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Stringtheorie - eine positive Perspektive?

Jenseits des etablierten Standardmodells der Elementarteilchenphysik und der Allgemeinen Relativitätstheorie, d.h. Quantengravitation, Supersymmetrie und Supergravitation, Stringtheorien...
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Stringtheorie - eine positive Perspektive?

Beitrag von tomS » 27. Apr 2009, 22:55

Hallo zusammen,

in der aktuellen Mai-Ausgabe des "Spektrums der Wissenschaft" hat Herr Prof. Lüst ein Essay mit dem Titel "Ist die Stringtheorie noch eine Wissenschaft?" veröffentlich. Zunächst kann ich euch diesen sehr lesenswerten Artikel nur ans Herz legen.

Ich habe daraufhin einen Leserbrief geschrieben (der hoffentlich online einsehbar sein wird - auch wenn er sicher nicht ebenso lesenswert ist :-) Zwar kann bzw. darf ich den Artikel selbst hier nicht reinstellen, aber meine Meinung dazu möchte ich euch nicht vorenthalten:

----------------------------------

Der Artikel von Herrn Prof. Lüst zeichnet sich sicher dadurch aus, dass er durchaus kritisch den ggw. Stand der Stringtheorie hinterfragt und nicht kritiklos die so oft angepriesene Allheiltheorie - „the only game in town“ - anpreist. Die Argumente der Kritiker werden ernst genommen und dankenswerter Weise von einem Experten kommentiert.

Ich denke dennoch, dass die Schlussfolgerungen an einigen Stellen evtl. nicht radikal genug sind!

Warum sollte denn eine Theorie, die zum einen enormen Anspruch hat und sicher entsprechendes Potential in sich birgt und die zum anderen an einigen Stellen noch konzeptionell lückenhaft ist, gerade diesen Anspruch aufgeben, den sie selbst so lange Zeit vertreten hat? Warum wird auf Basis einer - noch unfertigen - Theorie das aufgegeben, wofür diese Theorie so lange Zeit stand?

Ich möchte hier eine andere Argumentation vorschlagen:

Zunächst verweise ich auf einige Defizite der Stringtheorie, wobei weniger technischer Details im Vordergrund stehen, sondern vielmehr konzeptionelle Grundlagen der Theorie - so wie sie heute verstanden wird - in Frage gestellt werden. Davon ausgehend argumentiere ich dahingehend, dass bei Überwindung dieser Defizite die sehr ambitionierten Ansprüche der Theorie evtl. gar nicht aufgegeben werden müssen; stattdessen könnte eine vervollständigte bzw. geeignet konsolidierte Theorie über den jetzigen Zustand deutlich hinausweisen und so die teilweise aus dem Blick geratene Wissenschaftlichkeit wieder zurückgewinnen.

1) m.W.n. existiert keine fundamentale Gleichung plus einem Satz elementarer Regeln für die M-Theorie zur Ableitung physikalischer Ergebnisse. Stattdessen haben wir eher eine Sammlung von „Kochrezepten“, die zwar für die Experten ein einigermaßen sicheres Fundament darstellen, die jedoch nicht den endgültigen Anspruch an eine fundamentale Theorie erfüllen.

2) Die genannten Dualitäten sind letztlich nicht mathematisch exakt bewiesen, sondern „nur“ durch eine Entsprechung verschiedener Grenzfällen (large-N, small coupling) in den jeweiligen dualen Theorien motiviert. Ob diese Entsprechung auch abseits dieser Grenzfälle beweisbar gilt, ist m.W.n. noch offen, wenn auch sicher physikalisch motivierbar.

3) Der störungstheoretische Grenzfall kleiner Kopplung ist in zweierlei Hinsicht noch mathematisch unvollständig: zum einen existiert kein endgültiger Beweis, dass die Störungsreihe tatsächlich in jeder Ordnung endlich ist, auch wenn es wohl gute Argumente dafür gibt; zum anderen ist die Summierbarkeit der Störungsreihe insgs. nicht bewiesen.

