seeker hat geschrieben: ↑10. Nov 2017, 11:38
tomS hat geschrieben: ↑10. Nov 2017, 00:02
Das sehe ich anders. Was Bewusstsein "wirklich ist" weißt du auch nicht; du weißt lediglich mit Sicherheit, wie es dir (subjektiv) erscheint. Ob das Erscheinen mit dem Sein identisch ist, ist auch für dich (zumindest für mich) unbeobachtbar; es handelt sich dabei um eine philosophische Sichtweise.
Das ist doch aber evident. Alle Dinge sind mit sich selbst identisch.
Das ist zu kurz gesprungen. Es geht um die Frage, ob das Erscheinen einer Sache als die Summe aller Phänomene mit der Sache selbst
identisch ist. Dies ist in der Philosophie seit Jahrtausenden ein Thema und sicher nicht evident.
seeker hat geschrieben: ↑10. Nov 2017, 11:38
Natürlich steckt da in gewisser Weise auch eine philosophische Sichtweise mit drin, aber eine vernünftige.
Welche andere vernünftige Sichtweise existiert denn noch als die, dass das was mir erscheint wirklich genau so erscheint, wie es erscheint?
Zunächst ist das sicherlich vernünftig. Aber es ist eben nicht vollständig zu Ende gedacht, denn dass die Summe aller Erscheinungen einer Sache mit der Sache selbst
identisch, ist aus vielerlei Gründen fraglich. Die Erscheinungen sind immer auch durch das Beobachten selbst limitiert, aber warum sollte das die Sache selbst irgendwie tangieren?
Ein Proton ist sicher mehr als die Summe aller Detektorsignale am CERN. Und auch mein Bewusstsein (oder Geist) ist wohl mehr als das, was ich durch Introspektion gerade wahrnehme. Insbs. ist mein Bewusstseinsinhalt ein anderer, abhängig davon ob ich gerade meine Aufmerksamkeit auf ihn richte oder nicht. "Trauer" ist etwas anderes als "meine eigene Wahrnehmung meiner Trauer".
seeker hat geschrieben: ↑10. Nov 2017, 11:38
tomS hat geschrieben: ↑10. Nov 2017, 00:02
Im engeren Sinne benötigen wir eine Hypothese und deren Falsizierbarkeit. Solange das nicht gegeben ist scheitert die wissenschaftliche Methode an recht elementaren, praktischen Problemen.
In den meisten Fällen scheitert das nicht. Ich kann z.B. die Hypothese aufstellen, dass mein Bewusstsein immer strukturiert ist und kann es dann oftmals beobachten, um zu prüfen, ob das stimmt. Finde ich nur ein einziges Mal einen Nicht-strukturierten Bewusstseinsinhalt, dann ist die These falsifiziert.
Das scheitert bereits daran, dass "nicht-strukturierter Bewusstseinsinhalt" kein physikalisch sinnvoll definierter Begriff ist und dass ich kein Experiment erkennen kann, das mir irgendetwas dazu mitteilt.
seeker hat geschrieben: ↑10. Nov 2017, 11:38
Und wenn sich die These bei mir bewährt hat, kann ich als nächstes die These aufstellen, dass das bei allen Menschen so ist. Auch das lässt sich falsifizieren: Ich vereinbare mit den anderen eine Methodik, wie das zu beobachten ist und frage dann hinterher die anderen, wie es bei denen ist.
Ich befürchte, du begibst dich damit in eine Sackgasse, und zwar in eine sehr sehr lange. Du konstruierst Begrifflichkeiten sowie darauf bezogenen Hypothesen, die du dann untersuchst. Unabhängig davon, ob das möglich ist, bezweifle ich, dass dies zu Resultaten führt, die außerhalb deiner Begrifflichkeiten relevant sind.
Was trägt dies zur Fragestellung bei, ob ein Computer, der ein menschliches Gehirn dahingehend nachbildet, dass beide identisch mit ihrer Umwelt interagieren, auch Bewusstsein hat? Bestenfalls stellst du fest, dass dir Computer mitteilt, er wäre auch in gewisser Weise "strukturiert". Ist er darauf stolz?
seeker hat geschrieben: ↑10. Nov 2017, 11:38
Ich kann dabei mein eigenes Bewusstsein als Messgerät verstehen - das ist der Kniff!
