tomS hat geschrieben: ↑15. Okt 2020, 09:56
Wäre "echt teleologisch" nicht identisch zu "retro-kausal", d.h. "zeit-invertiert und diesbzgl. kausal"?
Das würde ich nicht so sehen. Es handelt sich hier m.M.n. um konzeptual ganz verschiedene Kategorien.
tomS hat geschrieben: ↑15. Okt 2020, 09:56
"seeker" hat geschrieben:Nehmen wir an, es gäbe ein System (vielleicht ein komplexes), mit echt-teleologischem Verhalten bzw. mit einem Verhalten, das echt weder kausal noch akausal ist. Wie würdest du aus physikalischer Herangehensweise heraus versuchen nachzuweisen (also vorwiegend empirische evidence zu generieren), DASS es ein solches Systemverhalten besitzt?
Ich glaube nicht, dass man das allgemein beantworten kann.
Machen wir ein sehr einfaches Beispiel:
Wir stellen uns vor, wir hätten drei Würfel a, b und c, die wollen wir untersuchen.
Zunächst lassen wir sie einfach so daliegen und beobachten viele Tage lang. Wir stellen fest: Es tut sich nichts, die Seite die zu Anfang oben war, bleibt oben. Daran erkennen wir: Damit man das Konzept "Kausalität" im eigentlichen Sinne anwenden kann, muss sich etwas tun, sonst macht es gar keinen echten Sinn: Prozesse!
Also sorgen wir dafür, dass sich etwas tut: Wir wollen ihr Verhalten erforschen, wenn man mit ihnen würfelt. Dazu würfeln wir mit jedem der Würfel pro Tag 1000 Mal und das viele Tage lang und schreiben die Ergebnisse (welche Augenzahl liegt jeweils oben) auf.
Wir stellen folgendes fest:
Würfel a:
Hier erhalten wir jeden Tag ungefähr eine Gleichverteilung der Augenzahlen 1-6 (alle Zahlen kommen ungefähr gleich oft), wobei es manchmal mehr oder minder Ausreißer davon gibt, aber je mehr Daten wir sammeln, desto näher rückt das Gesamtergebnis an die perfekte Gleichverteilung heran.
Das haben wir so auch erwartet! Wir interpretieren dieses Ergebnis so, dass wir sagen: "Dieses System verhält sich in der empirischen Beobachtung so, wie wenn die Ergebnisse zufällig gewählt würden! Also nennen wir dieses System auch zufällig!" (Soll jetzt keine Rolle spielen ob epistemischer oder ontologischer Zufall zugegen ist, empirisch ist das hier zunächst dasselbe.)
Wichtig: Wir trauen uns bei Würfel a problemlos vorherzusagen, wie er sich morgen verhalten wird, wir können zwar nicht einzelne Würfelergebnisse vorhersagen, aber das allgemeine, langfristige Systemverhalten sehr gut.
Würfel b:
Hier erhalten wir von Tag zu Tag etwas schwankend jeden Tag in 990-1000 Fällen immer das Ergebnis "1".
Wir gehen daher davon aus, dass hier ein nicht gleich offensichtlicher Mechanismus am Werk sein muss, der dies kausal verursacht (wahrscheinlich wird er gezinkt sein).
Wir sagen: "Dieses System verhält sich so, wie wenn die Ergebnisse nach einem kausalen Mechanismus gewählt würden! Also nennen wir dieses System auch kausal bestimmt!"
Auch hier trauen wir uns problemlos vorherzusagen, was wir morgen bei diesem Würfel oben sehen werden, nämlich fast immer die 1, die Verteilung dann entsprechend.
Würfel c:
Hier finden wir keine Muster, wir erhalten scheinbar wahllose Zahlenfolgen, die auch jeden Tag eine völlig andere Verteilung zeigen, wir finden auch nach langer Untersuchung hier keinerlei Muster.
Deshalb müssen wir hier sagen: "Dieser Würfel verhält sich weder so, wie wenn die Ergebnisse zufällig gewählt würden, noch so, wie wenn sie nach einem kausalen Gesetz gewählt würden!"
Hier trauen wir uns auch keinesfalls vorherzusagen, was der Würfel morgen zeigen wird.
D.h.: Hiermit haben wir zunächst eine Möglichkeit gefunden, wie man die drei Verhaltensarten unterscheiden kann und so empirische evidence generieren kann!
Eines Tages finden wir bei Würfel c doch noch eine Korrelation: Er fängt nämlich zu sprechen an und sagt uns ab dem Zeitpunkt vor jedem Wurf mit einer 99%igen Trefferquote voraus, welche seiner Seiten nach dem nächsten Wurf oben liegen wird, ohne dass sich etwas daran geändert hätte, dass wir in den Ergebnismengen selbst keine Muster finden.
Was nun? Wir vermuten eine Art Minicomputer mit einem darauf laufenden komplzierten Algorithmus und einer inneren Mechanik in dem Würfel, der ihn jedesmal irgenwie anders zinkt. Und tatsächlich scheint da so irgendetwas verbaut zu sein, aber wir durchschauen das nicht genügend. Später stellt sich noch heraus, dass in den anderen beiden Würfeln ein ganz gleich aussehender Mechanismus verbaut zu sein scheint. Noch dazu fangen die beiden Würfel a und b ab diesem Zeitpunkt nun auch an ihre Ergebnisse vorherzusagen, ohne dass sich die Ergebnisse in ihren Mustern selber ändern.
Was nun? Ab dem Moment vertrauen wir auch Würfel a und b weniger als zuvor, denn wer weiß denn dann noch sicher, was diese Würfel morgen tatsächlich machen werden?
Wie wäre das im Vergleich mit echten Menschen?
Wie könnte man dort vorgehen? Im Prinzip ganz ähnlich - oder?
Worauf ich auch hinaus will:
Ohne empirische Absicherung kann man aus ontologischen Grundannahmen heraus viel behaupten und ableiten und extrapolieren, das hat alles recht wenig Gewicht.
Leider lassen sich solche Fragen aber empirisch gar nicht endgültig entscheiden - ganz prinzipiell nicht!
Was man stattdessen erreichen kann ist immerhin Vertrauen für eine gewisse Position durch Empirie zu generieren. Und die ist vor allen Dingen gegeben, wenn man
Vorhersagen machen kann - und zwar genau dort wo man es kann, dort wo man es (noch) nicht kann, (noch) nicht.
Daher: Damit ich einigermaßen überzeugt davon ausgehen kann, dass das Tun des Systems "Mensch" vollständig determiniert ist, muss es ganz praktisch gezeigt werden, dass es möglich ist, vorherzusagen, was ich morgen um 12:37 Uhr genau tun und entscheiden werde. So lange das nicht geschehen ist und man nur sehr indirekte Argumente und Schlüsse aus ganz anderen Ecken der Beobachtung vorweisen kann, während die Empirie beim Menschen zumindest in relevanten Teilen noch recht eindeutig das Szenario von Würfel c zeigt (a und b findet man auch, aber eben nicht nur), dann halte ich mich lieber an diesen ja tatsächlich existierenden
direkten empirischen Befund und gehe so lange von ihm aus, wie er besteht, ich ignoriere ihn nicht wegen irgendwelchen ontologischen Grundannahmen und theoretischen Ableitungen daraus, die bei anderen Befunden zu ganz anderen Systemen gut passen (z.B. in der Physik, bei einfachen, isolierten Systemen). D.h.: Ich halte mich hier eher an die Empirie, räume ihr einen hohen Stellenwert ein und lasse mich ansonsten überraschen, was man künftig noch sachlich-neutral herausfinden wird.