4) Die String- bzw. M-Theorie ist heute nicht in der Lage, eindeutige Vorhersagen über die exakte Symmetriestruktur sowie das Massenspektrum der bekannten Elementarteilchen zu machen. Die Gründe dafür werden ausführlich dargelegt. Ich vermisse jedoch grundsätzlich eine Strategie, wie überhaupt ein Massenspektrum mit den bekannten Eigenschaften entstehen könnte. Wie lässt sich z.B. unter der Annahme einer Stringskala im TeV-Bereich die Kleinheit der Fermionmassen (Neutrinos: einige eV, Elektron: 511keV) erklären? Wichtig dabei ist: diese Massen sind zwar verglichen mit der Stringskala klein, aber eben nicht exakt Null.

5) Die Stringtheorie heutiger Prägung liefert sicher noch keine vollständige Theorie einer Quantengravitation. Zunächst gilt, dass die Feldgleichungen der ART als Konsistenzbedingung für die Hintergrundgeometrie auftreten und dass das Spektrum ein masseloses Spin-2 Teilchen enthält. Allerdings fehlen doch einige bekannte Eigenschaften der Gravitation, insbs. die Möglichkeit einer vollständig dynamischen Raumzeit, oder - um es anders zu formulieren - die Hintergrundunabhängigkeit der Theorie. Die Stringtheorie erfordert m.W.n. die Festlegung einer festen und dabei teilweise unphysikalischen Hintergrundgeometrie (Minkowski, AdS, schwarze Löcher als extremale BPS Zustände, bestimmte Symmetrieforderungen wie die eines zeitartigen Killing-Vektors). Außerdem sehe ich kein Argument, warum aus der Stringtheorie gerade eine vierdimensionale makroskopische Raumzeit folgen sollte, warum also gerade sechs (sieben) der fundamentalen Dimensionen der Stringtheorie (M-Theorie) kompaktifiziert sind.

In Anbetracht dieser noch existierenden Defizite ist es doch eigentlich natürlich, dass die Forschungsprogramme sich auf eben diese Themen konzentrieren, dabei jedoch gleichzeitig den einmal erhobenen Anspruch aufrecht erhalten. Stattdessen wird dieser Anspruch teilweise aufgegeben.

Evtl. ist diese Schlussfolgerung doch verfrüht!

Möglicherweise hat die Stringtheorie nach geeigneter Erweiterung und Konsolidierung tatsächlich genügend Vorhersagekraft, um (ziemlich) eindeutige Antworten zu den generellen Strukturen, Symmetrien, Vakuumzustände, Grundbausteinen und Wechselwirkungen der Natur zu liefern, ohne dafür Multiversen oder das anthropische Prinzip bemühen zu müssen.

Mich würde interessieren, ob die zunächst eher pessimistische Bewertung der ggw. Situation, die ich in eine optimistische Perspektive ummünzen möchte, realistisch sein könnte.
Gruß
Tom

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Re: Stringtheorie - eine positive Perspektive?

Beitrag von gravi » 29. Apr 2009, 19:33

Leider bin ich zeitmäßig noch nicht bis zu diesem Artikel vorgekommen, habe ihn nur in der Inhaltsangeabe gesehen.
Deine Argumente scheinen mir aus meiner bescheidenen Sicht sicherlich sehr angebracht zu sein.

Vielleicht aber müssen wir den "Stringsern" einfach noch viel mehr Zeit geben, um ihre Theorien weiter auszubauen und soweit zu entwickeln, dass auch einmal handfeste Voraussagen gemacht werden können. Das könnte evtl. noch einige Jahrzehnte in Anspruch nehmen.

Gruß
gravi
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Re: Stringtheorie - eine positive Perspektive?