Aber immer nur bzgl. dessen, was dein Messgerät in den Blick nimmt. Das Problem jeglicher Messung besteht jedoch darin, dass sie auf der phänomenologischen Ebene bleibt und nicht "zum Wesen selbst" vordringt. Darum geht es jedoch bei der Frage der Qualia.
Ich habe den Eindruck, du steckst ein bisschen in einer Idealismus-Falle.
seeker hat geschrieben: ↑10. Nov 2017, 11:38
Wer bestimmt, was eine wissenschaftliche Methode ist und was nicht?
Ich sehe das Problem nicht, festzulegen, dass auch das eine wiss. Methode sei, wenn ich eine exakte Methodik angeben kann, wie vorzugehen ist und wenn die Informationen daraus sicher sind. (s.o., es spricht m.E. nichts dagegen)
Was eine wissenschaftliche Methode ist wird durch den Diskurs der Wissenschaftler, der Wissenschaftstheoretiker sowie maßgeblich durch die Praxis "bestimmt". Popper ist sicher kein schlechter Ratgeber.
Sowohl die Methoden als auch die hier diskutieren Fragen sprengen aber diesen Rahmen. Die Frage, ob ein Computer, der mit seiner Umgebung identisch zu einer menschlichen Person interagiert bzgl. seiner Qualia mit einer menschlichen Person identisch ist, ist keine wissenschaftlich überprüfbar Fragestellung.
Zum ersten fehlt eine präzise Defintion von Qualia. Zum zweiten sind Qualia letztlich das, was
unabhängig von der Interaktion oder Phänomenen den Bewusstseinsinhalt ausmacht (das ist keine präzise Definition, da insbs. zirkulär, jedoch für das folgende ausreichend): damit sind sie jedoch der wissenschaftlichen Methode per Definitionem nicht zugänglich, da sich diese immer auf Beobachtung stützt.
seeker hat geschrieben: ↑10. Nov 2017, 11:38
tomS hat geschrieben: ↑10. Nov 2017, 00:02
Damit ist keineswegs gesagt, dass das Thema per se uninteressant ist - ist es keineswegs - jedoch ist es nach den Kriterien der Wissenschaft eben unwissenschaftlich. Und die gewonnenen Erkenntnisse sind eben oft nicht objektivierbar.
Das Objektive ist ja kein Selbstzweck! Es ist nur ein Mittel um Erkenntnisse gewinnen zu können, die sicher und bestimmt/definiert sind.
Wenn ich dieses Ziel in einem Bereich auch ohne Objektivierung erreichen kann, dann kann ich darauf dort verzichten, ohne etwas zu verlieren.
Wie gesagt kann ich meine eigene Wahrnehmung als 'objektiv' (im Sinne von sicher, bestimmt) messendes Messgerät verstehen.
Objektivität ist ein Qualitätsstandard. Wissenschaft zeichnet sich dadurch aus, dass sie objektive Erkenntnisse gewinnt (Popper). Was nicht objektiv ist, ist demzufolge keine gute Wissenschaft.
Deine eigene Wahrnehmung ist für dich 'sicher', aber da es eben um deine und nur deine eigene Wahrnehmung (Selbstwahrnehmung) geht, ist sie gerade nicht objektiv, sondern subjektiv. Das ist keine Wertung, nur eine Klarstellung der Begriffe. Das entwertet deine Wahrnehmung nicht und macht sie für dich auch nicht unsicher. Sie ist aber eben nicht objektiv.
Deine Methode ist demnach subjektiv für dich eine 'gute' und 'sichere' Methode, jedoch eben keine im Sinne der Wissenschaft objektive und zulässige Methode.
seeker hat geschrieben: ↑10. Nov 2017, 11:38
Nach Levine ist jedoch genau dies nicht der Fall. Kein physisches – oder neuronales – Ereignis könne verständlich machen, warum etwas erlebt werde. Genau deshalb bleibe bei jedem Identifikationsversuch von physischen und mentalen Ereignissen eine Erklärungslücke bestehen.
Der Begriff der Erklärungslücke beschreibt das Bewusstseinsproblem in einem erkenntnistheoretischen und keinem ontologischen Rahmen: Levine will nicht zeigen, dass es sich bei mentalen Zuständen um nichtphysische Entitäten handelt. Vielmehr ist schon im Begriff der Erklärungslücke enthalten, dass es sich um ein nichtontologisches Problem der Erklärungsleistungen handelt.
