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Ist Reibung ein Geheimnis?

Verfasst: 14. Mai 2016, 13:30
von Stephen
Habe ich gerade gelesen und bin etwas verblüfft. Habt ihr Argumente?
Welche molekularen Effekte einen Reifen auf der Straße haften lassen, ist bis heute unklar. Bo Persson vom Forschungszentrum Jülich sieht vor allem Scherkräfte (nicht verwechseln mit Schwerkraft!) am Werk. Seine Theorie: Gummimoleküle haften zunächst punktuell an der Oberfläche. Rollt der Reifen weiter, dehnen sie sich, bevor sie abreißen und wieder zu einem Knäuel zusammen schnurren.
Quelle: P.M. 06/2016, Seite 74

Re: Ist Reibung ein Geheimnis?

Verfasst: 15. Mai 2016, 11:07
von seeker
Hmm, kann schon sein.
Also ich beschäftige mich ja beruflich auch mit Oberflächen und kann dir nur sagen: Die hat der Teufel gemacht! :wink:
Also, das ist jedenfalls ein hochkomplexes Thema, wenn es um Haftung, Grenzflächen, Reibung, usw. geht.
Da kommen dann so Sachen wie Benetzung, Oberflächenenergien, Rauigkeiten auf verschiedenen Skalen (Nano, Mikro, Meso, Makro) incl. Verzahnung, Van-der-Waals-Kräfte, Dipolkräfte, chemische Adhäsionskräfte, mechanische Werte der Grenzschichten (Spannung, Härte, Flexibilität, E-Modul,...), usw. ins Spiel. Und alles ist dabei wichtig, du kannst da meist nix davon vernachlässigen. Das Ganze nat. abhängig von der Temperatur und vielen weiteren Randbedingungen.
Tu das alles in einen Topf, rühre kräftig rum, dann erhälst du die gesuchten Haft- und Reibwerte...
Dass man da bei vielen realen Systemen auch heute noch nicht 100% durchblickt, wundert mich überhaupt nicht.

Bei den Reifen auf der Straße spielen jedenfalls gewisse Klebekräfte sicher auch eine Rolle (zumindest bei guten Reifen und weicher Gummimischung).
D.h.: Ein Reifen rollt/reibt unter Umständen nicht nur auf der Straße, sondern klebt dort auch, anders würde man die enorm gute Bodenhaftung moderner Reifen nicht hinbekommen. U. a. deshalb werden Reifen vor Rennveranstaltungen auch vorgewärmt.

Gruß
seeker

Re: Ist Reibung ein Geheimnis?

Verfasst: 15. Mai 2016, 21:07
von Stephen
@seeker
Kann man den besseren Grip der aufgeheizten Reifen (zumeist Slicks, normale Autofahrer werden den Aufwand ja nicht betreiben) wissenschaftlich erklären oder ist das reine Erfahrungssache?

Ich würde aus dem Bauch heraus sagen: warmes Gummi klebt besser.
Was allerdings im Widerspruch dazu steht, schneller fahren zu können.
Mögliche Erklärung: Durch das "Wegrutschen" ohne den erwünschten Grip verliert man mehr Zeit als durch das "Ankleben" auf der Rennpiste...

Re: Ist Reibung ein Geheimnis?

Verfasst: 16. Mai 2016, 00:12
von seeker
So würd ich auch sagen.
Die Sache ist die: Solche Maschinen sind heut hauptsächlich durch die Reifen begrenzt, weniger durch die Motorleitung - und die Bremswirkung der Bremsen ist sowieso viel höher.

Durch normale Reibung kommst du höchstens auf einen Reibungskoeffizienten von 1 (Gummi auf Asphalt hat eigentlich so um die 0,8 oder weniger).
Damit wäre dann (auf der Erde) aber maximal eine Beschleunigung von 1g möglich, weil:

F(r) <= µ * F(N)

F(r) ist die Haftreibung, µ der Reibungskoeffizient und F(N) die Normalkraft, also das Gewicht des Fahrzeugs.
Da F(N) = m *g (g ist die Erdbeschleunigung von 9,81 m/s^2) ergibt sich für F(r) auch maximal m*g und für die max. Beschleunigung dann 1 g.

Nun gibt es aber schon Straßenmotorräder, die in deutlich unter 3s von 0 auf 100 km/h beschleunigen, ein F1-Rennwagen beschleunigt auch in 2,5s auf 100 km/h. (... von Dragstern ganz zu schweigen, dort von 0-100 in unter 0,6s.)

100 km/h = 27,8 m/s
/2,5s
= 11,1 m/s^2 = 1,13 g
... das ist mehr als Erdbeschleunigung.

Wie geht das? Wie bringt man solche Leistung auf die Straße?

1. Man verwendet beim Rennwagen Spoiler, die per Flügel das Fahrzeug auf den Boden pressen/saugen und dadurch quasi eine höhere Kraft F(N) auf den Boden erzeugen, als er es von der Masse/Gewichtskraft allein hätte. (Ist aber leider geschwindigkeitsabhängig, funktioniert also erst, wenn schon eine gewisse Geschwindigkeit erreicht ist).

2. Klebe- und Verzahnungseffekte der Reifen
Dabei wird der warme Reifen einersets so weich, dass er sich den Rauigkeiten der Straße so gut anschmiegen kann, dass eine sehr gute mechanische Verzahnung erfolgen kann und anderserseits klebt das Gummi tatsächlich kurzzeitig fest und reißt dann wieder ab. (Deshalb sind solche Reifen auch ratz fatz abgefahren...)

D.h.: Das Kleben der Reifen auf der Straße verschwendet quasi schon Motorleistung, aber das ist hier egal, weil die im Überfluss da ist.

Gruß
seeker

Re: Ist Reibung ein Geheimnis?

Verfasst: 16. Mai 2016, 01:33
von Stephen
seeker hat geschrieben:F(r) <= µ * F(N)
Da wäre ein Formel-1-Rennen mit Stahlrädern auf Eisboden tatsächlich unsinnig :mrgreen:

Aber Danke @seeker und Scherz beiseite - habe alles kapiert bis auf den Fahrzeug-Flügel. Diese Wirkungsweise leuchtet mir trotz Lesen von Auto-Spoiler noch nicht so richtig ein. Ich meine damit, dass das ab so geringen Geschwindigkeiten schon einen erheblichen Einfluss haben soll; bei den meisten Sportwagen die ich kenne, fährt der Spoiler schon ab 120 km/h aus (falls nicht fest installiert, wie das bei meinem guten alten Opel Calibra der Fall war).

Rechnerisch gesehen kann man sich bei dem geringen Zuwachs an Haftkraft durch einen Spoiler (in Promille gesehen) nach meiner Schätzung getrost nochmal ins Auto setzen und Brötchen holen ;)

Gruß
Steffen

Re: Ist Reibung ein Geheimnis?

Verfasst: 16. Mai 2016, 12:40
von seeker
Ja, haste wohl Recht, allzu viel bringt das wohl nicht, nicht unter 200 km/h...
Aber es ist im Grunde auch einfach/billig anzubauen und kann wohl sogar den Luftwiderstand etwas reduzieren, bei geschickter Auslegung.
Schadet also jedenfalls nicht.
Und wie ich jetzt nochmal nachgelesen hab, ist es wohl eher der Auftrieb, der reduziert werden soll, damit das Fahrzeug bei hohen Geschwindigkeiten nicht abhebt wie ein Flugzeug.
(Sowas hat man schon gesehen: https://www.youtube.com/watch?v=BXhWADnlxQw)

Gruß
seeker