch Grenzflächen getrennt; diese Grenzflächen werden durch eine Verbindungslinie zwischen den Knoten repräsentiert. Man bezeichnet dieses Bild als dual zu dem Bild des Schaumes. Es ist jedoch tatsächlich allgemeiner als das Bild des Schaumes, da z.B. auch Verbindungslinien zwischen „weit auseinander liegenden“ Knoten erlaubt sind, während im Schaum eben nur Grenzflächen zwischen direkt benachbarten Volumina auftreten.
Wichtig: man darf sich das Spinnetzwerk nicht „im Raum“ vorstellen, sondern es „ist“ der Raum selbst. Eliminiert man alle Spins, d.h. alle Knoten, so bleibt kein leerer Raum mehr übrig, sondern der Raum ist vollständig verschwunden! (zeichnet man ein derartiges Netzwerk auf ein Blatt Papier, so ist das Papier lediglich eine Hilfskonstruktion, keine reale physikalische Entität). Das Vakuum in der LQG ist also nicht „leerer Raum“, sondern tatsächlich „kein Raum“.
Über die Knoten und Verbindungslinien entstehen elementare Quanten des Raumes. Es gibt keine unendlich kleine Fläche bzw. kein unendlich kleines Volumen, sondern ein einzelner Knoten repräsentiert das minimal erlaubte Volumen. Das Volumen ist also diskret (kein Raum = Volumen Null, ein Knoten = minimales Volumenquant). Ähnlich verhält es sich mit Flächen, eine Verbindungslinie repräsentiert ein minimales Flächenquant. Für Längen gilt dies analog, allerdings ist die Beschreibung der Länge in der LQG wesentlich komplizierter.
So wie in der Atomphysik bzw. Quantenmechanik diskrete Energieniveaus auftreten, so treten in der LQG diskrete Volumina und Flächen auf. Diese Diskretheit ist auch der Grund, warum in der LQG Objekte wie schwarze Löcher und der Urknall keine unphysikalischen Singularitäten entwickeln können. Stattdessen entstehen fundamental diskrete Strukturen, die jedoch mathematisch wohldefiniert bleiben. Auch hier hilft wieder ein Vergleich mit der Atomphysik: betrachtet man ein Atom klassisch, so würde man erwarten, dass das Elektron in das „unendlich tiefe Coulomb-Potential“ fallen kann, wobei es unendlich negative Energie annehmen würde. Quanteneffekte sorgen nun dafür, dass es ein niedrigstes Energieniveau gibt, unterhalb dessen ein Elektron im Coulomb-Potential einfach nicht existieren kann. Ähnliche Mechanismen treten auch in der LQG auf.
Wie entsteht nun die makroskopische Raumzeit? Dies ist noch Gegenstand aktueller Forschung, da hier noch nicht alle mathematischen Probleme abschließend gelöst sind. Im Wesentlichen hat man dabei das Bild eines extrem großen Spinnetzwerkes vor Augen, das für größere Entfernungen in das Bild der klassischen Raumzeit übergeht (so wie man makroskopisch auch nur die Wasseroberfläche und nicht die einzelne Atome wahrnimmt). Wichtig ist dabei, dass diese so aus der LQG hervorgehende Raumzeit wieder die uns bekannten Eigenschaften aufweist (ART, Newtonsches Gravitationsgesetz als Näherung, …).
Die Rolle der Zeit in der LQG (bzw. generell in allen Theorien der Gravitation) ist dabei ebenfalls noch Gegenstand der Forschung. Denn im Bild der Spinnetzwerke gibt es keine kontinuierlich verlaufende Zeit. Stattdessen gibt es nur „Ticks“ einer elementaren Uhr, ein Tick entspricht dabei z.B. dem Entstehen eines neuen Knotens im Spinnetzwerk. Ein makroskopischer Begriff von Zeit entsteht ebenfalls erst als abgeleitete Größe.