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Quantengravitation: Einführung, physikalische Vorhersagen

Jenseits des etablierten Standardmodells der Elementarteilchenphysik und der Allgemeinen Relativitätstheorie, d.h. Quantengravitation, Supersymmetrie und Supergravitation, Stringtheorien...
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Quantengravitation: Einführung, physikalische Vorhersagen

Beitrag von tomS » 3. Dez 2007, 01:54

1 Voraussetzungen

1.1 Einleitung

Der erfolgversprechendste Weg zur Quantisierung der Gravitation ist heute die kanonische Quantisierung mittels der Ashtekar-Variablen. Diese führt auf die sogenannte Loop- oder Schleifenquantengravitation. Elementare Felder werden dabei über Integrale entlang von geschlossenen Schleifen ersetzt. Bei der Konstruktion der echten physikalischen Zustände werden dann sogenannte Spin-Netzwerke eingeführt.

Der Vorteil dieser Vorgehensweise ist, dass die Theorie explizit hintergrundunabhängig ist, dass sie keine unphysikalischen Unendlichkeiten oder Singularitäten produziert und dass sie ohne die sogenannte Störungstheorie auskommt. Außerdem ist sie in der Zwischenzeit in der Lage, explizite Vorhersagen über physikalische Effekte zu machen, die teilweise bereits heute experimentell überprüfbar sind bzw. in naher Zukunft werden.

1.2 Bedeutung von Hintergrundunabhängigkeit und Diffeomorphismeninvarianz der ART

Bekannte Quantentheorien (QED, QDC, gesamtes Standardmodell) sind hintergrundabhängig, d.h. sie beschreiben die Dynamik von verschiedenen Feldern („Materie“ und „Strahlung“) auf einem festen, nicht dynamischen Hintergrund, d.h. auf einer „von Hand“ vorgegeben Geometrie der Raumzeit.

Dies ist unphysikalisch, da es kein Prinzip gibt, genau diese und keine andere Geometrie auszuwählen (alle Lösungen der Einsteingleichungen sind zulässig). In einer dynamischen Theorie der Quantengravitation soll die quantisierte Theorie jedoch selbst die Geometrie „hervorbringen“.

Die verschiedenen Geometrien der Raum-Zeit, die in der ART zulässig sind, können beschrieben werden durch die Richtungen der Lichtkegel an Orten, wo bestimmte Ereignisse stattfinden sowie durch die vierdimensionalen Abstände zwischen verschiedenen Ereignissen. Dabei ist ein Ereignis z.B. ein Vorgang wie „ein Elektron trifft ein Photon“. Diese Beschreibung der Geometrie sowie der physikalischen Prozesse kommt ohne die Einführung eines Koordinatensystems aus! Dieses ist immer nur eine Hilfskonstruktion. Deshalb soll die Beschreibung einer Raum-Zeit und der Prozesse unabhängig von der genauen Wahl eines speziellen Koordinatensystems, also unabhängig vom Koordinatenursprung oder davon, ob man kartesische Koordinaten, Polarkoordinaten oder beliebigen andere (i.A. krummlinigen) Koordinaten einführt. (Die Einführung eines Koordinatensystems ist dabei nicht zu verwechseln mit der Wahl eines Hintergrundes; das Koordinatensystem ist vielmehr ein zweites künstliches Objekt).

Den Übergang von einem zu einem anderen Koordinatensystem nennt man Diffeomorphismus, wenn gewährleistet ist, dass aus einem Koordinatensysteme ohne „Löcher“, „Knicke“ u.ä. ein zweites ebenfalls ohne derartige „Löcher“ etc. hervorgeht und wenn der Übergang in beide Richtungen möglich ist: eine glatte Geometrie bleibt glatt.

Zusammenfassend soll eine Theorie der Quantengravitation erstens ohne von Hand vorgegebene Geometrie auskommen, sondern diese soll durch die Dynamik entstehen (Hintergrundunabhängigkeit) und zweitens soll die Theorie unabhängig von einem bestimmten Koordinatensystem sein (Diffeomorphismeninvarianz).

1.3 Bedeutung der nicht-störungstheoretischen Beschreibung

Störungstheoretische Betrachtungen sind Standard für Theorien wie QED, QCD oder auch die Stringtheorie. Dabei geht man davon aus, dass man eine bestimmte Lösung näherungsweise kennt; diese bildet dann den Hintergrund. In der QED könnte das z.B. der leere Raum oder das Coulombpotential eines Atomkernes sein. Quantisiert werden dann nur noch die Abweichungen, die Störungen dieses vorgegeben Hintergrundes, also in der QED z.B. einzelne Photonen und Elektronen, die sich in dem Coulombpotential bewegen.

Dieser Prozess ist nie exakt, sondern erfordert immer neue Korrekturen. Die Summe über unendlich viele Korrekturen nennt man Störungsreihe.

Dabei ergeben sich mehrere Probleme:
1) Zunächst sind immer nur die ersten paar Terme überhaupt berechenbar, weitere Term erfordern einen exponentiell wachsenden Rechenaufwand.
2) Um die Störungsreihe aufsummieren zu können, müssen die einzelnen Terme sehr schnell gegen Null gehen, da sonst das Gesamtergebnis unendlich ist. In der Praxis ist aber bereits jeder einzelne Term unendlich! Man muss ihn mit einem künstlichen Trick endlich machen, mit der sogenannten Regularisierung. Dabei wird eine neue „Skala“, z.B. Länge oder Masse eingeführt, von der alle weiteren Ergebnisse abhängen. Dies ist unphysikalisch! Man kann jedoch diese Skala durch das Anpassen an die bekannten Ergebnisse eines Experimentes (z.B. Streuung von Photonen einer bestimmten Energie an Elektronen) ein für allemal festlegen, so dass alle anderen Berechnungen (z.B. Streuung bei anderen Energien) wieder Vorhersagekraft bekommen und alle endlich sind. Diesen zweiten Trick nennt man Renormierung.
3) Nächstes Problem ist, dass trotzdem die Summe aller renormierten Terme (z.B. für die QED) unendlich bleibt, d.h. die Störungsreihe existiert formal nicht. In Theorien wie der QED hilft die „Ausrede“, dass dies in einer wirklich fundamentalen Theorie (die dann die QED enthält) nicht mehr passieren wird, dass also „die Zeit die Wunden heilen wird“. Dies funktioniert natürlich nicht, wenn man die fundamentale Theorie selbst konstruiert!
4) Für die Quantengravitation funktioniert die Störungstheorie zunächst deswegen nicht, weil sie eine Hintergrundgeometrie einführt (z.B. den Minkowskiraum oder die FRW-Geometrie) und somit nicht mehr hintergrundunabhängig ist. Außerdem funktioniert der Trick mit der Renormierung nicht, da jeder weitere Term der Störungstheorie eine neue „Sorte Unendlichkeit“ produziert und man jeweils eine neue „Skala“ einführen muss. Die Theorie verliert damit ihre Vorhersagekraft, da sie unendlich viele Parameter enthalten würde, die alle erst aus Experimenten zu bestimmen wären.

Schlussfolgerung ist, dass eine erfolgreiche Theorie der Quantengravitation hintergrundunabhängig und nicht-störungstheoretisch formuliert sein muss, sowohl aus physikalischen als auch aus mathematischen Gründen.

Mathematisch ist die Ursache für die Unendlichkeiten in einem Term der Störungstheorie die Tatsache, dass Ereignisse mit beliebig geringen Abständen (bis hin zu Null) erlaubt sind. Von einer Quantentheorie der Gravitation erwartet man, dass sie eine fundamentale Länge produziert, so dass Abstände gleich Null nicht mehr vorkommen und daher keine Unendlichkeiten mehr auftreten. Dies hängt wiederum mit der fehlenden Hintergrundunabhängigkeit zusammen: wenn man während der Berechnung der Störungsreihe zwei Ereignissen (z.B. ein Photon streut zweimal an irgendetwas) einen bestimmten Abstand (z.B. gleich Null) zuweist, dann hat man bereits die Geometrie des Hintergrundes benutzt!

