wir sind im Forum im Bereich "Kosmologie" im Rahmen des Themas "Quantenkosmologie" auf die Singularitäten zu sprechen gekommen. gravi hat angeregt sie in einem neuen Thread zu diskutieren. Das soll hier geschehen. Zunächst alle Fragen, die gravi aufgeworfen hat.
gravi schrieb:
Ich antwortete bereits beim "Quantenkosmologie":Wieso sind beim SL und bei der Urknallsingularität verschiedene Lösungen anzuwenden? Woher weiß man, dass im SL tatsächlich eine Vakuumlösung vorliegt, beim Urknall jedoch nicht?
Und wenn bei der Urknall- Lösung die rechte Seite aus baryonischen Teilchen usw. besteht, kann das doch auch nicht stimmen, denn direkt nach oder beim Urknall gab es nur pure Energie (= Photonen).
Dem möchte ich hier hinzufügen:Grundsätzlich ist die Urknallsingularität etwas völlig anderes als die Krümmungssingularität in einem Schwarzen Loch. Die zugehörige Raumzeit für das Universum ist eine ganz andere als die eines Lochs.
Der Grund ist, dass es sich um Lösungen verschiedener Feldgleichungen handelt: Beim Loch ist die rechte Seite (der Energie-Impuls-Tensor T) null, d.h. ein (elektrisch ungeladenes) Schwarzes Loch ist Vakuum; beim Universum hingegen ist die rechte Seite nicht null, sondern hier steht die Materie im Universum, die sich aus baryonischer Materie (Sterne, Gas, Menschen), Dunkler Materie (vermutlich ein SUSY-Teilchen) und Dunkler Energie (vermutlich das Quantenvakuum, gut beschrieben durch Einsteins Lambda) zusammensetzt. Die Einsteingleichungen für die Kosmologie enthalten daher einen Energie-Impuls-Tensor einer idealen Flüssigkeit plus Lambda-Term. Wenn man sie umschreibt, erhält man die Friedmann-Gleichungen, die die Dynamik verschiedener Universen beschreiben. Sie beschreiben auch unser expandierendes Universum sehr gut.
Historisch war es so, dass Einstein 1916 die Feldgleichungen seiner Allgemeinen Relativitätstheorie veröffentlicht hat. Im gleichen Jahr fand Karl Schwarzschild die erste Lösung dieser Gleichung, die die Gravitation einer Punktmasse beschreibt. Erst viel später, ab den 1960er Jahren, wurde klar, dass sogar diese Schwarzschild-Lösung (genauer: die äußere Schwarzschild-Lösung, die eine zentrale Krümmungssingularität enthält) in der Natur existieren könnte, nämlich als Schwarzes Loch.
Einstein setzte schon früh die von ihm gefundenen Feldgleichungen auch für die Kosmologie ein. 1917 versuchte er ein statisches Universum mit seinen Gleichungen auch im Rahmen der Theorie zu beschreiben, was jedoch nur durch einen Trick gelang, der Ergänzung der Feldgleichung durch den berühmten Lambda-Term.
Ab 1922 wurden die Einstein-Gleichungen von dem Russen Friedmann verwendet, der dabei die dynamischen Universen fand. 1931 entdeckte der Belgier Lemaitre die Urknallsingularität in den expandierenden Friedmann-Universen, indem er die Expansion zeitlich umgekehrt ablaufen lief und ein kleines und heißes Universum fand. Einsteins (unquantisierte) Gleichungen führen auf einen Punkt in der Vergangenheit, der eine Krümmungssingularität darstellt. Sie heißt Urknallsingularität.
Zunächst hat es sich also rein geschichtlich ergeben, dass Schwarze Löcher mit den einen Raumzeiten beschrieben werden, das Universum hingegen mit andern. Die Raumzeiten bei (elektrisch neutralen) Schwarzen Löchern heißen Schwarzschild-Metrik (Loch ist kugelsymmetrisch und statisch) oder Kerr-Metrik (Loch ist achsensymmetrisch und rotiert). Die Raumzeit des Universums heißt politisch korrekt in voller Schönheit Friedmann-Lemaitre-Robertson-Walker-Metrik (FLRW). In all diesen speziellen Namen sind die beteiligten Pioniere verewigt.
Im Allgemeinen rotieren kosmische Schwarze Löcher und werden durch die Kerr-Metrik am besten beschrieben. Diese Metrik ist vollkommen ungeeignet für die Beschreibung des Universums als Ganzes. Der Grund: im Kosmos gibt es keine ausgezeichnete Richtung. Kosmologen sagen: das Weltall sei isotrop. Es gibt auch starke Hinweise aus der Beobachtung, dass das so ist: die kosmische Hintergrundstrahlung ist nahezu perfekt isotrop ("Noch gleichmäßiger, als ein perfekt blauer Himmel"). Klar, es gibt die berühmten, 2006 mit dem Nobelpreis prämierten Anisotropien, aber sie sind winzig und liegen im Bereich von Mikrokelvin!
Ein rotierendes Loch hat dagegen eine ausgezeichnete Raumrichtung, nämlich die Rotationsachse.