Beitrag von tomS » 27. Mai 2009, 01:16

Ich kann euch den Artikel sowie die dazu gestartete Diskussion nur ans Herz legen! Der Artikel steht inzwischen als PDF komplett zum Download bereit: http://www.spektrum.de/artikel/987526

Die Zahl der Leserbriefe hat ebenfalls zugenommen. Herr Prof. Lüst hat geantwortet - leider bezieht sich die Diskussion jedoch fast ausschließlich auf das anthropische Prinzip. Ich habe einen neuen Leserbrief geschrieben, in dem ich nochmals um die Beantwortung konkreter Fragen bitte:

----------------------------------

Lieber Professor Dr. Lüst, liebe Frau Dr. Spillner,

wie sie ja ihn ihrem Artikel ausführen (und wie wir an den Leserbriefen erkennen :-), polarisiert das anthropische Prinzip nicht nur die Gemeinde der Stringtheoretiker. Daher möchte ich auf einige der in meinem ersten Leserbrief angeschnittenen Punkte zurückkommen, die meiner Kenntnis nach auch ohne bzw. unabhängig von diesem Prinzip strittig bzw. offen sind.

Es würde mich freuen, wenn Sie dazu nochmals Stellung nehmen oder entsprechende Quellen nennen können.

1) Gibt es eine geschlossene Darstellung der String- bzw. M-Theorie - z.B. mittels eines Pfadintegrals sowie der darauf anzuwendender Rechenregeln? Gibt es eine nicht-störungstheoretische Formulierung? M.W.n. ist dies ein (der?) zentraler offener Punkt des gesamten Forschungsprogramms.

2) Im Falle der rein störungstheoretischen Formulierung: gibt es einen Beweis der Singularitätenfreiheit der n-loop Amplitude? Gibt es einen Beweis für die Konvergenz bzw. Summierbarkeit der Störungsreihe? Derartige Ergebnisse liegen ja für bekannte Quantenfeld- bzw. Eichtheorien vor.

3) Welche Zusammenhänge bzw. Dualitäten (S-, T-, AdS/CFT) zwischen verschiedenen String- und M-Theorien sowie Supergravitation und anderen Feldtheorien sind exakt bewiesen? Welche beruhen nur auf Näherungen (large-N, small bzw. large coupling) bzw. haben lediglich den Status von Vermutungen?

4) Stichwort Singularitätentheoreme (Hawking, Penrose): haben diese Theoreme Bestand in der Stringtheorie, d.h. in mehr als 4 Dimensionen? Diese Frage erscheint mir insbs. wichtig, da die Stringtheorie selbst ja störungstheoretisch auf einer klassischen Hintergrund-Raumzeit formuliert wird: Gibt es einen Beweis für die Singularitätenfreiheit bzw. Stabilität dieses klassischen Hintergrundes?

5) Ist die Existenz eines Spin-2 Teilchens ausreichend, um vom Auftreten bzw. der Vorhersage der Gravitation zu sprechen? Tatsächlich ist doch das Graviton nur ein störungstheoretisches Konzept, das evtl. in einer hintergrundunabhängigen Formulierung gar nicht zwingend auftreten muss.

6) Wie kann das Konzept der Hintergrundabhängigkeit einschließlich dynamischer Raumzeit in die Stringtheorie integriert bzw. aus ihr abgeleitet werden? Anders gefragt: wie entsteht ein physikalisch akzeptables Modell der Gravitation, nicht nur eine störungstheoretische Näherung?

7) Was ist die Ursache für die Vierdimensionalität der Raumzeit ausgehend von 10 (11) Dimensionen? Warum sind gerade sechs Dimensionen kompaktifiziert bzw. anderweitig unsichtbar?
Gruß
Tom

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Re: Stringtheorie - eine positive Perspektive?