2 Übersicht zur Quantengravitation

2.1 historische Entwicklung (Metrik => Zusammenhänge => Ashtekar-Variablen => Loops => Spin-Netzwerke)

Zu Beginn der Arbeiten an der Quantengravitation wurden die Einsteingleichungen noch in einer Schreibweise mit Metrik formuliert. Die Metrik ist eine Größe, die es erlaubt, Längen von Vektoren zu berechnen. Nachteile dieser Schreibweise war, dass
1) die Gleichungen der Quantengravitation (Wheeler-deWitt Gleichung) extrem kompliziert waren und dass
2) diese Gleichungen strenggenommen gar nicht definiert waren, da sie Unendlichkeiten produzierten, die man mit keinem Trick loswerden konnte.

Die Metrik ist keine fundamentale Größe. Man kann zwei andere, fundamentalere Größen finden, nämlich das Vierbein sowie den Zusammenhang.
Das Vierbein sind dabei vier Vektoren, die zusammen die Koordinatenachsen eines vierdimensionalen Raumes definieren, den sogenannten Tangentialraum. Für eine Kugel erhält man diesen Tangentialraum, wenn man an jedem Punkt der Kugel eine Postkarte anklebt, die die Kugel gerade berührt. Zwei beliebige (nicht parallele) Vektoren, die man auf diese Postkarte im Berührpunkt mit der Kugel zeichnet, bilden dann ein Zweibein. Analog (aber nicht mehr anschaulich) erhält man ein Vierbein, das in jedem Punkt der vierdimensionalen Raumzeit definiert ist. Man kann aus dem Vierbein die Metrik berechnen.
Der Zusammenhang beschreibt, wie sich ein Vektor verdreht, wenn man ihn entlang einer beliebigen Kurve verschiebt und dabei den Winkel zwischen Kurve und Vektor festhält; der Beginn des Vektors gleitet dabei auf der Kurve entlang wie an einer Schiene, das Ende des Vektors kann sich aber frei um die Kurve drehen (und dabei z.B. eine korkenzieherförmige Bahn beschreiben).

Diese beiden Größen – Zusammenhang und Vierbein - bilden die neuen Variablen. Ashtekar hat außerdem eine Methode von Wheeler und deWitt übernommen, er betrachtet nämlich nur die „räumlichen“ Komponenten der Größen, d.h. einen dreidimensionalen Zusammenhang und ein Dreibein. Die vierte Dimension (die „Zeit“) kommt aber an einer anderen Stelle wieder ins Spiel.

Dreidimensionaler Zusammenhang A und Dreibein E spielen dabei eine ganz ähnliche Rolle wie die elektromagnetischen Potentiale und die elektrischen Felder in der Elektrodynamik – daher die Buchstaben A und E. Unterschied ist, dass es drei dreidimensionale Zusammenhänge gibt und drei dreidimensionale Feldstärken. Das liegt an dem betrachteten Tangentialraum (siehe oben), Für ein dreidimensionales Koordinatensystem braucht man eben drei dreidimensionale Basisvektoren. Die mathematische Struktur ist daher doch komplizierter als in der Elektrodynamik, man kennt sie aber aus der QCD, einer nichtabelschen Eichtheorie.

Die neue Struktur der Theorie ist nun wesentlich einfacher als die mit der Metrik. Die einzelnen Gleichungen sind einfacher, die mathematische Struktur ist teilweise bereits bekannt (aus der QCD) und man kann sogar explizite Lösungen konstruieren.

Die Theorie hat drei Symmetrien:
1) eine Rotationssymmetrie der Dreibeine (man kann ein Dreibein beliebig rotieren und hat immer noch denselben Tangentialraum; für die Postkarte an der Kugel bedeutet dies, man kann nach dem Einzeichnen der beiden Vektoren die Postkarte beliebig drehen, sie muss nur weiter auf der Kugel aufliegen; man erhält verdrehte Koordinatenachsen, aber die Postkarte beschreibt immer noch den selben Tangentialraum). Für die Zusammenhänge ist dies keine reine Rotationssymmetrie mehr, sondern etwas Komplizierteres. Aus der QCD kennt man die Symmetrie als SU(2) Eichinvarianz mit dem sogenannten Gauss-Constraint G. (für die QED kennt man die Symmetrie U(1), G ist dann das Gaussche Gesetz, eine der vier Maxwellgleichungen)
2) eine Diffeomorphismeninvarianz, die beliebige Koordinatentransfomationen (nicht nur die einfachen Drehungen der Dreibeine) zulässt.
3) Eine „Zeittranslationssymmetrie“ entlang der „Zeit“. Die „Zeit“ ist dabei die vierte Dimension, die man oben beim Übergang von den Vier- zu den Dreibeinen „weggelassen“ hat. Diese „Zeit“ ist noch nicht die physikalische Zeit, sondern zunächst nur eine „vierte Richtung“.

Ziel der Quantisierung ist es nun, Lösungen zu drei Symmetrien zu finden: dem Gauss-Constraint G, dem Diffeomorphismus-Constraint D und dem Hamiltonian-Constraint H.

Eine Lösung für G ist aus der QCD bekannt. Man berechnet dazu entlang einer geschlossenen Schleife = Loop (ein in drei Dimensionen beliebig deformierter Kreis) ein bestimmtes Integral. Dieses Integral löst den ersten Constraint, es ist invariant gegenüber G und. Das bedeutet, dass man die Dreibeine beliebig verdrehen kann, (für jeden Punkt auf der Kugel, also für jede Postkarte unterschiedlich!) und dass trotzdem das Integral, das man für die verdrehten Dreibeine bzw. den geänderten Zusammenhang berechnet, denselben Wert behält.

Damit kann man wieder zu einer neuen Beschreibung übergehen, in der die Variablen A und E durch Integrale entlang der Schleifen bzw. über die von den Schleifen eingeschlossenen Flächen ersetzt werden. Daher kommt der Begriff Schleifenquantengravitation oder engl. Loop Quantum Gravity (LQG). Dummerweise muss man aber jetzt für jeden Punkt im dreidimensionalen Raum alle möglichen Schleifen (in allen Formen und Größen) betrachten. Dies sind „zu viele“ Variable in der Theorie. Mathematisch reduziert man dies, in dem man Lösungen des Diffeomorphismus-Constraint D berechnet. Dabei erhält man die sogenannten Spin-Netzwerke. Diese sind jetzt Lösungen zu G und D.

2.2 Spinnetzwerke

Spinnetzwerke stellt man sich anschaulich wie folgt vor: Man zerteilt den Raum in beliebig geformte Zellen mit ebenen Begrenzungsflächen, also z.B. wie gestapelte Würfel oder Seifenschaum. Dann kennzeichnet man einen beliebigen Punkt innerhalb einer Zelle und ordnet ihm einen Wert, nämlich das Volumen der Zelle zu. Anschließend verbindet man die so markierten Punkte benachbarter Zellen. Jede Verbindungslinie durchstößt eine Fläche, die zwei Zellen voneinander trennt. Nun ordnet man der Verbindungslinie den Wert dieser Grenzfläche zu. Hat man dies für den gesamten Raum durchgeführt, so hat man ein Spinnetzwerk konstruiert (in Wirklichkeit muss man jeder Verbindungslinie einen Spinoperator zuordnen, aus dem sich erst der Wert der Fläche ergibt; auch die Vorgehensweise für den Punkt innerhalb der Zelle ist eigentliche wesentlich komplizierter).