Die ontologische Fragestellung ist doch noch viel schwieriger als die epistemische - und zwar unabhängig vom hier vorliegenden Problem.
Und:
seeker hat geschrieben: ↑10. Nov 2017, 11:38
Kein physisches – oder neuronales – Ereignis könne
verständlich machen, warum etwas erlebt werde.
Richtig!
Aber es könnte dennoch
zutreffend sein, dass ein neuronales Muster mit einem Bewusstseinsinhalt
ontologisch identisch ist, ohne dass wir es erklären können.
Die Erklärungslücke sagt dazu rein gar nichts, sie konstatiert lediglich, dass wir dazu prinzipiell nichts wissen können.
Da ich - im Gegensatz zu dir - der Introspektion und der geistigen Welt weit weniger Gewicht beimesse, komme ich zu der - für mich als Physiker vernünftigen - Ansicht, dass es sich bei Bewusstsein um rein physikalische Prozesse handelt, dass also geistige und materielle Welt
identisch sind, und dass letztere im Sinne eines Reduktionismus primär ist. Die geistige Welt ist emergent und damit sekundär. Der Prozess dieser Emergenz und die Gesamtheit der damit verbunden Phänomene im Bezug auf meine Introspektion entzieht sich dabei gerade der Methode der Physik
und der Introspektion, im Wesentlichen aufgrund der Selbstbezüglichkeit letzterer.
Das Wesen des Bewusstseins ist letztlich sein eigener blinder Fleck.
seeker hat geschrieben: ↑10. Nov 2017, 11:38
Es ist richtig, es gibt eine Erklärungslücke, das ist die harte Nuss des Bewusstseinsproblems.
Man darf nur nicht gleich zu viel fordern, zuerst sollen die "einfachen" Probleme des Bewusstseins erforscht und gelöst werden, der harten Nuss kann man sich damit schrittweise annähern, auch wenn sie vielleicht nie ganz gelöst werden kann. Das ist aber in Ordnung und normal, Wissenschaft endet nie und eine Frage wie: "Warum ist überhaupt eine Welt und nicht Nichts?" ist vom gleichen Schlag - und die hindert uns auch nicht Physik zu betreiben.
Manchmal kann man sich die Fragen aussuchen, machnmal nicht.
Die Physiker suchen sich die Fragen aus, die der physikalischen Methode zugänglich sind. Die hier diskutierten Fragen sind dieser Methode weitgehend unzuggänglich.
(Die Herausforderung, eine Maschine zu konstruieren, die den Turing-Test besteht, ist eine enorme Herausforderung, im Vergleich zu den hier diskutierten Fragestellungen jedoch eher trivial)
seeker hat geschrieben: ↑10. Nov 2017, 11:38
Die Erklärungslücke ist ein zweiseitiges Problem, man kann sie auf zweierlei Weise angehen:
1. Man kann die materielle Welt voraussetzen und dann fragen, wie es sein kann, dass in dieser Welt auch etwas Geistiges existiert und wie das zusammenhängt.
2. Man kann aber auch die geistige Welt voraussetzen und dann fragen, wie es sein kann, dass neben dieser Welt auch eine materielle Außenwelt existiert und wie das zusammenhängt.
Ja.
Wichtig ist nur - und ich werde nicht müde, das zu betonen - dass man nicht über die geistige Welt philosophiert und dabei Begriffe der Naturwissenschaften missbraucht und umgekehrt. Das ist leider eine Unsitte auf beiden Seiten.
seeker hat geschrieben: ↑10. Nov 2017, 11:38
Der Unterschied liegt hier allein darin, was man als Ausgangspunkt nimmt.
Welcher Ausgangspunkt ist der vernünftigere?
Natürlich ist es 2.!
Das ist deshalb so, weil die Existenz der geistigen Welt viel sicherer ist.
Siehe den obigen Beitrag. Das ist eine unzulässigen Vermengung von Begriffen, ich würde sagen, ein Kategorienfehler.
Ob die Existenzweise meines Geistes und die Existenzweise dieses iPads irgendetwas miteinander zu tun haben, ist im weitesten Sinne Gegenstand dieser Diskussion und darf nicht heimlich in die Diskussion hineingeschmuggelt werden. Wenn sie
nicht identisch sind, kann man keine vergleichenden Aussagen ableiten. Wenn sie identisch sind, ist deine Aussage falsch.
