Entschuldige die gezielt provokante Wortwahl, aber mir ist da irgendwie beim Lesen dann der Kragen geplatzt.
seeker hat geschrieben:Und gerade eben kam noch eine dritte Evolution hinzu: die technische Evolution, die dermaßen rasant voranschreitet, dass die kulturelle Evolution auch nicht mehr hinterherkommt, von der genetischen Evolution ganz zu schweigen.
Mir fallen nicht mehr als ein paar wenige Schlüsseltechnologien ein; der ganze Rest sind irgendwelche Selbstläufer, welche sich zwangsläufig durch etwas Verfeinerung und Weiterentwicklung daraus ergeben.
Mein Hauptstreitpunkt ist der, dass du die kulturelle und vor allem technische Entwicklung als rasant und übertrieben schnell geschildert hast.
Damit hast du die Menschheit bei Weitem viel höher gelobt als sie es eigentlich verdient hätte.
seeker hat geschrieben:
Angefangen hat das u.a. mit der Kultivierung der Umwelt z.B. als Ackerboden. Gemeint sind mit "Kultur" aber alle Dinge, die nicht direkt natürlich-evolutionär enstanden sind.
Ohne Kultur auch keine Politik, keine Staatsformen, keine Systeme des Zusammenlebens und damit pure Anarchie "jeder gegen jeden". Diese Systeme sind auch heute noch alles andere als perfekt, aber sie haben sich im Großen und Ganzen in der Menschheitsgeschichte immer weiterentwickelt, vieles wurde probiert, vieles wieder verworfen aber auch vieles das funktionierte beibehalten.
Vieles was funktionierte wurde auch wieder verworfen oder erobert und zerstört. Im Übrigen bedeutet Anarchie nicht "jeder gegen jeden" sondern "jeder für sich", das heißt dezentrale Systemunterteilung, in dem jeder Knoten selbst entscheidet was er für richtig oder falsch hält.
seeker hat geschrieben:
So würde ich -um nur ein paar kleine Beispiele zu nennen- das Herabsteigen von den Bäumen, die Einführung der Landwirtschaft, den Gebrauch von Werkzeugen, die soziale Strukturieung der Individuen in immer größere Gruppen, die Erfindung der Lautsprache, die Erfindung der Schrift, die Einführung von Verhaltensregeln und viel später die Einführung der Demokratie mit dem Gedanken "alle Menschen sind gleich", die Anerkennung der Frau als vollwertigem Mensch, die Abschaffung der Sklaverei, die Ächtung der Folter, die Einführung der Menschenrechte, usw., usw. schon als kulturelle Fortschritte bewerten.
Die Gleichtberechtigung der Frau gab es schon vor weit über 2000 Jahren. Die Römer kamen z.B. nicht damit zurecht, dass Großbritanien von einer Königin regiert wurde(Boadicea) und haben sie kurzerhand fadenscheinig ausgepeitscht und ihre beiden Töchter öffentlich vergewaltigt.
Im alten Sparta waren die Frauen mehr als gleichberechtigt. Es gab auch damals einige Matriarchate.
Auch interessant:
https://europaeischeslicht.wordpress.co ... echenland/
Sklaverei, Leibeigenschaft, jemand im Ausgleich für körperliche Unversehrtheit und Lebensminimum arbeiten lassen ist nichts neues und habe ich schon in moderner Form bereits erlebt - zum Teil waren die Pflichten der Höhergestellten damals sogar größer als heute.
Bei der Folter hat sich doch jetzt wirklich nicht viel getan? Wird und wurde von vielen verachtet, von den Mächtigen bis zum heutigen Tag angewandt. Der Unterschied zwischen verachten und ächten ist eigentlich nur der, dass heute ein legislativer Zwang besteht es sein zu lassen oder heimlich zu machen.