Man hat nun zu einem vorgegeben Raum (mit vorgegebener Geometrie) ein Spinnetzwerk konstruiert. Interessanterweise kann man auch umgekehrt aus einem gegeben Spinnetzwerk einen Raum mit seiner Geometrie ableiten. Die Beschreibungen der Geometrie über die Metrik der ART, der Ashtekar-Variablen A und E, der Loops und der Spinnetzwerke ist dabei äquivalent – mit der Ausnahme, dass die Spinnetzwerke keine der Symmetrien für G und D mehr enthalten, d.h. keine Mehrdeutigkeiten bzgl. der Drehung der Dreibeine oder beliebiger Koordinatentransformationen. Sie sind in gewisser Weise der minimale Satz an Variablen, die man braucht, um eine quantisierte ART zu beschreiben. Sie sind zwar nicht sehr anschaulich, aber für den Physiker ein minimales Rüstzeug, um konkrete Berechnungen anzustellen.

Am Beispiel der Erde sei das noch mal erläutert: mit Hilfe von Koordinaten kann man z.B. einen Ort in Deutschland bestimmen: man gibt Länge und Breite an. Dabei muss man jedoch festlegen, dass man das System mit dem üblichen Nullmeridian und Äquator nutzt (man hätte auch ein anderes nutzen können, z.B. eines mit anderem Nullmeridian). Insgesamt hat man unendlich viele Beschreibungsmöglichkeiten, für jedes Koordinatensystem (davon gibt es unendlich viele) ein Wertepaar Länge und Breite. Man kann den Ort aber auch anders beschreiben, z.B. genügt die Aussage „der höchste Punkt Deutschlands“. Damit weiß jeder, dass die Zugspitze gemeint ist, ohne dass man deren geographische Länge und Breite angeben muss bzw. ohne dass man ein Koordinatensystem definieren muss. Die Diffeomorphismeninvarianz wird dadurch garantiert, dass man im Sprachgebrauch überhaupt keinen Platz mehr für Koordinatentransformationen lässt.

Wichtig ist dabei, dass das Spinnetzwerk nicht „im Raum lebt“. Es kommt ohne einen Raum aus, der es einbettet, bzw. es beschreibt diesen Raum erst. Es ist selbst fundamentaler als der Raum und seine Geometrie!

3 Resultate

3.1 diskrete, quantisierte Raumzeit (elementare Länge, Fläche, Volumen)

3.2 diskretisierte Zeit

3.3 Singularitätenfreiheit (z.B. kein Big Bang) und Divergenzfreiheit (keine Unendlichkeiten)

3.4 Horizonte (von schwarzen Löchern)

3.5 Klassischer Grenzfall (von Spinnetzwerken zurück zur glatten Raumzeit)

3.6 Dispersionsrelationen (Frequenzabhängigkeit der Lichtgeschwindigkeit, Deformierung der Lorentz- bzw. Poincare-Invarianz, experimentelle Überprüfung)

3.7 Streuung an der elektromagnetischen Hintegrundstrahlung (experimentelle Überprüfung für Protonen)

3.8 "Auftreten von Materie"
Gruß
Tom

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Beitrag von gravi » 3. Dez 2007, 18:55

Lieber Tom,

Danke für die Neueintragung in diesem Thread - hier ist Deine Ausarbeitung richtig aufgehoben. Das alte Thema habe ich heraus genommen.

In einem anderen Thread hattest Du danach gefragt, ob jemand eine Quelle wüsste, wo man zum aktuellen Stand der Stringtheorien und der Quantengravitation Informationen findet. Mir scheint, die Informationsquelle entsteht gerade hier... :wink:

Ich bin gespannt auf die Fortsetzung!

Gruß
gravi
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Beitrag von tomS » 4. Dez 2007, 00:40

So, jetzt kommt der zweite Teil über Ergebnisse und experimentell überprüfbare Vorhersagen:

1 Voraussetzungen

1.1 Einleitung

1.2 Bedeutung von Hintergrundunabhängigkeit und Diffeomorphismeninvarianz der ART

1.3 Bedeutung der nicht-störungstheoretischen Beschreibung

2 Übersicht zur Quantengravitation

2.1 historische Entwicklung (Metrik => Zusammenhänge => Ashtekar-Variablen => Loops => Spin-Netzwerke)

2.2 Spinnetzwerke

3 Resultate

3.1 eindeutiger mathematischer Formalismus für die Quantengravitation

Das erste ermutigende Resultat ist die Tatsache, dass es gelingt, eine mathematisch strenge Lösung von quantenmechanischen Gleichungen der Gravitation (die Constraints G und D) zu konstruieren. Die mathematische Struktur ist sauber definiert. G und D sind exakt - nicht nur näherungsweise – gelöst, d.h. man kennt die physikalischen Zustände der Theorie (die Spinnetzwerke), die die Eichinvarianz respektieren und die invariant unter Koordinatentransformationen sind.

Die Spinnetzwerke leben dabei nicht mehr in der Raumzeit, sondern sie sind selbst die fundamentalen Größen. Die Raumzeit auf mikroskopischer Skala „entsteht“ erst durch die Dynamik der Theorie und ist nur gültig, wenn man „nicht zu genau“ hinschaut.

Physikalisch ähneln die Lösungen der Theorie einem „dualen Supraleiter“. In einem Supraleiter ist der erlaubte magnetische Fluss quantisiert, in der Quantengravitation ist es der „elektrische Fluss“, der mit den o.g. Dreibeinen E zusammenhängt.

Ein Problem ist, dass die Darstellung des letzten Constraints H leider nicht eindeutig ist; dies ist ein noch offenes Problem der Theorie Die folgenden Ergebnisse gelten aber für alle möglichen Varianten von H, d.h. bereits ohne die Lösung auch der letzten Gleichung können physikalische Aussagen getroffen werden.

Die Theorie kann erweitert werden, z.B. auf mehr als 3+1 Dimensionen. Man ersetzt dann weiter oben SU(2) durch SU(n) und muss mit anderen Spinnetzwerken rechnen. Im Detail ändert sich an der Theorie und an den folgenden Aussagen jedoch nichts.

In die Theorie können neue Wechselwirkungen, Felder und Materie eingebaut werden, z.B. das Standardmodell, Supersymmetrie und Supergravitation. Die Theorie wird dadurch natürlich komplizierter, wesentliche Aussagen bleiben aber gültig.

3.2 diskrete, quantisierte Raumzeit

Die physikalischen Zustände = die Lösungen zu G und D sagen vorher, dass Volumina, Flächen und Längen quantisiert werden. Für die Fläche findet man dabei einen kleinsten möglichen Wert von der Größenordnung Plancklänge zum Quadrat. Größere Flächen sind nicht einfach ganzzahlige Vielfache davon, das Ergebnis ist komplizierter, von der Struktur her jedoch aus der Quantisierung von Drehimpulsen her bekannt - Ursache ist die SU(2), die auch Drehimpulse beschreibt.

Die Größe der elementaren Fläche ist bis auf eine multiplikative Konstante bekannt. Dieser sogenannte Immirizi-Parameter geht in fast alle Resultate der Quantengravitation ein, diese sind damit noch nicht eindeutig festgelegt. Im Prinzip genügt jedoch ein einziges Experiment = eine einzige Messung, um den Immirizi-Parameter zu bestimmen, damit werden alle anderen Ergebnisse eindeutig.

Die Theorie beschreibt also eine Struktur, bei der es keine beliebig kleinen Abstände mehr gibt. Man kann auch keine Ereignisse und dazu den Abstand frei vorgeben; vielmehr sind sowohl die Ereignisse und ihr der Abstand in der Raumzeit (i.A. jede geometrische Größe) ein Ergebnis der Dynamik.

Man kennt ähnliches auch aus anderen Theorien, z.B. der Gittereichtheorie zur numerischen Lösung der QCD. In der QCD ist das Raumzeit-Gitter jedoch ein Trick, den man von Hand einführt und zum Schluss wieder eliminieren muss. In der Quantengravitation ist es kein Trick sondern das Ergebnis der Theorie!

3.3 diskretisierte Zeit

In einem Spinnetzwerk können neue Knoten und neue Verbindungen zwischen Knoten entstehen (bzw. verschwinden). Jeder derartige elementare Prozess ist dabei wie das Ticken einer Uhr zu sehen - allerdings gibt es keine Zeit zwischen den Ticks! Die Zeit ist somit auch quantisiert und „vergeht in diskreten Schritten“.