Beitrag von Maclane » 27. Mai 2009, 05:30

Da hast du recht, Tom. Die Diskussion ist wirklich sehr spannend und selbst für mich noch gut nachvollziehbar. :well:

Schön fand ich den Brief von Peter Kühn, der das anthropische Prinzip erstmal schön auseinander genommen hat. Das schien mir nämlich bisher auch immer wie eine Art letzter Ausweg, wenn jemand zuviele Fragen gestellt hat.
Sowas wie:
"Die Dinge sind wie sie sind, weil sie so sind wie sie sind." oder "Die Wege des Herrn (oder meinetwegen auch der Herrin) sind unergründlich". Da schienen das anthropische Prinzip und die ganzen Multiversen doch immer gut dazuzupassen. Man erklärt etwas, ohne es wirklich zu erklären. Viel Geschwafel ohne Gehalt. Und dann wird das auch noch zur Wissenschaftlichkeit erhoben. Frechheit! :lol:

Schön, dass das mal jemand klarstellt.

Interessant auch der Hinweis von Prof. Gerke mit unseren Neuronen und der Mathematik.
Ich hab mich, wenn ich mir die ganzen neuzeitlichen Theorien angeschaut hab, schon öfter gefragt, ob da die Mathematik nicht ab und zu ein klein wenig "missbraucht" wird.
Manchmal scheint es, als würde einigen Menschen die Mathematik nur als Selbstzweck dienen. Dann wird sie aber mehr zur "Kunst" als zur wissenschaftlichen Grundlage - ähnlich wie ein Maler, der die gleiche Aussage mit unterschiedlichen Bildern darstellen kann.

Okay, mir steht es nicht zu, darüber eine Aussage zu treffen. Aber manchmal fängt der Laie schon an, die Stirn zu runzeln und sich zu fragen, ob die Wissenschaftler wirklich noch immer konsequent Wissenschaft betreiben oder ob sie da vielleicht nicht nur einfach ihr Bedürfnis nach kreativer und künstlerischer Entfaltung auf eine abstrakte Weise befriedigen. Naja, die Grenzen sind wohl fließend.

Ich hoffe ja immer noch, dass es gelingt, einen Computer zu bauen, der ganz ohne menschliche "Makel" (bewusst in Anführungszeichen geschrieben) den Naturgesetzen auf den Grund gehen kann. Erste (erstaunliche) Schritte auf dem Gebiet der automatischen Gesetz- und Formelfindung hat man ja schon geschafft.

Ich für meinen Teil fühle mich jedenfalls mit Multiversen und anthropischem Prinzip als Erklärung der Welt nicht wohl, weil das wieder eine Beliebigkeit schafft, die wir ja eigentlich überwinden wollten, als wir angefangen haben, Wissenschaft zu betreiben.

Gruß
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Re: Stringtheorie - eine positive Perspektive?

Beitrag von tomS » 27. Mai 2009, 07:43

Ich denke, da sind wir uns so ziemlich einig.

Die Wissenschaft ist ja (teilweise stillschweigend) lange Zeit von einigen Grundprinzipien geleitet worden:
- Ockhams Messer
- Falsifizierbarkeit
- beobachtbare Größen
- neue Erkenntnisse

Ockhams Messer bedeutet, dass eine Theorie immer nur gerade soviele Annahmen trifft bzw. neue Konzepte einführt, wie gerade nötig; das heißt mit anderen Worten: so effizient und einfach wie möglich. Die ART ist hier sicher sehr effizient, das Standardmodell mit einer großen Anzahl an Feldern und ca. 20 freien Parametern schon weniger.

Falsifizierbarkeit (Popper) bedeutet, dass eine Theorie Aussagen treffen muss, die nicht nur ihre Bestätigung erlauben, sondern (auf effiziente Weise) auch ihre Widerlegung. Dieses Prinzip wird nie eisern durchhaltbar sein,bzw. eine Theorie wird natürlich auch durch ihre direkte Verifizierung gestützt, nicht nur durch gescheiterte Widerlegungen. Trotzdem ist dieses Prinzip (zumindest wenn man es auf die beobachtbaren Größen bezieht) wertvoll.