Aber das sind alles Dinge, um die es hier eigentlich gar nicht geht... also zurück zum Thema:
seeker hat geschrieben:
Wenn du begreifst, dass so etwas wie kulturelle und technische Evolution tatsächlich existieren, dann könnte das von mir Gesagte vielleicht doch noch eine interessante Einsicht bieten.
Das ist glaube ich nicht nötig, im
wesentlichen Punkt bin ich ohnehin deiner Meinung.
seeker hat geschrieben:
Also nochmals:
Wenn man akzeptiert, dass heute die technische Evolution -zumindest in ihrer Leistungsfähigkeit- (unter hier absichtlicher Vermeidung der Bewertungen "besser/schlechter"!) der kulturellen Evolution offensichtlich davonläuft und diese wiederum der genetischen Evolution -zumindest in ihrer Leistungsfähigkeit- davonläuft, dann kann man leicht erkennen, dass sich daraus Probleme ergeben können, auch solche, mit der sich die Menschheit gerade heute konfrontiert sieht.
Da stimme ich dir zu,
die Menschheit als ganzes selbst hinkt zu weit hinterher um "reif" für die Handhabung der "Macht, Technologie und Möglichkeiten" zu sein um diese nicht zu missbrauchen oder verantwortungsbewusst damit umzugehen.
Der Unterschied zwischen deiner und meiner Meinung ist lediglich der dass ich der Meinung bin,
dass die Menschheit kulturell selbst bei der
langsamen technischen Entwicklung der Technik weit hinterherhinkt und damit
bereits überfordert ist.
Ich kann deiner Meinung einfach nicht zustimmen, dass es sonderlich "viel" ist, was wir in den letzten 2000 Jahren fertiggebracht haben. Das Wideraufgreifen von vor 2000 Jahren zerstörten und und unterjochten Kulturmerkmalen ist keine bahnbrechend völlig neue Leistung.
Und ich halte es als höchst fragwürdig zu sagen, dass wir uns kulturell und technisch "rasant" und extrem schnell entwickelt haben bzw entwickeln.
Damit projezierst du Entwicklungen der sozialen übergeordneten Struktur nicht einmal auf die Menschheit oder einzelne Individuen welche dazu beigetragen haben,
sondern du gibst allen Menschen gleichwohl das Gefühl sie hätten dazu beigetragen.
Das erinnert mich stark daran, dass vor einigen Jahren jemand einen Menschen auf den Mond schießen wollte und jeder US-Bürger dachte "wir alle" haben das erreicht...
Frank hat geschrieben:
Es geht um Weiterentwicklung und um sonst nichts. Was hier in den letzten 2000 Jahren passiert ist, geschieht sonst in 100 Mio. Jahren.
Ich sehe das anders.
Man kann die 2000 Jahre nicht ohne die 100 Mio Jahre betrachten.
Ein Bergsteiger welcher nach 3 Tagen einen Berg erklimmt und auf einmal das gesammte Tal ringsum erblickt kann auch nicht sagen, er habe den letzten Schritt besonders schnell gemacht, weil sich da an seinem Ausblick am meisten getan hat.
Es ist völlig normal, dass der Pyramidenbau sich nach Erfindung des Hebelarms auf das 10-fache verschnellert hat. Das bedeutet noch lange nicht, dass man da auf einmal fleißiger war oder schneller gearbeitet hat.
Mich regt einfach auf, dass das hier so geschildert wird, als würden "Wir" uns die letzten Jahrzente kulturell und technologisch viel schneller entwickeln als vor z.b. 2000 Jahren.
Das stimmt so einfach nicht und hat einen indirekten Geschmack von "Eigenlob" der Menschheit; ähnlich wie die westlichen Kulturen sich unterbewusst als die "Spitze" der zivilisatorischen Entwicklung auffassen.
Vielleicht schreibe ich hier nochmal etwas sobald meine brutalen Kopfschmerzen nachlassen. Kann mich seit einer Woche kaum konzentrieren oder schlafen.