3.4 Eliminierung von Raumzeit-Singularitäten

Man kann eine einfachere Version der Theorie konstruieren, in der man die Urknallsingularität und die Entwicklung eines Universums beschreiben kann. Die Ergebnisse sind sehr ermutigend: Es gibt keine Singularität mehr. Wo man in der ART die Singularität erwartet, sieht man in der Quantengravitation einen Zustand extrem hoher Dichte und extrem kleinen Volumens, allerdings bleibt alles endlich! Ein schrumpfendes Universum prallt vor dem Entstehen einer echten Singularität zurück und wächst in einem neuen Urknall wieder an (big bounce). Bei größeren Skalen (viel größer als die Planck-Länge) findet man einen quantenmechanischen Zustand, der dem klassischen FRW Universum entspricht. Erweitert man das Modell um ein skalares Feld, so erhält man „zu Beginn“ ein inflationäres Universum.

Die volle Theorie ohne Näherung lässt sich nicht so einfach lösen, allerdings gibt es mathematische Hinweise, dass wesentliche Ergebnisse der Näherung gültig bleiben.

3.5 keine Divergenzen

Zu Beginn wurde beschrieben, wie man in vielen Feldtheorien auf unendliche Größen kommt, die man erst mit einem Trick wieder entfernen muss. Außerdem wurde gesagt, dass dieser Trick in der Quantengravitation nicht funktioniert.

In der Quantengravitation, die man aus den Spinnetzwerken erhält, treten diese unphysikalischen Unendlichkeiten nicht auf. Auch in den erweiterten Theorien mit Materie bleibt alles immer schön endlich. Grund ist, dass in den normalen Feldtheorien die Divergenzen entstehen, wenn Abstände von Ereignissen gegen Null gehen. Dies ist in der Quantengravitation aufgrund des Auftretens einer kleinsten Länge nicht mehr möglich.

3.5 Horizonte (von schwarzen Löchern)

Schwarze Löcher werden nicht mehr über eine Singularität beschrieben (es gibt keine mehr, da es keine Singularitäten bzw. Divergenzen mehr gibt), sondern über bestimmte Eigenschaften des Ereignishorizontes. Man kann für diese Ereignishorizonte die Entropie sowie das elektromagnetische Strahlungsspektrum berechnen und findet Ergebnisse, die denen von Hawking und Bekenstein entsprechen. (Wieder tritt eine Nicht-Eindeutigkeit durch den Immirizi-Parameter auf.)

Die Strahlung eines schwarzen Lochs ist dabei näherungsweise thermisch (Plancksche Strahlungsfomel), man erhält jedoch kleine Korrekturen, eine Art Feinstruktur, die über die Ergebnisse von Hawking und Bekenstein hinausgeht. Dies ist eine neue Vorhersage der Theorie. (Hawking und Bekenstein haben die Raumzeit als klassisch betrachtet und nur das elektromagnetische Feld in der Umgebung eines klassischen schwarzen Lochs quantisiert.)

3.6 Klassischer Grenzfall

Es ist bisher nicht vollständig möglich, „klassische Zustände“ (z.B. den Minkowski-Raum, das FRW-Universum o.ä.) aus der vollen quantisierten Theorie herzuleiten. Man muss bisher immer Näherungslösungen für eine flache Raumzeit (sogenannte semiklassische Zustände oder kohärente Zustände) verwenden. Bezieht man Materie und Strahlung mit ein, so erhält man quantenmechanische Korrekturen der Gravitation zur bekannten Quantenelektrodynamik. Letztere bleibt in diesem Formalismus ebenfalls immer endlich, d.h. man benötigt keine Renormierung o.ä. Tricks. Wesentliche Resultate der Renormierung bleiben jedoch erhalten bzw. werden leicht modifiziert.

3.7 Energie-Impuls-Beziehung

Ein zentrales Ergebnis ist die Frequenzabhängigkeit der Lichtgeschwindigkeit!

In der speziellen Relativitätstheorie gilt aufgrund der Poincare-Invarianz
\fed\mixonE^2 = p^2 + M^2
für Energie, Masse und Impuls eines Teilchens. Dies ist die seit Einstein bekannte Beziehung zwischen Energie, Impuls und Ruhemasse. Sie hat den Vorteil, dass sie auch für masselose Teilchen, z.B. Photonen, gültig ist.

Aus der Quantengravitation erhält man Modifikationen der Form
\fed\mixonE^2 = p^2 + M^2 + E^2 (\a (l_Pl E) + \b (l_Pl E)^2 + ...)
wobei die die Parameter durch den semiklassischen Zustand der Quantengravitation für das Minkowski-Vakuum bestimmt sind.

Die normale Lichtgeschwindigkeit c wird dabei gleich eins gesetzt, d.h. man rechnet in Einheiten der Lichtgeschwindigkeit.

Die Ausbreitungsgeschwindigkeit elektromagnetischer Wellen ist dann energieabhängig:
\fed\mixonv_c = 1 + \a (l_Pl E) + \b (l_Pl E)^2 …

Damit ist die bekannte Lorentz- bzw. Poincare-Invarianz nicht mehr gültig. Dies ist zunächst kein Problem, da sie keine fundamentale Symmetrie ist, sondern nur eine Symmetrie des flachen Raumes, also einer speziellen Lösung. Vgl. Rotationssymmetrie: das Newtonsche Gravitationspotential ist kugelsymmetrisch, eine Lösung = eine Planetenbahn bricht aber diese Symmetrie, da sie die Bahnebene sowie die Richtung der Halbachsen auszeichnen. Ebenso ist die Lorentzsymmetrie für eine spezielle Lösung = das Vakuum nicht mehr vollständig realisiert Die Theorie der Quantengravitation ist jedoch mathematisch konsistent! Wäre z.B. die o.g. Diffeomorphismeninvarianz verletzt, so wäre die Theorie mathematisch inkonsistent, es gäbe eine Quantisierungsanomalie.

Für die Poincare-Invarianz können insgesamt mehrere Fälle auftreten:
1) erhalten
2) spontane Brechung mit Auszeichnung eines bevorzugten Bezugssystems
3) Deformation ohne ausgezeichnetes Bezugssystem
Dabei gilt für 1) die normale Energie-Impuls-Beziehung, für 2) und 3) die modifizierte.

1) entspricht der klassischen ART mit flacher Raumzeit
2) wäre vergleichbar mit der Äthertheorie vor Einstein. Im Rahmen der Quantengravitation wäre dies zumindest seltsam!
3) würde nicht-lineare Erhaltungssätze für Energie und Impuls bedeuten. Ein wesentlicher Unterschied zwischen 2) und 3) wäre außerdem, dass in 2) die Lichtgeschwindigkeit noch von der Polarisation der Photonen abhängen würde, in 3) jedoch nicht.

Neuere Rechnungen in der Quantengravitation deuten darauf hin, dass 3) tatsächlich gilt; in 2+1 Dimensionen kann man dies exakt zeigen, in 3+1 Dimensionen gibt es gute Argumente, aber noch keinen Beweis. Ergebnisse, die für 2) sprechen, kennt man aus einer Näherung der Superstringtheorie.

Man geht heute aufgrund von Messungen an Gammastrahlungsausbrüchen davon aus, dass 3) realisiert ist; eine endgültige Bestätigung erwartet man von den Experimenten GLAST und AUGER. Damit ist zum ersten Mal die experimentelle Überprüfung eines quantenmechanischen Effektes (d.h. die Modifizierung der normalen Dispersionsrelationen) in Reichweite, zum anderen gleichzeitig die Möglichkeit, zwischen Vorhersagen der Stringtheorie 2) und der Loop-Quantengravitation 3) zu unterscheiden.