Über die Festlegung beobachtbarer Größen gab es seinerzeit eine Debatte zwischen Heisenberg und Einstein. Heisenberg wolte die Bahnen der Elektronen im Atom als unbeobachtbar und damit unphysikalisch verwerfen und schlussendlich seine Theorie ausschließlich auf beobachtbaren Größen aufbauen. Das ist natürlich in gewisser Weise gescheitert, denn z.B. ist ein Hilbertraum sicher nicht direkt beobachtbar! Einstein sah das genauso; er behauptete nämlich, dass es gerade die Theorie ist, die vorhersagt, was beobachtbar ist. Z.B.Energiespektren.

Und nicht zuletzt sollte eine gute Theorier neue neue Erkenntnisse liefern.

Betrachtet man nun die Stringtheorie, so stellt man fest, dass sie sich von diesen Grundprinzipien weitgehend verabschiedet hat. Der Zahl neuer Konzete (Strings, SUSY, Extradimensionen, ...) stehen kaum (keine ?) beobachtbaren Fakten gegenüber. In diesem Sinne ist die Theorie alles andere als effizient.

Die Falsifizierbarkeit scheitert ggw. an zwei Punkten: zum einen macht die Theorie kaum (keine) präzise Vorhersagen, die experimentell falsifizierbar oder verifizierbar wären. Zum anderen Ist grundsätzlich innerhlab der großen Klasse von Stringtheorien so gut wie alles möglich. So lässt die Theorie grundsätzlich praktisch jeden Wert der kosmologischen Konstante, praktisch beliebige Eichgruppen bzw. Teilchenspektrum usw. zu. Im enegern Sinne ist die Theorie schon gescheitert, denn die bisherigen Vorhersagen (SUSY, Extradimensionen, ...) sind ja zunächst mal falsch, d.h. die Theorie muss dahingehend angepasst werden, um sie zu "retten". Das war schon häufig der Anfang vom Ende ...

Über beobachtbare Größen sagt die Theorie relativ wenig. Man steckt sie in gewisser Weise doch hinein. Man legt die Eichsymmetrie bzw. das Teilchenspektrum zwar nicht direkt fest, aber man passt die D-Branen u.a. "Parameter" in geeigneter Weise an, um eben das Standardmodell oder seine SUSY-Erweiterung wieder zu reproduzieren.

Mit dem letzten Punkt sieht es auch nicht so gut aus: Sämtlichen neuen Erkenntnisse (Strings, SUSY, Extradimensionen, ...) müssen ja eben so beschaffen sein, dass man sie eben gerade nicht sieht! Dagegen betreibt die Theorie einen großen Aufwand, um Bekanntes zu reproduzieren (Gravitation, Eichsymmetrien, 4 Dimensionen, ...).

Zusammenfassend ist es gerade der letzte Punkte, der das Dilemma zeigt: Man fordert von einer Theorie, dass sie neue Erkenntnisse produziert, obwohl man doch gleichzeitig weiß, dass auf den experimentell zugänglichen Energieskalen gar keine neue Erkenntnisse notwendig sind bzw. erwartet werden. Diese erwartet man dagegen auf den prinzipiell nicht-beobachtbaren Energieskalen (Vereinheitlichung, Auflösung von Singularitäten, Renormierbarkeit). Das heißt, die Theorie ist von beginn an dazu verdammt, in einer experimentellen Wüste zu bestehen. Die Wissenschaft hat die gegenseitige Befruchjtung von Theorie und Experiment verloren und kann damit offensichtlich nicht umgehen. Die immer wieder eingeforderte Maxime größtmöglcher Exaktheit, Eindeutigkeit, Eleganz, Konsistenz, ... wird leider auch nicht respektiert, denn die Theorie ist eben gerade nicht exakt, eindeutig oder elegant. Ihre Konsistenz ist nicht bewiesen.

Diesen letzten Punkt darf man nicht als Entschuldigung für die Theorie selbst verstehen, jedoch dafür, warum sich die Stringtheorietiker so schwer tun ...
Gruß
Tom

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Re: Stringtheorie - eine positive Perspektive?