Noch konkreter:
gravi fragte:
Ein Schwarzes Loch ist ja im Prinzip ein kollabierter Stern und kein kollabiertes Universum. Es wäre also verkehrt, das ganze Universum in den Ansatz zu stecken, wenn man nur ein Schwarzes Loch beschreiben will.Woher weiß man, dass im SL tatsächlich eine Vakuumlösung vorliegt, beim Urknall jedoch nicht?
Der Aspekt mit dem Vakuum ist schon kritischer. Eine selbstkonsistente Beschreibung eines kosmischen Schwarzen Loches musste eigentlich die Materie in der Umgebung (Akkretionsfluss und den Rest des Universums) berücksichtigen. Der Einfluss dieser Gravitationsquellen wird aber wegdiskutiert, weil er die Vakuumraumzeit nur geringfügig verändern würde. Akkretionsflüsse beschreibt man in der theoretischen Astrophysik in der Regel "auf dem Hintergrund der Metrik eines Schwarzen Loches". Das bedeutet, der Akkretionsfluss verzerrt die Raumzeit des Loches nicht, er folgt ihr nur. [Es gibt aber auch mittlerweile Codes, die vermögen eine konsistente Berechnung der Rückwirkung auf die Metrik. Sie wird dann im Allgemeinen keine analytische Standardlösung sein.]
Es gibt aber auch analytische Raumzeiten, die versuchen, dem Rechnung zu tragen: einerseits wäre da die Wald-Lösung zu nennen, die wenigstens Schwarze Löcher innerhalb einer Magnetosphäre beschreibt; andererseits gibt es die Schwarzschild-de-Sitter- und Kerr-de-Sitter-Lösungen (mit entsprechenden Anti-de-Sitter-Analoga und auch gerne mit elektrischer Ladung) die ein Schwarzes Loch mit einer bestimmten Form Dunkler Energie (Einsteins Lambda) in der Umgebung beschreiben.
Insgesamt lässt sich sagen, dass klassische Schwarze Löcher mit Singularität die Astrophysik in der Umgebung des Loches sehr gut beschreiben. Bislang sind die Astronomen nicht nah genug herangekommen, dass die vom Ereignishorizont verhüllte Singularität eine entscheidende Rolle spielen würde. Ich vermute, dass sich dies mit der Gravitationswellenastronomie ändern wird.
gravi fragte:
Zunächst: Was ist denn diese "pure" Energie? Liest man oft, aber jede Energieform hat ja einen Charakter, den man klar benennen kann. Oder physikalisch gesprochen: sie hat eine Zustandsgleichung. Genau das steckt in der Friedmann-Gleichung drin. Dort zeigt sich, dass die Abhängigkeit vom Skalenfaktor oder Weltradius (beides abhängig von Zeit t oder alternativ von kosmologischer Rotverschiebung z) für jede Energieform charakteristisch ist.Und wenn bei der Urknall- Lösung die rechte Seite aus baryonischen Teilchen usw. besteht, kann das doch auch nicht stimmen, denn direkt nach oder beim Urknall gab es nur pure Energie (= Photonen).
Photonen werden im Zusammenhang mit den Friedmann-Gleichungen häufig etwas stiefmütterlich behandelt. Natürlich müssen sie wie alle Energieformen (baryonische Materie, Dunkle Materie, Dunkle Energie) berücksichtigt werden. Es gibt also auch ein Omega_phot. Tatsächlich wichtig waren sie jedoch nur in der so genannten strahlungsdominierten Phase, die eine sehr frühe Phase im Kosmos war. Später wurden die Photonen durch die kosmische Expansion stark ausgedünnt und trugen daher weniger zur Dynamik des Universums bei.
Wichtig für die Kosmologie ist, dass trotz dieses Energiekonglomerats uns die Friedmann-Gleichungen rückwärts betrachtet in der Zeitentwicklung sagen, dass es eine Urknallsingularität gab. Man kann sehr schön anhand der einzelnen Terme in diesen (eigentlich zwei) Differentialgleichungen sehen, in welcher Epoche welche Energieform dominant war: neben dem oben erwähnten strahlungsdominierten, frühen Kosmos findet man auch einen von der Dunklen Energie dominierten späten Kosmos, in dem wir derzeit leben.
Diese Dominanz der Dunklen Energie wird anhalten, weil das Universum nicht mehr kollabieren kann. Das sagen uns zumindest die aktuell gemessenen kosmologischen Parameter (die Omegas und der Hubble-Parameter). Es sei denn, es gibt doch eine ganz andere Form Dunkler Energie (Phantom-Energie) oder einen uns heute unbekannten Mechanismus (z.B. die Ekpyrosis in der Branen-Kosmologie), der zum erneuten Kollaps des Kosmos führen könnte.
In der aktuellen Ausgabe von "Sterne und Weltraum" (SuW 8200) gibt es übrigens einen Artikel des Heidelberger Kosmologen Bartelmann. Der Text führt die Grundlagen der Kosmologie vor, nutzt allerdings schon eher die Fachsprache. Es handelt sich um eine mehrteilige Artikelreihe.
Ich bitte die lange Antwort zu entschuldigen und hoffe, dass es nun etwas klarer wurde.
Gruß,
Ray