Eine „einfache“ Möglichkeit der Messung ist es, die „Flugzeiten“ von Photonen unterschiedlicher Frequenz aus Gammastrahlungsausbrüchen zu messen. Man bestimmt für den Gammastrahlungsausbruch, wann Photonen welcher Frequenz eintreffen. Da die Lichtgeschwindigkeit von der Energie (und damit der Frequenz) abhängt, erwartet man, dass energiereichere Photonen früher, energieärmere später eintreffen, dass also der Gammastrahlungsausbruch „auseinandergezogen“ bei uns ankommt. Kennt man die Entfernung des Ausbruchs, kann man auf die Geschwindigkeitsdifferenz für die Photonen schießen und zuletzt dann den Koeffizienten alpha bestimmen.

Zur Begründung der modifizierten Energie-Impuls-Beziehung: man erwartet auf einer diskreten Struktur eine andere Wellenausbreitung als im Kontinuum, da die „körnige Struktur“ die Wellen streut. Eine erste Näherungsrechnung zeigt, dass dies einer energieanhängigen Metrik in der ART entspräche, d.h. Photonen „sehen“ abhängig von ihrer Energie den Raum unterschiedlich.
Gruß
Tom

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Beitrag von AlTheKingBundy » 4. Dez 2007, 16:12

um es auf den punkt zu bringen: es gibt keine experimentelle bestätigung der theorie :-)

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Beitrag von Maclane » 4. Dez 2007, 17:31

AlTheKingBundy hat geschrieben:um es auf den punkt zu bringen: es gibt keine experimentelle bestätigung der theorie :-)
Das nicht, aber es liest sich ja alles schonmal sehr vielversprechend. :)
Das Gehirn ist nur so schlau wie sein Besitzer.

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Beitrag von tomS » 4. Dez 2007, 21:18

Stimmt, es gibt keine experimentelle Bestätigung :-)

Aber es gibt zum ersten mal Voraussagen für mögliche Effekte einer Theorie der Quantengravitation, die sich in den nächsten Jahren bestätigen oder widerlegen lassen sollten.

Das Problem mit der Quantengravitation ist für die Physik etwas völlig neues:

Bisher war es normalerweise so, dass die Experimentalphysiker Effekte entdeckt haben, für die es keine theoretische Erklärung gab (Beispiel: Atomphysik, Anregungsspektren). Dann mussten die Theoretiker nachziehen und eine Theorie abliefern. Eine "gute Theorie" zeichnet sich dadurch aus, dass sie (möglichst viele und präzise) Vorhesagen macht, die prinzipiell widerlegbar sind; mit jeder gescheiterten Widerlegung wird die Theorie gestärkt. Zum zweiten sollte die Theorie auch Effekte jenseits der bereits bekannten voraussagen (Quantenmechanik: das Positron aus der Dirac-Gleichung), die dann wiederum einer experimentellen Bestätigung - oder Widerlegung bedürfen.

Das Problem mit Gravitation (ART) und Quantenphysik (Standardmodell) ist nun, dass beide für ihren jeweiligen Anwendungsbereich hervorragende Vorhersagen liefern, die noch nie widerlegt wurden! Trotzdem zeigt eine mathematische Analyse, dass beide Theorien mathematisch (sowohl für sich als auch erst recht in einer Kombination) inkonsistent sind. Der Bereich, in dem dies geschieht, ist jedoch experimentell nicht zugänglich.

Es gibt also gute Gründe - aber eben nur rein theoretische - dass die beiden Theorien grundsätzlichen modifiziert werden müssen, um kompatibel zu werden. Damit versagt aber das Wechselspiel der Theoretiker und der Experimentalphysiker. Beide müssen lernen, mit dieser neuen Art der Theorienfindung umzugehen. Daher ist es ein großer Erfolgt, dass man nun grundsätzlich messbare Effekte aus der Theorie ableiten kann. Da sie eigentlich für ein Regime im Bereich Plancklänge geschaffen wurde, ist es ein Durchbruch, dass man messbare Effekte für uns zugängliche Längen- und Energieskalen erhält.

GLAST soll im nächsten Jahr erste Daten liefern, d.h. so lange wird man nicht warten müssen.

Zum Vergleich: die experimentelle Vorhersage der SU(2) * U(1) Symmetrie der elektroschwachen Wechselwirkung hatte eine ähnliche Vorgeschichte. Die neue Theorie von Sheldon, Glashow und Weinberg wurde im Jahr 1967 formuliert, eine erste indirekte Bestätigung mit dem Nachweis der neutralen Ströme in der schwachen WW kam 1973, der Durchbruch war dann der Nachweis der W- und Z-Eichbosonen der elektro-schwachen WW 1983. Es hat also damals auch über 15 Jahre gedauert, bis man eine experimentelle Bestätigung vorlegen konnte.
Gruß
Tom

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Beitrag von gravi » 5. Dez 2007, 19:23

Es gibt sicherlich sehr viele Beispiele in der Wissenschaft, in denen von der Theorie Voraussagen gemacht wurden, die erst (viel) später experimentell überprüfbar waren.
Zu nennen ist da einfach mal die Periheldrehung des Merkur, die Lichtablenkung am Sonnenrand (Krümmung der Raumzeit) oder die Vorhersage Schwarzer Löcher durch Einsteins Theorien. Oder man denke an die Neutronensterne, die von Zwicky durch bloßes Nachdenken vorhergesagt wurden.

Den umgekehrten Fall gibt es mindestens ebenso häufig, dass eben eine Beobachtung gemacht wurde, die erst später theoretisch erklärbar war.
Ob und wie Quantengravitation und/oder Stringtheorien einmal nachprüfbar sein werden, bleibt meiner Ansicht nach abzuwarten.

Gruß
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Beitrag von tomS » 6. Dez 2007, 23:11

Ok, es ist noch zu früh, von einer Überprüfung zu sprechen, aber immerhin gibt es inzwischen neue und falsifizierbare Vorhersagen der Theorien, die in den nächsten Jahren überprüft werden können. Das hatte man noch vor ein paar Jahren für völlig unmöglich gehalten.

Ich habe auch nicht gemeint, dass es an sich erstaunlich ist, dass Theorie und Experiment einen gewissen Zeitversatz haben - das war schon immer so. Was aber neu war - und bis vor kurzem eigentlich einer Bankrotterklärung gleichkam - war folgendes:
Zwei Theorien (Quantenfeldtheorie und ART) waren mathematisch sowohl für sich alleine als auch (und da erst recht) in ihrer Kombination inkonsistent.
Trotzdem gab es keine Vorhersage irgendeiner dieser Theorien, die sich nicht entweder experiementell bestätigt hätte, oder die einfach außerhalb des experimentell zugänglichen Bereichs gelegen hätte.
Und es gab umgekehrt kein Experiment, das sich nicht aus einer der beiden Theorien erklären ließ.

Zusammenfassung: es gab überhaupt keinen physikalischen Anlass, nach etwas Neuem Ausschau zu halten, sondern lediglich einen mathematischen Hinweis, dass da etwas nicht stimmen kann. Das war eine völlig verfahrene Situation, da die Mathematik nur sagen konnte "also so geht es nicht", und die Pragmatiker unter den Physikern antworten konnten "warum eigentlich nicht?"
Feynman hat mal gesagt (gefragt nach Grundlagen, Interpretation und Philosophie der Quantenmechanik) "halt's Maul und rechne!"

Zur Energie-Impulsbeziehung:
Interessant ist nicht nur, dass sie prinzipiell die quantisierte Raumzeit bestätigen (oder wiederlegen) könnte, sondern dass sie sogar zwischen Strings und Loops eindeutig unterscheiden würde!

Es gibt eine weitere (aber nicht so eindeutige) Vorhersage, die beide Theorien gemeinsam haben, nämlich dass die Streuung von hochenergetischen Protonen (> 10^19 eV) an der Hintergrundstrahlung modifiziert wird. Bisherige Rechnungen mit klassischer Raumzeit sagen voraus, dass die Streuung ab einer bestimmten Energie so stark wird, dass man (da die Quellen viel weiter entfernt sind als die Strecke, die die Protonen zurücklegen können), auf der Erde keine dieser hochenergetischen Protonen mehr sehen dürfte. Strings und Loops sagen nun voraus, dass die Streuung deutlich schwächer wird und die Protonen eine wesentlich größere Strecke zurücklegen, so dass sie wieder auf der Erde ankommen können und detektierbar werden.