Beitrag von tomS » 27. Mai 2009, 18:51

tensor hat geschrieben:Ein großes Manko in der Stringtheorie sehe ich in der fehlenden Hintergrundunabhängigkeit, die in der LQG gewährleistet ist.
Das schreibt sogar Prof. Lüst in seiner Antwort auf die Leserbriefe!

Auch sonst kann ich dir nur zustimmen; ich schwanke zwar immer zwischen "bringt nichts" und "wird schon noch werden" - aber eigentlich tendiere ich auch eher zu ersterem. Schade - ich habe die Anfänge der ST (1. ST-Revolution Mitte der 80er) an der Uni mitbekommen und war damals sehr positiv gestimmt.
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Re: Stringtheorie - eine positive Perspektive?

Beitrag von gravi » 27. Mai 2009, 19:29

Spannend ist diese Kiste wirklich!
Es ist aber durchaus aus heutiger Sicht möglich, dass die Stringtheorie einmal in einer Sackgasse enden wird. Man kann sicherlich endlos das Für und Wider abwägen bzw. diskutieren, ohne ein sinnvolles Ergebnis zu erhalten.
Jedoch meine ich, dass nicht Heerscharen von Physikern an ihrer Weiterentwicklung arbeiten, wenn sie nicht eine gewisse Grundüberzeugung hätten.
Selbstverständlich kann man das mit einiger Skepsis betrachten, das muss dann jedoch auch für die LQG und viele andere Hypothesen gelten.

Also, ich sach mal: Abwarten und Tee trinken :wink:

Gruß
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Re: Stringtheorie - eine positive Perspektive?

Beitrag von tomS » 27. Mai 2009, 21:55

Aus den Büchern von Smolin und Woit geht schon hervor, dass es sich dabei auch um ein soziologisches Problem handelt:
- was soll ein Prof. machen, der Jahrzehnte in die Stringtheorie investiert hat?
- was ein Post-Doc., der seine Veröffentlichungen inkl. Dissertation auf dem Geniet geschrieben hat?
- was ein Student, der hauptsächlich derartige Post-Docs. und Profs. kennt und in der theoretischen Teilchenphysik arbeiten möchte?

Warum sollten die Wittens, Stromingers, Greens, Vafas, ... dieser Welt plötzlich erkennen, dass sie einem Phantom hinterher jagen?
Gruß
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Re: Stringtheorie - eine positive Perspektive?

Beitrag von Maclane » 28. Mai 2009, 11:43

Ungeachtet dessen, was die String-Professoren davon halten mögen, denke ich, dass die Stringtheorie ihre Schuldigkeit getan hat.

Es ist ja nicht so, dass sie überhaupt nichts gekonnt hat. Da waren doch schon einige Erfolge zu sehen. Aber hilft ja alles nix. Wenn der Ansatz in einer Sackgasse endet, muss man eben einen anderen Weg suchen.
Das heißt ja nicht automatisch, dass alles schlecht gewesen sein muss.

Ich mein, der Sozialismus hat sich auch als der falsche Ansatz herausgestellt. Aber der grüne Pfeil war doch ne tolle Sache. :lol:

Lorentz und Planck wollten ja zunächst auch nicht von der Äther-Theorie ablassen. Eine Sackgasse - aber das ein oder andere konnte man ja wirklich noch gebrauchen. ;)

Wenn wir eines Tages die TOE wirklich finden sollten, könnte es doch gut sein, dass sich auch die ein oder andere Formel aus den Stringtheorien wiederfindet.

Ich denke, wir brauchen jetzt vor allem zwei Dinge:
Erstens: dass wir den LHC endlich ans Laufen kriegen. Nur so können wir die Inflation von Spekulationen im Zaume halten.
Der LHC wird viele von den Formel-Blasen eliminieren. Hoff ich zumindest.
Und Zweitens brauchen wir dann kluge und fähige Leute, die noch ein bissl den Durchblick haben und aus dem übrig gebliebenen Theorien-Berg die Gemeinsamkeiten bzw. die zugrunde liegenden Prinzipien und Zusammenhänge extrahieren.