Generell vertrittst du hier eine philosophische Richtung, die im weitesten Sinne auf Descartes aufbaut und versucht, von da aus Sicherheit zu gewinnen. Das ist natürlich kein schlechter Startpunkt
Letztlich können dann gegen deine Position alle Argumente angeführt werden, die seit Descartes bis hin zu den Idealisten gegen dieselben konstruiert wurden.
Mein Hauptargument ist, dass es im weitesten Sinne auf einen Dualismus hinausläuft. Wenn das so ist, dann folgt daraus, dass Qualia nicht-materialistisch aufzufassen sind.
Ist das im weitesten Sinne deine Position?
seeker hat geschrieben: ↑10. Nov 2017, 11:38
Von der materiellen Außenwelt wissen wir ausschließlich deshalb und nur insofern weil/wenn sie in der geistigen Welt abgebildet wird.
Nehmen wir als einfachsten Gegenbeispiel eine materialistische Postion mit einem Schuss Emergenz für die geistige Welt. "Geist" ist dann letztlich bzgl. der Neuronen das, was eine Wasserwelle bzgl. der Atomphysik ist.
Das, was du als Sicherstellen der Existenz der Außenwelt mittels der geistigen Welt bezeichnen würdest ist letztlich nur eine von dir geschaffene, künstliche, dualistische Stukturierung einer monistischen Welt, so wie du die Welt da draußen in "Meer" und "Luft" einteilst.
Deine Anstrengungen, die Existenz der materiellen Außenwelt zu begründen, befassen sich dann mit einem Scheinproblem. Für den Physiker ist die Trennung in "Meer" und "Luft" eine Trivialität, für jemanden der mittels der fünf Elemente argumentiert letztlich ein nicht weiter hinterfragbares Axiom in der letztlich ein unlösbares Rätsel.
seeker hat geschrieben: ↑10. Nov 2017, 11:38
tomS hat geschrieben: ↑10. Nov 2017, 00:02
Bereits einfache Fragestellungen sind unbeantwortbar. Die Hypothese "Bewusstsein benötigt eine neuronale Basis" ist nicht überprüfbar und nicht beantwortbar.
Du darfst nicht zu Anfang zu hohe Forderungen stellen, gerade diese Frage ist überhaupt keine einfache Frage. So weit sind wir noch nicht.
Doch, das ist eine einfache Frage. Nur die Antwort ist schwierig
seeker hat geschrieben: ↑10. Nov 2017, 11:38
Andere Fragen sind aber wiss. prüfbar, wie z.B. die Hypothese: "Bestimmte Bewusstseinsinhalte beim Menschen gehen immer mit einem bestimmten neuronalen Zustand einher."
Genauer scheint es so zu sein: Die Welt bildet den Kontext zum Menschen, der Mensch mit seinem Gehirn bildet den Kontext zu neuronalen Aktivitätsmustern im Gehirn.
Das Verhältnis dieser Muster zu den Kontexten bestimmt das, was im Bewusstsein erscheint in eindeutiger Weise.
Diese enorme Kontextabhängigkeit macht die Erforschung so schwierig, weil sie nicht rein reduktiv durchgeführt werden kann, aber nicht unmöglich.
Richtig.
Aber es bleibt die prinzipiell unbeantwortbar Frage nach der Identität oder nicht-Identität beider Welten.
Die Hypothese "geistige und materielle Welt sind identisch" ist durch keine Sammlung an Fakten und Beobachtungen belegbar oder widerlegbar. Für die Negation der Hypothese gilt das selbe.
D.h. dass uns auch die enormen Fortschritte der Neurobiologie (und ggf. der Psychologie ?) hier nicht weiterbringen.
seeker hat geschrieben: ↑10. Nov 2017, 11:38
Der Materialismus ist auch nicht gescheitert, es ist nur notwendig ihn zu erweitern.
Dazu ist ein gedanklicher Sprung notwendig, es tut weh diesen zu tun, aber er ist notwendig.
Wenn du die geistige Welt als primär ansiehst, wie verträgt sich das mit dem Ansatz der Erweitung des Materialismus? Wäre das ein Substanz-Dualismus?