Interessant ist nun, dass ein Experiment (nur eines von mehrere - also wirklich nicht eindeutig!) berichtet, Protonen mit Energien > 10^19 ev detektiert zu haben. Damit wäre ein indirekter Beweis für die Körnigkeit der Raumzeit bereits erbracht.

Es ist richtig:
- es gibt noch keine eindeutigen experimentellen Ergebnisse
- es gibt teilweise mehrere theoretische Erklärungen für einen Effekt
- es gibt überhaupt nur sehr wenige überprüfbare Vorhersagen
- alle Effekte sind sehr "indirekt", d.h. man überprüft Vorhersagen für kleine Distanzen in Experimenten auf großen Längenskalen

Trotzdem kann man nur hoffen, dass die Theoretiker hier auf dem richtigen Weg sind, denn:
- sowohl bei Strings als auch bei Loops gibt es noch Mehrdeutigkeiten (bei Strings mehr als bei Loops)
- aber es gibt Vorhersagen, die sich bei Modofikationen der Theorien nicht ändern (*)
- es gibt schlichtweg keine echte Alternative zu den beiden Theorien (bzw. sie stecken noch in den Kinderschuhen)
Mit (*) meine ich folgendes: bei den Loops ist die endgültige Fassung des Hamilton-Constraints noch nicht klar; es gibt hier Mehrdeutigkeiten. Außerdem gibt es zwar "Kandidaten" für eine semiklassische Näherung, aber noch keine eindeutige Vorhersage eines (auf großen Skalen) flachen und glatten Minkowski-Raumes. Trotzdem sind die Vorhersagen für alle diese "Varianten" identisch.

Ich bin eigentlich mit der jetzigen Situation ziemlich happy: man hat zwei Kandidaten (meiner Meinug nach nur einen guten - aber das ist was anderes), man kann erste neue Phänomene vorhersagen, und man steht kurz davor, diesbezüglich auch Messungen durchführen zu können. Man kommt also wieder dahin, echte Physik zu betreiben und nicht nur mathematische Sandkastenspiele.

Das ist auch mein Hauptkritikpunkt an der Stringtheorie: sie sagt praktisch nichts vorher, braucht dazu aber einen irren mathematischen Apparat und zig neue Konzepte wie Extradimensionen, Supersymmetrie usw. Ökonomisch ist das nicht gerade ...
Gruß
Tom

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Beitrag von gravi » 7. Dez 2007, 19:14

Ergo bist Du auch ein "Antistringser"? :wink:

Also ich meine, man sollte da besser mal abwarten und Tee trinken.
Immerhin ist diese Hypothese (den Ausdruck Theorie für die Strings halte ich derzeit noch für ein wenig voreilig) momentan der beste Kandidat für eine Quantengravitation.

Interessant wäre allerdings, wie Du selbst schon gefragt hast, zu wissen, wie weit aktuell die Entwicklung voran geschritten ist oder ob die String- Mathe- Künstler auf der Stelle treten...

Gruß
gravi
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Beitrag von tomS » 9. Dez 2007, 15:15

Hi GRavi,

so einfach ist das mit dem "Antistringser" nicht. Was du bzgl. Stringtheorie und Quantengravitation sagst, nämlich dass es der "momentan beste Kandidat für eine Quantengravitation" ist, halte ich für falsch, da die Stringtheorie einfach elementare Erkenntnisse der klassischen Gravitationstheorie / ART ignoriert: Die Hintergrundunabhnängig, die Diffeomorphismusinvarianz, die nicht-störungstheoretische Betrachtung. Ohne diese Eigenschaften kann man schon klassisch keine Gravitationstheorie formulieren!

Beispiel, wie die Stringhtheorie das macht: man definiert als Hintegrund den flachen Minkowskiraum; man führt das Gravitationsfeld als kleine Störung dieses Hintergrundes ein und betreibt dann Störungstheorie. Störungstheorie kann man auch für die ART verwenden, also ohne überhaupt eine quantisierte Theorie zu betrachten. Wenn man das mit dem oben angegeben Anastz tut, dann findet man nie im Leben die "richtige" Lösung der ART, nämlich das FRW-Universum (der flache und statische Minkowski-Raum ist keine realistische Lösung der ART)

Wenn du den Anspruch der Stringtheorie etwas anders formulierst, dass sie nämlich der "momentan beste Kandidat für eine Vereinheitlichung aller Wechselwirkungen unter Einbeziehung einer störungstheoretischen Formulierung der Quantengravitation" ist, dann gebe ich dir recht.

Der Stringtheorie gelingt es nämlich, auf einer vorgegeben Raumzeit, eine Quantenfeldtheorie störungstheoretisch zu formulieren, die alle Wechselwirkungen inklusive Gravitation vereinigt - allerdings eben nur störungstheoretisch. Das heißt, dass die Geometrie des Raumes nicht aus der Stringtheorie folgt, dass aber für eine vorgegeben Geometrie darauf Gravitonen und ihre Wechselwirkungen beschrieben werden können.

Ich habe ja unter Stringtheorie ... der Versuch einer Rechtfertigung einiges zu dem Thema geschrieben, deshalb möchte ich es hier kurz halten: Meines Erachtens sollten die Ansprüche und Resultate der beiden Theorien sehr genau differenziert werden: Die Schleifenquantengravitation (die m.E. der derzeit beste Kandidat ist), will nichts weiter als eine Quantentheorie der Einsteinschen Gravitationstheorie, ohne weitere Wechselwirkungen und ohne Vereinheitlichung, dafür aber dem Anspruch nach vollständig im o.g. Sinne: mit Hintergrundunabhnängig, mit Diffeomorphismusinvarianz, nicht-störungstheoretisch! Die Stringtheorie (in ihrer gegenwärtigen Form) ist vom Anspruch bzgl. der Quantengravitation im o.g. Sinne beschränkt, dafür zielt sie aber auf eine Vereinheitlich aller Wechselwirkungen in einer einheitlichen Beschreibung. Und in diesem Sinne ist sie wiederum der beste Kandidat.

Ich finde, man muss Ausgangspunkte, Ansprüche und Ziele sauber auseinander halten. Das passiert häufig nicht, und das muss man auch den Stringtheoretikern zum Vorwurf machen: nicht, dass sie das endgültige Ziel noch nicht erreicht hat, aber dass sie zumindest teilweise unehrlich argumentiert, wenn es um die Quantengravitation geht.

Als Beleg noch einige Beispiele aus einem Artikel http://arxiv.org/abs/hep-th/0603102 "Invitation to String Theory": Der Autor schreibt:
Quantizing gravity using the usual techniques of field theory will turn out to be unsuccessful, and that will be a motivation for trying an indirect approach: string theory.
Man könnte natürlich auch den Schluss ziehen, dass statt dessen die Methoden der Feldtheorie unzulänglich sind (im Wesentlichen ist das das Thema Hintergrundabhängigkeit und Störungstheorie).

Weiter schreibt er
String theory is necessary because we don’t know of any other way in which to make a theory of gravity that doesn’t contradict Quantum Mechanics.
Dies ist schlichtweg falsch! Vielleicht kennt er die Schleifenquantengravitation nicht; sie ist eine mathematisch wohldefinierte Quantentheorie der Gravitation. Dies ist alles aus der Einleitung.

Bei der Konstruktion der Theorie heißt es dann
The first general principle that I will use in constructing a field theory of gravity is that my theory has to respect special relativity - it should be Lorenz covariant
Dies ist sachlich falsch! Die Theorie selbst muss keineswegs Lorentz-kovariant sein - die ART ist es auch nicht!!! Es sind spezielle Lösungen (z.B. das Vakuum), die diese Eigenschaft aufweisen. Hier wird die Eigenschaft einer Lösung mit einem fundamentalen Prinzip der Theorie verwechselt.