Wenn die Menschheit tatsächlich so alle 200 Jahre ein echtes Genie hervorbringt (Da Vinci, Newton, Einstein), dann können wir uns ja zur Jahrhundertwende wieder Hoffnungen machen. :wink:

Gruß
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Re: Stringtheorie - eine positive Perspektive?

Beitrag von tomS » 28. Mai 2009, 18:23

Das aktuelle Genie heißt Witten und arbeitet an/in der Stringtheorie :-)
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Re: Stringtheorie - eine positive Perspektive?

Beitrag von gravi » 28. Mai 2009, 19:02

Das sehe ich auch wie Tensor. Unser heutiges Wissen ist derart komplex geworden, dass es von Einzelnen nicht mehr überschaubar ist.
Die meisten Wissenschaftler müssen sich wohl völlig auf ein Thema spezialisieren und können so möglicherweise den wichtigen Blick für das Ganze verlieren.

Wenn dennoch Steinchen für Steinchen zu einem passenden Mosaik zusammen gefügt wird, ergibt sich ein immer klareres Bild. Ich bin überzeugt, dass dieser Weg auch beschritten wird. Irgendwann wird sich herauskristallisieren, welche der Hypothesen zutreffen und welche in die Tonne gehören. Der LHC wird dabei sicher eine große Hilfe sein.

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Re: Stringtheorie - eine positive Perspektive?

Beitrag von tomS » 28. Mai 2009, 20:16

War ja nur eine Antwort auf Mac's Idee mit dem Genie; ernsthaft: ihr habt schon recht, Einstein war ja die letzten zwei bis drei Jahrzehnte seines Lebens auch falsch unterwegs.

Zum LHC:
was wäre, wenn der LHC keine Mini-BHs und keine SUSY entdecken würde; was wenn keinerlei Physik außerhalb des Standardmodells entdeckt würde; was wenn das Higgs gefunden würde; was wäre dann mit der Stringtheorie? Wahr? Falsch? Gar nix !!!!!!!!!!!!!!!
Und wenn die SUSY gefunden würde, auch dann könnte das für die ST alles oder auch gar nichts bedeuten!
Gruß
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Re: Stringtheorie - eine positive Perspektive?

Beitrag von Maclane » 28. Mai 2009, 20:57

Wenn das so ist, dann sollte sich die ST mal schleunigst bemühen, ein paar Vorhersagen zum LHC zu machen - und zwar Vorhersagen, die nur von ihr kommen können - bevor sie in der Versenkung verschwindet.

Gruß
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Re: Stringtheorie - eine positive Perspektive?

Beitrag von tomS » 28. Mai 2009, 21:02

Gruß
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Re: Stringtheorie - eine positive Perspektive?

Beitrag von Maclane » 29. Mai 2009, 14:19

nice. :)

Wirklich ein schöner Link, den du da rausgesucht hast. :well:

Also wie jetzt weiter?
Halten wir's mit Dr. Faust?
"Da steh' ich nun, ich armer Tor!..."

Oder kommt da noch was, bevor unsere großen Experimente loslegen?

Gruß
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Re: Stringtheorie - eine positive Perspektive?

Beitrag von gravi » 29. Mai 2009, 20:00

Kann durchaus sein, dass mal eine ganz neue Physik geschrieben werden muss.
Au Mann, dann fangen wir von vorn an! :roll:

Ich bin aber fest überzeugt, dass der LHC nur Bestätigungen bringen wird :g-star:

Gruß
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Re: Stringtheorie - eine positive Perspektive?

Beitrag von gravi » 29. Mai 2009, 21:46

Da hast Du recht.
Die Datenmenge wird unübersehbar sein und es wird viel Zeit brauchen, um überhaupt zu brauchbaren Ergebnissen zu kommen.

Hauptsache: Es läuft! :wink:

Gruß
gravi
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