Zum Abschluss (Seite 22) schreibt er dann:
This is the crux of the statement that we do not have a non-perturbative background independent definition of string theory. We do not know how the vacua are selected.
Er hat den Kernpunkt des Problems genau erkannt, aber trotzdem kein Wort über die Schleifenquantengravitation, die nämlich genau dieses Ziel verfolgt. Ich denke, dass liegt einfach daran, dass man die zwei grundsätzlich verschiedenene Ziele, nämlich 1) Vereinheitlichung aller Wechselwirkungen und 2) Quantengravitation bei vielen Stringtheoretikern nicht sauber auseinanderhält. Sobald man das nämlich tut, erkennt man auch, wo es in der Stringtheorie (und in dem zitierten Artikel) Auswege bzw. andere Argumentationslinien gäbe.

Warum habe ich diesen Artikel gewählt? Erstens weil er jüngeren Datums ist und zweitens weil er die Grundfehler der Stringtheorie bzgl. der Quantengravitation veranschaulicht. Viele Stringtrheoretiker verweigern sich der Erkenntnis, dass man fundamentale Prinzipien der Quantenfeldtheorie aufgeben muss, wenn man eine Quantengravitationstheorie formulieren will.

Nochmal, es stört mich nicht, dass man in der Stringtheorie bestimmte Probleme nicht lösen kann - in jeder Theorie gibt es das und das liegt meistens bereits im Ansatz begründet. Mich stört allerdings der Anspruch, für alles eine Lösung parat zu haben und die gleichzeitige Ignoranz gegenüber anderen Forschungsrichtungen.

Zum gegenwärtigen Erkenntnissstand der Stringtheorie: Ich bin weiter auf der Suche nach einem einigermaßen aktuellen Statusbericht - leider Fehlanzeige. Insbs. finde ich nichts, was die vielen unterschiedlichen Richtungen, die sich hier entwickelt haben, wieder zusammenführt. In den 90igern war es die Erwartungshaltung, dass dies die sogenannte M-THeorie leisten könnte. Aber außer einigen wagen Anhaltspunkten finde ich nichts.

In diesem Sinne
Gruß
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Tom

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Beitrag von Ray Light » 9. Dez 2007, 22:28

Hallo zusammen,

ich habe die Diskussion hier nicht in allen Einzelheiten verfolgt. Außerdem bin ich sicher kein heißer Verfechter der Stringtheorien (wie an anderen Stellen im Forum schon klar geworden ist). Und doch möchte ich hier einmal eine Position für die Stringtheorien einnehmen.

Ich kenne mittlerweile berufsbedingt immer mehr Leute, die sich ernsthaft mit den Stringtheorien beschäftigen. Die Verfechter dieser Theorien sind sich den beiden Hauptproblemen der Stringtheorien bewusst:

1) Landscape problem: Im Rahmen der Stringtheorien wurden 10^500 Vakua gefunden, von denen jedes einzelne im Prinzip sein eigenes Universum beschreibt. Preisfrage: Welches dieser Vakua beschreibt unser Universum?

2) Keine Hintergrundunabhängigkeit: Sobald man die Stringtheorien formuliert, spezifiziert man eine Raumzeit, die gewissermaßen als Bühne für die durch Strings und Branen beschriebenen Teilchen und Felder fungiert. Das ist die so genannte Hintergrundmetrik. Problem: Die Stringtheorie hängt von der Wahl dieser Hintergrundmetrik ab. Jedoch - und das lehrt uns Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie - ist eine Metrik nicht unabhängig von den Feldern, die sich "auf ihnen" befinden. Einsteins Theorie ist hintergrundunabhängig oder mathematisch gesagt diffeomorphismusinvariant. Diese Eigenschaft fehlt an sich bei den Stringtheorien.

Die Probleme 1 und 2 sind bislang zwar nicht gelöst, aber es wird derzeit erforscht. Vor allem bei Problem 2 gibt es Neues zu berichten. So fanden die Stringtheoretiker im Rahmen der so genannten topologischen Stringtheorien Ansätze, die eine Hintergrundunabhängigkeit einführen. Im Rahmen unserer Science Week hat davon Murad Alim berichtet und ich möchte Euch seinen Vortrag empfehlen, den es hier als pdf gibt (auf den Link "Slides" klicken; Achtung: ~36 MB):

http://www.universe-cluster.de/MaKaC/co ... confId=207

Unter diesem Link findet Ihr auch einen Talk von Oleg Andreev, der uns ein String-Modell eines zehndimensionalen Schwarzen Lochs vorgestellt hat, dass erstaundlich gut einige Verhältnisse (Temperaturabhängigkeit der Schallgeschwindigkeit) bei der starken Kraft reproduziert. Warum das so gut funktioniert, versteht keiner. Letztendlich stimmt hier ein rein geometrisches Modell sehr gut mit den Berechungen auf einem Gitter in der Quantenchromodynamik überein.

Bei allen Vorbehalten: Gebt den Stringtheoretikern eine Chance. Und ja: es ist eine Theorie.

Gruß,
Ray
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Beitrag von tomS » 12. Dez 2007, 01:15

Hallo Ray,

leider ist die Datei von Murad Alim beschädigt.

Ich hab mal im Web unter " topologischer Stringtheorie" gesucht, allerdings keine hintergrundunabhängigen Ansätze gefunden. Meistens wird sofort über Calabi-Yau Räume geredet - und das bedeutet doch die übliche Kompaktifizierung auf einem Hintergrund - oder hab ich da was falsch verstanden? Hast du evtl. weitere Links?

Zu den zwei Hauptproblemen Landscape und Hintergrundabhängigkeit: Ich denke, ersteres ist ein "Scheinproblem" und wird sich lösen, wenn man letzteres verstanden hat. Ich glaube kaum, dass die Vakua gleichberechtigt bleiben, wenn man nichtperturbative und hintergrundunabhängige Methoden durchgängig verwendet.

Zur Frage, ob ich den Stringtheorien eine Chance gebe: na ja, ich bin ja nicht in der Situation zu entscheiden, wer eine Chance bekommt und wer nicht :-) Ich glaube, es tut der Theorie gut, dass sie seit einiger Zeit deutlicher in der Kritik steht und der Rechtfertigungsdruck steigt. Ich habe auch den Eindruck, dass bei den Stringtheoretikern selbst diese Erkenntnis auch langsam reift.

Inhaltlich kann ich nur auf meinen Beitrag in Stringtheorie ... der Versuch einer Rechtfertigung verweisen.
Gruß
Tom

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Beitrag von Ray Light » 12. Dez 2007, 17:25

Lieber Tom,

bei mir funktioniert der Link auf Murads pdf. Man benötigt etwas Zeit, weil die Datei fast 37 MB groß ist (weil eingescannte Folien dabei sind). Ich gebe Dir mal die Adresse von Murads Website, dort ist ganz unten der gleiche Link:

http://www.theorie.physik.uni-muenchen.de/~alim/

Der Vortrag ist anhand der Folien nicht leicht zu verstehen - es sei denn, man kennt sich in Stringtheorien, Quantentheorie und Mathematik etwas aus. Allerdings sind wesentliche Veröffentlichungen genannt, deren Lektüre lohnt, wenn man topologische Stringtheorien verstehen will. Es ist auf jeden Fall etwas für Fortgeschrittene.

Die topologischen Stringtheorien sind schon mehr als die übliche Kompaktifizierung in den Stringtheorien. Was ich dazu sagen kann, ist das Folgende: Die Hintergrundabhängigkeit der Stringtheorien kommt ins Spiel, sobald man den Lagrangian (bzw. die Wirkung) hinschreibt.
Die topologische Stringtheorie ist nun ein Zugang, bei dem man eine neue mathematische Formulierung findet, die die Hintergrundunabhängigkeit aufrecht erhält. Die wesentlichen Elemente dieser Mathematik sind die partition functions Z, die verwandt sind mit den Zustandssummen in der Statistischen Physik bzw. mit den Pfadintegralen in der Feldtheorie. Murad zeigt in seinem Vortrag, wie man für Z eine Wellengleichung ableiten kann, die an die Schrödinger-Gleichung erinnert. Die Zs sind also sowas wie Wellenfunktionen. Ziel ist es, die Eigenschaften dieser Gebilde zu bestimmen, weil in ihnen die Dynamik der Felder steckt.

Gut, jedes weitere Wort wäre das einer Kuh, die vom Seilspringen spricht. Daher werde ich es dabei belassen, möchte Dich aber ermutigen, Tom, Dich mit den Veröffentlichungen (sicher erhältlich unter arXiv) zu befassen, da Du offensichtlich großes Interesse hast.

Gruß,
Ray
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Beitrag von tomS » 28. Dez 2007, 03:29

Hallo,

habe inzwischen einiges über topologische Stringtheorien gelesen (und hoffentlich wenigstens etwas davon verstanden - war echt nicht einfach!).

Ich habe mir folgendes Bild genmacht:

Stringtheorie ist im Wesentlichen eine Kombination einer zweidimensionalen Feldtheorie (d.h. einer Feldtheorie auf einer zweidimensionalen Mannigfaltigkeit) mit einer Hintergrundgeometrie / -gravitation.
Die zwei Dimensionen sind dabei die beiden Dimensionen, die durch die String-Weltfläche (eine Dimension entlang des Strings, zweite Dimension durch Bewegung des Strings durch die „Zeit“) aufgespannt werden.
Die Feldtheorie enthält nun für jeden Punkt der zweidimensionalen Mannigfaltigkeit ein „Vektorfeld“ mit n Komponenten. Diese n Komponenten „beschrieben“ einen n-dimensionalen Raum, der im Falle der Stringtheorie mit der n-dimensionalen Raum-Zeit identifiziert wird. Die n-dimensionale Raum-Zeit entsteht so aus den ursprünglich zwei Dimensionen der Stringtheorie zusammen mit dem geeignet gewählten Vektorfeld.

Wie üblich sind in Stringtheorien nicht beliebige Raum-Zeit Dimensionen möglich: die Bedingung der Anomalienfreiheit legt üblicherweise die Dimension auf 26 (für rein bosonische Strings) bzw. 10 (für Superstrings) fest. Des Weiteren werden bestimmte Bedingungen an die Geometrie gestellt: zum einen 10 = 4 + 6, wobei die 4 Dimensionen die „normale“ Raumzeit beschreiben sollen, und 6 Dimensionen mit einer „Ricci-flachen“ „Kähler-Geometrie“. „Ricci-flach bedeutet, dass der Ricci-Tensor gleich Null ist; klassisch gilt dies für die Vakuumlösungen der ART. Kähler-Geometrie bedeutet, dass man die 6 Koordinaten auf eine bestimmte Weise zu 3 komplexen Koordinaten zusammenfassen kann und dass die Metrik die Bedingung erfüllt, dass sie aus einer skalaren Funktion berechnet werden kann.

D.h. man hat letztendlich eine Geometrie der Form
10 Dim = 3+1 (MG) + 6 (CYM)
Wobei 3+1 (MG) für die gewöhnliche Minkowski-Geometrie steht und
6 (CYM) für eine sechsdimensionale sogenannte Calabi-Yau Mannigfaltigkeit.
Im Einzelnen ist die für topologische Strings etwas anders als für die gewöhnlichen Strings, aber man landet letztendlich bei derselben Geometrie.

Topologisch ist die Theorie nun insofern, als die Feldtheorie (d.h. die Dynamik des o.g. Vektorfeldes) nicht abhängig ist von den Details der Geometrie (oder gar der Metrik) der zweidimensionalen Mannigfaltigkeit, sondern nur von der Topologie (also von der Form: Kugel, Torus = Schwimmreifen, Brezel, …). Topologische Feldtheorien erhält man durch einen mathematischen Formalismus, der eine weitere lokale Symmetrie in die Theorie einführt. Jede lokale Symmetrie einer Theorie führt dazu, dass bestimmte Freiheitsgrade aus der Theorie eliminiert werden.
(Betrachtet man z.B. die klassische Elektrodynamik, so hat sie eine U(1) Eichsymmetrie: die Zeitkomponente des Viererpotentials ist nicht dynamisch und kann z.B. zu Null gesetzt werden. Daneben gibt es eine weitere Zwangsbedingung, das Gauss-Gesetz = eine Rest-Eichsymmetrie, das es erlaubt, eine weitere Bedingung an das verbleibende Dreierpotential zu stellen. Insgesamt können so zwei der vier Freiheitsgrade vom ursprünglichen Viererpotential eliminiert werden und man behält noch zwei Freiheitsgrade zurück. Dies entspricht den beiden physikalischen Polarisationsrichtungen der elektromagnetischen Wellen.)
Die in den topologischen Stringtheorien relevante Symmetrie führt nun dazu, dass alle lokalen Freiheitsgrade aus der Theorie eliminiert werden und nur noch die topologische Information übrigbleibt. D.h. es gibt keine „Schwingungen“ des Strings mehr!

Normalerweise wird eine Theorie dadurch „hintergrundabhängig“, dass man eine bestimmte Geometrie wählt. Auf dieser Geometrie wird dann die Dynamik beschrieben, also z.B. dynamische Gravitationswellen / Gravitonen auf einem Minkowski-Hintergrund (oder einem Schwarzschild-Hintergrund). Genau dies tut die Stringtheorie - und soweit ich das verstanden habe auch die topologische Stringtheorie (ich habe die verwendete Geometrie oben ja genau beschrieben).

Die sogenannten „partition functions Z“ sind ein Hilfsmittel, die Dynamik der Theorie zu beschreiben; sie haben den Vorteil, dass die meisten der Symmetrien einer Theorie in ihnen automatisch enthalten sind. Die topologische Stringtheorie hat nun die Eigenschaft, dass die „partition functions Z“ zunächst die mathematische Eigenschaft der Holomorphie erfüllen. Allerdings gibt es in dieser Symmetrie eine sogenannte Anomalie, d.h. dass eine Symmetrie, die klassisch gilt, durch die Quantisierung zerstört wird. Die Anomalie wird durch einen Satz von Differentialgleichungen beschrieben. Diese Gleichungen verbinden die Anomaliebeiträge für unterschiedliche Topologien (Kugel, Schwimmreifen, Brezel …) miteinander und garantieren, dass die nicht-holomorphen Beiträge der „partition functions Z“ einer gewöhnlichen „quantenmechanischen Transformation“ entsprechen.

Jetzt zur Hintergrundunabhängigkeit: Soweit ich das verstanden habe, wird für die topologische Stringtheorie die Hintergrundunabhängigkeit für die oben genannten Calabi-Yau Mannigfaltigkeiten durch die spezielle Form der Anomalie garantiert.

Damit bleiben aber zwei Kritikpunkte:
Zum einen gilt dies nur für topologische Stringtheorien; diese sind nicht äquivalent zur vollen Stringtheorie, haben keine lokalen Freiheitsgrade und sind (soweit ich das sehe) nur ein Spielzeugmodell, um die Eigenschaften der „großen“ Stringtheorien besser zu verstehen.
Zum anderen gilt die Hintergrundunabhängigkeit nur für die Calabi-Yau Mannigfaltigkeiten, nicht jedoch für die verbleibenden vier Dimensionen, also für die „normale“ Raum-Zeit. D.h. dass zwar ein gewisser intrinsischer Fortschritt dahingehend existiert, dass die Abhängigkeit von künstlich eingeführten Strukturen wieder eliminiert werden kann, dass die eigentliche Frage nach den physikalischen Effekten für die beobachtbare Raum-Zeit nicht adressiert wird. Insbesondere sehe ich für die topologische Stringtheorie nicht, dass die Raum-Zeit echt dynamisch wird. Sie wird einmal statisch vorgegeben und bleibt als fester Hintergrund bestehen.
Gruß
Tom

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